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Nazigegner in Bad Nenndorf und Dresden vor Gericht

 

Bad Nenndorf

In den vergangenen Jahren wurden in verschiedenen Städten Neonazi-Aufmärsche blockiert: Dresden und Bad Nenndorf sind nur zwei Beispiele. Doch gegen die Blockierer sind zahlreiche Verfahren anhängig. Auch in diesen Tagen standen wieder Protestierende vor Gericht.

Hunderte Menschen blockierten in Bad Nenndorf 2013 den Kundgebungsort der Neonazis, Foto: Felix M. Steiner
Hunderte Menschen blockierten in Bad Nenndorf 2013 den Kundgebungsort der Neonazis © Felix M. Steiner

Auf den ersten Blick sind Bad Nenndorf und Dresden zwei Städte, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch gibt es Ähnlichkeiten zwischen den Vorgängen, die sich in diesen Tagen in der niedersächsische Kleinstadt als auch in der Elbmetropole ereignen. Nachdem in beiden Städten die Dynamik von Naziaufmärschen in den letzten Jahren durch Massenblockaden gebrochen wurde, gibt es Ermittlungen gegen Protestierende. So steht in Dresden der zweite Prozesstag gegen den Antifaschisten Tim in nächster Instanz am 19. Dezember, dem kommenden Freitag, an. Tim soll am 13. Februar 2011 mit einem Megafon und den Worten „Nach vorne“ zum Durchbruch einer Polizeisperre aufgerufen haben. Dabei erkennen ihn die beteiligten Polizisten nicht und ein Anwohner ist sich sicher: „Der war es nicht.“

In Niedersachsen stand am Montag ebenfalls ein Aktivist vor dem Amtsgericht in Stadthagen. Er hatte sich im August 2013 mit mehreren hundert Menschen an einer Sitzblockade vor dem Wincklerbad in Bad Nenndorf beteiligt. Hier waren nach Kriegsende u.a. hochrangige Nationalsozialisten vom britischen Militär interniert. Nachdem Foltervorwürfe laut wurden, wurde das Lager geschlossen und der Lagerarzt verurteilt. Seit 2006 sind diese Vorgänge der Vorwand für den jährlichen Naziaufmarsch in der Stadt, an dem zu Spitzenzeiten fast 1000 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet teilnahmen, 2013 waren es lediglich noch rund 280.
Gestiegen sind seit 2011 die Zahlen derer, die sich am Widerstand gegen den Naziaufmarsch beteiligen. Am 2. August 2013 versammelten sich am Ende mehr als 600 Menschen vor dem Wincklerbad und bilden eine Sitzblockade. Dabei sind es nicht nur Aktivisten, die dem Aufruf der Initiative »Kein Naziaufmarsch in Bad Nenndorf« folgten, sondern auch diejenigen, die an den Protestaktionen des Bündnis „Bad Nenndorf ist bunt“ teilgenommen haben. „Wir haben den Nazis nicht nur ihren symbolträchtigen Ort genommen, sondern konnten auch viele Menschen aus Bad Nenndorf motivieren, sich an den Blockaden zu beteiligen“, sagte damals Maren Becker, Sprecherin der Initiative.

Die Blockade wurde von der Polizei teils rabiat geräumt, Foto: Felix M. Steiner
Die Blockade wurde von der Polizei teils rabiat geräumt © Felix M. Steiner

Die Polizei räumte die Blockade im Laufe des Tages und leitet im Nachhinein Ermittlungen gegen alle Beteiligten ein. Viele von ihnen erhalten Anfang diesen Jahres ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Bückeburg, in dem ihnen mitgeteilt wird, dass die Verfahren gegen sie eingestellt werden. Weiter wird jedoch darauf hingewiesen: „Im Wiederholungsfall können sie nicht nochmals mit einer solch günstigen Verfahrensweise rechnen. Dann wird das Verfahren vor Gericht gebracht.“
In 20 Fällen gab es keine Verfahrenseinstellung und die Fälle sollen vor Gericht landen, weil den Beschuldigten zum Beispiel Widerstand gegen die Polizei vorgeworfen wird.
So war es auch am Montag bei der Verhandlung in Stadthagen der Fall. Hier erklärte der Staatsanwalt sinngemäß, dass für ihn „Widerstand“ alles umfasse, was den Polizisten die Arbeit erschwere. Diese schwammige und wackelige Definition wirkte sich am Ende zu Lasten des Angeklagten aus, der 25 Tagessätze à 15 € sowie Gerichts- und Anwaltskosten zahlen soll. Immer wieder fallen während der Verhandlung die Begriffe „Wackeln“ und „Winden“, wenn es um das als „Widerstand“ beschriebene Verhalten der Blockierer geht.

Die vier als Zeugen geladenen Polizeibeamten widersprechen sich in wichtigen Punkten: Die ersten beiden wurden beim Wegtragen des Aktivisten hinzugerufen, um ihre erschöpften Kollegen zu unterstützen. Sie sagen aus, dass sie das Anspannen zum „Päckchen“ als Erschweren werteten. Hierbei handelt es sich um eine Körperhaltung, die in der Blockadefibel von X-tausendmal quer wie folgt beschrieben wird:

… eine Technik, mit der Du ‚Deinen‘ PolizistInnen sozusagen ein Angebot machst: ‚Wenn Ihr wollt, könnt Ihr mich so wegtragen, dass sich niemand dabei wehtut, weder Ihr noch ich.‘ Dazu ziehst Du die Beine an und verschränkst die Arme fest unter den Knien. Die PolizistInnen können Dich jetzt – wenn sie wollen – unter den Kniekehlen und unter den Achseln anheben und wegtragen. …

 

Trotz der Räumung konnte eine Kundgebung der Neonazis verhindert werden, Foto: Felix M. Steiner
Trotz der Räumung konnte eine Kundgebung der Neonazis verhindert werden © Felix M. Steiner

Auch der Rucksack des Angeklagten hätte gegen seinen Willen abgenommen werden müssen, um das Gewicht zu verringern. Dafür war der dritte Zeuge verantwortlich. Ob das rechtlich zulässig gewesen wäre, wurde nicht bis zum Ende geklärt. Der vierte Zeuge konnte sich zwar nicht an den Angeklagten erinnern, jedoch daran, dass alle, die aus der Blockade gelöst wurden, mehr oder weniger gewackelt oder sich gewunden hätten. Kein Wunder, denn Fotos belegen die teilweise Verwendung von Schmerzgriffen durch Beamte. Wenn Probanden aus der Blockade gelöst werden und der Bearbeitungsstraße zugeführt werden, wie das der erste Zeuge nannte, kann es vorkommen, dass es wackelt. Dies war für den Richter ausschlaggebend für das gefällte Urteil. Ob gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt werden, steht noch nicht fest – bis dahin ist das Urteil noch nicht rechtskräftig.

So gibt es am Ende doch eine Gemeinsamkeit zwischen Bad Nenndorf und Dresden. In beiden Städten sind Aktivisten von Urteilen wegen Aktionen des Zivilen Ungehorsams gegen Naziaufmärsche betroffen. Ob es weitere Verfahren gibt und welche Signale diese Prozesse senden, ist noch unklar. Maren Becker ist sich sicher: „Trotzdem werden wir uns weiterhin Neonazis und ihren Aufmärschen in den Weg stellen und setzen – ob in Bad Nenndorf oder anderswo.“