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SEK-Einsatz in Aachen: Neonazis als Drogendealer verhaftet

 

Die Aachener Nazi-Szene ist für ihre Gewaltbereitschaft bekannt © Jesko Wrede

Die Polizei hat am Mittwoch einen Drogenhändler-Ring in Aachen hochgenommen. Die Tatverdächtigen stammen aus dem militanten Neonazi-Spektrum. Ein Spezialeinsatzkommando stürmte die Wohnungen der Männer. Jetzt ist die Aufregung in der Szene groß.

Ein Gastbeitrag von Michael Klarmann

Nach dem SEK-Einsatz in Aachen-Brand herrscht bei den Rechtsextremen helle Aufregung. Hauptsächlich betroffen von der Razzia war ein Haus, in dem unter anderem ein bekannter Neonazi lebt. Dieser wurde auch festgenommen. Während die Staatsanwaltschaft noch als Schwerpunkt ihrer Ermittlungen die Drogenkriminalität nennt, dürften den Behörden auch Informationen über neue Organisationsstrukturen der Neonazi-Szene und deren Finanzierung aufgefallen sein.

„SEK stürmt Haus an der Trierer Straße“ titelten die „Aachener Nachrichten“ in ihre Online-Ausgabe, die „Aachener Zeitung“ berichtete ausführlich und dass bei der Erstürmung des Hauses sowie den Festnahmen auch „eine Blend- oder Tränengasgranate eingesetzt“ wurde. Ironie der Geschichte: Der zuerst aus dem Haus abgeführte Neonazi trug ein T-Shirt einer bei Rechtsextremen beliebten Modemarke mit dem Aufdruck eines Fotos, das Spezialkräfte beim Erstürmen eines Hauses zeigt. Dazu die Aufschrift: „Hausbesuche – TS Jagdkommando 44 –Thor Steinar Action Company“.

Für solche ironischen Feinheiten hat die Staatsanwaltschaft – offiziell – vorerst wenig Verständnis. Über einen etwaigen politischen Hintergrund der Festgenommenen schweigt sie noch weitestgehend. Sie teilte in einer Pressemitteilung mit, dass bei jener Razzia „drei deutsche Staatsangehörige im Alter von 23, 29 und 34 Jahren aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Aachen festgenommen worden [sind]. Gegen sie besteht der dringende Verdacht des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Zudem wurden drei weitere männliche Personen festgenommen.“ Später wurde mitgeteilt, dass gegen zwei dieser Personen zudem Haftbefehl erlassen wurde. Gegen die dritte Person liegt offenbar kein Tatverdacht vor, sie kam einige Stunden später wieder auf freien Fuß.

In den sozialen Netzwerken streiten unterdessen Neonazis über den Vorfall. Die eine Fraktion glaubt an eine Verschwörung von Polizei und Justiz, die andere schimpft auf die eigenen Kameraden, die sich dem Drogenhandel hingeben. Der langjährige Neonazi-Aktivist Sven Skoda schreibt „Ganz klar ist, dass Drogen in unseren Reihen nichts verloren haben“. Aber unter den Tatverdächtigen befänden sich „Kameraden, die stets mit viel Mut und Herzblut auch in unruhigen Zeiten zu unserer Idee gestanden haben“. Er appelliert daher an „alle Kameraden“ keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und keine öffentlichen Diskussionen über die Festnahmen zu führen.

Vorgeworfen wird den Beschuldigten laut Staatsanwaltschaft seit 2015 mindestens zwanzig Kilogramm des Betäubungsmittels Amphetamin zum Gesamtverkaufspreis von mindestens 160.000 Euro über den Postwege verschickt zu haben. Abgewickelt worden seien die Deals im Darknet gegen die Zahlung der digitalen Währung Bitcoin. Ursprung der Ermittlungen war eine u.a. durch Europol initiierte Sicherstellung von Daten sogenannter Internetmarktplätze im November 2014. Im Rahmen der Durchsuchung der Wohnungen der Beschuldigten und eines Zeugen konnten zahlreiche Beweismittel, unter anderem Computer und Amphetamin im Kilo-Bereich, sichergestellt werden, so die Staatsanwaltschaft.

Einer der Festgenommenen ist seit vielen Jahren in der Szene aktiv, sein Vater ist ein bekannter Neonazi in Nordrhein-Westfalen, seine Mutter aktuell in Ostdeutschland engagiert. Familienmitglieder fallen immer wieder durch Funktionen in der rechtsextremen Szene auf, seine beiden Brüder sind derzeit in der Ortsgruppe Aachen der völkisch-nationalistischen „Identitären Bewegung“ (IB) leitend tätig. Der 34-Jährige ist darüber hinaus als rechter „Liedermacher“ und Musiker aktiv, so hat er Songs des neonazistischen HipHoppers „Makss Damage“ mit produziert, war als Statist in einem in Aachen-Brand aufgenommenen Neonazi-Musikvideo zu sehen und unterstützt den Musiker aus Westfalen mit einem weiteren ehemaligen Ex-Mitglied der verbotenen „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) als Gastsänger.

Die gewaltbereite Kameradschaft Aachener Land wurde 2012 verboten © Jesko Wrede

Beide, der nunmehr inhaftierte 34-Jährige und das andere Ex-KAL-Mitglied aus der Region Aachen, standen im Oktober 2016 bei einem konspirativ organisierten Konzert im Schweizer Kanton St. Gallen vor rund 5.000 überwiegend aus Deutschland angereisten Neonazis mit „Makss Damage“ auf der Bühne. Aufgetreten sind an dem Abend ebenso bekannte Kultbands der Szene, es gibt Videoaufnahmen davon, wie Teile des Saales bei dem Konzert der Musikgruppen gemeinsam den Hitler-Gruß zeigen und „Sieg heil“ beziehungsweise „Heil Hitler“ skandieren. Regional war der Aachener zuweilen involviert, wenn die rechtsextreme Szene Partys oder Konzerte organisierte, etwa im Herbst 2015 in Heinsberg,  auch hier trat „Makss Damage“ auf.

An zahlreichen rechtsextremen Aufmärschen in der Region nahm der 34-Jährige in den letzten Jahren teil, bei einem Aufmarsch in Aachen im März 2014 peitschte er die „Kameraden“ über den Lautsprecherwagen dazu auf, Parolen zu skandieren. Er war sowohl in der „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) involviert, als auch als es darum ging ab Mitte 2014 eine rechtlich abgesicherte indirekte Nachfolgeorganisation namens „Syndikat 52“ (S52) aufzubauen. Diese agiert unterdessen ähnlich wie die KAL und versucht, im Problemfan-Umfeld von „Alemannia Aachen“ neue Anhänger zu rekrutieren.

Als das Amtsgericht Aachen den heute 34-Jährigen im Juli 2015 wegen Sachbeschädigung und versuchter gefährlicher Körperverletzung zu einer erneuten Bewährungsstrafe verurteilte, kam er trotz noch laufender Bewährung wegen einer positiven Sozialprognose überraschend glimpflich davon. In dem Prozess ging es um eine Attacke auf eine Bar in der Pontstraße und die Bedrohung des Betreibers mit einem Teppichmesser im Januar 2014. Der Wirt stammte aus Russland, sein sich selbst ironisch als „KGB-Bar“ bezeichnender Club hieß seinerzeit „Hotel Lux“ und spielte überzeichnet mit teils traditionell kommunistisch und sowjetisch geprägter Symbolik. Trotzdem schloss das Gericht seinerzeit aus, dass der Steinwurf auf die Bar und das Zücken eines Messers gegen den Betreiber eine politisch motivierte Tat durch den Neonazi gewesen sei und befand, dass der damals 32-Jährige bei dieser Tat teils sogar vermindert schuldfähig gewesen sei.

Der Festgenommene und sein Vater verfügen seit Jahren über gute Kontakte in die niederländische Neonazi-Szene. Wegen dieser guten Kontakte, aber auch jenen zu Kadern der Szene im Rheinland und anderen Teilen Deutschlands herrscht derzeit helle Aufregung bei den „Kameraden“. Unabhängig davon, ob sich der Vorwurf des Drogenhandels bestätigt oder nicht, dürfte den Behörden im Zuge ihrer Ermittlungen und der Razzia auch Informationen über neue Organisationsstrukturen der Neonazi-Szene und deren Finanzierung aufgefallen sein.

Unterdessen nämlich liegen ernsthafte Hinweise vor, dass neben dem 34-Jährigen auch andere Inhaftierte Bezüge zur rechtsextremen Szene haben. Sogar einer der lokalen Köpfe der „Identitären Bewegung“ (IB) soll durch die Ermittlungen betroffen sein.