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Handgas und Schiebetüren

Handgas

So, ich habe ein neues Auto. Vor zwei Jahren habe ich beschlossen, dass ich meinen Rollstuhl, so wie ich ihn zuvor ins Auto verladen habe, nicht mehr verladen will und kann. Man wird ja schließlich nicht jünger. Zuvor nahm ich die Hinterräder am Rollstuhl ab, klappte die Rückenlehne des Rollstuhls nach vorne und hob die Räder und den Rest des Rollstuhls über mich hinweg. Aus sitzender Position wohlgemerkt und von Fahrersitz aus, den Rücken um etwa 90 Grad gedreht. Ich fuhr ein ganz normales Mittelklasseauto, einen 3-Türer. Denn damit war die Vordertür breit genug, um den Rollstuhl über mich hinweg zu heben.

Das war für mich okay seit ich meinen Führerschein hatte. Aber fast 20 Jahre später mag mein Rücken das ständige Heben mit gedrehtem Rücken nicht mehr so sehr. Zudem machen die Räder im Winter ständig dreckige Klamotten.

Suche nach Verlade-Alternativen

Dann hatte ich die Idee, einen Van mit Rampe zu kaufen. Diese Idee fand ich so lange gut, bis ich mir die Autos ansah und merkte, wie lang die sind. Damit hätte ich in der Innenstadt Londons niemals einen Parkplatz bekommen, schon gar nicht einen, wo hinten noch Platz für die Rampe wäre. Dann hatte ich die Idee, eine Hebebühne an der Seite anbringen zu lassen, aber das fand ich auch zu viel. Und was, wenn die Hebebühne kaputt ist oder sie mir beim Aussteigen auf die Straße jemand abfährt? Noch mehr Technik im Auto? Ich war also nicht mehr so überzeugt von meiner Idee.

Dann fing ich an, nach Autos mit Schiebetüren hinten zu suchen. Schiebetüren deswegen, weil ich sie vom Fahrersitz aus schließen und öffnen kann und sie genug Platz geben, um den Rollstuhl hinter mir zu verstauen. Ein Kompaktvan sollte es werden. Und tatsächlich, ich fand einen, bei dem ich den Rollstuhl problemlos reinheben konnte ohne ihn über mich drüber heben zu müssen. Leider hatte dieses Auto eine defekte Automatik. Auch die zweite Automatik wollte nicht dann schalten, wenn es angebracht gewesen wäre. Und so stotterte ich über Englands Straßen. Der Hersteller machte mir auch wenig Hoffnung, das man das Problem mit einer dritten Automatik lösen könne.

Handarbeit

Also musste wieder ein neues Auto her. Mit Schiebetür, aber von einem anderen Hersteller, der keine Probleme mit der Ansteuerung der Automatik hat. Heute habe ich es abgeholt. Zuvor war der Umbauer da und hat in das Auto Handgas und Handbedienbremse eingebaut, da ich ja nicht mit den Füßen fahren kann.

Es gibt heutzutage die tollsten Umbauten. Mein Umbau ist eher von der einfachen Sorte. Bei mir ist das Handgas und die Bremse de facto eine simple Verlängerung der Pedale nach oben zum Lenkrad. Wenn ich den Hebel am Lenkrad drücke, bremst das Auto. Wenn ich daran ziehe, gibt es Gas. Gleichzeitig gehen die entsprechenden Pedale nach unten. Man kann das Auto auch weiterhin mit den Füßen fahren.

Man kann aber zum Beispiel auch Pedale verlängern, damit auch kleinwüchsige Menschen Gas geben können, das Lenkrad versetzen, so dass auch Menschen ohne Arme fahren können. Auch Menschen mit eingeschränkter Armkraft können unter Umständen heute Auto fahren. Man kann Autos zum Beispiel mit einer Art Joystick ausstatten und vielen Zusatzknöpfen, über die man leichter blinken oder das Licht anmachen kann.

Auch bei der Rollstuhlverladetechnik gibt es viele Möglichkeiten. Man kann sich unterdessen auch den Rollstuhl von einer Art Roboterarm ins Auto heben lassen. Aber nach vielem Abwägen habe ich mich dagegen entschieden, weil ich öfter an viel befahrenen Straßen aussteige und ohne Roboter einfach schneller bin. Und ich habe keine Lust, dass mir jemand diesen Kofferraumroboterarm mal abfährt, wenn es dunkel ist oder dämmert, wenn der gerade den Rollstuhl am Auto entlang trägt.

Also verlade ich jetzt meinen Rollstuhl immer noch selber, aber eben anders als zuvor. Vermutlich ist auch das nur eine Lösung auf Zeit. Irgendwann wird mir das vielleicht auch zu anstrengend, aber dann kann ich immer noch auf Rampe oder Hebebühne oder doch Roboterarm zurückgreifen.

 

Udo Reiter

Der ehemalige Intendant des MDR, Udo Reiter, ist heute morgen tot aufgefunden worden. Auch wenn ich ihn nicht persönlich kannte, Udo Reiter war für mich als Teenager ein großes Vorbild. Einfach weil es ihn gab – als Medienmensch im Rollstuhl.

Ich wollte immer Journalistin werden. Ich bin in der ZDF-Stadt Mainz geboren, ich liebte schon immer die Mainzelmännchen und war von Kindesbeinen an ein Nachrichtenjunkie. Aber die Anzahl (sichtbar) behinderter Journalisten in der deutschen Medienlandschaft ist bis heute bedauerlich klein.

Wenn ich als Kind und Teenager gefragt wurde, was ich gerne werden möchte und sagte „Journalistin“, kam oft als Antwort von besserwisserischen Erwachsenen „Meinst du, du kannst das denn?“ oder „Du weißt, dass man als Journalistin schnell sein muss?“ und ähnlich dämliche Kommentare, die mir mehr oder weniger zu verstehen gaben, dass man als Rollstuhlfahrerin nicht Journalistin werden könne.

Selbst der Berufsberater des Arbeitsamts, der in unsere Schule kam, um uns alle zwangsweise zu beraten, lachte mich aus als ich ihm sagte, ich wolle Abitur machen, studieren und Journalistin werden – da hatte ich bereits diverse Schülerpraktika beim Fernsehen absolviert – aber mein Berufswunsch passte nicht in sein Weltbild. Er schlug mir stattdessen vor, Telefonistin zu werden. Das würde er allen Rollstuhlfahrern raten.

Irgendwann als Teenager hörte ich von Udo Reiter. Ich war sehr erfreut zu erfahren, dass der Intendant des MDR im Rollstuhl sitzt. Allein seine Existenz war für mich irgendwie eine Erleichterung und der Beweis, dass man auch als Rollstuhlfahrer was mit Medien machen kann.

Ich konnte nun auf die dämlichen Fragen der Erwachsenen antworten: „Kennen Sie nicht Udo Reiter? Der ist sogar Intendant und sitzt im Rollstuhl. Ich will ja nur Journalistin werden. Das geht schon.“ Und nicht nur das. Es war auch für mich persönlich eine Bestätigung, dass mein Berufswunsch nicht völlig absurd ist, wie manche Leute meinten.

Wohl fast jeder Mensch hat Vorbilder. Ich habe während der Schülerpraktika und auch später tolle Journalisten getroffen, die mir Mut gemacht haben, Journalistin zu werden. Aber zu wissen, es hat auch schon jemand vor mir im Rollstuhl geschafft, eine Medienkarriere einzuschlagen, war wirklich ermutigend, vor allem weil Reiter seine Behinderung bereits hatte, als er seine Karriere startete, und nicht einen Unfall hatte, als er schon etablierter Medienmann war.

Udo Reiter hat seine Behinderung nie groß zum Thema gemacht als er noch Intendant war. Trotzdem war er eine Identifikationsfigur für mich, gerade weil er Rollstuhlfahrer war. Nur einmal habe ich mir gewünscht, er hätte schon als Intendant ein bisschen mehr dazu gesagt: Als ich als Volontärin zum MDR musste und mich in Leipzig über das Kopfsteinpflaster auf dem Hof vor dem Gebäude quälte, sagte der Pförtner zu mir: „Der Intendant fährt deshalb immer ganz bis zur Tür mit dem Auto. Der hat da auch zu kämpfen.“

Später habe ich ihn in einigen Talkshows gesehen und war ganz froh, dass ich als Teenager nicht bemerkt habe, dass wir wohl nicht viel gemeinsam haben, was die Einstellung zu verschiedenen Themen angeht. Aber dennoch brauchen junge Leute Vorbilder, mit denen sie sich identifizieren können, um Mut zu fassen, einen ähnlichen Weg zu gehen, vor allem dann, wenn irgendwelche Außenstehenden glauben, diesen Weg infrage stellen zu dürfen. Dafür müssen diese Vorbilder gar nicht viel tun. Es muss sie einfach geben. Ich bin froh, dass es damals Udo Reiter gab, der für mich der Beweis war, es geht. Bleibt zu hoffen, dass alle behinderten Kinder und Jugendlichen solche Vorbilder finden.

 

Die Realität, die keine ist

Die britische Paralympics-Siegerin Hannah Cockcroft hat Londons Bürgermeister Boris Johnson herausgefordert. Sie wollte, dass er einen Tag im Rollstuhl verbringt, um ihn davon zu überzeugen, mehr Geld in die Barrierefreiheit der Londoner U-Bahn zu stecken. Boris Johnson hat abgelehnt mit der Begründung, er wisse durchaus, vor welchen Problemen mobilitätseingeschränkte Menschen stehen, wenn sie die 150 Jahre alte U-Bahn nutzen wollen.

Nicht behinderte Menschen für einen Tag oder sogar länger in den Rollstuhl zu setzen, ist gerade ziemlich in. Was früher schon Zivildienstleistende oft zu Beginn ihrer Zeit als Zivi machten, ist unterdessen auch zum Fernsehformat geworden. Gerade setzte SAT1 eine Redakteurin der Sendung akte in den Rollstuhl. Auch RTL ließ im Jenke-Experiment Jenke von Wilmsdorff im Rollstuhl durch die Gegend fahren. Auch wie es ist, blind oder gehörlos zu sein, wollte er ausprobieren. Und auch Eckard von Hirschhausen war im Rollstuhl unterwegs.

Was mich bei diesen Experimenten stört: Sie tun so, als würden die Moderatoren dasselbe erleben wie behinderte Menschen. Dabei bedeutet nicht gehen zu können nicht, ungelenk in einem Rollstuhl durch die Gegend zu eiern und blind zu sein, kann man nicht einfach damit gleichsetzen, eine Augenbinde aufzuhaben.

Rollstuhltraining und blind Kaffee einschenken

Kaum jemand, der einen Autounfall hatte und danach nicht mehr laufen kann, bekommt einfach so einen Rollstuhl vor’s Bett gestellt und wird aufgefordert, damit nach Hause zu fahren. Es gibt Rollstuhltraining in Rehaeinrichtungen und man lernt, mit dem Rollstuhl umzugehen. Dazu zählt zum Beispiel auch, kleine Stufen zu überwinden.

Auch für Menschen, die erblindet sind oder eine fortschreitende Augenerkrankung haben, gibt es Mobilitätstraining und ein Training in lebenspraktischen Fertigkeiten. Dort lernt man, mit dem Stock zu laufen, sich zu orientieren, ohne sehen zu können und zum Beispiel taktile Leitsysteme an Bahnhöfen zu nutzen. Außerdem lernt man alltägliche Dinge wie Kaffee einzuschenken oder kochen, ohne hinsehen zu müssen.

Eine nicht behinderte Person einfach in einen Rollstuhl zu setzen, ist, als würde man jemanden, der nicht Fahrrad fahren kann, auf ein Fahrrad setzen und darauf warten, dass er umkippt. Übung macht den Meister, auch was das Leben mit einer Behinderung angeht. Am Ende haben alle Fernsehexperimente immer das gleiche Ende: Die nicht behinderte Versuchsperson ist froh, wieder laufen, hören und sehen zu können und alle sind sich einig, wie furchtbar es ist, eine Behinderung zu haben. Na toll.

Probleme sind vielschichtig

Die eigentlichen Probleme, auf die behinderte Menschen tatsächlich stoßen, sind so vielschichtig, dass man Otto Normalzuschauer offensichtlich nicht damit belasten möchte. Zumal sie sehr oft gar nichts mit der Beeinträchtigung zu tun haben, sondern mit organisatorischen Problemen und nicht zuletzt mit der Politik. Genau diese organisatorischen Probleme hat aber ein fleißiger Producer bereits vor dem Dreh aus dem Weg geräumt.

Und noch etwas macht diese Tests völlig unrealistisch: Alle wissen: Am Ende des Tages stehen sie wieder aus ihrem Rollstuhl auf, nehmen die Augenbinde ab, und wenn sie nicht mehr weiterkommen, wird die Kamera schnell ausgemacht und der Redakteur findet ganz schnell eine Lösung.

Sie müssen sich nicht um barrierefreien Wohnraum kümmern, werden nicht von Arbeitgebern diskriminiert oder stehen nicht vor dem Problem, ihre Assistenz finanziert zu kriegen. Stattdessen scheitern nicht behinderte Kurzzeitrollstuhlfahrer an Barrieren, die für die richtigen Rollstuhlfahrer meistens gar keine sind. Wenn ich sehe, wie eine Redakteurin an einer 1 cm hohen Stufe scheitert und dann hinterher erzählt, wie gefährlich es sei, als Rollstuhlfahrerin eine Straße zu überqueren, hat das durchaus Unterhaltungswert, selbst für mich, denn es ist absolut lächerlich. Mit meinem Leben als Rollstuhlfahrerin hat das rein gar nichts zu tun. Ich kann 1 cm hohe Stufen fahren – wie die meisten anderen Rollstuhlfahrer auch.

Politiker in Rollstühlen

Was Politiker in Rollstühlen angeht, muss man sich wohl außerdem klarmachen, dass sie wirklich wissen, wie wichtig zum Beispiel Barrierefreiheit für behinderte Bürger wäre. Sie setzen aber ihre Prioritäten anders und damit fließt das Geld auch woanders hin. Auch wenn ich sehr viel Sympathie für Hannah Cockcrofts Idee habe, den Bürgermeister einen Tag in den Rollstuhl zu setzen, einfach nur aus Spaß, ich glaube ihm, dass er auch so weiß, welche Probleme die U-Bahn bereitet. Dafür muss man nicht selbst im Rollstuhl vor den Stufen gestanden haben.

Und die Reality-Programmentwickler muss man fragen, warum sie nicht einfach das Leben der „richtigen“ behinderten Menschen darstellen. So wie es ist und nicht so, wie sie sich das ausgedacht haben. Eine Rollstuhlfahrerin auf Wohnungssuche zu begleiten, sagt mehr über das Leben im Rollstuhl aus und was man in Deutschland tun könnte, um Dinge zu verbessern, als eine Redakteurin an einer winzigen Kante scheitern zu lassen.

 

Wegweiser auf vier Beinen

Wir waren beide nie besondere Tierliebhaber, hatten nie Haustiere. Mein Freund hatte sogar Angst vor Hunden. Er ist jahrelang, nachdem er erblindete, immer mit einem Blindenlangstock durch die Welt gegangen. Aber schon als wir in Hamburg lebten, gab es Probleme in großen Menschenmassen. Am Hauptbahnhof beispielsweise. Leute fielen über den Stock, kickten ihm den Stock aus Versehen aus der Hand, ein paar Mal zerbrach der Stock sogar, weil jemand aus Versehen draufgetreten war. Besonders blöd war das, wenn die Verursacher aus Scham oder Ignoranz einfach wegliefen, statt ihm zu helfen.

Hund versus Stock

Als wir nach London zogen, arbeitete er in Soho. Der nicht zuletzt bei Touristen beliebte Stadtteil ist zwar mit seinen Lokalen ein nettes Arbeitsumfeld, aber für jemanden, der mit Blindenlangstock unterwegs ist, durchaus eine Herausforderung. Viele Leute wissen gar nicht, dass blinde Menschen einen Stock benutzen, nehmen deshalb keine Rücksicht und so häuften sich die zerbogenen Stöcke, Wunden und blauen Flecken.

Irgendwann nahm mein Freund, trotz Hundeangst, Kontakt mit Guide Dogs auf. Das ist die Organisation, die in Großbritannien alle Blindenführhunde ausbildet. Sie überzeugten ihn davon, seine Hundeangst abzulegen und dass es gut wäre, unseren Haushalt künftig mit einem Hund zu teilen.

Mercer
Dann zog Mercer bei uns ein. Mercer führt meinen Freund seit fast vier Jahren durch London und die Welt. Gebrochene Stöcke und blaue Flecken sind nun vorbei. Dafür kennen wir jetzt fast alle Parks und Grünflächen in London.

Nicht ablenken, bitte

In London gibt es fast 400 Blindenführhunde. Sie werden von der Organisation Guide Dogs gezüchtet und trainiert und sind Weltklasse. In Deutschland gibt es Führhundschulen, die die Hunde ausbilden. Die Kosten für einen Blindenführhund trägt in Deutschland die Krankenkasse, in Großbritannien werden Anschaffung, Schulung und Unterhalt der Hunde ausschließlich über Spendengelder finanziert, was manchmal zu etwas komischen Situationen führt. Die Spender, denen man auf der Straße begegnet, glauben, ihnen gehört der Hund irgendwie auch. Sie wollen ihn füttern streicheln, wenn er eigentlich arbeiten soll. Das ist manchmal nicht ganz einfach, denn einen Blindenführhund bei der Arbeit abzulenken, ist nicht gut. Die Hunde sind trainiert, sich zu konzentrieren, aber es sind immer noch Hunde. Natürlich drehen sie sich um und lassen sich ablenken, wenn sie jemand streichelt oder sogar füttern will. Deshalb ist es immer wichtig, die Besitzer zu fragen, bevor man einen Blindenführhund streichelt. Und oft lehnen die Besitzer das ab, um den Hund im „Arbeitsmodus“ zu halten.

Mercer im Bus

Mercer ist ein ziemlich cleverer Hund, versteht Englisch und Deutsch. Aber seine Befehle bekommt er ausschließlich in Englisch. Er kennt zum einen bekannte Strecken, kann sich aber auch neue Strecken ziemlich schnell merken. Und er kann abstrahieren. Er findet Cafés, wenn man ihm sagt „Go to coffee„. Das hat mein Freund ihm beigebracht, weil er gerne in Cafés geht. Er findet Türöffner, Ampelanlagen, Treppen, Sitzgelegenheiten, Ausgänge, Tresen und vieles mehr auf Kommando.

Reisefreudiger Hund

Da wir wussten, dass wir gerne reisen, hat uns Guide Dogs einen Hund gegeben, der ebenfalls etwas abenteuerlustig ist. Mercer liebt es, neue Städte zu erkunden, war bereits in den USA, in Deutschland, Frankreich, Spanien und Österreich. Da merkt man manchmal, dass es eben doch ein britischer Hund ist. Denn Fahrradwege auf dem Bürgersteig, wie zum Beispiel in Berlin, gibt es in Großbritannien so nicht. Das mussten wir ihm in Berlin erst beibringen, sich davon fern zu halten.

Mercer in Berlin

Bis auf ganz wenige Ausnahmen war Mercer bislang übrigens länderübergreifend überall willkommen. Großbritannien, die USA und Spanien haben recht klare Gesetze, dass blinden Menschen nirgendwo der Zugang verwehrt werden darf, nur weil sie einen Blindenführhund haben. Denn die Hunde sind wirklich gut trainiert, beißen nicht und sind stubenrein.

Auch in Deutschland ist die Rechtsauffassung unterdessen so, dass Blindenführhunden der Zugang nicht verwehrt werden darf. Leider wissen das immer noch zu wenige Menschen. Die Hunde geben den Besitzern Unabhängigkeit und Mobilität. Manchmal muss man den Geschäftsleuten erklären, was es bedeutet, einen Blindenführhund zu haben und dass sie ihn ohne Gefahr in ihr Geschäft oder Restaurant lassen können. Aber es gibt durchaus noch Fälle, in denen Blindenführhundhaltern der Zugang zu Lokalen, Supermärkten und anderen Einrichtungen verwehrt wird. Übrigens ein schönes Beispiel dafür, dass Inklusion oft eben keine Frage des Geldes, sondern eine Frage der Einstellung ist. Blindenführhunde und andere Assistenzhunde willkommen zu heißen, kostet nichts. Aber es ist ein wichtiger Schritt zur Inklusion.

 

Wenn Olli Welke nicht zu verstehen ist

Schauen Sie auch regelmäßig die heute-show? Mehr als eine Million Menschen haben beim letzten Mal eingeschaltet, das entspricht einem Marktanteil von 11,9 Prozent. Seit 2009 läuft die heute-show im ZDF. Sie zählt zu einer der erfolgreichsten Sendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen.

Leider hat es das ZDF bis heute nicht geschafft, die Sendung auch für gehörlose und schwerhörige Zuschauer zugänglich zu machen. Denn die heute-show ist zwar eine der erfolgreichsten Sendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, aber sie wird ohne Untertitel gesendet.

Wer gehörlos oder schwerhörig ist und Fernsehen schauen möchte, ist auf Untertitel angewiesen.

Untertitel kann man normalerweise über den Videotext zuschalten. Zwar arbeiten vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender daran, ihr Programm zugänglicher zu machen, aber wer in den USA oder Großbritannien den Fernseher anmacht, wird feststellen, dass dort bereits 100 Prozent des Fernsehprogramms untertitelt wird – und zwar nicht nur bei öffentlich-rechtlichen Sendern sondern auch bei den Privatkanälen. Man hat die Sender dazu verpflichtet.

Nicht nur Untertitel

Und nicht nur das: Für blinde Fernsehnutzer wird in Großbritannien rund 20 Prozent des Programms der Hauptsender auf einem zweiten Tonkanal beschrieben. Audiodeskription nennt man das. Außerdem wird zusätzlich zu den Untertiteln rund fünf Prozent des BBC-Programms und ein Teil der privaten Programme in Britische Gebärdensprache übersetzt. Das betrifft vor allem Nachrichtensendungen und beliebte Serien, die im Nachtprogramm wiederholt werden. Aber auch im Kinderprogramm wird Gebärdensprache genutzt. Denn wenn Kinder noch nicht lesen können, sind sie auf Gebärdensprache und visuelle Information angewiesen, wenn sie nicht gut hören können. Aber auch viele gehörlose Erwachsene schätzen die Übersetzungen in Britische Gebärdensprache, weil sie eben gerne in ihrer Sprache Fernsehen schauen.

Während in Deutschland nun auch gehörlose und blinde Zuschauer beim Rundfunkbeitrag zur Kasse gebeten werden, dürfen sie aber immer noch nicht voll teilhaben. Die Mehreinnahmen, die auch durch Menschen mit Behinderungen zustande kommen, sind so hoch, dass man im März beschlossen hat, den Rundfunkbeitrag zu senken. Dabei hätte man mit dem Geld einen guten Beitrag zur Inklusion leisten können.

Eine Frage der Prioritäten

Man hätte die Programme voll untertiteln können, man hätte die Untertitelredaktionen besser ausstatten können, um die Qualität der Untertitel zu verbessern, mehr Audiodeskription anbieten können, mehr Gebärdensprache, innovative Programme im Kinderprogramm. Wenn in anderen Ländern zu 100 Prozent untertitelt wird, warum nimmt man nicht das Geld, das man zusätzlich eingenommen hat, und versucht, dieses Ziel auch in Deutschland zu erreichen?

Aber selbst wo untertitelt wird, ist die Qualität noch immer ein Problem. Derzeit sind vor allem Live-Untertitel bei Talkshows beispielsweise sehr verbesserungswürdig. Schalten Sie mal aus Spaß bei der nächsten Live-Sendung, die sie schauen, Untertitel zu. So mancher Jauch- oder Lanzsendung kann man mit Untertiteln alleine kaum folgen. Bei Lanz liegt wohl zwischen Aufzeichnung und Sendung zu wenig Zeit, um die Untertitel vorher vorzubereiten. Die schlechte Qualität der Untertitel ist wohl zum einen ein Softwareproblem, weil die Entwicklungen für englischsprachige Software angeblich weiter sind, aber es wird wohl auch zu wenig investiert. Aber selbst alte Sendungen, die man problemlos untertiteln könnte, werden nicht untertitelt.

Kein Wunder also, dass der Start von Netflix in Deutschland nicht zuletzt von gehörlosen und schwerhörigen Filmliebhabern gefeiert wurde, denn sie können endlich die Filme sehen, die ihnen das deutsche Fernsehen wegen Mangel an Untertitelung vorenthalten hat.

Aber es geht nicht nur um Filme. Man kann von der heute-show, von Talkshows und anderen erfolgreichen Sendungen halten, was man will. Aber sie bieten uns Hörenden Informationen, die an gehörlosen Zuschauern derzeit vorbeigehen. Und das vor dem Hintergrund, dass sie nicht einmal auf das Radio zurückgreifen können.

 

Rollstuhl ist nicht gleich Rollstuhl

Derzeit findet in Düsseldorf die Rehacare statt. Das ist die größte Hilfsmittelmesse der Welt. Sie ist so etwas wie der Genfer Automobilsalon für Rollstühle. Okay, nicht so ganz so schick und es gibt auch noch viele andere Hilfsmittel zu sehen, aber auch bei Rollstühlen gibt es Hersteller und Modelle wie bei Autos eben.

Ich erinnere mich noch genau daran, wie ich meinen ersten Rollstuhl bekam. Ich war etwa sechs Jahre alt und fand Rollstühle immer toll. Ich bekam einen der ersten bunten Kinderrollstühle, die es überhaupt gab. Vorher hab es furchtbare Geräte, die vor allem für Kinder völlig ungeeignet waren, was dazu führte, dass Kinder, die nicht gehen konnten, ewig in Kinderwagen durch die Welt geschoben wurden statt sie selber zu entdecken.

Aber um 1980 herum kam Sopur. Die Firma, die unterdessen zu einem amerikanischen Weltkonzern gehört und auch den Namen Sopur als Firmennamen abgelegt hat, baute in einer Industriehalle in Malsch bei Heidelberg meinen ersten Rollstuhl zusammen. Sopur war damals eine so kleine Firma, dass ich beim Zusammenbauen des Rollstuhls zuschauen konnte. Meine Eltern hatten den Rollstuhl direkt dort bestellt. Das geht heute bei kaum noch einem Rollstuhlhersteller. Rollstühle werden heute vor allem über Sanitätshäuser vertrieben.

Für mich war damals das Wichtigste, dass ich mir die Farbe aussuchen konnte – Gelb und Blau standen zur Auswahl. Bei meinem zweiten Modell gab es dann auch schon Rot. Ich entschied mich für Gelb mit einer blauen Rückenbespannung.

Deutscher Erfindergeist

Rollstuhl von Stephan Farfler
Bild: Wikipedia

Rollstühle sind übrigens, sowohl was die modernen Rollstühle als auch was die Geschichte des Rollstuhls angeht, nicht zuletzt Ergebnisse deutscher Erfinder- und Ingenieurskunst. Sopur ist da nur ein Beispiel. Schon 1655 baute sich der Nürnberger Uhrenmacher Stephan Farfler ein dreirädriges Fahrzeug, das er mit Handkurbeln über ein Zahnradgetriebe antrieb. Es war wahrscheinlich der erste Rollstuhl, mit dem man sich selbst fortbewegen konnte.

Wenn man bedenkt, dass noch 1980 ein farbiger Rollstuhl, der auf Kindergröße angepasst wurde, so etwas Besonderes war, wird einem bewusst, welche Entwicklung Rollstühle in den vergangenen 30 Jahren gemacht haben. Heute stehen bei der Rehacare Hunderte Modelle, bei denen man nicht nur fast jede Farbe auswählen kann, sondern deren Zubehör- und Ausstattungskatalog von der Auswahl her dem eines hochpreisigen Auto in nichts nachsteht. Es dauert länger, einen neuen Rollstuhl auszusuchen als ein neues Auto. Ich bin immer ein bisschen neidisch, wenn die ich heutigen Kinderrollstühle sehe.

Kinderrollstuhl

Selbst E-Rollstühle für Kinder gibt es heute, die nicht einmal aussehen wie Rollstühle, sondern eher wie ein Bobby Car nach dem Tuning.

Rahmenfarbe? Bremsen? Seitenteile?

Wer heute einen Rollstuhl kauft muss ziemlich viele Entscheidung treffen: Elektrisch oder manuell? Welche Vorderräder? Welche Rückenbespannung? Welche Bereifung? Welche Seitenteile? Welche Bremsen? Klappbar oder nicht? Welche Griffe oder keine Griffe? Neigung der Hinterräder? Wie stark soll der Rollstuhl eine Tendenz haben, nach hinten zu kippen? Und dann kommt es natürlich auf die persönlichen Maße an: Sitzbreite, Beinlänge, Höhe der Rückenlehne?

Je besser ein Rollstuhl auf die Person, die ihn nutzt, abgestimmt ist, desto besser fährt er sich und desto besser kann man darin sitzen. Ein schlecht angepasster Rollstuhl führt unweigerlich zu Rückenschmerzen und anderen Problemen. Mein Rollstuhl fühlt sich an wie ein Teil von mir. Er ist genau auf meinen Körper zugeschnitten und deshalb hasse ich es auch, irgendwo anders zu sitzen. Mein Rollstuhl ist bequem, er gibt mir Stabilität und er passt einfach. Deshalb muss ich immer schmunzeln wenn Leute mir sagen, ich soll mich doch mal woanders hinsetzen, so ein Rollstuhl sei doch sicher sehr unbequem. Im Gegenteil. Ein gut angepasster Rollstuhl ist für mich bequemer als jedes Sofa. Von anderen Stühlen ganz zu schweigen.

 

Meine Liebe zu Londoner Taxis

Taxi
Bild: Transport for All

Londons Taxis sind legendär. Seit mehr als 300 Jahren gibt es sie. Sie haben ein markantes Aussehen und Londons Taxifahrer gelten als relativ freundlich und ortskundig. Denn für Londons Taxischein, auch „The Knowledge“ genannt, brauchen angehende Taxifahrer durchschnittlich 34 Monate.

Ich liebe Londons Taxis sehr, denn seit dem Jahr 2000 sind alle 20.000 Londoner Black Cabs barrierefrei. All diese Fahrzeuge haben Eigenschaften, die Menschen mit Behinderungen die Nutzung erleichtern. Damit ist Londons Taxiflotte wohl die barrierefreieste der Welt. Während man in anderen Städten für ein barrierefreies Fahrzeug auf einen Spezialfahrdienst zurückgreifen muss, der schwer zu bekommen und oft teuer ist, kann ich mir in London jedes Taxi am Straßenrand heranrufen und weiß, ich zahle den gleichen Preis wie alle anderen und das Taxi ist barrierefrei. Gleiches gilt für Apps, mit denen man die Black Cabs bestellen kann. Ich muss nicht einmal angeben, dass ich Rollstuhlfahrerin bin, denn alle Fahrzeuge sind ja für mich zugänglich.

Aber immerhin, zumindest New York zieht jetzt nach. Die Stadt hat vor Kurzem beschlossen, die Hälfte seiner Taxis bis 2020 barrierefrei zu machen.

Aber was genau macht Londons Taxis barrierefrei?

Die Rampe

Alle 20.000 Londoner Taxis haben eine Rampe. Sie ist entweder zum Ausklappen in den Boden eingelassen oder der Fahrer hat eine Rampe, die er im Kofferraum verstaut hat, die er dann an die Türkante anlegt. Seit ein paar Jahren sind auch Fahrzeuge vom Typ Mercedes Vito als Taxis in London zugelassen. Auch diese Wagen haben eine Rampe, die an der Türschwelle angelegt wird. Je höher der Bordstein, desto weniger steil die Rampe. In den meisten Fällen müssen die Fahrer den Rollstuhl etwas anschieben und so beim Einsteigen behilflich sein, was die meisten aber anstandslos tun. Tun sie das nicht (und haben keinen Grund dafür), riskieren sie eine Strafe oder sogar den Entzug ihrer Taxilizenz.

Alle manuellen, aber auch die meisten elektrischen Rollstühle passen in ein Londoner Taxi. Das Dach ist höher und der Innenraum sehr groß. Das hat den Vorteil, dass man den Rollstuhl nicht verlassen muss, um Taxi zu fahren. E-Rollstuhlfahrer können in normalen Limousinen gar nicht fahren, weil ihr Rollstuhl nicht in den Kofferraum passt und zudem viel zu schwer ist. Bei den Londoner Taxis ist das kein Problem. Der Fahrer klappt die Rampe aus, man fährt hinein, der Rollstuhl wird mit Gurten festgemacht – und los geht es.

Der Schwenksitz

Eine der vielleicht am wenigsten bekannten Funktionen eines Black Cabs ist der sogenannte Swivel Seat – ein Sitz, der sich nach außen schwenken lässt, um gehbehinderten Gästen das Einsteigen zu erleichtern. Zusammen mit einer zusätzlichen Stufe, die der Fahrer vor den Sitz stellt, können auch gehbehinderte Menschen damit ziemlich einfach in das Taxi steigen. Der Fahrer schwenkt den Sitz nach außen, der Fahrgast setzt sich darauf und dann wird der Sitz zurück ins Auto gedreht.

Wie das funktioniert, sieht man hier im Video:

Die Griffe

Alle Londoner Taxis haben Haltegriffe, die auch für sehbehinderte Passagiere leichter zu finden sind. Die meisten sind gelb, was in der meist schwarzen Taxiumgebung wegen des Kontrasts hilfreich ist.

Die Induktionsschleife

Für viele schwerhörige Menschen hilfreich: Die Induktionsschleife in jedem Taxi. Damit können sie die Stimme des Fahrers direkt auf ihrem Hörgerät empfangen, wenn sie es entsprechend einstellen. Das ist vor allem wichtig, weil in Londoner Taxis aus Sicherheitsgründen zwischen dem Fahrer und den Passagieren eine durchsichtige Wand ist, die es selbst für gut hörende Menschen schwierig macht, den Fahrer zu verstehen. Deshalb gibt es eine Art Gegensprechanlage in den Taxis, die mit einer Induktionsschleife ausgestattet ist.

Wieso hat London barrierefreie Taxis?

Es war die Entscheidung des ehemaligen Bürgermeisters Ken Livingstone, die Black Cabs barrierefrei zu machen. Angesichts der schlechten Zugänglichkeit der Londoner U-Bahn wollte er, dass die Menschen wenigstens Taxis und Busse nutzen können und hat den Taxis nach einer Übergangsfrist zur Auflage gemacht, barrierefrei zu werden. Genauso wie die New Yorker das jetzt auch machen.

London hat zudem ein sehr interessantes System, das zumindest einen Teil der Spezialfahrdienste ersetzt. Jeder Londoner, der stark gehbehindert oder blind ist oder aus sonstigen behinderungsbedingten Gründen nur sehr schwer oder gar nicht öffentliche Verkehrsmittel nutzen kann, kann eine Taxicard beantragen, mit der man eine bestimmte Anzahl von Fahrten im Jahr zum Preis einer U-Bahnfahrt machen kann. Die Differenz zum Taxipreis zahlt die jeweilige Londoner Gemeinde, in der man wohnt.

Und warum gibt es das in deutschen Städten nicht?

Ja, das verstehe ich auch nicht. Seit Mercedes den Vito auf den Londoner Taximarkt gebracht hat, den es eigens für London in einer barrierefreien Version gibt, kann man also in einem deutschen Taxi barrierefrei durch London fahren, aber nicht durch Berlin. Jede Stadt, die in Deutschland Taxilizenzen zu vergeben hat, könnte nicht nur regeln, dass das Taxi beige sein muss, sondern auch, dass eine bestimmte Anzahl der Taxen barrierefrei sein muss. Bis diese Zahl erreicht ist, werden nur noch Lizenzen an Fahrer mit barrierefreien Fahrzeugen vergeben. Ja, ich weiß, die Taxiunternehmen wären wenig begeistert. Das waren sie auch in London nicht, aber inzwischen haben sie behinderte Passagiere als treue Kundengruppe erkannt und der Taxicard-Vertrag ist angeblich der vom Umfang größte Taxivertrag in ganz London.

 

Wie man eine barrierefreie Dienstreise (nicht) organisiert

Stefan Fricke ist Landtagsabgeordneter in NRW und Mitglied der Parlamentariergruppe Türkei. Im Oktober will die Gruppe nach Ankara, Istanbul und Zonguldak reisen. Stefan Fricke hat bedingt durch Contergan extrem kurze Arme und Beine. Er ist Rollstuhlfahrer. Deshalb, so findet der Landtag NRW, soll er zu Hause bleiben und sieht sich außer Stande diese Reise für ihn zu organisieren. Die taz hat über den Streit zwischen Fricke und dem Landtag berichtet. Es gibt auch eine Stellungnahme des Landtags, in der unter anderem behauptet wird, es gebe in der Türkei keinen barrierefreien Bus. Außerdem wird betont, man habe unter anderem für ihn eine barrierefreie Dusche und eine Toilette eingebaut und „ihm eine Reise nach Berlin ermöglicht“.

Um die Stellungnahme besser einschätzen zu können, habe ich mal nach „Accessible van Turkey“ gegoogelt. Ich hatte auch keine Ahnung, ob es da solche Fahrzeuge gibt. Nach 10 Sekunden wurde ich fündig und fand barrierefreie Kleinbusse und Taxis, unter anderem in Ankara und Istanbul. Mich überrascht das nicht, denn was meiner Erfahrung nach absolut nicht funktioniert ist, ein 08/15-Reisebüro mit solch einer Reiseplanung zu betrauen. Aber es gibt beispielsweise Spezialreiseanbieter, die sicher Auskunft geben können, wie man sowas in der Türkei organisieren kann, und er wäre auch nicht der erste Rollstuhlfahrer, der in die Türkei reist.

Von Europa bis Indien

Ich habe sehr viel Erfahrung mit Reisen als Rollstuhlfahrerin auf der ganzen Welt. Ich war auf allen Kontinenten. Auch was Reisen in Gruppen angeht, habe ich Erfahrung. Ich habe als Journalistin an vielen Pressereisen teilgenommen – ich war in ganz Europa unterwegs, in der arabischen Welt und ich war sogar in Indien, was ich bislang als abenteuerlichste Reise empfand für jemanden, die im Rollstuhl sitzt und das Land überhaupt nicht kennt.

Bei den meisten dieser Reisen stand ich vor dem gleichen Problem wie Stefan Fricke: Ich brauchte einen einigermaßen barrierefreien Transport und ich musste irgendwo zur Toilette gehen. Dabei reicht auch mir keine ebenerdige Toilette. Die Tür muss z.B. so breit sein, dass ich mit dem Rollstuhl durch passe. Alle Organisationen und Unternehmen, mit denen ich gereist bin, haben versucht, es möglichst gut zu organisieren, aber ohne Improvisation geht es eben auch nicht ganz. Aber am Ende haben wir immer eine Lösung gefunden.

Extra Wagen und Stopp in Hotels

Die Lösung bei fast allen meinen Reisen: Die Gruppe fuhr im Reisebus und ich in einem getrennten Wagen hinterher. Wenn wir von A nach B gefahren sind, hat mich immer jemand anderes aus der Gruppe begleitet. Ich hatte dadurch dennoch immer guten Kontakt zu der Gruppe.

Das Toilettenproblem war da schon schwieriger zu lösen. Aber selbst in einer Exklave des Oman habe ich es geschafft, eine Toilette zu finden, die ich benutzen konnte. Hotels sind da sehr hilfreich. Zwar haben die in vielen Ländern keine barrierefreien Toiletten – jedenfalls nicht nach meiner Definition – aber ich habe einfach gefragt, ob sie mir ein freies Hotelzimmer aufschließen können. Meist waren die Bäder groß genug, dass ich dort die Toilette benutzen konnte. Gerade in Ländern, in denen Gastfreundschaft groß geschrieben wird, war das nie ein Problem. Ich habe immer angeboten, etwas dafür zu bezahlen, aber selbst das wurde meistens abgelehnt.

Wo ein Wille ist…

Was man braucht, um solche Reisen zu organisieren: Vor allem den Willen, es möglich zu machen. Wer versucht, den Einbau einer Toilette in den Landtag, mit der Organisation einer Reise aufzuwiegen, hat irgendwie nicht ganz verstanden, um was es hier geht: Ein gewählter Abgeordneter möchte an etwas teilnehmen, an dem auch seine nichtbehinderten Kollegen teilnehmen.

Ein Bundesland wie NRW, das sich Inklusion auf die Fahnen geschrieben hat, aber es dann nicht einmal schafft eine Dienstreise für einen rollstuhlfahrenden Abgeordneten zu organisieren, erweckt bei mir starke Zweifel, ob überhaupt verstanden wurde, was Inklusion bedeutet. Es geht eben nicht darum, die normale Teilnahme an einer Reise nach Berlin und den Einbau einer Toilette als Heldentat zu verkaufen. Inklusion bedeutet, das möglich zu machen, was für andere Abgeordnete auch normal ist: An Dienstreisen ins Ausland teilzunehmen. Wieso seine Fraktionskollegen der Piratenpartei glauben, das sei sein Privatproblem, erschließt sich mir deshalb überhaupt nicht.

 

Behinderung im Job – verschweigen oder nicht?

Vergangene Woche fand in Berlin ein Kongress zur Inklusion statt. Ich habe die Veranstaltung auf Twitter verfolgt und hatte den Eindruck, es werden immer noch die gleichen Fragen wie vor 15 Jahren diskutiert. Zum Beispiel wurde darüber debattiert, ob man dem Arbeitgeber in der Bewerbung sagen soll, dass man eine Behinderung hat.

Die Frage ist nicht ganz unberechtigt, wenn man bedenkt, dass die Arbeitslosenquote schwerbehinderter Menschen bei 14 Prozent liegt. Da nicht alle schlecht qualifiziert sind – im Gegenteil, laut Arbeitsagentur sind schwerbehinderte Arbeitslose tendenziell eher etwas besser qualifiziert als nichtbehinderte Arbeitslose – muss man sich schon fragen, wie man dem frühzeitigen Aussortieren aus dem Bewerbungsverfahren aufgrund der Behinderung möglichst lange aus dem Weg geht.

Soll man also sagen, dass man eine Behinderung hat?

Ich finde, das ist eine klassische „Kommt darauf an“- Situation. Denn es gibt Positionen, wo eine Behinderung durchaus auch eine Qualifikation sein kann. Ein Beispiel: Ich bin im Vorstand eines Vereins, der mehrere Mitarbeiter hat. Unter anderem berät der Verein ältere und behinderte Londoner, wie sie öffentliche Verkehrsmittel nutzen können und welche Alternativen es für sie gibt, trotz Behinderung mobil zu bleiben. Wenn mir also jemand schreibt, dass er seit Jahren selbst Erfahrung hat, wie man in London als Mensch mit Behinderung öffentliche Verkehrsmittel nutzen kann, dann ist die Behinderung in dem Fall eine Qualifikation, denn es erspart uns einen Teil der Einarbeitungszeit im Gegensatz zu jemandem, der keine Erfahrung in dem Bereich hat und die Probleme nur von anderen kennt.

Wenn man sich aber um einen Job bewirbt, der mit Behinderung oder verwandten Bereichen nichts zu tun hat, dann ist man gut beraten, die eigene Behinderung nicht in die Bewerbung zu schreiben. Und selbst wenn man Veränderungen, Assistenz oder mehr Zeit beim Bewerbungsverfahren braucht, kann man das immer noch klären, nachdem man die Einladung dazu bekommen hat.

Aber ist das nicht unehrlich?

Nein, finde ich gar nicht. Man teilt seinem künftigen Arbeitgeber doch auch nicht mit, welche Schuhgröße man hat und ob man Single ist. Bei sichtbaren Behinderungen sieht der Arbeitgeber noch früh genug, dass man behindert ist, nämlich beim Bewerbungsgespräch. Aber dann ist man immerhin schon einmal zum Bewerbungsgespräch vorgedrungen und hat so eine Chance zu überzeugen. Bei nicht sichtbaren Behinderungen kann man dem Arbeitgeber nach Einstellung immer noch mitteilen, dass man eine Behinderung hat oder es eben lassen. Das hängt stark vom Arbeitsklima ab, ist meine Erfahrung. In Unternehmen, in denen man menschlich mit seinen Angestellten umgeht, sind diese auch eher bereit zu offenbaren, dass sie eine Behinderung haben. Nur wenn später eine Kündigung droht, sollte man sich überlegen, was man macht, um den besonderen Kündigungsschutz nicht zu verlieren, wenn man darauf wert legt.

Schwerbehinderte Bewerber werden bei gleicher Eignung bevorzugt

An kaum einem Satz kann man den Unterschied zwischen Theorie und Praxis besser erklären als am Satz „Schwerbehinderte Bewerber werden bei gleicher Eignung bevorzugt eingestellt“. Es gibt kaum noch Stellenausschreibungen im öffentlichen Dienst ohne diesen oder einen ähnlichen Satz. Die Amtsstuben müssten voll von Mitarbeitern und Beamten mit Behinderungen sein.

Zwar ist die Beschäftigungsquote behinderter Menschen im öffentlichen Dienst besser als in der Privatwirtschaft, aber rosig sieht es auch da nicht aus. Was also theoretisch passieren soll, funktioniert in der Praxis offensichtlich nicht oder zu wenig, weil zum Beispiel jemand am Ende doch lieber keine behinderten Mitarbeiter haben will und sein Veto einlegt. Das habe ich schon x Mal bei Freunden und Bekannten erlebt, die durchaus alle Anforderungen erfüllten und dann doch gegenüber einem nichtbehinderten Bewerber verloren haben, obwohl sie ja eigentlich bevorzugt berücksichtigt werden sollten.

Die Debatte ist ein Zeichen für Diskriminierung

Letztendlich ist die Debatte um „Schwerbehinderung offenbaren oder nicht“ nur ein Symptom dafür, wie weit verbreitet Diskriminierung behinderter Menschen ist, wenn es um die Jobsuche geht. Wäre es anders, müsste man sich die Frage gar nicht stellen. Es würde gar keine Rolle spielen, ob der Bewerber eine Behinderung hat oder nicht. So lange das aber nicht so ist, machen die Menschen sich natürlich Gedanken darüber, wie und wie lange sie das Merkmal Behinderung verschweigen können.

Und Arbeitgebern, die wirklich Interesse an behinderten Bewerbern haben, aber glauben, keine behinderten Bewerber zu bekommen, kann man nur raten, viel lauter zu werden, was dieses Interesse angeht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es durchaus Arbeitgeber gibt, die diskriminierungsfrei einstellen und sogar ein Interesse haben, den Anteil behinderter Mitarbeiter zu erhöhen. Aber mit dem Behörden-Satz unter der Stellenausschreibung ist es nicht getan, sondern was funktioniert ist, gute Beispiele von Inklusion bekannter zu machen und glaubwürdig aufzutreten. Dazu gehört auch die gezielte Ansprache potenzieller Bewerber, die eine Behinderung haben. Ich bin sicher, dann nimmt die Zahl der Bewerber zu, die sich während oder nach dem Bewerbungsverfahren als behindert offenbaren.

 

Danke, Tanke!

TankstelleHeute war ich tanken. Was für nicht behinderte Menschen eine Angelegenheit von fünf Minuten ist, ist für mich schon aufwendiger: Ich muss mein Auto so parken, dass ich mit Rollstuhl zwischen Zapfsäule und Auto passe, andererseits aber niemanden bei der Durchfahrt behindere. In Deutschland war das noch machbar, in Großbritannien sind die Tankstellen so eng gebaut, dass es manchmal gar nicht geht. Außerdem bedeutet tanken für mich, Rollstuhl ausladen, zusammenbauen und umsteigen, zur Kasse rollen, hoffen, dass ich in den Verkaufsraum passe (auch die sind hier manchmal sehr klein), mit der Tür kämpfen, zurück zum Auto, wieder umsteigen, Rollstuhl wieder auseinandernehmen, wieder ins Auto heben. Unter 15 Minuten ist das oft nicht zu machen.

Fernbedienungen und eine App

Seit ein paar Jahren gibt es für Rollstuhlfahrer und andere Menschen, die nicht so einfach aus ihrem Auto kommen, Fernbedienungen mit Rufknöpfen, deren Signal die Tankstellen darüber informiert, dass draußen jemand wartet, der Hilfe beim Tanken benötigt. Eigentlich eine super Idee. Meine Erfahrungen damit waren bislang sowohl in Deutschland als auch Großbritannien ziemlich durchwachsen, denn oft war entweder das Empfangsgerät ausgeschaltet oder kaputt oder aber es spielten sich im Kassenbereich Szenen mit hektischem Personal ab, das glaubte, es sei ein Alarm ausgelöst worden, sie wussten aber nicht welcher. Es reicht eben nicht, die Systeme zu installieren, man muss das Personal auch schulen, wie sie damit umzugehen haben. Außerdem waren die Fernbedienungen für die Fahrer recht teuer und auch die Tankstellen mussten tief in die Tasche greifen, um ein Empfangsgerät zu installieren. Auch die Variante „Hupen und Winken“ habe ich früher praktiziert, ebenfalls mit durchwachsenem Ergebnis. Am besten funktionierte noch, wenn ich andere Autofahrer um Hilfe bitten konnte, aber auch die erreicht man nicht immer oder es sind einfach keine da.

Unterdessen gibt es in Deutschland eine App, mit der man Hilfe an Tankstellen anfordern kann. Allerdings nicht per Knopfdruck, sondern man muss die Tankstellen vorher oder spätestens wenn man davor steht, anrufen. Die App listet die Tankstellen auf, die sich bereiterklärt haben, Rollstuhlfahrern und anderen behinderten Menschen zu helfen.

Neues System

Hier in Großbritannien hat man gerade ein neues System eingeführt, an dem sich unter anderem zwei große Supermarktketten beteiligen, die auch ein Tankstellennetz betreiben. Die große, klobige (und teure) Fernbedienung des alten Systems, das nie funktioniert hat, ist verschwunden. Ich habe jetzt einen kleinen Sender mit Knopf am Schlüsselbund. Ich kann sofort bei der Einfahrt in die Tankstelle sehen, ob das System eingeschaltet ist. War es bislang immer. Sobald ich den Knopf drücke, blinkt das Licht an der Wand und ich weiß, dass das Signal angekommen ist. Wenn der Kassierer im Kassenbereich meinen Hilfewunsch registriert hat, bestätigt er das per Knopfdruck und das Licht draußen schaltet sich auf grün. Dann weiß ich, dass gleich jemand kommen wird. Sehr angenehm finde ich, dass ich weiterhin mit Karte zahlen kann. Ich gebe dem Kassierer die Karte mit, er zieht sie durchs System und ich unterschreibe, obwohl ich eigentlich eine PIN brauche, aber in diesen Fällen akzeptieren die Tankstellen eine Unterschrift.

Ich habe den Sender jetzt seit gut einem Jahr. Im Gegensatz zum alten System hat es immer funktioniert. Vielleicht auch, weil es meine örtliche Tankstelle selber war, die mir den Sender geschenkt hat und ganz stolz auf das neue System ist. Die Anschaffung hat sich für meine Tankstelle nach einem Jahr allein mit meinem Benzinverbrauch und der neuen Kundenbindung schon gelohnt, vermute ich mal. Und ich weiß, dass ich nicht die einzige Rollstuhlfahrerin bin, die da tankt.