Augenzeugenberichte bestätigen, dass die NPD die Stimmung zunächst einheizte und rechte Hooligans und bekannte Neonazis dann die Ausschreitungen gegen Polizei und Gegendemonstranten übernahmen.
Zuerst erschienen beim blick nach rechts.
So etwas hat er noch nicht erlebt, Maik C.* ist immer noch schockiert. Seit Jahren beschäftigt sich der sächsische Szene-Kenner mit Rassismus und Neonazis, doch so eine entfesselte Gewaltbereitschaft habe ihn völlig überrascht. Alles begann am Mittwoch in Heidenau. Der NPD-Stadtrat Rico Rentzsch, der auch für die Facebook-Gruppe „Heidenau zeigt wie’s geht“ verantwortlich sein soll, hatte eine rechte Kundgebung gegen die neue Außenstelle des Chemnitzer Erstaufnahmelagers angemeldet. Der 1988 geborene Maler erhielt bei den letzten Wahlen über 1.200 Stimmen aus Heidenau, mehr als die Kandidaten von SPD und den Grünen. Zahlreiche Menschen in dem Städtchen zwischen Pirna und Dresden engagieren sich für Asylsuchende, doch viele sind rigoros gegen sie, wollen keine „westdeutschen Zustände“ in „ihrem“ Sachsen.
250 Kriegsflüchtlinge waren bereits auf dem Weg in einen ehemaligen Praktiker-Markt an der Bundesstraße S 172. 250 Neonazis, aber ebenso aufgebrachte Bürger waren dem Aufruf der NPD gefolgt. Auch der ehemalige Landtagsabgeordnete Rene Despang erschien vor Ort. Es wurde Stimmung gegen die Ankunft der Flüchtlinge gemacht, doch bis zu diesem Zeitpunkt ahnte noch keiner der Beobachter etwas von dem bevorstehenden Ausmaß der Ausschreitungen.
„Die Polizei war total überfordert“
Dem Augenzeugen fiel auf, dass die NPD-Vertretung ausgesprochen scharf auftrat, so sei von zivilem Ungehorsam die Rede gewesen und davon, dass der Zuzug „mit allen Mitteln“ verhindert werden sollte. Zum Schluss wurde sich noch ausdrücklich beim „Haus Montag“ in Pirna bedankt. Dieses Neonazi-Projekt soll organisatorisch hinter der überregionalen Kampagne „Nein zum Heim“ stehen. Außerdem solle ab da täglich eine weitere Veranstaltung in Heidenau stattfinden.
Am zweiten Tag waren es dann 100 aufgebrachte Rechte mehr, die sich versammelten, darunter viele „erlebnisorientierte Jugendliche“. Es blieb jedoch weitestgehend ruhig. Am dritten Tag, Freitag dem 21. August, erschienen dann sogar über 500 fremdenfeindliche Teilnehmer zu einer nun geplanten Demonstration. Sie zogen empört vor das Haus des Bürgermeisters, danach wurde die Demonstration für beendet erklärt, doch die meisten, darunter zahlreiche Schaulustige mit Kindern oder Rentner, zogen in Richtung Praktiker-Markt. Ein Pulk versuchte die Polizei anzugreifen. „Die waren vorbereitet, das hatte nichts mehr mit Spontanität zu tun“, urteilt der Beobachter und: „Die Polizei war total überfordert, es waren viel zu wenig Beamte vor Ort.“
Auch zahlreiche bekannte Neonazis hatten sich an diesem Tag in Heidenau eingefunden. Die NPD-Frau Carmen Steglich fuhr den Lautsprecherwagen und der Dresdener Parteifunktionär Hartmut Krien hielt einen Redebeitrag. Die Jungen Nationaldemokraten waren unter anderem durch Felix Friebel vertreten.
Zwei Neonazi-Hools auch beim Angriff auf Demo in Saalfeld dabei
Die Eskalation steigerte sich mit kleinen Jagdszenen, auch NPD-Anhänger ließen sich von Polizeibeamten verfolgen, nachdem es weitere Versuche gab, deren Sicherheitsketten zu durchbrechen. „Die kannten sich aus in Heidenau, kannten Schleichwege und umgingen gezielt die Polizeiabsperrungen zur Flüchtlingseinrichtung“, erzählt der Beobachter weiter. Die Situation wurde ernster, auch für Journalisten.
Es flogen die ersten Böller von Seiten der extremen Rechten. Die schwache Polizei setzte Tränengas ein, zündete sogar Leuchtraketen. „Die konnten sich nur noch in Einzelfällen wehren, mehr war nicht möglich“, erinnert er sich. Die Ausschreitungen dauerten bis in die Nacht. An diesem Abend wurden 31 Polizeibeamte verletzt. Viele Schaulustige und Teilnehmer waren alkoholisiert. Unter den Aggressoren wurden unter anderem die Dresdner Neonazis Nick F., Dominik K. Lucas F. und Oliver Sch. entdeckt, alle aus dem Umfeld der „Division Sachsen“. Die „Division Sachsen“ hatte sich insbesondere beim Aufmarsch in Neuruppin 2015 als äußerst gewaltbereit gezeigt. Der Neonazi Sch. verbüßte vor wenigen Jahren eine Haftstrafe. Im Laufe der Nacht ebbte der rassistische Protest dann peu à peu ab, entlud sich aber am nächsten Tag erneut. Experten des Antifa Recherche Teams Dresden (ART) zufolge sollen die beiden Dynamo-Hools Nick F. und Lucas F. aus Dresden-Ost zudem am Angriff auf eine Demonstration in Saalfeld am 1. Mai beteiligt gewesen sein, Fotos belegen das. Dort waren zahlreiche unschuldige Menschen teils schwer verletzt worden.
Trotz der Vorgänge am Freitag schien die Polizei auch am Samstag völlig überfordert. „Die Gaffer wurden immer mehr“, erzählt der sächsische Szenekenner Maik C., doch bis zum Abend blieb es zunächst entspannt. Die Gewalt entbrannte, als eine etwa 150-köpfige Antifa-Kundgebung in Sichtweite kam. Neonazi-Hooligans liefen heiß, die „kamen von null auf hundert“. Wieder stellten sie sich wie für die „dritte Halbzeit“ nach dem Fußball in Formation auf und versuchten brutal, gegen Polizei und Nazigegner vorzugehen. Die Beamten konnten nur unmittelbare Gefahrenabwehr leisten, an taktische Maßnahmen schien nicht zu denken zu sein, schildert C. die Situation, die sich ihm bot.
„Die hatten sich auf Kampf eingestellt“
Diejenigen, die jetzt angriffen, waren erlebnisorientierte Rechte, Aktivisten, Neonazi-Hools und wieder betrunkene Bürger. Die Gaffer wichen nicht, blieben trotz der eskalierenden Gewalt sogar mit Kleinkindern in der Nähe. Ein aufschreckendes Video zeigt,wie brutal Hooligans zum Beispiel gegen zwei einzelne Beamte vorgingen, sie verjagten. Sie grölten dabei zahlreiche Nazi-Parolen wie „Nationaler Sozialismus jetzt, jetzt, jetzt“ und freuten sich ungeniert über scheinbaren Kampferfolg. Einige zerklopften Steine, andere rissen Verkehrsbarken heraus, alles flog in Richtung Polizei. Zahlreiche Rauchbomben wurden geworfen. „Die hatten sich auf Kampf eingestellt und gezielt aufgerüstet“, berichtet Maik C. Die Polizei setzte den freien Fotografen Nick Jaussi am Rande der antirassistischen Demonstration vorläufig fest, weil er angeblich rechtswidrig Portraits von Beamten und einem Abschussgerät für Tränengasgranaten anfertigte.
Aus der Menge der am Samstagabend Randalierenden erkennen mehrere Insider auf einem Video auch den Meißener Neonazi Mirko Förster. Ebenso wurde anscheinend ein ehemaliger SSS-Aktivist gesehen, der gab allerdings an, nur zum Einkaufen vor Ort gewesen zu sein. Am Sonntag dann tauchte eine rund 20-köpfige Gruppe aus dem nahen Elbsandsteingebirge, politisch dem ehemaligen SSS-Netzwerk verbunden, in Heidenau auf. Es blieb ruhig bei den Rechtsextremisten. Der sächsische Landesverband der NPD distanziert sich inzwischen von Ausschreitungen und Gewalt, will wie gewohnt nichts damit zu tun haben.
(Hinweis: Wegen einer falschen zeitlichen Zuordnung haben wir den Text nachträglich korrigiert, 3.9.2015)