Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Gedenken an von Neonazi ermordete Polizisten

 

Die Polizisten Yvonne Hachtkemper, Thomas Goretzky (Mitte) und Matthias Larisch von Woitowitz werden im Juni 2000 von dem Rechtsextremisten Michael Berger erschossen ©dpa
Die Polizisten Yvonne Hachtkemper, Thomas Goretzky (Mitte) und Matthias Larisch von Woitowitz wurden im Juni 2000 erschossen ©dpa

Vor 15 Jahren wurden in Dortmund drei Polizisten von dem Neonazi Michael Berger erschossen. Bis heute werden die Ermordeten nicht von der Bundesregierung als Todesopfer rechter Gewalt anerkannt. Jetzt will eine Initiative mit einer Kundgebung an die Toten erinnern.

Wir dokumentieren den Kundgebungs-Aufruf:

Am Sonntag, den 14. Juni 2015 wollen wir an Thomas Goretzki, Yvonne Hachtkemper und Matthias Larisch erinnern, die vor 15 Jahren in Dortmund-Brackel und Waltrop von dem Rechtsradikalen Michael Berger erschossen wurden. Wie Thomas Schulz, der von einem Dortmunder Nazi am 28. März 2005 an der U-Bahn Station Kampstraße erstochen, und Mehmet Kubatsik, der am 6. April 2006 von dem rechtsradikalen Netzwerk NSU in seinem Kiosk in der Dortmunder Mallinckrodtstraße erschossen wurde, wurden die drei jungen PolizeibeamtInnen Opfer der steigenden rassistischen und faschistischen Mobilisierung und gewalttätigen Raumnahme in der Stadt Dortmund.

Die Morde im Jahr 2000

Am Mittwoch den 14. Juni 2000 entdeckten kurz vor 10.00 Uhr der 35-jähriger Polizeikommissar Thomas Goretzky und die 25-jährige Polizeimeisterin Nicole Hartmann aus ihrem Streifenwagen heraus einen Autofahrer, der sich offensichtlich nicht angeschnallt hatte. Die Beamten gaben dem Fahrer des BMW durch Zeichen zu Verstehen, dass er anhalten solle. Stattdessen gab dieser Gas und floh. Die Beamten verfolgten ihn. Im Unteren Graffweg in Dortmund-Brackel kamen beide Fahrzeuge zu Stehen. Als Thomas Goretzky ausstieg, eröffnete der Fahrer des Fluchtfahrzeugs das Feuer. Thomas Goretzky wurde in Brust und Kopf getroffen. Seine Kollegin versuchte sich aus dem Auto zu retten und erhielt einen Steckschuss in den Oberschenkel.

Daraufhin floh der Fahrer in seinem BMW. Durch die Schüsse alarmierte Nachbarn eilten herbei und versuchten Erste Hilfe zu leisten. Diese kam aber für den zweifachen Familienvater Thomas Goretzky zu spät. Die schwer verletzte 25-jährigen Nicole Hartmann schaffte es noch an die Leitstelle den Mord an ihrem Kollegen durchzugeben. Eine Großfahndung wurde ausgelöst.

Kurze Zeit später standen in Waltrop die 34-jährige Yvonne Hachtkemper und der 35-jährige Matthias Larisch-von-Woitowitz aus Datteln mit einem Streifenwagen auf dem Randstreifen an der Kreuzung Unterlipper Straße/Ecke Borker Straße. Es ist nicht bekannt, ob sie schon von der Fahndung wussten, als der BMW neben ihnen zu stehen kam. Obwohl die Ampel „grün“ zeigte, hielt der Fahrer des BMW an und gab aus dem Inneren drei gezielte Schüsse auf sie ab. Yvonne Hachtkemper, die gerade aus dem Erziehungsurlaub gekommen war, wurde von zwei Kopfschüssen getroffen. Matthias Larisch-von-Woitowitz, der zusammen mit seiner Frau ein Kind erwartete, erlitt einen Schädeldurchschuss.

Am späten Nachmittag entdeckte ein Passant das Fluchtfahrzeug auf einem Feldweg in einem Olfener Waldstück. Die anrückenden Spezialisten fanden den Fahrer tot auf. Er soll sich mit einem Kopfschuss selbst getötet haben. Es handelte sich um den 31-jährigen Nazi Michael Berger aus Dortmund-Körne.

Michael Berger und die rechtsradikale Szene Dortmunds

In dem Fahrzeug von Michael Berger fand die Polizei mehrere Handfeuer- und andere Waffen. Bei mehreren Hausdurchsuchung entdeckten die Polizisten zwei Langwaffen, sieben Handfeuerwaffen, eine Splitterhandgranate, Munition, Messer und Sprengstoff. Ein Waffenarsenal, das ausreichte um eine komplette Kleingruppe auszurüsten. Schnell wurde klar, dass der 31-jährige Michael Berger zur rechtsradikalen Szene Dortmunds gehörte. Man fand einen Mitgliedsausweis der DVU, entdeckte Verbindungen zu den Republikanern, der NPD und schließlich zu Siegfried Borchardt und der „Kameradschaft Dortmund“. In dem Olfener Wäldchen soll er sich mit Gleichgesinnten zu Schießübungen getroffen haben.

Die Dortmunder Kameradschaft feierte die Morde mit einem Flugblatt und Aufklebern auf denen stand: „Berger war ein Freund von uns. 3:1 für Deutschland. KS Dortmund“. Auf Grund dessen fand bei dem 23jährigen Nazi Michael Krick in Dortmund-Kley eine Hausdurchsuchung statt und Aufkleber und Flugblätter gleichen Inhalts wurden beschlagnahmt. Des weiteren wurde die von BürgerInnen eingerichtete Trauerstätte für die BeamtInnen in Brackel geschändet. Und unweit an einer Mauer die Sätze „Scheiß Bullen! Krepieren sollen sie alle! Elendig!“ geschrieben. Schon in der Nacht zum Donnerstag sprühten Unbekannte in einem vier Meter langen und ein Meter hohen Schriftzug „3 weniger“ an die Hiltruper Polizeiwache. Und vor Bergers Wohnsitz wurden Blumen abgelegt.

Polizeiliche Ermittlungen und Staatsräson

All dieser Informationen und Umstände zum Trotz erklärten die ermittelnden Behörden den Täter zu einen depressiven Waffensammler, der aus Angst vor dem Führerscheinentzug die drei BeamtInnen erschoss. Trotz massiver Kritik, expliziten Verweisen auf die anti-demokratische Einstellungen und neonazistische Organisierung des Mörders wurde seitens des Staats eine politische Motivation der Tat kategorisch ausgeschlossen und bis heute gilt für die NRW-Regierung als Motiv eine angebliche Verdeckungsabsicht. So hieß es im November 2011 vom Innenministerium NRW auf eine kleine Anfrage im Landtag: „… da der Genannte – obwohl mehrfach einschlägig vorbestraft – den PKW ohne Fahrerlaubnis geführt hatte und sich außerdem in seinem Wagen und in seiner Wohnung mehrere Schusswaffen befanden, für deren Besitz er keine Erlaubnis hatte. Anhaltspunkte für eine politische Tatmotivation im Sinne der Definition „Politisch motivierte Kriminalität“ lagen nicht vor. Vermutungen in den Medien über einen Zusammenhang zwischen der Tat und Hinweisen auf Aktivitäten des Genannten in der „rechten Szene“ ließen sich nicht verifizieren. Das Verfahren wurde aufgrund des Todes des B. eingestellt.“ (Drucksache 15/1866)

Die gleiche Entpolitisierung verlief in dem 2005 geführten Prozess gegen Sven Kahlin, den rechtsradikalen Mörder von Thomas Schulz. Hier befand das Gericht, dass „Der Angeklagte hat sich durch das festgestellte Verhalten des Totschlags gemäß § 212 StGB schuldig gemacht. Die Kammer ist der Auffassung, dass Mordmerkmale im Sinne des § 211 StGB nicht vorliegen. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Angeklagte aus niedrigen Beweggründen gehandelt hat. Die Tatsache, dass der Angeklagte Punker als „Zecken“ bezeichnet, lässt einen solchen Rückschluss nach Auffassung der Kammer nicht zu.“ (Aktenzeichen: 14 (I) K 3/05)

So wurde in beiden Ermittlungs-, bzw. Strafverfahren weder die Gewalttat an sich, noch der politische Hintergrund gewürdigt und bis heute gelten die vier Ermordeten offiziell nicht als Opfer rechter Gewalt. Was solch eine offizielle und öffentliche Negierung der Tatmotive, Hintergründe und Verantwortlichkeiten für die ehedem traumatisierten Angehörigen heißen muss, kann man nur erahnen. Die gesellschaftliche Signalwirkung war katastrophal. Es wurde nicht klargestellt, dass die Wurzeln der Taten in der hasserfüllten politischen Ideologie des Nationalsozialismus liegen. Dass die Pflege und Verbreitung dieser Ideologie verantwortlich ist für die Haltung und Motivation der Täter. Die Täter wurden individualisiert und psychologisiert, die Morde aus ihrem sozialen und politischen Kontext und Wertesystem heraus gelöst. Statt klar Verantwortlichkeiten zu benennen, wurden diese kaschiert und versteckt. Und statt an Hand dieser Gewalttaten die Gefahr des Rechtsradikalismus offenzulegen und die Notwendigkeit der Bekämpfung dieser antidemokratischen Einstellungen zu verdeutlichen, nutzten die Behörden ihre Definitionsmacht um zu vertuschen und zu verharmlosen.

Am 4. April 2006 wurde der Familienvater Mehmet Kubasik in der Dortmunder Mallinckrodtstraße in seinem Kiosk von Mitgliedern des rechts-terroristischen Netzwerks „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) erschossen. Die polizeilichen Behörden ermittelten im Anschluss nicht gegen rechte Zusammenhänge. Statt dessen verdächtigten sie das Opfer und seine Angehörigen der unterschiedlichsten Vergehen und Delikte und stigmatisierten sie als verdächtiges „ausländisches Milieu“. Sie stilisierten die Opfer zu Tätern und verlängerten so die rechte Gewalt und den rassistischen Ausschluss von MigrantInnen aus der deutschen Gesellschaft. Erst mit der Selbst-Enttarnung des NSU Ende 2011 fielen diese polizeilichen Konstrukte in sich zusammen. Und die Angehörigen der neun vom NSU ermordeten Menschen waren mit einem Mal doch Opfer rassistischer Gewalt und kein kriminelles Ausländermilieu.

In Folge dieses bundesweiten Ermittlungs-Gaus vernichteten diverse Behörden ihre Aktenbestände und wuschen ihre Hände in Unschuld. Dieser geheimdienstliche und polizeiliche Offenbarungseid und die sich anhäufenden Skandale lassen viele Menschen in Deutschland an dem Verfolgungswillen gegenüber rechtsradikalen und rassistischen Straftaten, an der demokratischen Haltung und der Verfassungstreue der zuständigen Behörden zweifeln. Das es für diese Behörden anscheinend zu einer folgenlosen Abwicklung ihres „NSU-Komplexes“ kommt erbost viele Bundesbürger immer mehr.

Offene Fragen – so aktuell wie damals

Wie in den Fällen des NSU wurde auch bei den drei Morden an den PolizistInnen im Jahr 2000 den Spuren in die rechtsradikale Szene nicht nachgegangen. Schon damals wurden Stimmen laut, die den Täter zu den bewaffneten Neonazi-Strukturen um „Blood and Honour“ und „Combat 18“ einordneten. Der Tod des Täters half bei der Schließung der Akten und der Definition der Morde als unpolitische Taten.

In den folgenden Jahren tauchten immer wieder neue Verdachtsmomente rechts-terroristischer Bestrebungen in und um Dortmund auf. Sei es die Entwicklung um die Rechtsrockband „Oidoxie“, die Aktivitäten des Neonazis und Verfassungsschutzagenten Sebastian Seemann, dem Briefkontakt seines Dortmunder Kameraden Robin Schmiemann mit der Angeklagten Beate Zschäpe aus dem NSU-Prozess oder den zahlreichen Besuchen von „Blood and Honour“ und „Combat 18“ Aktivisten aus Belgien und Holland in Dortmund-Dorstfeld. Für die NRW-Ermittlungsbehörden waren dies keine hinreichenden Anlässe die Ermittlungen zu den Morden an den drei PolizistInnen erneut aufzunehmen. Erst 15 Jahre später, anlässlich des NSU-Untersuchungsausschusses in Düsseldorf wird erneut darüber nachgedacht, ob Michael Berger nicht doch ein Mitglied einer terroristischen Zelle war.

Dortmund, die Stadt von BVB und U-Turm

In all den letzten Jahren mussten viele DortmunderInnen schmerzhaft feststellen, dass sie angesichts der stetig steigenden rechtsradikalen Angriffe von den verantwortlichen Institutionen in dieser Stadt allein gelassen werden. Das sie außer vollmundigen Lippenbekenntnissen und Sonntagsreden nichts von der Stadt, ihrer Administration und Behörden zu erwarten haben. Im Gegenteil, betätigen sie sich als aktive DemokratInnen und AntifaschistInnen außerhalb der von der Stadt verordneten Symbolpolitik gelten sie als diejenigen, die provozieren, Recht und Ordnung stören und generell als verdächtig. Und so werden sie von der Polizeiführung und der Justiz als Deliquenten behandelt. Mit einem Wort: Das Feindbild der Stadt Dortmund ist der Antifaschismus. Dieser städtische Duktus macht auch vor den eigenen Partei- und Ratsmitglieder nicht halt. Ein Vorgang den man bestens an den Geschehnisse um das gewalttätige Auftreten der Partei „Die Rechte“ am Abend der Kommunalwahlen im Mai 2014 vor dem Dortmunder Rathaus und der juristischen Verfolgung der demokratischen Stadtabgeordneten nachvollziehen kann.

Diese Entwicklung macht auch vor PolizistInnen nicht halt, die es mit Verfassungstreue und demokratischen Grundhaltung ernst meinen. Sie werden von ihren eigenen Behörden sogar zweifach hintergangen. Zum Einen wird ihnen wider ihrer Überzeugung nahegelegt und befohlen gegen AntifaschistInnen vorzugehen. Zum anderen werden sie angewiesen Antidemokraten und Nazis sozialen Raum zu gewähren und politische Handlungsfelder zu ermöglichen. Die Argumentation der Behördenspitzen sind dabei so formal, wie fadenscheinig und falsch. Im Namen der Demokratie soll man den Feinden der Demokratie Raum gewähren, den aktiven Demokraten und Antifaschisten den Widerstand dagegen erschweren und verwehren. Denn als intolerant und anti-demokratisch gelten diejenigen, die demokratische Rechte verteidigen wollen. So werden die BürgerInnen (die mit und die ohne Uniformen) nicht nur von den Nazis, sondern auch von den eigenen Behörden eingeschüchtert. Die Demokratie wird untergraben, ausgehöhlt und auf dem Altar der „Ordnungspolitik“ geopfert.

„Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen …“ (Todesfuge, Paul Celan)

Wie sich diese Haltung im Juristen-Deutsch liest lässt sich gut an dem Richterspruch zum Aufmarsch der Partei „Die Rechte“ vom 28. März diesen Jahres nachvollziehen. Der provokante Aufmarsch war von der Rechtsradikalen inszeniert worden, um das antifaschistische Gedenken an den ermordeten Thomas Schulz zu konterkarieren. Am 17. März 2015 befand das Gelsenkirchener Verwaltungsgericht: “Allein der Umstand des öffentlichen Auftretens neonazistischer Gruppierungen und die Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts in öffentlichen Versammlungen und Aufzügen soweit sie die Strafbarkeitsschwelle nicht überschreiten, führt nicht dazu, dass eine Versammlung vom Schutzbereich des Art. 8 GG ausgeschlossen werden könnte.“ (Aktenzeichen 14 L 543/15) Mit anderen Worten, für diese Richter in Gelsenkirchen gibt es bereits wieder schützenswertes nationalsozialistisches Auftreten und Äußerungen.

Die Quintessenz dieses Vorgehens ist die Ausbreitung und Raumnahme gewalttätiger Nazis in dieser Stadt. Dazu zählen auch die drei Morde an den drei jungen PolizistInnen im Jahr 2000. Rechtsradikale Morde, die von den Behörden als rein kriminelle Straftaten kaschiert werden. Was für ein Affront für die PolizistInnen, die ihre Arbeit gut machen wollen und diese im Sinne der Verfassung, mit einer demokratischen Grundhaltung nachgehen. Was für ein Affront gegen alle DemokratInnen und AntifaschistInnen.

Wir wollen am Sonntag den 14. Juni 2015 in Dortmund-Brackel an die jungen PolizistInnen erinnern. Sie gehören in das antifaschistische Gedenken genau so eingebettet wie Thomas Schulz und Mehmet Kubasik. Dabei wollen wir unsere Kritik an dem behördlichen Vorgehen aber nicht vergessen.

In diesem Sinne sind alle herzlich eingeladen sich an der Veranstaltung zu beteiligen.

Treff: Mahnmal für die deportierten JüdInnen, Brackeler Hellweg 137
Wann: So., 14. Juni 2015, 14.00 Uhr
Kontakt: info@geschichtswerkstatt-dortmund.de