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Der lustige Nazi-Hirsch aus Sachsen

 

2014-07-09-platzhirsch

Vielen Schülern in Sachsen bietet sich in den letzten Tagen folgendes Bild: Ein riesiges Plüschtier tingelt durch das Schulgebäude, posiert für Erinnerungsfotos mit den Kindern und Lehrern und teilt fleißig Umarmungen aus. Währenddessen laufen seine Begleiter durch die Tischreihen und wollen über die Gefahren der Droge Crystal Meth informieren. Was auf den ersten Blick wie eine naiv-alberne Antidrogenkampagne wirkt, ist in Wirklichkeit die neueste Wahlkampfidee der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN).

Von Marc Latsch, Netz gegen Nazis

Im Mittelpunkt der Kampagne steht der „Platzhirsch – der Schülersprecher“, genauer gesagt ein Neonazi im Plüschkostüm. Die Landtagswahlen in Sachsen stehen vor der Tür, die NPD-Fraktion ist arm an Hoffnungsträgern, da bastelt man sich den perfekten Rechtsextremen doch lieber selbst. Der besitzt ein dickes braunes Fell, trägt Hirschgeweih und Schweinsnase und wirbt mit Frei.Wild-affinem T-Shirt-Design um junge Mainstreamgegner. Die Aktion scheint sogar vom Erfolg gekrönt, ein Video im Netz zeigt die Aktion in der Klasse und sogar die freudige Offenheit einer Lehrerin – vielerorts scheint die Tarnung offenbar zumindest zeitweise zu funktionieren.

Viele Neonazis selbst im Drogenhandel aktiv

Das Thema ist hierbei perfide nach dem Aspekt der geräuschlosen Kontaktaufnahme gewählt. Die JN Sachsen spricht von einer groß angelegten „Anti-Drogen-Tour“, dabei geht es tatsächlich um die Verbreitung der üblichen Wahlkampfzeitschriften in Schülerkreisen. Passend zum Maskottchen trägt die aktuelle JN-Schülerzeitung ebenfalls den Namen Platzhirsch. Aber lediglich zwei Seiten beschäftigen sich mit dem Thema Crystal Meth – und auch hierbei geht es vor alle darum, rassistische Ressentiments etwa gegen Menschen aus Polen zu verbreiten. Die verbliebenen 18 Seiten sind mit klassischer rechtsextremer Propaganda gefüllt. Die Rede ist von armen Jugendlichen, die angeblich von Lehrern unterdrückt und von „Linken und Ausländern“ verprügelt werden. Das geht soweit, dass sie sich nach all der Mainstream-Propaganda sogar ihres eigenen Geschlechts nicht mehr bewusst sind. Erst bei den Kameraden der NPD können diese verlorenen Seelen wieder zum Lebensglück zurückfinden, suggeriert das Heftchen.

Inhaltlich ist das Engagement gegen Drogen für die Neonazis unfreiwillig komisch, wie Miro Jennerjahn, Rechtsextremismusexperte der sächsischen Grünen, weiß: „In den letzten Jahren sind in Sachsen immer wieder Neonazis als Drogenhändler auffällig geworden. Darunter auch mindestens ein ehemaliger Stadtratskandidat der NPD. Die Neonazi-Szene in Sachsen und damit auch die JN ist Teil des Problems Drogenhandel und organisierte Kriminalität, nicht Teil der Lösung.“

Aktivist gegen „Überfremdung“

Auch der Platzhirsch selbst kommt in der verteilten Zeitschrift zu Wort. In einer Kolumne teilt er unter dem Motto „Überfremdung? Ich platz gleich!“ seine Sorgen mit. Als Stärkster aus der Mitte der Hirsche ist er auserkoren, sein Revier vor Eindringlingen zu schützen. Doch nicht nur von außen droht die Gefahr, auch die Homo-Ehe macht dem armen Platzhirsch Angst. Somit bleibt er auf der Suche nach weiteren Platzhirschen, die mit ihm seine Identität und Existenz als Deutscher verteidigen. Völkische Ideologie als bunte Schülerzeitung.

Die Schulen wurden vom Nazi-Platzhirsch völlig überrascht. Dasselbe gilt offenbar für die Polizei. „Kannte der Verfassungsschutz die Aktion? Wann wurden die Schulen über den zu erwartenden Auftritt der Neonazis informiert? Wurde die Polizei durch den Verfassungsschutz rechtzeitig informiert, um ein Verbreiten neonationalsozialistischer Propaganda an sächsischen Schulen wirksam unterbinden zu können?“, kritisieren die sächsischen Grünen die Sicherheitsbehörden. Im Internet postet der „Platzhirsch“ unterdessen fleißig weiter, an welchen Schulen er gerade unterwegs ist.

Plüsch für Hass

Die Idee mit dem Kostüm ist nicht neu. Schon in der Vergangenheit haben es junge Neonazis in peinlichen Kostümen bereits geschafft, von sich reden zu machen. In Niedersachsen konnten Mitglieder der Kameradschaft Besseres Hannover mit einem ähnlich plüschigen und rassistischen „Abschiebär“ zumindest Interneterfolge feiern – bis die Polizei das Kostüm bei einer Razzia beschlagnahmte. Die Kameradschaft wurde vom Innenminister verboten. In Brandenburg versuchten es die Reste der verbotenen Kameradschaft Widerstandsbewegung Südbrandenburg mit einem Krümelmonster-Kostüm, in dem sie „Schule ohne Rassismus“-Schilder entwendeten und Videos der Taten ins Netz stellten. Doch auch hier landete das Plüschkostüm bald in der Asservatenkammer der Polizei. Die Grünen sehen in der Platzhirsch-Kampagne eher eine Verzweiflungstat: „Die Aktion der JN zeigt sowohl die Verzweiflung der Neonazis als auch ihre Verlogenheit“, sagt Miro Jennerjahn. „Der NPD droht der Verlust der Landtagsmandate und damit auch der finanziellen Basis. Darum schrecken die Neonazis nicht davor zurück, Kinder und Jugendliche für ihre menschenverachtende Politik zu instrumentalisieren.“

Für den sächsischen Nazi-Platzhirsch in Sachsen dürfte bald Schluss sein. „Diese Aktionen sind rechtswidrig und werden in keiner Weise geduldet“, hieß es am Mittwoch aus dem Kultusministerium. Die Schulen wurden aufgefordert, Hausverbote zu erteilen und sofort die Polizei zu rufen.