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„Am liebsten nicht mehr denken wollen…“

 

Antifaschistische Kundgebung am Tänzelfest 2014  (ɔ) rh
Antifaschistische Kundgebung am Tänzelfest 2014 (ɔ) rh

»Am liebsten nicht mehr denken wollen würden die meisten an die tragischen Ereignisse während des Tänzelfest 2013.« So hakt der Lokalsender a.tv ab, was letztes Jahr passierte: Neonazis pöbeln, greifen an und töten schließlich einen »Mann aus Kasachstan«. Auch der Oberbürgermeister Stefan Bosse (CSU) will, dass das Volksfest »ganz normal seinen Verlauf nehmen« kann. Das wollte eine kleine Gruppe Antifaschisten so nicht hinnehmen und hielt eine Kundgebung auf dem Kaufbeurer Tänzelfest ab. Am Jahrestag der Tat, dem 17. Juli, sollte dem Opfer Konstantin M. gedacht und der Behauptung eine »sinnlose Sauferei und Prügelei« sei Ursache des »Todesfalls« widersprochen werden. Der Sicherheitsdienst des Festes versuchte dies zu unterbinden. Die Polizei erteilte den Aktivisten Platzverweise.

»Sinnlose Sauferei und Prügelei«

Am Abend des 17. Juli 2013 um kurz vor Mitternacht verlässt die fünfköpfige Gruppe um Falk H. das Festzelt am Tänzelfest. In der Gruppe ist mit H.’s Neffen Markus V. mindestens ein weiterer Neonazi. Zur gleichen Zeit verlassen drei von den Thüringern offenbar als nicht-deutsch identifizierte das Festgelände und werden als »Scheiß Polacken« und »Scheiß Russen« beschimpft. Der 36-jährige Thüringer wirft den Dreien vor, »ihr habt meine Oma vertrieben« und greift an. Zu zweit halten die Angegriffenen ihre Gegner in Schach, sodass diese mehrfach zu Boden gehen und schließlich aufgeben müssen. Frustriert und wütend über die Niederlage ziehen sich die Angreifer zurück auf das Gelände, wo der unbeteiligte Konstantin M. völlig unvermittelt einen heftigen Faustschlag gegen die Schläfe erhält. Obwohl der 34-jährige aufgrund eines durch den Hieb ausgelösten Risses einer Arterie hirntot ist noch bevor sein Körper ganz zu Boden fällt, holt der Thüringer nochmals aus: Ein schwerer Fußtritt gegen den Hals des Familienvaters verursacht weitere schwerwiegende Verletzungen. Anwesende Sicherheits- und Rettungskräfte können nicht mehr tun, als den kurze Zeit später festgenommenen Falk H. als Täter zu identifizieren.

So eindeutig der Tathergang scheint, den die Zeugen- und Sachverständigenaussagen nachzeichnen, so sicher steht für das Gericht nach nur zwei statt den geplanten vier Verhandlungstagen am 30. April und 6. Mai fest: eine »vollkommen sinnlose Sauferei und Prügelei« hätte einer Familie den Vater gekostet. Das Verfahren gegen den anfangs ebenfalls verdächtigten 22-jährigen Neonazi Markus V. wurde im Voraus eingestellt, Falk H. erhält elf Jahre Freiheitsentzug mit Alkoholtherapie für eine Tat, die die Große Strafkammer am Kemptener Landgericht als Körperverletzung mit Todesfolge einordnet. Bei guter Führung wird eine vorzeitige Entlassung in Aussicht gestellt. Vor der Urteilsfindung wird H.’s Vorstrafenregister auszugsweise Verlesen: Eine lange Liste von Taten mit Hitlergrüßen und anderen entsprechenden Zeichen zusammen mit Körperverletzungen.

»Remembering means fighting«

Passanten lesen Flyer  (ɔ) rh
»Remembering means fighting!« (ɔ) rh

Gegen diese »permanente Entpolitisierung neonazistischer Gewalt« wollen die Aktivisten wie sie erklären ein Zeichen setzen. Sie demonstrierten ihren Standpunkt mit einem Banner »Remembering means fighting! Gegen Nazis und ihre Umtriebe«. Dazu verlasen sie einen Redebeitrag und verteilten Flugblätter. Gefordert wurde: Neonazistische Strukturen auch in der Region zu beleuchten und zu benennen, eine Verharmlosung und Verdrängung ihrer Gewalt zu beenden, Neonazis entschlossen gegenüber zu treten sowie eine Reflexion gesellschaftsweit verbreiteter Denkmuster, die sich in Diskriminierung und Abwertung von Menschen äußerten. Diese seien »zwar für sich genommen bereits abzulehnen, bieten darüber hinaus allerdings Nährboden und Anknüpfungspunkte für neonazistische Ideologie.« Auch sollten Betroffene Unterstützung und strukturell verfestigte Diskriminierungen Kritik erfahren. Auch, wenn der Bürgermeister es anders meinte, habe er doch recht: »Dieser Vorfall [hätte] an jeder Stelle in diesem Land statt finden können.« Nämlich seien die genannten verbreiteten Reflexe und die angesprochene Entpolitisierung neonazistischer Taten mit dafür verantwortlich, dass diese geschehen können.

»Hinter meinem Lächeln verbirgt sich ein Dolch«

Securitys bedrängen Antifaschisten  (ɔ) rh
Securities bedrängen Antifaschisten (ɔ) rh

Noch bevor der Redebeitrag zu Ende gesprochen werden konnte, wurden die Aktivisten von Sicherheitskräften bedrängt. Während die vollständige Verlesung des Redebeitrages gelang, wurde das Verteilen von Flugblättern durch Schieben und Festhalten zu

Security mit Kategorie C Schlüsselband  (ɔ) rh
Security mit Kategorie C Schlüsselband (ɔ) rh

unterbinden versucht; Flugblätter wurden stapelweise entwendet und zerrissen. Ein Teil des eingesetzten Sicherheitsdienstes war bereits im letzten Jahr vor Ort und sagte im Prozess gegen Falk H. aus. Einer behauptete mit Bezug auf das Vorjahr, es »gehören immer zwei« zu einer Schlägerei, überhaupt sei alles ganz anders gewesen als Medien behaupteten. Einer der Männer, die die Aktivisten festhielten und versuchten den Blick auf deren Banner zu verstellen trug ein Schlüsselband der rechten Band Kategorie C, ein anderer die Tätowierung »Hinter meinem Lächeln verbirgt sich ein Dolch«. Auch bei Neonazis inklusive Falk H. beliebte germanisch-heidnische Symbolik war an verschiedenen Stellen zu erkennen. Die eintreffende Polizei nahm die Personalien der Demonstrierenden auf und verwies sie vom Platz.