Bei einem Nazi mal ins Wohnzimmer schauen? Ein aufwendiges Online-Projekt macht das jetzt möglich und hilft dabei die rechtsextreme Erlebniswelt zu entzaubern. Der Multimediale Raum bietet viele Informationen und Einblicke in die rechtsextreme Szene. Bis in den Kleiderschrank und die Waffenkiste des Nazis können sich die User durchklicken.
Auf den ersten Blick sieht es aus wie das Zimmer eines gewöhnlichen Jugendlichen. Erst auf den zweiten Blick wird Besucherinnen und Besuchern klar, wo sie gelandet sind: mitten im Zimmer eines Neonazis. Das interaktive und online frei zugängliche Projekt „Kein Raum für Rechts!“ macht es möglich, virtuell in die Welt rechtsextremer Menschen einzutreten und rechtsextreme Symbolik wahrzunehmen, zu erkennen und zu deuten. Das dient als Basis, um sich gegen Rechtsextremismus abzugrenzen, zu intervenieren und sich für die Demokratie einsetzen zu können.
„Bei rechtsextrem Gesinnten herrscht die menschenverachtende Auffassung, dass Andersaussehenden, Andersgläubigen oder Andersdenkenden weniger Rechte zustehen. Unmenschlich ist allein schon, dass für sie die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Religion über den Wert eines Menschen entscheidet. In einem demokratischen Staat ist deshalb die Bekämpfung und Prävention des Rechtsextremismus eine der Kernaufgaben“, sagt Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt, die das Projekt finanziert hat. Um Analysen und Handlungsempfehlungen im Hinblick auf Rechtsextreme entwickeln zu können, müsse das Phänomen zunächst wahrgenommen und als problematisch bewertet werden, damit Menschen nicht schleichend in die rechtsextreme Szene hinein rutschen. „Mindestens genauso wichtig wie Aussteigerprogramme sind Präventions- und Aufklärungsprogramme, in denen das Demokratieverständnis gestärkt wird. Dazu zählt auch das interaktive Zimmer“, betont Rundt.
Die Zielgruppe von Kein-Raum-für-Rechts.de ist auch die größte Zielgruppe der Neonazis selbst: junge Menschen. Die Website mit videospielähnlichem Charakter ist auf Jugendliche zugeschnitten: interaktiv, multimedial und für das Smartphone optimiert. Die User können selbst Fragen zum Thema stellen, jede Menge Fotos und Filme schauen, rechte Musik erkennen lernen und weiterführende Texte lesen.
Das Zimmer umfasst 20 Quadratmeter mit echten Nazi-Fanartikeln: Hakenkreuzfahne, Rechtsrock-CDs, Klamotten, Buttons und Bücher. „Alles in dem Zimmer ist echt. Außer den Waffen natürlich“, sagt der Projektleiter Reinhard Koch vom Zentrum Demokratische Bildung (ARUG/ZDB). „Die User können sich selbst durch das interaktive Zimmer klicken und so direkt erfahren, wie Neonazis und Rechtsextreme in den eigenen vier Wänden leben.“
Für die Inhalte des Neonazi-Zimmers ist die renommierte Journalistin und Störungsmelder-Autorin Andrea Röpke verantwortlich. „Um das Neonazi-Zimmer möglichst realitätsnah einzurichten, haben wir Informationen über polizeiliche Hausdurchsuchungen bei Neonazis zusammengetragen“, sagt Röpke. Seit über einem Jahrzehnt dokumentiert sie zusammen mit einem kleinen Team Neonazi-Demonstrationen, beobachtet geheime Treffen und spricht mit Aussteigerinnen und Aussteigern der Neonazi-Szene. „Die wichtigsten Fragen bei dem Projekt waren: Wie sehen die Räume von Nazis aus? Wie leben Nazis privat?“ Als Vorlage dienten auch die Jugendzimmer der Mitglieder des sogenannten NSU.
Das interaktive Zimmer ist im Rahmen des vom Niedersächsischen Sozialministerium geförderten Projekts „Frauen im Rechtsextremismus“ entstanden und hat neben den Jugendlichen auch Multiplikatorinnen und Multiplikatoren der Jugendarbeit, im Sport, in der Schule sowie die Gleichstellungsbeauftragten und Beraterinnen bzw. Berater der Familienberatung als weitere Zielgruppen.