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Geert Wilders, Retter des Abendlands

 

Der niederländische Populist sieht sich als geistiges Oberhaupt einer globalen Allianz gegen den Islam. Am Wochenende tritt er in Berlin auf. Ein Reisebericht

Berlin/New York/Rotterdam

Den Ort, an dem Geert Wilders in Berlin auftritt, wollen seine Gastgeber lieber nicht preisgeben. Nur gut 500 Interessenten, die sich für den Auftritt des niederländischen Islamkritikers am 2. Oktober zuvor übers Internet beworben haben, sollen ihn erfahren. „Viele werden wahrscheinlich gar nicht kommen können“, bedauert René Stadtkewitz. Sicherheitsgründe, sagt er, muss man verstehen. Wilders, stets umgeben von Leibwächtern, will einen Vortrag auf Deutsch halten und seinen Film „Fitna“ vorführen, einen blutigen Extremistenschocker, der direkte Verbindungen zwischen Koran-Suren und Terrorismus herstellt. Unter anderem deswegen steht Wilders in Holland wegen Anstachelung zum Hass vor Gericht. Unter anderem deswegen ist seine Partij voor de Vrijheid (PVV) bei den Wahlen im Juni aber auch mit 24 von 150 Sitzen zur drittstärksten Kraft im Haager Parlament aufgestiegen. Nach langen Verhandlungen haben Rechtsliberale und Christdemokraten diese Woche beschlossen, ihre Regierung von Wilders dulden zu lassen.  

René Stadtkewitz sitzt, in Schlips und Kragen, vor einer Teestube am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg. Gerade hat eine holländische Filmcrew Aufnahmen von ihm im Kopftuch-Kietz geschossen. Der Mann wirkt siegesgewiss für einen, dessen politische Karriere vor wenigen Tagen beendet erschien. Am 7. September schloss die Berliner CDU den Stadtverordneten aus Pankow aus ihrer Fraktion aus. Landeschef Frank Henkel hatte ihn aufgefordert, die Einladung an Wilders zurückzuziehen. Stadtkewitz weigerte sich und rief stattdessen seine eigene Partei aus. sagte er dort in Anspielung auf Thilo Sarrazin. Deshalb müsse nicht nur die Einladung an Wilders bestehen bleiben. Deshalb müsse auch eine neue Partei her. „Die Freiheit“ haben Stadtekewitz und seine Mitstreiter, ein ebenfalls ehemaliger CDU-Politiker und ein Ex-Mitglied der Piratenpartei, sie getauft. Freiheit, weil sie es leid sind, „tatenlos mitanzusehen, wie einige durchs Land gejagt werden, nur weil sie den Finger in die Wunde legen.“ Der „Ansturm“, den er und seine Mitstreiter seither erleben, sei kaum zu bewältigen, sagt Stadtkewitz.

Hat das Phänomen Wilders also auch anderswo Erfolgschancen? Wird Islamkritik so schick, dass sie mit eigenen Parteien in die bürgerliche Mitte einbrechen kann? Entsteht gar in Deutschland der erste Ableger einer sich internationalisierenden, entgrenzenden Partij voor de Frijheid?

Ein Händler in Sachen Legitimität

Genau das hat Geert Wilders im Sinn. Der blondierte Hitzkopf will Höheres bewirken mit seiner Prominenz. Einem Reporter der Zeitung „De Telegraaf“ gab der 46jährige im Juli zu verstehen, dass er sich als spirituelles Oberhaupt einer Koalition betrachtet, die weit über die Niederlande hinaus geht. Ende November, wenn das Gerichtsverfahren gegen ihn beendet sei, kündigte er an, wolle er eine „Geert Wilders Freiheits-Allianz“ ins Leben rufen. Er wolle sich dabei zunächst auf fünf Länder konzentrieren, die Vereinigten Staaten, Kanada, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. „Alle diese Länder will ich in den kommenden Monaten besuchen und Reden halten.“

Dort wird er das sagen, womit er in Holland schon gesellschaftsfähig geworden ist. Dass der Koran ebenso verboten werden müsse wie Hitlers „Mein Kampf“. Dass es keinen Unterschied gebe zwischen Islam und Islamismus, weil der Islam eine umfassende Gesellschaftsordnung predige. Um die Islamisierung des Westens zu stoppen, müsse nun „mehr auf internationaler Ebene passieren.“ Nach seinem festen Tritt in Holland muss Wilders nach horizontaler Anerkennung nicht lange suchen. Allzu gerne lehnen sich Anti-Islamisten aus aller Welt an die Lichtfigur an. In den Niederlanden war Wilders ein „Händler in Sachen Angst“, wie der Schriftsteller Geert Mak es formuliert. Jetzt, nach der Wählerweihe, wird er jenseits von Polderland ein Händler der Legitimität. 

Wie wirkungsvoll er seinen Helden-Status strahlen lässt, ließ sich am 11. September in New York besichtigen. Hier, am Ground Zero, startete Wilders seine Fünf-Länder-Tournee. Fast ein Jahrzehnt nach den Anschlägen auf Amerika versammelten sie sich am Park Place im Manhattan; die Ungeduldigen, die Unverstandenen, die Zornigen und die politischen Inkorrekten, die wähnen, den Mut zur Wahrheit besitzen und als Einzige die Schicksalsfrage unserer Zeit auszusprechen. „Tea Party Patriots“, Feuerwehrleute, Irakkriegsveteranen, Zionisten, selbsternannte Freidenker und britische Rechtsradikale – all jene, die im Gegensatz zum politischen Establishment und den verhassten Mainstream-Medien glauben, nichts als die Wahrheit zu sagen.

Ihre Wahrheit lautet, dass es, Schluss mit dem Appeasement!, sehr wohl einen Zusammenhang gibt zwischen dem Islam und der Verachtung der westlichen Lebensweise. Eben weil der Islam, so sehen sie, keine Religion wie jede andere ist, sondern weil er eine Ideologie mit sich herumschleift. „Weil der Koran voll von Anstachelung zur Gewalt ist“, so Wilders, fielen die Twin Towers, werden Frauen verstümmelt, müssen Mohammed-Karikaturisten um ihr Leben fürchten und gibt es diese furchtbaren Probleme mit Migrantengangs in Europas Großstädten. Ganz einfach.

„Wilders for President!“

„So weit dürfen wir es bei uns nicht kommen lassen“, findet Bob Schmidt. Der 56 Jahre alte New Yorker hat sich mit seinem Schild „Wilders for President!“ in die erste Reihe vor dem Rednerpult gedrängt. „Die meisten hier kennen Wilders nicht“, sagt Schmidt, „aber sie werden ihn kennen lernen.“ Schmidt hat Wilders Karriere über das Internet verfolgt, und er ist beeindruckt von dem Mann, den keine Morddrohung schreckt. Er dreht sein Plakat herum. Auf die Rückseite hat er geschrieben, was wohl die meisten der Versammelten für sich in Anspruch nehmen: „Das Wort Rassist zieht nicht mehr!“

Dieser 11. September 2010 also war der Startschuss, um ein bisher vor allem virtuelle Netz der Islamkritiker in die Echt-Welt zu ziehen. Eingeladen nach New York hatte Wilders eine Web-Sammelbewegung namens SIOA, Stop Islamization of America. Ihre Homepage ist gut vernetzt ist mit SIOE (Stop Islamization of Europe), welche ihrerseits übersichtlich verlinkt auf die Seiten von Stop Islamization of Deutschland, Österreich, Frankreich, Schweden, Belgien und der Färöer-Inseln. Es gibt sie überall, die Wilderisten.

Ihre bisherige Haupterrungenschaft ist es, eine regelrechte Suböffentlichkeit zum traditionellen Mediendiskurs geschaffen zu haben. In Deutschland etwa ist es vor allem die Plattform „Politically Incorrect“ des ehemaligen Sportlehrers Stefan Herre, die Nachrichten, Filme und Termine „gegen die Islamisierung Europas“ bündelt. Die Gesamtzahl der Seitenaufrufe liegt laut Eigenzählung bei knapp 108 Millionen, etwa 75 000 User tummeln sich demnach jeden Tag auf der Seite, die sich selbst als „größten Blog Europas“ bezeichnet. Mitte Juli empfing Geert Wilders Herre zusammen mit René Stadtekewitz in seinem Büro in Den Haag.  „Wilders unterstrich in dem Gespräch die Bedeutung Deutschlands für die Geert Wilders Allianz für die Freiheit“, berichtete „Politically Incorrect“ nach dem Besuch. Jetzt also Berlin.

 „Das Thema Internationalisierung haben wir noch gar nicht im Blick“, wiegelt René Stadtkewitz ab. „Und wir werden auch bestimmt nicht mit Geert-Wilders-Fanschals dastehen, wenn er spricht. Wir wollen mit ihm reden. Kritisch reden.“

Eine neue Avantgarde der Aufklärung?

Man muss den Anspruch dieser neuen Bewegung, recht eigentlich eine Avantgarde der Aufklärung zu sein, ernst nehmen, wenn man sie durchdringen und ihr begegnen will. Sie mitsamt den Le Pens und Haiders dieser Welt als Rechts-Populisten abzuhaken, greift zu kurz. Natürlich zieht der Schlachtruf „Islam = Böses“, siehe die Sarrazin-Debatte, Dumpfheit und Ressentiment an. Aber Wilders und Stadtkewitz versichern, Rassisten weder zu sein noch sie in ihrer Bewegung zu dulden. „Wir sind keine Freunde jener Parteien und Politiker quer durch Europa, die mit uns Kontakt aufnehmen wollen“, beteuert Wilders.

Das mag aufrichtig gemeint sein, aber es bleibt ein bestenfalls naiver Anspruch, angesichts des ganz eigenen Extremismus, den diese neue Internationale produziert. Vielleicht nennt man ihn besten einen Absolutismus des Verdachts. Die Wilderisten verurteilen den Islam in der Tat völlig unabhängig davon, von welcher Rasse er – um in ihrem Bilde zu bleiben – Besitz ergriffen hat. Sie halten nicht den Menschen für unveränderlich, sondern eine angeblich im Mittelalter zurückgebliebene Weltanschauung. Sie werfen dem New Yorker Moscheegründer seinen Glauben genauso vor wie dem indonesischen Imam und dem türkischen Gemüsehändler. Sie würden, kurzum, am liebsten eine Religion einstampfen, der weltweit etwa 1,5 Milliarden Menschen angehören – und in der durchaus gerade ein Kampf der Reformer gegen die Traditionalisten tobt. Aber Modernisierungsmöglichkeiten passen nicht ins Weltbild der Islamgegner. Die Fähigkeit zur Selbstkritik sprechen sie dem Islam schlicht ab. Sie betrachten ihn eher als ansteckende Krankheit.

Die Religion verachten ohne die Gläubigen zu verachten?

In einem Interview mit dem australischen Nachrichtensender SBS sagte Geert Wilders, er lehne Immigration aus sämtlichen muslimischen Ländern ab, also aus allen Staaten, die mehrheitlich von Muslimen bewohnt seien.

Rückfrage des Moderators: Auch die von Christen aus dem Libanon oder Juden aus Ägypten?

Antwort Wilders: Auch die, denn die Fakten bewiesen nun einmal, dass dort, wo die islamische Kultur dominiere, die Freiheit unterentwickelt sei. „Der Islam“, doziert Wilders, „ist eine gewalttätige Ideologie wie der Kommunismus und der Faschismus. Deswegen sollten wir ihn auch so behandeln. Sonst wird er uns eines Tages auffressen.“

Die Religion zu verachten ohne die Gläubigen zu verachten, das soll gehen? Aber natürlich, antwortet René Stadtkewitz. Schließlich gebe es doch auch Muslime, die den Islam für seine „ideologischen Kompetenten“ kritisierten. Die meisten der Leute, die ihn kontaktieren, um Landesverbände in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein oder NRW zu gründen, seien CDU-Anhänger, berichtet er. „Es sind aber auch viele SPDler dabei, und eine Menge von der FDP. Das sollen alles Rechtsradikale sein?“

Aber was für eine Politik will „Die Freiheit“ denn entwickeln? Eine neue Einwanderungspolitik, so viel ist zu erfahren, stellt sich der Gründer vor, wohl auch ein Burka-Verbot – aber worum es ihm eigentlich gehe, sagt Stadtkewitz, sei die Frage: „Wollen wir in 20, 30 Jahren immer noch dieselben Debatten über Integration führen, weil wir uns weiter in die Taschen lügen, oder müssen wir jetzt nicht endlich einmal etwas dagegen unternehmen, dass der Islam von Fanatikern dominiert wird?“ Eben diese Entwicklung, erzählt Stadtkewitz, habe er bei vielen Gesprächen ausgemacht, die er in den Teestuben von Moabit, Neukölln und Kreuzberg gesucht habe. „Gerade die jüngeren Migranten waren kaum zu Gesprächen bereit, sie waren einfach nur aggressiv. Für viele Jugendliche ist es ein Nationalitätenersatz, Moslem zu sein. Das kommt vom Einfluss falscher Imame. Unsere Gesellschaft ist anscheinend zu dumm, das zu erkennen.“

„Wie soll man sich denn als liberale Muslima Gehör verschaffen?“

Vielleicht ist sie nicht zu dumm, vielleicht pflegt sie einfach zu gern ein falsches Feindbild, und vielleicht ist es genau diese Lust, die viele Islamkritiker erhitzt, so wie es in ganz ähnlichen Milieus früher einmal der Anti-Kommunismus getan hat. Fatima Lamkharat glaubt, dass es so ist. Sie ist gläubige Muslima und Sozialarbeiterin in Rotterdam-Nord, einer Gegend, in der bis 90 Prozent der unter 24jährigen aus Migrantenfamilien stammen. Dort und in ihrem Nebenjob als Kommunalpolitikerin spürt die Sozialdemokratin die Wirkungen der „anti-islamischen Welle“, die Wilders auslöst.

Dabei stimmen ihre Erfahrungen zunächst einmal mit denen von Stadtkewitz überein. Gerade jüngere Muslime seien geprägt von radikalem religiösem Gedankengut, das sie zum Teil aus den Moscheen, zum Teil aus dem Internet bezögen. „Viele sind so engstirnig, dass sie mich fragen, ob es richtiger sei, mit weißen oder mit schwarzen Socken zu beten. Und vielen schützen den Koran als Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung von Frauen vor.“ Doch Lamkharat findet andere Gründe für diese Flucht ins Anderssein. „Das Gefühl, dazuzugehören, ist einfach wichtig für die jungen Leute. Genau das verweigern ihnen Wilders und seine Anhänger. Sie stoßen die Muslime immer wieder in genau die Ecke, aus der sie herauskommen wollen.“

Lamkharat selbst sei einmal von einem holländischen Fernsehsender angerufen worden, erzählt sie. Es ging um einen Auftritt in einer Talkshow. „Als der Redakteur mich fragte, ob ich ein Kopftuch trage und ich nein sagte, sagte er, sorry, aber dann könne er mich für die Runde nicht gebrauchen.“ Lamkharat zuckt mit den Schultern. „Wie soll man sich da Gehör verschaffen als liberale Muslima?“

„Raus! Raus! Raus!“, brüllt die Menge

In New York tritt Geert Wilders auf die Lastwagenbühne vorm Ground Zero. Er sieht vergnügt aus, lächelt, genießt den Moment, in dem die Kameras der Welt auf ihn gerichtet sind. „New York“, sagt er, „ist auf holländischer Toleranz gegründet“, doch diese Toleranz gehe jetzt zu weit. „Der Westen“, sagt er unter Jubel der Menge und, „hat niemals den Islam verletzt, bevor der Islam uns verletzt hat. Das muss aufhören!“

Wie furchtbar Recht der Aufwiegler mit diesem Satz hat, bekommt Wilders nicht mit. Kurz vor seinem Auftritt hat sich ein Moslem mit Strickkappe und Bart unter sein Publikum getraut. Er will, dass die Leute nicht über, sondern mit dem Islam reden. Rufe dringen durchs Gewühl. „Raus mit ihm! Raus mit ihm!“ Immer mehr stimmen ein. „U-S-A, U-S-A“, brüllen die Sprechchöre. Dann: „Raus! Raus! Raus!“ Irgendwann gibt der junge Mann auf. Unter Hasstiraden und Flüchen bahnt er sich seinen Weg hinaus in eine Seitenstraße. Die Hand, in der er eben noch den Koran trug, hat er jetzt zur Faust gereckt. Dass in Berlin ein Aktionsbündnis gegen Rechtspopulismus zur Wilders-Gegendemo aufgerufen hat, erscheint einem in solchen Momenten dann doch beruhigend.