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Der Reichskanzler aus West-Berlin

 

Wolfgang Ebel im Interview in der Show des Verschwörungstheoretikers Jo Conrad. © Screenshot
Wolfgang Ebel im Interview in der Show des Verschwörungstheoretikers Jo Conrad. © Screenshot

Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht existent, oder wahlweise auch eine privatrechtliche Firma? Das Deutsche Reich existiert fort und es ist an einigen wenigen Wissenden, es wieder aufzubauen? Und Reichskanzler ist ein Ex-Reichsbahner aus West-Berlin, den die Berliner Behörden für schuldunfähig halten? Das alles hört sich auf den ersten Blick ziemlich wirr an, ist aber Bestandteil abstruser Verschwörungstheorien der sogenannten „Reichsbürger“.

Es gibt in Deutschland ernsthaft Menschen, die glauben, die tiefe Wahrheit hinter allen diesen „Fakten“ zu kennen. Als Fakten bezeichnet man in der reichdeutschen Sprache nämlich ein Konglomerat aus Fälschungen, Erfindungen und mitunter sehr „kreativen“ Auslegungen der Realität. Eigentlich hatte ich schon länger geplant, mit einer Beitragsserie über krude Verschwörungstheorien zu starten. Doch die unerwartete Vehemenz, mit der Ken „KenFM“ Jebsen und andere Verschwörungstheoretiker jetzt auftreten und die teilweise verschwörungstheoretisch beeinflussten Montagsdemonstrationen der vergangenen Wochen haben mir gezeigt, dass es jetzt Zeit für das Thema wird:

Aller Anfang: Das Bundesverfassungsgericht 1973

Aber alles auf Anfang: 1973 spricht das Bundesverfassungsgericht ein wegweisendes Urteil. Es geht davon aus „daß das Deutsche Reich den Zusammenbruch 1945 überdauert hat […]. Das Deutsche Reich existiert fort, besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig.“

Wegweisend war das Urteil deswegen, da es die staatsrechtlichen Grundlagen für die spätere deutsche Wiedervereinigung legte. Doch nicht nur Staatsrechtler und Politikanalysten rezipierten das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Einige nämlich hielten das Urteil für wegweisend, da es das Fortbestehen des Deutschen Reiches auch über 1945 hinaus anerkannte. Findige Leser des Urteils entdeckten bald schon Möglichkeiten, für sich Kapital daraus zu schlagen: Wenn das Deutsche Reich noch fortbestehe, könnte man doch einfach Reichsbürger statt Bundesbürger werden. Aufgrund der mangelnden Handlungsfähigkeit des Reiches könne einem solchen Reichsbürger aber niemand den Führerschein abnehmen oder Steuern einfordern.

Das klingt nun ebenso spitzfindig wie es falsch ist: Tatsächlich stellt das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil nämlich fest, dass das Reich nicht mehr handlungsfähig sei; es sei jetzt teilidentisch mit der Bundesrepublik Deutschland, die alle Rechtsdispositionen des Reichs übernommen hat. Gemeinhin nennt man das auch Rechtsnachfolge und damit wäre eigentlich auch alles erklärt: Es gibt kein handlungsfähiges Deutsches Reich mehr, die Bundesrepublik Deutschland handelt nun stattdessen mit allen noch bestehenden staatsrechtlichen Verpflichtungen.

Eine Reihe von Missinterpretationen und Fälschungen

Doch die deutsche Sprache, insbesondere das Juristendeutsch, ist dafür bekannt, sehr interpretierbar zu sein. Insbesondere Nicht-Juristen lesen viel in Phrasen hinein, die für den Rechtskundigen eigentlich eine festgelegte Bedeutung haben. So kam es dazu, dass gut ein Jahrzehnt später jemand auf die Idee kam, das handlungsunfähige Deutsche Reich könne doch wieder handlungsfähig gemacht werden. Sein Name ist Wolfgang Ebel, seinerzeit damals Mitarbeiter der Reichsbahn (so hieß die staatliche Bahngesellschaft der DDR, die den Namen schlicht nach 1945 weitergeführt hatte). Wenn es die Reichsbahn noch gäbe, so der findige Gedanke, dann könne das Deutsche Reich doch auch nicht weit sein. Da seine Heimatstadt West-Berlin in den 1980er Jahren noch unter Alliiertem Oberkommando stand, lag es nahe, sich an die Vereinigten Staaten als Führer der westlichen Welt zu wenden, um die Souveränität des Deutschen Reiches wieder herzustellen. Per Einschreiben/Rückschein informierte Ebel die Berliner US-Botschaft über die Ablegung seines „Amtseides“ als „Generalbevollmächtigter“, „Reichskanzler“ oder „Reichspräsident“. Erfolgte kein Einspruch, wie im Schreiben ausgeführt, innerhalb einer Frist von 21-Tagen – so die bestechend einfache Logik – so sah Ebel seine Ernennung und in Folge die vieler weiterer „Minister“ und ähnlicher Ämter als genehmigt an. Bis zu dieser Stelle erscheint das vielleicht noch als Aktion eines Mannes, der, gelinde gesagt, sehr kauzig ist.

Bis dato gab es verschiedene Sezessionen und Wiederannäherungen, so dass heute ein regelrecht unüberschaubares Feld an so genannten „Kommissarischen Reichsregierungen“ besteht, die alle für sich behaupten, die legitime Staatsmacht des handlungsunfähigen Deutschen Reiches zu konstituieren. Sie alle berufen sich im Ursprung auf Wolfgang Ebel. Und gemein sind ihnen vor allem zwei weitere Tatsachen, die sie erwähnenswert machen: 1) Ziehen sie naiven Bürgern mit der Ausstellung so genannter „Identitätsausweise“ oder „Personenausweise“, die eigentlich nur wertlose Fantasieausweise sind, das Geld aus der Tasche. 2) Verbreiten aber viele der so genannten „Reichsbürger“ auch – mal mehr, mal weniger offen – rechtsextreme Propaganda. Die Reichsregierung von Wolfgang Ebel geht beispielsweise davon aus, dass die ehemaligen deutschen Ostgebiete sich nur temporär unter polnischer und russischer Verwaltung befinden.

Auch wenn nicht alle „Reichsbürger“ rechtsextremes Gedankengut vertreten und verbreiten, so ist der Übergang oftmals fließend: Wer davon ausgeht, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht existiert und daher auch keine Rechtsgrundlage für seine Handlungen hat, der hat nicht nur schon längst den Boden des Grundgesetzes verlassen, sondern wird auch dazu neigen, sein eigenes Naturrecht mit Gewalt gegen den vermeintlich inexistenten Staat BRD durchzusetzen. Geschehen so in der jüngeren Vergangenheit etwa durch das „Deutsche Polizeihilfswerk“, dessen Mitglieder 2012 in Fantasie- „Polizeiuniformen“ einen Gerichtsvollzieher in Radeburg kidnappten. Abseits davon sympathieren Rechtsextremisten wie Horst Mahler, Reinhold Oberlercher oder Meinolf Schönborn auch ganz offen mit den „Reichsbürgern“, mit denen sie das Ziel verbindet, das Deutsche Reich wiederzuerrichten.

Dieser Beitrag ist nur ein knapper historischer Abriss über den Werdegang und die Hintergründe er Reichsbürger. Der Frage, warum die 2+4-Verträge keine Wirkung haben sollen, welche innenpolitische Rolle der Generalstaatsanwalt der Russländischen Föderation in Deutschland spielt und natürlich der Frage, die uns alle interessiert: warum die BRD eine privatrechtliche GmbH im belgischen Handelsregister ist; darum wird es in den nächsten Beiträgen gehen. Außerdem hoffe ich auf die fleißigen Reichsbürger in der Kommentarspalte, die noch Themen aufbringen, mit denen sich die nächsten Artikel auseinandersetzen können.