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Familiendrama im Westen

© Jim Rakete

Das Renaissance Theater spielt Eugene O’Neill’s Drama Eines langen Tages Reise in die Nacht.

Eines langen Tages Reise in die Nacht (1940) ist ein Familien- und Gesellschaftsporträt. Eugene O’Neill legt darin den Verfall einer Schauspielerfamilie offen. In Lebenslügen verstrickt und einander in Hassliebe verbunden, richten Eltern wie Kinder einander zugrunde und flüchten sich in Alkohol und Morphium.

O’Neill verarbeitet darin seine eigene, bittere Familiengeschichte in einem nach Erfolg und sozialem Prestige strebenden Umfeld. Der Literaturnobelpreisträger verfügte daher, dass das Stück erst nach seinem Tode uraufgeführt würde. Er bekam dafür den Pulitzer-Preis – posthum.

Für Begeisterung hat die Koproduktion mit dem St. Pauli-Theater und den Ruhrfestspielen Recklinghausen in Hamburg nicht gerade gesorgt. Aber welch Überraschung, Ben Becker überzeugt in der Rolle des zynischen Trinkers.

20 Uhr | 3.-12. Februar 2011 | Renaissance Theater | Knesebeckstraße 100 | Berlin Charlottenburg

 

Happy End an der Staatsoper

Staatsoper Berlin, Antigona © Clärchen und Matthias Baus

Die Antigona von Tommaso Traetta feiert Premiere.

Der italienische Komponist Tommaso Traetta wird zu den Reformern der Oper gezählt – an der Schnittstelle zwischen Barock und Klassik. Seine Antigona (1772) greift den Geist der antiken Tragödie auf und bettet sie in eine für damalige Verhältnisse progressive Ästhetik ein.

Vor allem die Vielfalt musikalischer Formen sowie die dramatische Stringenz zeichnen diese Oper aus. Wie in der griechischen Tragödie kommentiert und trägt ein Chor die Handlung. In Zentrum des Dramas steht Antigone, die Traetta als erstaunlich komplexe Figur entwirft. Zudem klingt sowohl in der Komposition als auch in dem Libretto von Marco Coltellini viel aufklärerisches Gedankengut durch; in Antigona siegen Selbstbestimmung und Vernunft über traditionelle Vorstellungen.

Die Geschichte: die Söhne von Ödipus haben sich im Kampf um die Herrschaft von Theben getötet. Sein Bruder Kreon besteigt den Thron und verfügt, dass nur Eteokleos ein Staatsbegräbnis erhält. Indem Ödipus‘ Tochter Antigone auch Polyneikes die letzte Ehre erweist, erwirkt sie für sich die Todesstrafe. Doch als sich Kreons Sohn Haimon aus Trauer darüber vermeintlich das Leben nimmt, besinnt sich der König – im Gegensatz zu Sophokles‘ Vorgabe. Er erkennt, dass nicht der Zorn der Götter, sondern seine Strenge das Unheil verursacht hat.

Auf die Premiere darf man sich wirklich freuen: Rene Jacobs dirigiert, Vera Nemirova inszeniert und der Countertenor Bejun Mehta singt Emone.

18.30 Uhr | 30. Januar 2011 | Staatsoper im Schiller Theater | Bismarckstraße 110 | Berlin Charlottenburg

 

Götterdämmerung an der Deutschen Oper

© Barbara Aumüller im Auftrag der Deutschen Oper Berlin

Die Intendantin Kirsten Harms verabschiedet sich mit Die Liebe der Danae (1944) von Richard Strauss.

Der Komponist Richard Strauss und der Librettist Joseph Gregor haben die Oper Die Liebe der Danae aus einem Entwurf von Hugo von Hofmannsthal entwickelt. Darum geht’s: Um sein runtergewirtschaftetes Reich zu sanieren, will König Polux seine Tochter mit König Midas vermählen. Allerdings hat auch Jupiter ein Auge auf die Prinzessin geworfen. Er verflucht Midas und wirbt um Danae. Als diese ihn abweist, entsagt der alternde Gott den irdischen Frauen. Er muss erkennen, dass die Tage seiner Macht gezählt sind.

Die Liebe der Danae ist Strauss vorletzte Oper. Er hat die „heitere Mythologie“ vor dem gar nicht so heiteren Hintergrund des Zweiten Weltkrieges komponiert – wissend, dass seine großen Zeiten vorüber waren. Und auch Kirsten Harms feiert zum letzten Mal Premiere – im Sommer verlässt sie die Deutsche Oper.

18 Uhr | 23. Januar 2011 | Deutsche Oper | Bismarckstraße 35 | Berlin Charlottenburg

 

Ein musikalisch-archäologisches Experiment

In der tanzBar der Schaubühne vertont der israelische Folkmusiker Geva Alon eine willkürliche Grabung.

Der Abend klingt mal wirklich nach interessanten Aussichten: Der aus Tel Aviv stammende Alon spielt nicht nur eigenwillige Songs, sondern auch den Live-Soundtrack zum ebenso eigenwilligen Digging Project von Yiftach Belsky. Der israelische Fotograf hat festgehalten, was während zehn Stunden Grabung in Israel so passiert.

21 Uhr | 19. Januar 2011 | Schaubühne | Kurfürstendamm 153 | Berlin Charlottenburg

 

Et qu’est-ce qui se passe à Paris?

Kaz Oshiro, Untitled Still Life Painting (cadmium yellow/brown packaging tape), 2010 Courtesy Galerie Frank Elbaz

Am Wochenende gibt’s zur Abwechslung mal Kunst aus der französischen Hauptstadt.

Der Galerieaustausch Berlin-Paris findet zum dritten Mal statt und der Kreis der teilnehmenden Galerien ist erneut gewachsen. Auch Ben Kaufmann, Barbara Thumm, Klemm’s, PSM und Florent Tosin haben sich diesmal Pendants in Paris gesucht. Die Galerien präsentieren sich jeweils in den Räumen ihres Partners. Dieses Wochenende sind erstmal die Franzosen zu Gast in Berlin und folgende Konstellationen hören sich besonders spannend an:

Bei Ben Kaufmann zieht die New Galerie ein und mit ihr die charmante Einzelausstellung the places we’ve been von Bertrand Planes. Wentrup hat sich die Galerie Frank Elbaz mit einem interessanten Künstlerprogramm ausgesucht. Sommer & Kohl holt sich den Kunstraum The Institute of Social Hypocrisy ins Haus. Der kommt mit seiner neusten Publikation The Sound of Downloading Makes Me Want to Upload und der Einzelausstellung This Spectacle von Victor Boullet.

Außerdem präsentiert die Galerie TORRI bei carlier | gebauer ihre Künstler Braco Dimitrijevic sowie Florian Pugnaire und David Raffini. Und Barbara Thumm hat sich In situ – Fabienne Leclerc herausgepickt. Die Pariser zeigen Arbeiten von Gary Hill und Patrick Tosani.

Während es bei Johann König mit der Fotostrecke Paradies nackte Tatsachen von Juergen Teller gibt, geht es bei Isabella Bortolozzi und Mehdi Chouakri eher gediegen zu: Bortolozzi heißt Natalie Seroussi willkommen, mit Arbeiten von Kurt Schwitters und Hans Arp. Medhi Chouakri macht mit 1900-2000 gemeinsame Sache bzw. eine Gruppenausstellung. Au pied du mur zeigt Bilder u.a. von Natalia Gontscharowa oder Francis Picabia auf Wandmalereien von John M Armleder, Sylvie Fleury, Mathieu Mercier und Gerwald Rockenschaub – um nur ein paar Optionen für heute Abend anzureißen…

Die komplette Übersicht gibt es auf der Internetseite von Berlin-Paris.

16-21 Uhr | 14. Januar 2011 | siehe Download der Karte

 

Frisches Theaterblut

© Claudia Charlotte Burchard

Die Schaubühne wird zum Nachtasyl.

Sie stehen am Anfang, und spielen doch schon diejenigen, die ganz unten sind: Die Schauspielstudenten von der Ernst Busch Schule kämpfen unter der Regie von Peter Kleinert im Nachtasyl (1902) von Maxim Gorki.

In Gorkis Szenen aus der Tiefe kämpfen Gescheiterte, Verbrecher, Prostituierte und Trinker um ihre Existenz. Sie hausen in einem räudigen Kellerraum und zwar nach ihren eigenen Regeln. Als der Pilger Luka auftaucht, bringt er den Mikrokosmos aus Betrug und Gewalt aus dem Gleichgewicht. Denn seine gut gemeinten Ratschläge reißen die abgestumpfte Gemeinschaft aus ihrer Resignation. Die Folgen sind Mord und Suizid.

Schon fast ein Jahrhundert ist es her, dass Gorki sein Unterschichtsdrama über den Bodensatz der Gesellschaft schrieb. Aber die Herausforderung, eine Welt zu fassen, die nicht nach bürgerlichen Normen funktioniert, ist deswegen nicht weniger aktuell. Und an der Schaubühne wird das bestimmt ein ziemlich derbes Unterfangen.

19.30 Uhr | 15. Januar 2011 | Schaubühne |Kurfürstendamm 153 | Berlin Charlottenburg

 

Durch ins Theater

Die Schaubühne startet mit einer Nachmittagsvorstellung von Fräulein Julie ins neue Jahr.

Am besten schläft man gar nicht erst über Neujahrsvorsätze, sondern setzt sie gleich in die Tat um. Für alle, die 2011 ihren Fokus auf Kultur statt Party legen wollen, zeigt die Schaubühne bereits um 15 Uhr Fräulein Julie in der Fassung von Katie Mitchell und Leo Warner – und das heißt: als einen theatralischen Live-Film sehr frei nach August Strindberg.

Aus der Perspektive der Köchin erzählt das Stück die tragische Begegnung von Julie und Jean. Die selbst bestimmte adelige Julie schläft mit ihrem Bediensteten Jean. Der wiederum demütigt und manipuliert sie anschließend. Kaltblütig will er sie in den Selbstmord treiben. Denn Jean träumt nicht nur vom sozialen Aufstieg, er ist auch mit der frommen Kristin verlobt, besagter Köchin des gräflichen Anwesens.

Schaut man in die Nachtkritik, scheiden sich die Feuilletons an der Inszenierung: Was etwa der Süddeutschen Zeitung eine gelungene „theatralische Installation“ ist,  watscht die Frankfurter Rundschau als unangemessen melancholisch ab. Auf jeden Fall ist Fräulein Julie ein medialer Grenzgang – und somit ein guter Neujahrskompromiss zum Kater-Fernsehnachmittag.

Und für diejenigen, die auf ihren Schlaf nicht verzichten wollen, bleibt immer noch die Abendvorstellung.

15 Uhr | o1. Januar 2010 | Schaubühne | Kurfürstendamm 153 | Berlin Charlottenburg

 

Kitsch mit Szenenapplaus

Das Staatsballet tanzt den Weihnachtsklassiker.

Klassisches Ballett zu Tschaikowsky ist das Kitschigste, was ich mir vorstellen kann. Und gerade deswegen ist es jedes Jahr ein Ding der Unmöglichkeit Karten für den Nussknacker in der Version von Patrice Beart zu bekommen – zumindest in der Vorweihnachtszeit.

19.30 & 19 Uhr | 21. & 26. Dezember 2010 | Deutsche Oper | Bismarckstraße 35 | Berlin Charlottenburg

 

Kunstmatinee mit Christian Boltanski

Harte Kost zum Frühstück: Christian Boltanski und Armin Zweite erteilen eine Berliner Lektion.

Die Matinee Installierte Erinnerungen ist die zweite von sechs Berliner Lektionen zum diesjährigen Schwerpunkt Die Kraft der Erinnerung. Die eingeladenen Redner stammen aus verschiedenen Kontexten, von Politik über Psychoanalyse bis hin zur Kunst.

Diesen Sonntag diskutiert Armin Zweite, der Direktor des Museum Brandhorst, mit dem französischen Künstler Christian Boltanski, der Frankreich auf der nächsten Venedig Biennale vertritt. Denn Boltanski setzt sich wie kaum ein anderer Künstler mit dem Erinnern auseinander. Die eigene Familiengeschichte, der Vater entkommt nur knapp der Deportation, prägt sein Werk. Es kreist um den Tod und das Erinnern an die Verschwundenen.

Zweite und Boltanski sprechen über Boltanski’s Erinnerungslandschaften, wie sie der Künstler zuletzt mit Personnes im Pariser Grand Palais ausstelle. In der eiskalten Halle hatte Boltanski Unmengen von Altkleidern zu einer Szenerie des Todes arrangiert, aus Lautsprechern dröhnte der Herzschlag hunderter Menschen.

Das Gespräch wird auch per Livestream übertragen.

11.30 Uhr | 12. Dezember 2010 | Renaissance-Theater | Hardenbergstraße 6 | Berlin Charlottenburg

 

Runnicles lässt Trojaner auf Berlin los

Andre Rival im Auftrag der Deutschen Oper Berlin Saison 2010/11, Wolfgang Joop als Énée

Die fünfstündige Doppeloper Die Trojaner von Hector Berlioz feiert Premiere an der Deutschen Oper.

Die Premiere verspricht gleich doppelt Spannung: Es ist die Erste von Donald Runnicles an der Deutschen Oper. Und dass der Generalmusikdirektor die Herausforderung für sich und die Deutsche Oper sucht, beweist seine Wahl: Die Trojaner ist ein Mammutstück. Der französische Komponist Hector Berlioz hat von 1856 bis 1858 an der Doppeloper in fünf Akten gearbeitet. Er wollte das Neue an Vergils antikem Stoff herausarbeiten, die Operntradition achten und doch weiter entwickeln. Die Trojaner gliedert sich in zwei Teile, den Untergang Trojas und Die Trojaner in Karthago:

Entgegen Kassandra’s Warnung öffnen die Trojaner ihre Tore für das vermeintliche Geschenk der Götter. Sie wähnen zehn Jahre griechischer Belagerung überstanden. Die List der Griechen geht auf, sie brennen Troja nieder. Nur wenige Trojaner überleben. Während sich die Frauen töten, flieht Aeneas mit den Männern. Sie sollen ein neues Reich gründen: das zukünftige römische Reich. Auf ihrer Reise landen die Männer in Karthago. Dort helfen sie den Karthagern den Angriff von König Iarbas abzuwehren. Aeneas und Königin Dido verlieben sich. Doch Aeneas folgt seiner Bestimmung, verlässt Karthago und seine Königin. Dido nimmt sich das Leben. In einer Vision sieht sie das von den Nachfahren Aeneas‘ zerstörte Karthago.

Er sei „regiemäßig zu allen Schandtaten bereit“, verspricht Runnicles der Süddeutschen Zeitung (277). Tatsächlich gibt es noch wenige Karten für alle, die diese Schandtaten am eigenen Leib erleben wollen – fünf Stunden lang.

16 Uhr | 5. Dezember 2010 | Deutsche Oper | Bismarckstraße 35 | Berlin Charlottenburg