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Schönste Wald- und Wiesenmusik

 

Nicht aussteigen, nur mal kurz rasten: Das Bandprojekt Loch Lomond aus Portland beschwört die Erdverbundenheit mit seinem grasüberwucherten, auratischen Folkpop.

© Hayley Young

Wenn Musik eine Aura zugesprochen wird, denken Ästheten oft zuerst an Walgesänge und ähnlich sphärische Klänge, an Meditationsmusik, Enya, solche Scheußlichkeiten. An mittelalterlich angehauchten Kitsch also, als den verträumte Gemüter Seen wie Loch Lomond gern betrachten: Ein mythenumranktes Gewässer im Herzen Schottlands, gesäumt von karstigen Bergen, undurchdringlichen Wäldern und verwunschenen Burgen, ein sagenhafter Ort zum Abtauchen ins Märchenhafte. Wie gemacht für Ritchie Young, einen der vielen Auratiker des Neofolks, Singer/Songwriter mit orchestraler Begleitung.

Vor acht Jahren hat er sein vielköpfiges Bandprojekt aus Portland/Oregon nach Großbritanniens größtem See benannt und pflegt damit die Aura des Entrückten im Jetzt und Hier. Mehr denn je auf seiner neusten Platte Little Me Will Start A Storm. Das fünfte Album des zu Unrecht unentdeckten, zahlenmäßig schwankenden Ensembles um den Solokünstler vom Pazifik ist eine einzige Aufwallung melancholischer Gefühle, die sich an Melancholiker nicht heranschmeißt. Ein wunderbares Manifest der neuen Erdverbundenheit im Pop, wie ihn zauselige Bands von den Fleet Foxes bis Family Of The Year zelebrieren.

Das ist, im besten Sinne: Wald- und Wiesenmusik, wie ein Ausflug an den Loch Lomond. Mit dem Auto, nicht in Wanderstiefeln. Man steigt aus, zieht die Büroklamotten aus, picknickt, singt gemeinsam, tanzt vielleicht, schaut mit Grashalmen im Mundwinkel ein wenig in die untergehende Sonne, räumt anschließend den Müll zusammen, steigt wieder ein, fährt zurück in die Stadt und ist ein bisschen glücklicher als zuvor.

Das liegt am unaufdringlichen Gestus lässiger Beiläufigkeit, vom Banjo bis zur singenden Säge, von Mandolinen bis zur Zimbel. So beschwingt die Lagerfeuergitarre auch durch alles hindurchweht, so entrückt mancher Text vom Salzgeschmack auf der Zunge und Großwild, auf dem man reiten will, klingen mag und so entrückt die Chöre dahinter: Die sieben aktuellen Musiker wollen aus nichts aussteigen – außer vielleicht aus dem Auto –, sie wollen nur kurz Rast machen. Der Eindruck entsteht zumindest, wenn sich zarte Glocken durch die Geigen von Elephants & Little Girls zittern oder etwas Engelartiges durch Earth Has Moved Again. Wenn Jade Ecklers ihre Stimme in I Love Me aus dem Bauch presst, Ritchie Young die seine in Tic aus dem Kopf und das Instrumentalstück Water Bells irgendwie auch voller Gesang erscheint. Das ist offenbar alles eher Statement als Wesenskern und damit zivilisationskompatibel.

Vielleicht hat da ein Sphärenkostverächter aber auch alles bloß missverstanden. Vielleicht ist da ein Großstädter in seiner urbanen Erschöpfung dem Ultrahippie Young auf den Leim gegangen, dessen Kaskaden doch ironiefreies Blumenkinderzeugs sind – Waldgesängen näher als den Liedern der Decemberists, die Loch Lomond (billiger PR-Trick?) als Inspiration bezeichnen. Tja, dann – drauf gepfiffen. Hört man Little Me Will Start A Storm halt nicht am Loch Lomond, sondern ganz profan zuhaus in der Großstadtwohnung oder im Autobahnstau, egal, glücklich macht die Aura dieser Platte trotzdem.

„Little Me Will Start A Storm“ von Loch Lomond ist erschienen bei Chemical Underground.