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»Migranten werden nur positiv bewertet, wenn sie etwas bringen«

 

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„Pegida“ im Dezember in Dresden © Johannes Grunert

Der Sozialpsychologe und Rechtsextremismusforscher Oliver Decker, Gründungsmitglied des Leipziger »Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus und Demokratieforschung«, erklärt im Interview die steigende Abwertung von Migranten und Entwicklungen rechter Vorurteile in der Bevölkerung.

Das Interview führte Sarah Ulrich für kreuzer online, mit freundlicher Genehmigung

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Rechtsextremismusforscher Oliver Decker

Ulrich: Vergangenes Wochenende haben Sie die Tagung »Deutschland als Einwanderungsland zwischen Willkommenskultur und Diskriminierung« veranstaltet. Was waren die Ergebnisse? Ist Deutschland ein Land der Willkommenskultur oder der Diskriminierung?

OLIVER DECKER: Wir haben eine ganze Reihe von Referenten aus verschiedenen Bereichen gehört. Ein Bild hat sich über die Vorträge trotz der unterschiedlichen theoretischen Hintergründe und Zugangsweisen herauskristallisiert. Wir haben es in den letzten 20 Jahren mit einer Verschiebung des Diskurses zu tun, ob bei Einstellungen in der Bevölkerung oder bei administrativen Umsetzungen. Deutschland will ein Einwanderungsland sein. Dabei geht es aber weniger um Solidarität oder um Vielheit, sondern um wirtschaftliche Nützlichkeit von Migrantinnen und Migranten. Das merkt man auch in Einstellungen der Menschen. Jene Menschen, die nicht als Gewinn für die Bundesrepublik gesehen werden, werden abgewertet.

Ulrich: Was bedeutet das genau?

DECKER: Man kann das zum Beispiel an PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, Anm. d. Red.) sehen. Es gibt wieder eine Form von »wir hier« und »die anderen, die kommen«. Wir haben es nicht mit einer Idee republikanischer Vielfalt zu tun, sondern damit dass »wir hier« als homogene Gruppe konstruiert werden. Das ist interessant, weil auf den ersten Blick ja nicht ins Auge springt, dass unter der Offenheit antidemokratische Motive liegen.

Ulrich: Kann man vom wachsenden rechtsextremen Lager sprechen oder ist die Abwertung von Migranten ein Phänomen, das mehr in die Mitte rückt?

DECKER: Wenn man von rechtsextremen Lagern spricht, dann setzt das eine Form der Abgrenzung voraus, die oft nicht der Fall ist. Natürlich ist das so, wenn wir es mit organisiertem Rechtsextremismus zu tun haben. Aber das ist nicht mehr das größte Problem, sondern dass es eine Form von angestammten rechten und nationalistischen Konzepten gibt, die in der Bevölkerung weit verbreitet sind und meist nicht als rechtsextrem erkannt werden. Das ist ähnlich wie der Vorschlag der CSU (Migranten sollen in der Familie Deutsch sprechen, Anm. d. Red.), der faktisch eine Grundrechtseinschränkung für andere Menschen ist. Wenn das Einfluss auf die politische Kultur hat, fördert es eine antidemokratische Grundstimmung, weil die Rechte bestimmter Gruppen eingeschränkt werden. Was hier passiert, ist das Fischen nach genau solchen antidemokratischen Ressentiments, um die Wähler an sich zu binden. Das ist unglaublich und antidemokratisch, ohne dass es als rechtsextrem bezeichnet werden kann.

Ulrich: Wie hat sich das in den letzten Jahren entwickelt?

DECKER: Wir können einen Rückgang von generalisierten Vorurteilen gegenüber Migrantinnen und Migranten feststellen, dafür aber einen sehr starken Anstieg der Abwertung spezifischer Gruppen wie Muslime, Asylsuchende und Sinti und Roma. Das sind genau die, gegen die sich auch PEGIDA richtet. Sie tun das mit dem sicheren Gefühl, dass sie hier eigentlich eine Form von Volkswille propagieren, weil es sich dabei um Interessen der einheimischen Bevölkerung handele und sich gegen eine als fremd und homogen wahrgenommene Gruppe richtet. Migranten werden nur positiv bewertet, wenn sie etwas bringen, und abgewertet, wenn sie als Bedrohung des Wohlstands oder als fremd wahrgenommen werden.

Ulrich: Dabei wird sich ja aber meist nicht auf Fakten gestützt.

DECKER: Genau das ist ein Kennzeichen des Ressentiments. Mit Rationalität hat das alles nichts zu tun. Da kann man auch nicht gut gegen argumentieren, denn es ist sehr stark emotional aufgeladen. Das liegt nicht an den Migranten und auch nicht direkt an der Angst der Überforderung. Vielmehr hat man es hier mit einem Ventil für einen allgemeinen gesellschaftlichen Druck zu tun. Das Ganze geschieht vor dem Hintergrund einer politischen Kultur, bei der gerade mal begonnen worden ist, etwas wie eine nicht ethnisch homogene Nation in Deutschland zu erwirken. Wir haben Transformationsprozesse, die insgesamt dazu führen, dass die Gesellschaft nicht auf Solidarität baut. Die Menschen haben eine Vorstellung von Gemeinschaft, die ethnisch ist. Solidarität gilt primär nur für Angehörige der eigenen Gemeinschaft. Das ist eine sehr alte Vorstellung, die zu anderen Nationalstaatskonzepten wie in Frankreich oder den USA, die nicht von einer ethnisch homogenen Gesellschaft ausgehen, im Kontrast steht.

Ulrich: Und diese Entwicklungen wollen Sie künftig am Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus und Demokratieforschung erforschen?

DECKER: Ja genau. Wir haben an der Universität Leipzig an unterschiedlichen Fakultäten eine sehr ausgeprägte Expertise in der Demokratie- und Rechtsextremismusforschung. Es geht darum, diese zu bündeln und in den gesellschaftlichen Prozessen eine Stimme als Wissenschaft zu haben. Außerdem wollen wir der Gesellschaft unsere Forschung besser zur Verfügung stellen. Es ist aber ein langer Prozess, so ein Kompetenzzentrum aufzubauen. Wir sind schon aus den Startlöchern raus, aber noch nicht im Zieleinlauf.