Ende März hat Christian Krämer das letzte Mal auf einem Rad gesessen. Während seiner vierwöchigen Geschäftsreise im April in South Carolina hatte er dazu keine Gelegenheit. Dafür hat er dort mit Kollegen an dem zehn Kilometer langen Cooper River Bridge Run teilgenommen und die Lust am Laufen entdeckt.
Christian Krämer alias „Phaty“ will am ersten Samstag im August eine Runde bei Schlaflos im Sattel (SIS) drehen. Das Moutainbike-Rennen ist einzigartig in der Bikeszene. Die Teilnehmer rasen nachts durch den Pfälzer Wald – und wer nackt unterwegs ist, bekommt auf jeden Fall einen Preis. Warum er ausgerechnet dort starten will? Phaty hat sich das Rennen ausgedacht und organisiert es seit neun Jahren. Sein Handicap: Er ist Fußgänger und viel zu schwer. Deshalb muss der 46-Jährige abnehmen und bis zum Sommer Mountainbiker werden. ZEIT ONLINE begleitet ihn dabei.
“Menschen, die abnehmen und mehr Sport treiben wollen, müssen ihre Alltagsaktivität erhöhen”, hatte Professor Helmut Lötzerich vom Institut für Natursport und Ökologie der Sporthochschule in Köln im Herbst gesagt. Damit meint er, dass Sportanfänger ihre Gewohnheiten ändern müssen: Mit dem Rad zum Einkaufen fahren. Oder eine Haltestelle vor dem Ziel aus Bus oder Bahn aussteigen und den Rest des Weges zu Fuß gehen.
Vorschläge, die nicht in Krämers Alltag passten. Doch seit er aus Amerika zurück ist, entdeckt er andere Gelegenheiten, sich täglich zu bewegen: das stramme Gehen. Das hat er in Amerika für sich entdeckt. Und das kann man fast überall.
Dabei sah der eigentliche Plan anders aus. Krämer wollte in South Carolina Radfahren – drei Mal pro Woche inklusive Sprints. Er wollte im Fitnessstudio seines Hotels trainieren oder in einem Studio in der Nähe. Aber das Studio im Hotel war eine Enttäuschung. Es hatte nur einen Crosstrainer und das nächst größere Sportstudio war zu weit entfernt. Also Laufen statt Radfahren.
Marc Wonneberger mailte ihm einen alternativen Trainingsplan. Der Leiter des Staps-Instituts für Leistungsdiagnostik in Köln betreut ihn. Krämers Problem ist für den Wissenschaftler der Alltag. Viele seiner Kunden sind beruflich weltweit unterwegs. Aber selbst im Alltag werfen kranke Kinder, schlaflose Nächte, Streit mit dem Partner oder Stress im Job Trainingspläne kurzerhand über den Haufen. „In diesen Momenten sollte der Sportler seinen Coach oder Betreuer immer umgehend informieren“, rät Wonneberger. Im Gespräch kann man dann Alternativen entwickeln und den Trainingsplan anpassen.
Gerade bei Geschäftsreisen ist das häufig notwendig. Um Sporteinheiten mit dem Auslandsaufenthalt bestmöglich zu verbinden, lohnt es sich nach Erfahrung des Leistungsdiagnostikers, bereits vor der Reise möglichst viele Faktoren zu klären. Beispielsweise ob das Hotel ein Fitnessstudio hat und wie es ausgestattet ist.
Hilfreich sei es auch, wenn der Betreuer die Arbeitszeiten oder die Termine von Meetings und Geschäftsessen kennt. Dann kann er abschätzen, welches Zeitbudget der Sportler zur Verfügung hat und wann welche Sporteinlage sinnvoll ist.
Alternative: Sightjogging
Funktioniert das alles in der Praxis nicht, ist es laut Wonneberger am einfachsten, wenn der Sportler über Gpsies empfohlene Walk-, Lauf- oder Fahradrouten nutzt. In vielen größeren Städten geht es noch komfortabler: über sightjogging geführte Sporttouren buchen. Das geht sowohl individuell als auch als Gruppentour. Die Guides begleiten die Touristen im gewünschten Tempo und stoppen auf Wunsch an den Sehenswürdigkeiten. Sightjogging gibt es mittlerweile in vielen Städten Deutschlands und Europas.
Phaty hat sich in Amerika seine ganz eigene Sightjogging-Tour gebucht: den Cooper River Bridge Run, einen zehn Kilometer langen Wettlauf von Charleston nach St. Pleasont, der über die vier Kilometer lange Arthur Ravenel Jr. Bridge verläuft.
Am 5. April war es soweit. In seinen neuen neongrünen Superman-Socken traf er sich morgens um 5:30 Uhr mit seinem Kollegen im Hotel und fuhr auf der Ladefläche eines Pickups zum Start. Zu zweit wollten sie in der Gruppe der Walker und Mütter mit Kinderwagen starten. Zehn Kilometer lagen vor ihnen. Möglichkeiten abzubrechen gab es nicht. Wer loslief, musste einmal über die Brücke rüber oder sich vom Besenwagen einsammeln lassen.
40.000 Menschen sind an diesem Tag gestartet. „Als wir losgingen, waren die ersten schon eine halbe Stunde im Ziel“, sagt Krämer. Er ist nicht gelaufen, sondern stramm gegangen. „Schlussendlich sind wir spazierengegangen“, sagt er.
Gegen Ende des Laufs waren seine Füße eingeschlafen und schmerzten: Die neuen Superman-Socken rieben. Ein Anfängerfehler. Neue Socken, Schuhe oder auch Hosen sollte man nie bei so einem Event tragen. Aber Phaty hat durchgehalten und sein persönliches Ziel erreicht: unter zwei Stunden zu bleiben – er kam nach 1 Stunde und 57 Minuten ins Ziel.
„Als ich da so drin war, hatte ich die Idee, dass es richtig Spaß machen könnte, die zehn Kilometer zu laufen“, sagt er. Im Gegensatz zu seinen Anfängen als Radfahrer ging das Laufen auch richtig gut. Obwohl sich die Stecke mit Hin- und Rückweg auf etwa 16 Kilometer ausdehnte, schmerzten seine Wadenmuskeln erst auf dem letzten Kilometer empfindlich. Selbst am Folgetag fühlte er sich gut und hatte noch nicht mal einen Muskelkater.
Seit diesem Tag gefällt ihm das stramme Gehen, die Vorstufe zum Laufen. Im kommenden Jahr will er sich wieder zum Bridge Run anmelden. Dann will er ihn aber laufen. Das stramme Gehen trainiert er zurzeit bei jeder Gelegenheit: wenn er in der Stadt unterwegs ist oder die Treppe auf Zehenspitzen hochsteigt. Dass er immer noch verhältnismäßig langsam unterwegs ist, juckt ihn nicht. Sein Leitspruch dazu lautet: „Egal wie langsam du bist, du überholst immer den auf dem Sofa.“
Teil 2: Schöne Sportbekleidung für Dicke? Fehlanzeige