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Warum wir #D18 starten

 

 

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Vor einem Jahr zogen wir aus, um Deutschland zu suchen. Was wir fanden, lässt uns bis heute nicht mehr los, wie auch viele unserer Leserinnen und Leser. Deshalb suchen wir nun weiter.

Heute startet #D18. In unserem neuen Sonderressort wollen wir herausfinden, was genau diese Heimat ist, von der alle reden, seit sie ein eigenes Ministerium bekommen soll. Wir wollen das Leben in den kleinen Orten beschreiben, in denen die meisten Deutschen wohnen. Und wir wollen Menschen mit völlig unterschiedlichen politischen Ansichten wieder miteinander ins Gespräch bringen – mit etwas Glück sogar weltweit.

Was bisher geschah

Vor der Bundestagswahl hatten wir schon einmal ein Pop-up-Ressort mit dem Namen #D17 eingerichtet. Mit ihm versuchten wir – so die zugegebenermaßen etwas vergeistigte Idee – „Deutschland noch einmal ganz neu zu ergründen“. Wir wollten sichergehen, dass uns das Gefühl für unser Land nicht abhanden gekommen war, wie manchen unserer Kollegen in Großbritannien und den USA im Zuge von Brexit und Trump.

Der Rest ist ZEIT-ONLINE-Geschichte: Die meisten vergeistigten #D17-Ideen funktionierten besser als erwartet. Als Heimatreporter fuhren Redakteurinnen und Redakteure von ZEIT und ZEIT ONLINE etwa dahin, wo sie aufgewachsen waren, um emphatischen Lokaljournalismus zu machen. Auch in der Serie Überland berichtete ein Team von Regionalreportern für uns aus den ländlichen Gebieten. Die Geschichten, die dabei entstanden, gehörten zu unserer eigenen Überraschung zu den meistgelesenen des Jahres: Ein zerstrittener Fußballverein in einem 1.000-Einwohner-Ort in Hessen oder der Sachse Daniel, der keine Frau findet, interessierten unsere Leser mehr als Donald Trump.

Die beiden Verantwortlichen von #D17, die nun auch #D18 betreuen, Christian Bangel und Philip Faigle, wurden bei der Preisverleihung „Journalisten des Jahres“ stellvertretend für alle #D17-Mitwirkenden als „Team des Jahres“ ausgezeichnet, auf Platz 2 nach dem Rechercheteam der Paradise Papers. Auch mit der umfassenden Datenrecherche Stadt, Land, Vorurteil spürten wir den Unterschieden zwischen urbaner und ländlicher Lebenseinstellung nach. Sie erreichte viele Hunderttausend Leser und erhielt den wichtigsten deutschen Journalistenpreis, den Reporterpreis. Schließlich verfielen wir auf die Idee, mit der Aktion Deutschland spricht die Filterblase anzupiksen und überall im Land Nachbarn mit unterschiedlichen politischen Ansichten in persönliche Zwiegespräche zu verwickeln. Nicht etwa 120, sondern 12.000 Menschen wollten dabei mitmachen.

#D18: Deutschland noch einmal ganz von vorne verstehen

 

Jetzt, da Deutschland endlich eine Regierung hat, beginnen wir also mit #D18. Viele Projekte des vergangenen Wahljahres werden in dem neuen Pop-up-Ressort nicht nur fortgesetzt, sondern ausgebaut. Auch bei #D18 wird es darum gehen, Deutschland Deutschland zu erklären. Im ersten Jahr einer großen Koalition, die nur unter großen Qualen ins Leben fand, wollen wir unser Land noch besser verstehen. Die Sache mit der Heimat etwa.

 

Heimatmysterium – eine neue #D18-Serie

Karl-Heinz Welters Abteilungsleiter Fachbereich Sport, Stadt Aachen

Den meisten Deutschen geht es gut, obwohl eine rechtspopulistische Partei mit zweistelligem Ergebnis in den Bundestag eingezogen ist. Nur Unversöhnlichkeit und Misstrauen nehmen weiter zu. Was tun? Ein Vorschlag lautet: Heimat. Von der CSU bis zu den Grünen wollen alle Parteien die Identifikation mit dem Land, der Stadt, dem eigenen Dorf stärken. Es wird ein Heimatministerium geben.

In unserer Serie Heimatmysterium wollen wir deshalb den Zauber des Konzepts ergründen. Die Arbeitshypothese: Heimat ist nicht nur ein Ort. Es sind heute vor allem unsere praktischen Lebensumstände, die Zugehörigkeit schaffen. Räumliche Nähe spielt in digitalen Zeiten nicht immer die entscheidende Rolle.

Große und kleine Gemeinschaften prägen uns und unser Land, sichtbare und, viel spannender, unsichtbare. Sie bilden die vielen Netzwerke, die Deutschland zusammenhalten. Sie konstituieren unzählige Heimaten. Ob wir etwa ein Sachbearbeiter sind oder eine Selbstständige, alleinerziehend oder Vegetarier, bestimmt uns heute stärker als unser Wohnort.

Viele gesellschaftliche Gruppen sind so groß, dass wir ihnen täglich begegnen, sie aber kaum wahrnehmen. Auch in die journalistische Berichterstattung finden diese Milieus nur selten Eingang. Das wollen wir nun ändern: #D18 startet – ausgerechnet! – mit dem Porträt eines Sachbearbeiters. Unser Literaturredakteur David Hugendick hat ihn in Aachen besucht und einige Tage begleitet. Regelmäßig werden wir in Heimatmysterium nun weitere Heimaten beschreiben: die der Evangelikalen, die der Landfrauen, der Selbstständigen, Globalisten, Alt-68er – und die der Drogendealer.

 

Überland – neun Lokalreporter berichten aus den Regionen

Natürlich bleiben wir den kleinen Orten treu. 70 Prozent der Deutschen wohnen in Gemeinden mit weniger als 100.000, 40 Prozent in solchen mit weniger als 20.000 Einwohnern. Wir setzen die Reihe Überland fort, die auf so große Resonanz gestoßen ist, und bauen sie aus.

Neu im Team der (vielfach) ausgezeichneten Lokalreporter sind Anna Sprockhoff in Lüneburg, Redakteurin bei der dortigen Landeszeitung und zuletzt prämiert mit dem Deutschen Lokaljournalistenpreis; Karsten Krogmann in Oldenburg, der die Reportageredaktion der Nordwest-Zeitung leitet und unlängst den Helmut-Schmidt-Preis gewann; Eva-Maria Manz, die bei der Stuttgarter Zeitung die Seite „Die Brücke zur Welt“ verantwortet; Maximilian Heim in München, der als freier Reporter unter anderem für den Münchner Merkur schreibt und Sophie Rohrmeier während ihrer Elternzeit vertritt. Weiter dabei sind Christian Parth, Gabriel Kords, Benjamin Piel, Doreen Reinhard und Martin Debes.

 

My Country Talks – Deutschland spricht wird global

Im Wahljahr hatte ZEIT ONLINE Deutschland spricht ins Leben gerufen, eine Art Dating-Plattform für politische Gegensätze. Mehr als 12.000 Menschen haben sich angemeldet, um mit einem anderen Menschen zusammengeführt zu werden, der in ihrer Nähe wohnt, politisch aber völlig gegensätzliche Ansichten vertritt. Unser Ziel war es, politische Diskussionen zwischen Menschen möglich zu machen, die sich sonst womöglich nicht begegnet wären.

Auch diese Idee funktionierte: An einem Sonntag im vergangenen Juni trafen sich mehr als tausend Menschen zum politischen Zwiegespräch, Asylgegner und Flüchtlingshelfer, Atomkraftgegner und -befürworter, Euro-Begeisterte und Menschen, die sich die D-Mark zurückwünschen. Sie alle verbrachten einen Nachmittag miteinander, um sich auszutauschen und zu versuchen, die Position des anderen besser zu verstehen. (Hier finden Sie eine englische Zusammenfassung des Projekts.)

Uns erreichten Hunderte Zuschriften, in denen von dem guten Gefühl gegenseitigen Respekts und Verständnisses die Rede war. Auch im Ausland – in Japan, Kanada, Italien, Frankreich, den USA – wurde Deutschland spricht wahrgenommen. Selbst die argentinische Regierung hat uns kontaktiert und arbeitet nun an einer Art „Argentinien spricht“.

Wir haben uns deshalb entschieden, die gemeinnützige, internationale Plattform My Country Talks aufzubauen. Diese soll es Partnern auf der ganzen Welt ermöglichen, eine Aktion wie Deutschland spricht in ihrem Land zu organisieren. Mithilfe von Fördergeldern von Google, die ausschließlich in die technische Entwicklung fließen, bauen wir derzeit ein einfaches System, das nach einer Testphase allen Menschen frei zur Verfügung stehen soll. Unsere Hoffnung ist, dass unsere gute Erfahrung sich auf allen Kontinenten ausbreitet.

Für die Konzeption von My Country Talks haben wir eine Gruppe von derzeit 15 internationalen Partnern gewinnen können, darunter The Globe and Mail (Kanada), Morgenbladet (Norwegen) und La Repubblica (Italien) sowie aus Deutschland ARD aktuell (Tagesschau/Tagesthemen), die Deutsche Presse-Agentur, Der Tagesspiegel, die Thüringer Allgemeine und die Südwest Presse. Auch die City University of New York und die Robert Bosch Stiftung begleiten das Projekt in seiner Entstehungsphase.

Die Plattform mit dem Algorithmus, der die jeweils passenden Paare bildet, wird von der Berliner Agentur diesdas.digital gebaut. ZEIT ONLINE und alle anderen Partner stellen ihre Leistung kostenlos zur Verfügung. Erste Tests von My Country Talks sind noch in diesem Jahr geplant.

Gemeinsam mit vielen weiteren deutschen Partnern wollen wir auch Deutschland spricht wiederholen und hoffen, sehr viele Menschen dafür interessieren zu können. (Sollten Sie Partner werden wollen, schicken Sie uns gerne eine E-Mail an mct@zeit.de.)

 

Wie geht es Ihnen heute? Und warum?

Zum Schluss noch so eine vergeistigte Idee: Seit fast einem Jahr fragen wir Sie mithilfe einer kleinen Box auf unserer Homepage: „Wie geht es Ihnen heute?“ Sie haben nur die Wahl zwischen „gut“ und „schlecht“, und jeden Tag klicken zwischen 5.000 und 30.000 Menschen einen der beiden Knöpfe. Ursprünglich wollten wir damit herausfinden, wie es den Deutschen im turbulenten Wahljahr geht und Umschwünge minutenaktuell registrieren. Die Datenbank der emotionalen Trends, die so entstanden ist, beschäftigt mittlerweile Emotionsforscher und Datenwissenschaftler – und hat uns bereits zu vielen Geschichten inspiriert.

Welche Stimmung überwiegt?

Mit diesen Wörtern haben die LeserInnen ihre Gefühlslage in den vergangenen 24 Stunden am häufigsten beschrieben:

In #D18 verfolgen wir nun ein neues Projekt. Alle Leser, die „gut“ oder „schlecht“ angeben, haben bereits seit Beginn der Umfrage die Möglichkeit, ihre Grundstimmung mit einem einzigen Adjektiv zu qualifizieren. So ging es Leserinnen und Lesern schon „genetflixt“ oder „untersommert“. Neu ist ein Eingabefeld, in dem Sie auch Ihre E-Mail hinterlassen können, damit wir Sie kontaktieren können. Mehr als tausend Leserinnen und Leser haben dies in wenigen Wochen bereits getan und wir bedanken uns sehr für ihr Vertrauen.

Nun sind wir auf Rundreise, um für unser Projekt Und warum? die Menschen mit den spannendsten Stimmungen zu besuchen. Die junge Sozialwissenschaftlerin aus Vechta, die „ausgelaugt“ eingetippt hatte, weil sie nach Dutzenden Bewerbungen immer noch keinen Job gefunden hatte. Den Ägypter, der von Kairo aus ZEIT ONLINE liest und „hoffnungsfroh“ eingab, weil er trotz der schwierigen Situation in seinem Land so empfindet. Den SPD-Mann aus Dortmund, der „aufgewühlt“ in das Eingabefeld tippte, weil er beobachtet, wie in seinem Umfeld immer mehr Menschen AfD wählen. Bald werden Sie diese und andere überraschende Geschichten in Und warum? lesen.

Die erstaunlichste Erkenntnis von Wie geht es Ihnen? allerdings liegt seit dem ersten Tag offen da und fasziniert uns bis heute: Die Stimmung unserer Leser schwankt im Tagesschnitt – fast – nie. Rund 70 Prozent geht es gut, egal was Donald Trump macht, das Wetter oder der FC Bayern.

Aber eben nur fast: Als die AfD in den Bundestag einzog, hatten zum ersten und bisher einzigen Mal 100 Prozent unserer Leser schlechte Laune. Zum Glück nur für wenige Minuten.

24 Kommentare

  1.   Ella ruff

    Ein tolles Projekt, wie auch „ueberland“… Ich mag dabei auch lange Artikel… Der Segen der neuen Medien, ist tatsächlich die Vielfalt, Interaktion und Freiheit fuer neue Wege…
    Haette ich als alleinerziehende und mit immer noch geringen Gehalt im Osten, die paar Euro mehr, wuerde ich sie in diese Medienplattformen investieren, damit sie lange erhalten bleiben… :-)

  2.   sz87

    #D17 und die Deutschland spricht waren im letzten Jahr meine beiden Lieblingsformate der deutschsprachigen Zeitungen. Dass Sie #D18 mit meiner wunderschönen Heimatstadt Aachen, in der ich aber nicht mehr lebe, nun beginnen, macht es umso schöner.

  3.   zutzev

    seit ich denken kann wurde mir erzählt, Heimat ist „rechts und altbacken“…
    …und jetzt wollt ausgerechnet ihr mir erkären was Heimat ist?
    Nein danke – wenn dann sollte höchstens ich es euch erklären.

  4.   Siri W.

    Da Heimat oftmals für jeden etwaas anderes ist, für den einen Gerüche der Kinheit, farben , den anderen vertraute Gegenden, Gebäude orte, den dritten Speisen, den vierten die Menschen in seiner Umgebung ist dies im Grunde „nicht“ heraus zufinden. eine Gemeinsamkeit ist aber vielen gleich für „Heimat“ , die gleiche Sprache. Verwandte die nach Ungarn ausgewandert waren (nicht aus “ so wie die Auswanderer in diversen TV -Shows) fühlen sich dort sehr wohl, andere die es auch probierten kamen zurück „heimweh“ . Vermutlich würde dieses Heimweh in jedem anderen Land entstehen.

    Ich tendiere eher dahin „heimat ist das Gefühl, wo man sich so wohl fühlt, das man sagt „hier möchte ich sterben!“

 

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