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Kulturelles Gewissen

Berlins Kulturbetrieb ist im Japan-Benefiz-Fieber.

Junge Kunst und günstige Editionen – die Kunstauktion Fujiyama in Rot* versteigert am Freitag von Künstlern, Privatpersonen und Institutionen gespendete Kunstwerke. Die Einnahmen kommen betroffenen Kindern und Jugendlichen zugute. Das Ganze wirkt zwar etwas desorganisiert, dafür sind ein paar interessante Arbeiten im Katalog.

18.30 Uhr | 15. April 2011 | Humboldt-Viadrina School of Governance | Wilhelmstrasse 67 | Berlin Mitte

Große Namen und gute Bücher – am Deutschen Theater lesen diesen Sonntag Maren Eggert, Corinna Harfouch, Nina Hoss und Helmut Mooshammer aus den Übersetzungen japanischer Romane. Alle Einnahmen aus der Matinee Lesen für Japan gehen an das Aktionsbündnis Deutschland Hilft.

11 Uhr | 17. April 2011 | Deutsches Theater | Schumannstraße 13a | Berlin Mitte

(*Der Film Fujiyama in Rot (1990) von Akira Kurosawa handelt laut den Veranstaltern von einem durch Radioaktivität zerstörten Japan. Geschmackvoll.)

 

Im Herzen allen Übels

Die Kompanie Gira Dança tanzt im Alexa für eine bessere Gesellschaft.

Freiwillig das Alexa betreten? Ausnahmsweise lohnt es sich. Denn die Kompanie Gira Dança macht die Passanten zu Protagonisten ihrer Choreografie. Das Stück A Cura beschäftigt sich mit der Rolle des Einzelnen in einer voreingenommen, hektischen, egoistischen und konsumgeilen Gesellschaft. Es fragt, wie sich die vom Menschen gemachten Probleme heilen lassen. Die Kompanie hat A Cura in gerade mal vier Monaten entwickelt, Recherche und Dialoge inklusive. Es gehört, genau wie die heutige Intervention, zum Programm des Festivals move Berlim.

Die im Alexa stattfindende Performance A Cura – Intervention im Stadtraum basiert auf der Choreografie der Bühnenversion – nur dass die Tänzer im Alexa den räumlichen Kontext aufgreifen und auf das vorbei laufende Publikum reagieren. Die Passanten greifen dadurch aktiv in das Stück ein, bestimmen Bewegungen und Motive.

Fragt sich nur, ob die Intervention eine heilsame Erfahrung für die Berliner Konsumenten wird oder doch eher ein traumatisches Erlebnis für die Tänzer aus Brasilien…

16 Uhr | 14. April 2011 | Erdgeschoss des ALEXA | Eingang Dircksenstraße/Voltairestraße | Berlin Mitte

 

Gysi macht durch

Gregor Gysi und die Comedian Violists wagen sich an Wagner.

Die aktuelle Ausgabe der Veranstaltungsreihe Schlaflos in Charlottenburg bestreiten heute Gregor Gysi und die Staatsstreicher mit In Sachen Wagner. Sie unterziehen den überpräsenten Wagner einer Neubewertung: Zum einen prüft der Diplom-Jurist Gysi den Ring des Nibelungen nach deutschem Strafrecht. Zum anderen spielt das Bratschenquartett unerhörte Versionen der Wagner-Opern. Speziell…

22.30 Uhr | 14. April 2011 | Staatsoper im Schillertheater | Bismarckstr. 110 | Berlin Charlottenburg

 

Anti-Fernweh-Ausstellung in den Kunst-Werken

Eva-Maria Wilde kuratiert die fünfte Vorderhaus-Schau der Ausstellungsserie KW69.

Für die Ausstellung Nach Abschluss der Reise hat die Künstlerin Eva-Maria Wilde Arbeiten zusammengestellt von zehn jungen Kolleginnen, darunter auch Haegue Yang und Corinne Wasmuht. Alle Skulpturen, Collagen, Siebdrucke und Malereien entstanden in deren Ateliers in Berlin und Leipzig als Reaktion auf jüngst unternommene Entdeckungsreisen. Ihnen stellt Wilde die gezeichneten Fantasiereisen von Romane Holderried Kaesdorf gegenüber.

Um 18 Uhr, also vor der offiziellen Eröffnung, hält die Künstler-Kuratorin übrigens den Vortrag Usbekistan. (Anmeldungen nehmen die KW entgegen unter: bw@kw-berlin.de.)

19 Uhr | 13. April 2011 | KW Institute for Contemporary Art | Auguststraße 69 | Berlin Mitte

 

Trauriger Alltag

Harun Farocki, Leben - BRD, 1990 © Harun Farocki Filmproduktion

Die Galerie VeneKlasen Werner präsentiert Dokumentaressays von Harun Farocki.

Derzeit zeigt VeneKlasen Werner jeweils Dienstags und Mittwochs Filme von Harun Farocki. Der Filmemacher und Künstler hat jüngst mit Antje Ehmann die Ausstellung Serious Games in Darmstadt kuratiert. Denn mit Medien und brisanten Inhalten kennt sich Farocki bestens aus. Seit über vierzig Jahren untersucht er gesellschaftspolitische Themen aus ziemlich eigenwilligen Perspektiven.

Eigens für die Galerie hat Farocki ein Programm aus seinem komplexen filmischen Oeuvre zusammengestellt. Diese Woche gibt’s drei Dokumentaressays aus den Neunzigern. Sie untersuchen die Dramaturgie des Alltags und hinterfragen Strategien der Inszenierung. (Der heutige Beitrag wird auf 16 mm gezeigt.)

In Spielfilmlänge reiht Leben – BRD (1990) Ausschnitte aus Schulungen, Vorbereitungskursen, Tauglichkeitstest und Rollenspielen aneinander. Die insgesamt 32 Szenen zeigen Verkäufer, zukünftige Eltern, Ordnungshüter etc. bei ihren Vorbereitungen auf den Ernstfall „Wirklichkeit“. In assoziativ aneinandergereihten Aufnahmen inszeniert Farocki die BRD als eine Nation, deren Bürger nichts dem Zufall überlassen.

Morgen laufen die Videos Der Auftritt (1996) und Wort und Spiele (1998). Darin blickt Farocki jeweils hinter die Kulissen der Werbebranche und zeigt den traurigen Produktionsalltag der damals neuen Daily Talk- und Quizshow-Industrie. Farocki muss nichts kommentieren, seine Einstellungen sprechen eine deutliche Sprache.

18.30 Uhr | 12. & 13. April 2011 | VeneKlasen Werner | Rudi-Dutschke-Straße 26

 

Von wegen Umnutzung und so

Neuland © Arno Declair

Die Produktion Neuland begibt sich auf Spurensuche im Berliner Stadtraum.

Der Regisseur Frank Abt entführt das Publikum mit seiner „theatralen Forschungsreise“ in die ehemaligen Werkstätten des Deutschen Theaters. Wie so vieles in Berlin stehen die derzeit nämlich leer.

Neuland handelt vom Stellenwert der Erinnerungen, die zu all den Brachen und Leerständen der Stadt gehören. Abt hat dafür mit verschiedenen Leuten gesprochen, deren Lebensgeschichte mit den Orten verquickt ist. Er wollte erfahren, wie und ob man Erinnerungen bewahren kann. Oder ob man besser gleich neue Räume erschließen, sprich: Neuland betreten soll.

Weil die Umnutzungsdiskussion in Berlin immer zieht und die Location wirklich sehenswert ist, bleiben Interessierten nur zwei Optionen: Der Kampf um Restkarten an der Abendkasse oder ein vorausschauender Kauf für die nächsten Termine.

20.30 Uhr | 09. & 10. April 2011 | Ehemalige Theaterwerkstätten Chausseestraße  | Eingang Zinnowitzer Straße | Berlin Mitte

 

Der Körper als Schauplatz sozialer Ungerechtigkeit

Rotulo © Renata Marques

Das Festival Move Berlim präsentiert neuen brasilianischen Tanz.

Die eingeladenen Choreographen und Tänzer kommen aus den unterschiedlichsten Regionen Brasiliens. Zehn Tage zeigen sie am HAU neue Produktionen – und machen den Körper wahlweise zum Schauplatz sozialer Ungerechtigkeit oder zur Projektionsfläche für Schönheitsideale.

Die Kuratoren Wagner Carvalho und Björn Dirk Schlüter haben sich für  harte Themen entschieden. Die Stücke handeln von Armut und Bürgerkrieg, Sexualität und Behinderung. Nicht um der Sensation willen, sondern weil diese Direktheit den brasilianischen Tanz auszeichnet, erklären die Kuratoren. Aber darüber lässt sich bestimmt noch einmal bei einer der Podiumsdiskussionen streiten, die nach den Auftritten stattfinden. Ansonsten bleiben diverse Workshops und Performances, die andere Facetten der zeitgenössischen Tanzszene betrachten. Hier das Programm.

Erst einmal eröffnet der Choreograf Marcelo Evelin das Festival mit seinem Stück Mataduro (Schlachthof). Es basiert auf dem Roman Krieg im Sertao (1902) von Euclides da Cunha über den blutigen Kampf zwischen der herrschenden Klasse und ehemals versklavten Schwarzen im ausgehenden 19. Jahrhundert. Die Tänzer verkörpern das gewaltsame Kräftemessen zwischen Unterdrückern und Unterdrückten. Nackt.

Einen weniger rabiaten Einstieg bietet am Wochenende die Doppelperformance von Paula Carneira Dias und Charlene Sadd: In Para o Herói: Experimentos sem Nenhum Caráter – Corpo sobre Papel (Für den Helden: Experimente ohne jeglichen Charakter – Körper auf Papier) absorbiert die Performerin die Charaktere des Textes, über den ihr Körper gleitet. Dabei handelt es sich um den Roman Macunaíma (1928) mit dem Mário de Andrade gegen die Kolonialära anschrieb.

Und in der Performance Rotulo – As Impressoes do Corpo ( Etikett – die Eindrücke des Körpers) setzt sich Sadd mit dem Körper als Ware auf dem Markt des sozialen Zusammenlebens auseinander, dem Wert des Erscheinungsbildes sowie den Mechanismen der Vermarktung. Dabei stehen die ästhetischen Anforderungen an den weiblichen Körper im Vordergrund.

18 Uhr | 09. & 10. April 2011 | HAU 3 | Tempelhofer Ufer 10 | Berlin Kreuzberg

 

Tschüss und Hallo in der Deutschen Oper

© Julia Winter

Mit der Performance Kosmoschaoskosmos erobert die Deutsche Oper profanen Raum und nimmt Abschied vom kulturellen Harms-Erbe.

Mit Kosmoschaoskosmos endet die Kosmos-Veranstaltungsreihe, bei der Sänger, Musiker und Mitarbeiter im Haus experimentelle Opern-Halbwelten gestaltetet haben. Das Team um den Bühnenbildner Bernd Damovsky tobt sich nun ein letztes Mal in der ehemaligen Tischlerei aus. In einer Art Langzeitbelichtung inszeniert es die Werkstatt als Zwischenraum, in dem Charaktere, Bilder und Musik vergangener Aufführungen herumgeistern. Zu sehen gibt es Kulissen, Requisiten und musikalische Zitate aller szenischen Premieren unter der scheidenden Intendantin Kirsten Harms.

Die Performance symbolisiert sowohl Abschied und Austreibung als auch Neuanfang, heißt es in der Ankündigung. Während die Tischlerwerkstatt ab sofort als Theaterraum dient, kommt Neu-Intendant Dietmar Schwarz erst 2012.

Egal, klingt jedenfalls nach einer spannenden Austreibung!

21 Uhr | 08. April 2011 | Tischlerei der Deutschen Oper Berlin | Bismarckstraße 35 | Berlin Charlottenburg

 

Drei Generationen Schrecken

Über Leben © Arno Declair

Am DT feiert die Triologie Über Leben von Judith Herzberg Premiere.

Der Regisseur Stephan Kimmig inszeniert Herzbergs dreiteiliges Epos um eine großbürgerliche jüdische Familie.

Über Leben erzählt von denjenigen, die die Konzentrationslager und den Krieg überlebt haben, aber genauso von ihren Kindern und Enkeln. Obwohl jeder ein mehr oder weniger erfülltes Leben führt, überschatten die Erinnerung an den Holocaust den normalen Familienwahnsinn mit seinen Lieben, Intrigen, Todesfällen und Geburten. Ein latentes Trauma begleitet die Großfamilie durch den Alltag, oder eher: ein Unglück im Glück.

Über Leben begleitet die Familienmitglieder ausschnitthaft durch ein Vierteljahrhundert, in dem sie sich finden und trennen, gemeinsam feiern und trauern. Kimmig interessieren daran vor allem die Leerstellen. »Dauernd geht es darum, wer nicht da ist, wer noch kommt, wer fehlt …« erklärt der Regisseur im Interview. Klingt nach einer spannenden Inszenierung.

19 Uhr | 08. & 09. April 2011 | Deutsches Theater | Schumannstraße 13a | Berlin Mitte

 

Auf zum Characterwalk!

Seit 2004 zieht das Festival Pictoplasma jährlich Künstler und Illustratoren nach Berlin, die sogenannte ”Characters“ erschaffen.

Drei Tage lang präsentieren die Konferenzteilnehmer einander ihre neusten Kreationen, diskutieren und feiern gemeinsam. Auf dem Programm stehen neben Fachvorträgen und Screenings diverse Parties und Konzerte, die – Achtung – die dramaturgischen, musikalischen und räumlichen Dimensionen der zeitgenössischen Character-Kultur ausloten. Achja, Character-Kunst gibt’s natürlich auch. Ein Characterwalk verbindet die 25 ausstellenden Galerien und Kunsträume in Mitte.

Am Samstag findet an der Volksbühne eine wilde Abschlussveranstaltung statt mit Animationen des japanischen Grafik-Künstlers Motomichi Nakamura, einem Piano-Konzert von Maximilian Hecker, einer Performance des amerikanischen Elektro-Entertainers Dan Deacon und mit Yeti’s als Hosts. Denn der Abend unter dem Motto The Missing Link enthüllt ENDLICH die yeti’sche Vergangenheit, die Sehnsüchte der scheuen Wesen – und vor allem, wie es sich mit ihnen feiert.

20 Uhr | 09. April 2011 | Volksbühne | Linienstraße 227 | Berlin Mitte