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Bloß kein Mitleid für die NSU-Opfer

 

Die ausgebrannte Wohnung der NSU-Terroristen in Zwickau © Jan Woitas/dpa
Die ausgebrannte Wohnung der NSU-Terroristen in Zwickau © Jan Woitas/dpa

Die Neonazi-Szene beobachtet das seit sieben Monaten laufende NSU-Verfahren in München aufmerksam. Sie formuliert weder Mitleid noch Mitgefühl für die Opfer, verleumdet die Ermordeten als „kriminelle Ausländer“ oder verhöhnt sie gar als „Döner-Brater“. Die Frage, was vom NSU und seinen Taten zu halten sei, spaltet jedoch die deutschen Rechtsextremisten. Sie lassen sich in drei Gruppen einteilen.
Die Bewunderer

Auf Websites militanter Rechtsextremer taucht immer wieder der Rosarote Panther auf. Er ist eine unverhohlene Anspielung auf die NSU-Bekennervideos und soll ganz offensichtlich eine Anerkennung für die Morde zum Ausdruck bringen. Auf den meisten Bildern lächelt der Panther, auf manchen posiert er mit Pistole oder mit einer Mehrladerflinte, einer sogenannten Pumpgun, wie sie Mundlos und Böhnhardt benutzten.
Als im Februar 2012 eine bundesweite Schweigeminute für die NSU-Opfer stattfand, schrieb eine militante Kameradschaft aus Hamburg auf ihrer Website: „Trauer um verstorbene Ausländer? Nicht mit uns!“ Eine rechtsextreme Berliner Kleidungsmarke druckte T-Shirts mit dem Slogan „Killer-Döner nach Thüringer Art“. Auf rechtsextremen Konzerten registrierte der Verfassungsschutz NSU-Rufe aus dem Publikum.

Einen guten Einblick, wie der NSU-Prozess von der Szene rezipiert wird, gibt der anonyme Twitter-Account „NSUisFake“. Auch hier taucht Paulchen Panther als Userbild auf. Ein Tweet an den Vorsitzenden des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), lautet: „NSU is watching you!
Noch eindeutiger geht es in deutschen Gefängnissen zu. Wie die Berliner Zeitung aufdeckte, klebten rechtsextreme Häftlinge in sächsischen Haftanstalten an ihre Zellenwände Porträtfotos von Böhnhardt und Mundlos. Der langjährige NPD-Kader und mutmaßliche NSU-Helfer Ralf Wohlleben wurde in der JVA Tonna (Thüringen) derart von seinen Mitgefangenen hofiert, dass die Behörden ihn aus Sicherheitsgründen nach Bayern verlegen ließen. Vom heimlichen Austausch von Kassibern – verbotene, geheime, schriftliche Mitteilungen eines Gefangenen an einen anderen – bis hin zu Fluchtplänen war die Rede. 

Aber nicht nur im Gefängnis, sondern auch außerhalb erfährt Wohlleben breite Unterstützung von seinen Gesinnungsgenossen, die ihn gern Wolle nennen. T-Shirts und Anstecker mit der Parole „Freiheit für Wolle!“ gibt es inzwischen in Dutzenden Versandläden zu kaufen. Zahlreiche Solidaritätsbekundungen kursieren im Netz. „Er verlässt die Front nicht oder wechselt gar aus strategischen Gesichtspunkten die Seite“, wird Wohllebens Aussageverweigerung auf der rechtsextremen Website Altermedia gelobt. „Wolle sitzt stellvertretend für all diejenigen in Haft, die sich nicht verbeugen, bis sie brechen“, heißt es da.

Im Oktober 2012 steuerten 15 bundesweit bekannte Neonazibands Lieder für eine „Solidaritäts-CD“ bei, deren Erlös Wohlleben zugute kommen soll. Neben Gruppen wie Blitzkrieg, Uwocaust und Alte Freunde und Ekzess ist auch Michael Regener mit seiner Band Die LunikoffVerschwörung zu hören. Regener war früher Sänger der als kriminelle Vereinigung verbotenen Rechtsrockgruppe Landser und genießt im Milieu Kultstatus. Auch im Gerichtssaal unterstützen bekannte Neonazis ihre „Kameraden“ auf der Anklagebank. Im Zuschauerraum des NSU-Prozesses sitzen regelmäßig rechtsextreme Aktivisten, darunter auch ein verurteilter Bombenbauer aus Aachen.

Weitaus weniger Unterstützung erfährt Beate Zschäpe. Das mag vor allem daran liegen, dass sie sich konsequent in Schweigen hüllt. Ihre politische Gesinnung stellt sie im Gegensatz zu Wohlleben nicht zur Schau. Aber es dürfte auch eine Rolle spielen, dass aus der jüngeren Generation von Rechtsextremen kaum noch jemand Zschäpe persönlich kennengelernt hat. Die „Kameraden“ bleiben daher unschlüssig, ob man auf sie zugehen oder besser Abstand halten soll. Zu groß ist die Sorge, dass sie im Laufe des Prozesses doch noch aussagen könnte. Sie bleibt unberechenbar.

Unterstützung erhielt Zschäpe ausgerechnet vom rechtsextremen Massenmörder von Oslo, Anders Breivik. Er schrieb ihr im Winter 2012 einen langen Brief, in dem er die Rechtsterroristin als „Liebe Schwester Beate“ ansprach. „Wenn klar wird, dass du tatsächlich eine militante Nationalistin bist“, schrieb Breivik, habe sie die Chance, zur „mutigen Heldin des nationalistischen Widerstands“ zu werden, „die alles getan und geopfert hat, um den Multikulturalismus und die Islamisierung Deutschlands zu stoppen“. Die Sicherheitsbehörden beschlagnahmten den Brief, bevor er zugestellt wurde.

Die Verschwörungstheoretiker

Ein weiterer Brief an Zschäpe kam von einem, der gar nicht glaubt, dass sie mit den Morden etwas zu tun hat. Der ehemals linke Journalist Jürgen Elsässer, der sich mittlerweile in rechtslastigen Kreisen bewegt, schickte der Inhaftierten im Mai 2013 ein langes Schreiben. Er wähnt Zschäpe als Opfer eines Komplotts der Sicherheitsbehörden. „Ich habe Angst, dass Sie das Gefängnis nicht mehr lebend verlassen werden“, schreibt er. „Reden Sie, solange Sie noch reden können. Nur wenn Sie auspacken über Ihre Hintermänner, Auftraggeber und Verführer, sind Sie einigermaßen geschützt“, behauptet Elsässer. Er glaubt an eine Verschwörung wie aus einem Politthriller, in der Zschäpe das Opfer einer Intrige geworden ist. Dass sie die Taten aus rechtsextremer Überzeugung begangen haben könnte, scheint für ihn nicht in Betracht zu kommen. Schließlich habe sie doch, so Elsässer, bei ihren Nachbarn in Zwickau den „Eindruck eines Engels“ hinterlassen.

Das klingt bizarr, aber tatsächlich gibt es ein weit verzweigtes Netzwerk von Menschen, die ernsthaft solche und noch weit abstrusere Verschwörungstheorien zum NSU propagieren. Je mehr man im Netz sucht und je länger die Diskussionsstränge werden, desto mehr verlieren sich die Kommentatoren in immer unverständlicheren Theorien. Von „Mafiabanden“ und verdeckten Geheimdienstoperationen wird da schwadroniert, vom „NSU-Phantom“ oder „NSU-Märchen“ ist die Rede. Die Unterstützungsgelder der Bundesregierung für die Angehörigen der Toten werden als „BRD-Schuldkult“ bezeichnet, die Erschossenen als „sogenannte türkische Opfer“. Verantwortlich gemacht für die Morde werden wahlweise der Bundesnachrichtendienst, die CIA, der Mossad oder alle zusammen. „Das Übliche. Die Judenmafia! Die Juden mischen überall nicht nur mit, sondern sind die Drahtzieher“, schreibt ein User auf Altermedia.

Akribisch werden in zahlreichen Blogs vermeintliche und tatsächliche Ungereimtheiten bei den NSU-Ermittlungen gesammelt. Im Januar 2012 prangte auf dem Cover der rechtsextremen Zeitschrift Zuerst! der Titel „Bestellter Terror – Wem nützt die ‚rechte Gewalt‘?“ Häufig werden Nachrichten aus seriösen Medien, die sich später als falsch herausgestellt haben, als Belege angeführt.

Die Kritiker

Nach dem Bekanntwerden des NSU war, allen voran, die NPD eiligst bemüht, sich von den Morden öffentlich zu distanzieren. Von „abstoßenden Taten des Kriminellen-Trios Uwe M., Uwe B. und Beate Z. aus Zwickau“ sprach die sächsische NPD-Fraktion. Es sei klar, dass die NPD „Terrorismus und Gewalt jedweder politischen Richtung ablehnt und aufs Schärfste verurteilt“.

„Wer angesichts dieser Bestialität auch nur ansatzweise auf die Idee kommt, dies könne im Sinne meiner Partei und meiner Fraktion sein, ist entweder unzurechnungsfähig oder agiert aus durchsichtigem politischen Interesse“, sagte der damalige NPD-Chef Holger Apfel. Seine Partei sah er als Opfer einer geplanten Kampagne. Apfel gab sich überzeugt davon, dass „die Verfassungsschutzämter in nicht unerheblichem Maß in den Fall involviert“ seien.
Nach der Festnahme des ehemaligen NPD-Politikers Wohlleben beteiligte sich die Partei nicht an den Solidaritätskampagnen, sondern distanzierte sich erneut. Man habe von etwaigen Verbindungen Wohllebens zum NSU nichts gewusst, und schließlich sei dieser seit 2010 kein Parteimitglied mehr. Bei den militanten Kameradschaften sorgte diese Abgrenzung für scharfe Kritik.

Wie ernst es der NPD mit ihren Distanzierungsversuchen tatsächlich ist, kann man nur schwer abschätzen. Ganz sicher passen mordende und bombende Neonazis nicht in das Konzept von Apfels Kurs einer „seriösen Radikalität“ – den Normalbürger, den die NPD gern erreichen möchte, schrecken offene Gewalttaten ab. Auch die Angst, neue Argumente für ein NPD-Verbot zu liefern, spielt sicherlich eine Rolle.

Rassismus als Motiv für eine grausame Mordserie passt nicht in das Bild des sauberen, ordnungsbewussten Rechtsextremen. Entsprechend versucht man, die Taten zu entpolitisieren. Die rechts-konservative Junge Freiheit nennt Mundlos und Böhnhardt in einem Artikel nicht Neonazis, sondern „kaltblütige Schwerkriminelle“, die „zu Lebzeiten keine politische Botschaft mit ihren Taten verbunden haben“.

Klar ist aber auch, dass sich die NPD von den vielen verurteilten Gewalttätern in den eigenen Reihen nie ernsthaft distanziert hat und viele Mitglieder offensichtlich klammheimliche Freude über die NSU-Morde empfinden. Ende 2011 fand sich beispielsweise auf der Facebook-Seite des damaligen stellvertretenden NPD-Kreisvorsitzenden Rainer Biller aus Nürnberg der Eintrag: „Tod dem Döner, es lebe die Nürnberger Bratwurst.“ Ebenfalls eingestellt war ein Bild der Imbissbude von Ismail Yasar, der von den Rechtsterroristen des NSU ermordet worden war. Unter dem Bild stand: „Wenn wir Glück haben, verschwinden erst die Dönerbuden und dann der Rest der Mischpoke.“ Nachdem die SPD Anzeige erstattet hatte, schloss die NPD Biller aus der Partei aus.

Die Szene bleibt gewaltbereit

Dass die Aufdeckung des NSU und die folgenden Ermittlungen die Szene keineswegs eingeschüchtert haben, zeigte sich besonders deutlich zu Beginn des NSU-Prozesses in München. Kurz vor dem ersten Verhandlungstag wurden in einem Büro des Münchner Flüchtlingsrats die Fensterscheiben eingeworfen. Nach dem Prozessauftakt folgten acht weitere nächtliche Angriffe auf Wohnprojekte und Büros von Antinazi-Initiativen. Mal flogen Steine, mal waren es Farbbeutel. Die Kanzlei der Anwältin der Witwe eines NSU-Opfers wurde mit Fäkalien beschmiert. Erst als die Polizei drei junge Rechtsextreme auf frischer Tat ertappte, endete die Anschlagsserie. Im selben Zeitraum nahm die Polizei im niedersächsischen Düren eine Anzeige auf. Unbekannte hatten in der Nacht das Gebäude der Islamischen Gemeinde in der Josephstraße mit Parolen beschmiert: „NSU lebt weiter – und ihr werdet die nächsten Opfer sein!“ 

Die Sicherheitsbehörden nehmen solche Drohungen durchaus ernst. Die Gewaltbereitschaft des rechtsextremen Spektrums hat seit der NSU-Enttarnung nicht ab-, sondern zugenommen. Im Verfassungsschutzbericht 2012 wird explizit vor potenziellen NSU-Nachahmern gewarnt.

Der Text ist eine aktualisierte, leicht gekürzte Fassung des Artikels aus dem Rechtsextremismus-Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung.