Der Jugendforscher Klaus Farin hat über die Band Frei.Wild geschrieben. Herausgekommen ist ein anbiederndes und unkritisches Fan-Buch: es gibt schöne Fotos, nette Worte und eine Generalabsolution: Kritik an dieser nationalistischen Band, die Rechtsterrorismus verherrlicht, sei ohne jede Substanz.
Von Nico Werner
Die Südtiroler Chart-Stürmer Frei.Wild haben kommerziellen Erfolg. Seit Jahren klettert die „Deutschrock-Band“ aus Norditalien mit jedem ihrer Alben an die Spitze der deutschen Albumcharts und füllt die ganz großen Konzerthallen. Gleichzeitig polarisiert die Gruppe: der Bandleader war mal „rechts“ und Liedtexte werden als nationalistisch kritisiert. Andererseits sagt die Band von sich, dass sie „gegen Extremismus und Rassismus“ eintrete. Wie ist die Band wirklich drauf, wer sind die Fans, was ist dran an den „Vorwürfen“? Jugendforscher Klaus Farin hat sich solche Fragen gestellt, traf sich mit der Band und verwertete tausende von Fans ausgefüllte Fragebögen. Das von Farin mitgegründete „Archiv der Jugendkulturen“, beziehungsweise die Partnerinstitution „Archiv der Jugendkulturen Verlag“ scheinen prädestiniert für solch ein Vorhaben zu sein. Seit Jahren wird dort an einer Schnittstelle zwischen eigener Szenenähe und Wissenschaft zu allem geforscht, gesammelt, veröffentlicht, was die Jugendkulturen in Deutschland zu bieten haben. Gegen allen Kulturpessimismus werden Jugendkulturen als positive Sozialisierungsinstanzen verteidigt, ohne dabei problematische Entwicklungen zu beschönigen.
Das neue Buch von Farin ist geeignet, den guten Ruf des „Archivs der Jugendkulturen“ zu schädigen. Grundregeln seriöser journalistischer oder wissenschaftlicher Arbeit hat Farin über Bord geworfen. Das Buch ist PR, es geht keineswegs nur darum, Bands und Fans „selbst zu Wort kommen“ zu lassen, damit sich ein jeder „ein eigenes Urteil“ bilden kann. Sondern es beschönigt und verfolgt damit einen Zweck: die Band gegen Kritik zu immunisieren. Dass auch ein paar Frei.Wild-Kritiker zu Wort kommen, ändert nichts an dieser Grundkonstellation. Farin wählte als Titel „Südtirols konservative Antifaschisten“ und das ist programmatisch gemeint. Das Buch mag keine Auftragsarbeit sein, wie Farin nahe legt, es ist jedoch in jedem Fall ein win-win-Projekt für Band und Autor. Frei.Wild haben eine Verteidigungsschrift auf dem Markt. Und Farin selbst hat mit dem Buch einen Kassenschlager. Frei.Wild bewerben das Buch großzügig, die Verkäufe laufen gut. Es gab sogar eine gemeinsame Buchpräsentation mit Autogrammstunde.
„Wenn es gegen ‚rechts‘ geht, sind viele schnell dabei“, kritisiert Farin gleich zu Beginn. Zwei Sorten Menschen seien beim Kampf gegen Rechts laut Farin besonders engagiert: „moralisch-emotional motivierte“ Gutmenschen, die immer alarmiert sind, vom Thema aber leider keine Ahnung haben. Und dann gibt es die „Profiteure“, „Geschäftsleute“, für die ihre Kampagnen eine „Gelddruckmaschine“ seien, denen es um Macht und die „Selbsterhaltung ihrer aufgeblähten Strukturen“ gehe. Dass Farin und das „Archiv der Jugendkulturen“ selbst schon so manchen Förder-Euro aus den Programmen gegen Rechts eingeworben haben, bleibt unerwähnt. 2010 kassierte das Archiv der Jugendkulturen für die Erforschung der „Autonomen“ hingegen mehr als 20.000 Euro aus Fördertöpfen zur Bekämpfung des „Linksextremismus“. 2015 brachte Klaus Farin zum gleichen Thema ein Buch heraus.
Die in düsteren Farben gemalte Anti-Rechts-Industrie mit ihren naiven Fußtruppen ist schuld, so legt es Farin nahe, dass eine durch und durch anständige und obendrein „antifaschistische“ Musikgruppe Verfolgungen ausgesetzt ist. Farin geriert sich als Meinungsrebell und biedert sich mit solchen Passagen dem Anti-Gutmenschen-Lamento und „Lügenpresse“-Gerufe der entsprechenden Milieus an.
Das Ergebnis seiner Frei.Wild-Forschung präsentiert Farin am Ende des Buches: „Frei.Wild distanzieren sich eindeutig und glaubwürdig von Faschismus jeglicher Art und sind auch als Personen nicht Teil der rechten Szene.“ Ihr „Patriotismus“ sei „konservativ, aber nicht ausgrenzend und nicht nationalistisch“. Der schale „Kern“ der Frei.Wild-Kritik sei, „dass sie keine ‚linke‘ Band sind“. Sänger „Philipp Burger geht mit seiner Vergangenheit als rechter Skin (…) vor rund 15 Jahren offensiv und geradezu vorbildhaft um und verschweigt nichts.“
Tatsächlich war Philipp Burger bis 2001 Sänger der Neonazi-Band „Kaiserjäger“. Es gibt Fotos von ihm (die auch im Buch abgedruckt sind), auf denen er den Hitlergruß zeigt. Burger räumt ein, dass er mal Skinhead war, sich „rechts“ fühlte, mit der Südtirol-Liebe etwas übertrieb und dass dies ein Fehler gewesen sei. Genauso bestreitet Burger in Interviews allerdings immer wieder, dass er damals überhaupt ein Neonazi war. Hitlergrüße im Booklet der Demo-CD? Haben nichts zu bedeuten! Kaiserjäger „war keine Naziband, sondern eine Band von drei Jugendlichen“, sagte Burger beispielsweise 2012 den „Ruhr Nachrichten“. Auch gegenüber Farin gab er die gleiche Auskunft: „Philipp sieht seine Zugehörigkeit zur rechte Skinhead-Szene heute noch als ‚unpolitische‘ Phase.“ Burger selbst: „Man hat sich die Hörner abgestoßen, nicht mehr und nicht weniger.“ Kann man solche Äußerungen wirklich als „offensive und geradezu vorbildhafte“ Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit adeln?
Frei.Wild hat den Song „Wir reiten in den Untergang“ im Programm, in dem sie sich als Opfer ihrer Kritiker hinstellt. Die Band würde verfolgt werden so wie damals die Nazis die Juden verfolgt hätten. Einziger Unterschied zu damals: „Heut gibt es den Stempel, keinen Stern mehr“. Gitarrist Jonas Notdurfter entschuldigt im Buch diese Entgleisung als ein Versehen, die Provokation sei nicht beabsichtigt gewesen: „Wenn wir das im vornherein geahnt hätten, hätten wir es anders formuliert.“ Philipp Burger wird die gleiche Frage gestellt. Seine Antwort: „Ich habe mir natürlich schon gedacht, dass es ein paar Leute stören könnte, aber damit kann ich leben.“ Überhaupt ärgern ihn die ständigen Sprechverbote: „Selbst das Wort Jude darfst du in Deutschland nirgendwo mehr nennen, dabei ist es doch eine der Weltreligionen überhaupt und ein ganz normales Wort.“ Himmelschreiend, aber wieder von Farin nicht kommentiert: Plattenmillionäre tun in einem Lied so, als stünden sie kurz vor der Deportation ins Konzentrationslager und der Sänger sieht in der Kritik an einer solchen Geschmacklosigkeit ein angebliches Verbot, das Wort „Jude“ zu benutzen. Und: War der Song nicht als Provokation gedacht, wie Jonas Notdurfter sagt, oder eben doch, wie es Philipp Burger beschreibt? Warum fragt Farin nicht nach?
Um Frei.Wild von allen „Verdächtigungen“ freizusprechen, arbeitet Farin zudem mit Suggestivfragen. Burger wird gefragt: „Gibt es für dich einen Unterschied
zwischen Patriotismus und Nationalismus – abgesehen davon, dass ihr als Südtiroler eigentlich gar keine Nationalisten sein könnt – ihr seid ja nicht mal eine…“. Der Sänger greift diese Vorlage dankbar auf: „Nein, Südtirol ist kein Staat, uns wegen unseren Texten über dieses Land Nationalismus vorzuwerfen, grenzt schon an politisch-geschichtliche Missbildung.“ Seit wann braucht es einen eigenen Staat, um Nationalist zu sein? Noch suggestiver ist eine spätere Frage an Burger. Der ehemalige Neonazi, Rechtsrockbandleader, regionale Nazi-Skin-Anführer wird von Farin allen Ernstes gefragt: „Warum bist du kein Neonazi geworden?“ Burger antwortet: „Allein schon von meinem Herzen aus könnte ich das nicht vereinbaren.“
Das professionelle und bewusst gewählte Image von Frei.Wild fußt auf einem starken Bezug auf der „Liebe“ zur Heimat Südtirol, auf der eigenen „Bodenständigkeit“ und auf den „patriotischen“ Texten. Die entsprechenden Lieder gehören bei Frei.Wild-Fans zu den populärsten. Genauso gehört zu Frei.Wild ein Bekenntnis, irgendwie „unpolitisch“ zu sein sowie eine aggressive Abwehr jeder Kritik. Die Leute, die Frei.Wild kritisieren sind „die größten Kokser, die zu Kinderstrichern gehen“, geifert es im Lied „Gutmenschen und Moralapostel“. Der Frei.Wild-Erfolg in Deutschland beruht auch darauf, dass sich die Fans mit ihrer Band endlich einmal als eine „Minderheit“ fühlen dürfen. „Heimatliebe“ ist in Deutschland angeblich verpönt und da nimmt man den unverdächtigen „Patriotismus“ der Südtiroler gern für sich selbst in Anspruch. Im bei Fans beliebten Frei.Wild-Lied „Südtirol“ heißt es: „Ich dulde keine Kritik an diesem heiligen Land, das unsere Heimat ist“. Ein Land „heilig“ zu erklären und keine Kritik daran zu dulden, das ist radikaler Nationalismus. Farin hingegen umschreibt das Lied mit der Nullvokabel „umstritten“ und findet im Text lediglich einen „religiös-patriotischen Pathos“.
Im „Frei.Wild“-Video zum Lied „Wahre Werte“ werden wiederum die politischen Aufmärsche der Südtiroler Schützen gezeigt und gefeiert. Ein Gedenkstein für den „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) wird eingeblendet. Das Video entstand, so ist bei Farin zu lesen, in enger Zusammenarbeit mit dem „Schützenbund“, der die „patriotischen Texte“ von Frei.Wild mag und die BAS-„Freiheitskämpfer“ für „Vorbilder für die Jugend“ hält. Der BAS war eine militante Nationalistengruppe in den 1950er und 1960er Jahren in Südtirol, eine Terrororganisation, durch deren Aktionen 21 Menschen zu Tode kamen. Warum verherrlichen Frei.Wild den BAS in ihrem Video? Ist das positive Gedenken an Rechtsterrorismus wirklich „unpolitisch“? Was genau soll der „Extremismus“ sein, von dem Frei.Wild sich distanzieren, wenn nationalistischer Terrorismus offenkundig damit nicht gemeint ist? Farin stellt solche Fragen nicht.
Ein Argument von Frei.Wild-Verteidigern ist die Erklärung, dass Südtirol eine andere Geschichte als Deutschland habe. Die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols habe unter dem Faschismus gelitten und sei darum mehr oder minder immun gegen jede Sorte von Totalitarismus. Eines der besseren Kapitel im Buch ist der Geschichte Südtirols gewidmet. Die Mehrheit der deutschsprachigen Bevölkerung in Südtirol hoffte in den 1930er Jahren, dass die von vielen verehrte Lichtgestalt Adolf Hitler Südtirol „heim ins Reich“ holen würde, ist dort zu erfahren. Am Mussolini-Faschismus störte weniger dessen faschistischer Charakter, sondern der Fakt, dass er italienisch war und die deutsche Minderheit mit Repressionen belegte. Als die Wehrmacht 1943 Südtirol besetzte, wurde sie als Befreier begrüßt. Kurzum: Der Antifaschismus in Südtirol ist ein Mythos. Farin schreibt: „Südtirols antifaschistische Haltung ist zu erheblichen Teilen zugleich eine pro-nationalsozialistische. So werden bezeichnenderweise zum Zeichen des Widerstandes gegen die Faschisten Hauswände mit Hakenkreuzen verziert.“ Diese historischen Einordnungen sind hilfreich und verdeutlichen den Kontext der leeren Frei.Wild-Abgrenzungen gegen „Faschismus“. Warum nur trägt das Buch trotzdem den Titel „Südtirols konservative Antifaschisten“?
Eine mögliche Erklärung für diesen Wirrwarr wäre übrigens, dass Farin gar nicht der alleinige Autor des Buches ist. Selbst der Sprachstil weicht in den unterschiedlichen Kapiteln des Buches auffallend stark voneinander ab. Dementsprechend zieht sich das begriffliche Chaos durch das ganze Buch. So lässt Farin kaum eine Gelegenheit aus, den Begriff der „Grauzone“ als Bezeichnung für das Lavieren von Bands wie Frei.Wild als ungeeignet zu denunzieren. Das Wort diene Linken nur dazu, alle Nicht-Linken als „irgendwie doch rechts“ abzuqualifizieren. Andererseits wird der der Begriff im Farinbuch selbst genutzt: Der SPD-Sachbuchmillionär Thilo Sarrazin, der Migranten für weniger intelligent als Deutsche hält, wird als ein „Grauzone-Autor“ kritisiert.
Farin beschreibt in seinem Buch alles Mögliche. Umso spannender ist darum, dass er die zentralen Begriffe Rassismus und Nationalismus nicht diskutiert. Das hat System, denn wenn er definieren würde, würde er Gefahr laufen, einer Frei.Wild-Kritik zuzuarbeiten. Frei.Wild-Musiker Jochen „Zegga“ Gargitter wird gefragt, wo für ihn „rechts“ anfange. Der fabuliert daraufhin in ehrlicher Empörung darüber, wie arme Südtiroler Familien am „Lebensminimum leben“ würden, während „eine Familie aus Gott weiß woher zugewandert hier ankommt und sofort eine Wohnung sowie Sozialleistungen für drei Jahre gestellt bekommt, auch in den Krankenhäusern eine kostenlose Behandlung erhält und sich gleichzeitig eine einheimische Familie trotz Arbeit (…) dasselbe vielleicht nicht oder nur schwer leisten kann.“ So würde man das sehen in Südtirol und diese Ansicht sei natürlich keine „rechte Haltung“. Gleich schiebt der Bassist nach, dass er selbstverständlich „überhaupt nichts gegen Migranten“ habe. Den schnellen Reflex, bei einer solchen Frage einen Kontrast von kinderreichen Migrantenfamilien in der sozialen Hängematte und dazu hungernden Einheimischen aufzumachen – den muss man sehr wohl rassistisch nennen.
Farin unterlässt systematisch jede Einordnung von solchen Zitaten, im Zweifel segelt alles unter Labeln wie „Patriotismus“ und „Konservatismus“. Fängt Rassismus denn erst beim Ku-Klux-Klan an und Nationalismus erst bei Hakenkreuzen? Natürlich sind Frei.Wild keine Neonazi-Band. Und, nein, die allermeisten Frei.Wild-Fans sind keine Neonazis (wenngleich es sehr wohl habituelle Überschneidungen gibt). Und, ja, die Band sagt von sich, dass sie „gegen Faschismus“, „gegen Extremismus und Rassismus“ ist. Aber was hilft es? All diese Punkte treffen beispielsweise auch auf Pegida zu. Und dennoch darf man Pegida zurecht als ein Sammelbecken für rassistische Deutsche bezeichnen, in dem regelmäßig die Grenze zum Rechtsextremismus überschritten wird. Frei.Wild sind politischer Kommerzrock und keine politische Bewegung, doch beide Phänomene sind Ausdruck der gleichen gesellschaftlichen Entwicklung. Der derzeit wirkmächtigste Rassismus fängt seine Sätze an mit „Ich habe nichts gegen Migranten, aber“. Und genau hierfür bieten Frei.Wild einen kulturellen Ausdruck und manchmal sogar Vorlagen. Auf der 2013er Frei.Wild-DVD skandierten die Fans „Lügenpresse auf die Fresse“. Ein Jahr später wurde der Spruch zum Schlachtruf der Pegida-Märsche.
Farin wirft mit seinem unkritischen Buch die Auseinandersetzung mit Jugendkulturen, der extremen Rechten und mit Rassismus zurück. Es ist zweifelhaft und fahrlässig, dass eine verdienstvolle Organisation wie „Schule ohne Rassismus“ den Band bewirbt und ihn zum Vorzugspreis Schulen und Jugendeinrichtungen anbietet. Zur Selbstbestätigung der Frei.Wild-Fans mag es taugen, als Bildungsmaterial ist es völlig ungeeignet.
Klaus Farin: Frei.Wild. Südtirols konservative Antifaschisten. 400 Seiten, 36 Euro. Archiv der Jugendkulturen Verlag, Berlin 2015. Bald auch als E-Book mit zusätzlichem Material.
HINWEIS: In der ursprünglichen Version des Textes hatte der Autor geschrieben, dass Klaus Farin 20.000 Euro aus dem Linksextremismus-Programm des Familienministeriums für ein Buch über „Die Autonomen“ bekommen hätte. Korrekt ist, dass nicht Farin, sondern das Archiv der Jugendkulturen das Geld 2010 zur Forschung über „Die Autonomen“ bekommen hat. (Siehe: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/043/1704334.pdf) Farin hat lediglich später ein Buch zum selben Thema veröffentlicht. Wir haben diesen Fehler im Text korrigiert.
25.6.2015 um 11:45 Uhr