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Atomlobby in der Defensive

Castor, Stuttgart 21, Datteln: Man möchte meinen, dass es zurzeit kaum aktuellere Themen gibt, welche die deutsche Energiepolitik bewegen. Wie passend, dass das Deutsche Atomforum dazu eine Podiumsdiskussion für Mitte April in Berlin plante. Mit dem viel sagenden Untertitel:

„Castor, Stuttgart 21, Datteln: Bleibt der Rechtsstaat auf der Strecke?“

Doch gestern flatterte mir Post von Deutschlands Atomlobby in den Briefkasten: Die Veranstaltung sei wegen der Situation in Japan abgesagt. Man wolle nicht zur Tagesordnung übergehen.

Wie schade – und wie peinlich! Denn gerade jetzt wäre es doch superspannend gewesen, mit  Ralf Güldner, Präsident des Deutschen Atomforums, und Politologen über den Rechtstaat und Energiepolitik zu streiten. Wann, wenn nicht jetzt? Schließlich wollte man doch darüber reden,

„(…) ob der deutsche Rechtsstaat noch über die geeigneten Mitteln verfügt, um Großprojekte zu realisieren (…).“

Und gerade rechtstaatliche Fragen sind doch jetzt brandaktuell, schließlich plant der Energiekonzern RWE ja auch auch eine Klage gegen das Moratorium. Mit der Absage wurde leider (mal wieder) eine Chance vergeben, sich öffentlich den Fragen zu stellen! Es zeigt, in welch defensiver Position die Energiekonzerne doch zurzeit sind.

 

Atomskandal in Brasilien – mit Folgen für Deutschland

Es ist eine ganz schön pikante Geschichte: Der Chef der brasilianischen Atomaufsicht musste dieser Tage zurücktreten, meldet die atomkritische Organisation urgewald. Brasilien lässt, wie ja auch Deutschland, wegen des Atomunglücks in Fukushima sein (einziges) AKW Angra auf Sicherheitsstandards überprüfen. Es steht in der Nähe von Rio de Janeiro und besteht aus zwei Reaktoren.

Dabei stellte sich heraus, dass das AKW Angra 2 seit mehr als zehn Jahren ohne eine dauerhafte Betriebsgenehmigung am Netz ist. Zwar bekommt es Genehmigungen ausgestellt, aber diese gelten nur für jeweils ein Jahr – weil der Katastrophenschutz am AKW unzureichend sei, wie urgewald vermutet. So liege das AKW in einem Erdrutschgebiet, Zufahrtsstraßen seien öfter schon unpassierbar gewesen.

Brisant ist: Auch Deutschland hängt in der Geschichte drin. Denn für den Neubau eines weiteren AKWs an gleichen Standort, für Angra 3, hat die schwarz-gelbe Bundesregierung vergangenes Jahr eine Hermes-Bürgschaft in Höhe von 1,3 Milliarden Euro gewährt. Zahlreiche Organisationen hatten gegen die Exportkreditbürgschaft für Areva/Siemens protestiert. Zumal die brasilianische Atomaufsicht alles andere als unabhängig sei, da sie sowohl für die Förderung als auch für die Kontrolle der Atomenergie zuständig sei.

Atomkraftkritiker wie Barbara Happe von urgewald fordern daher jetzt eine Rücknahme der Bürgschaft – unter anderem auch auf der Aktionsplattform campact:

„Wenn in Deutschland Atomkraftwerke wegen des Unglücks in Fukushima überprüft werden, dann muss das auch für das deutsche Außenengagement gelten. Die Bundesregierung muss die Bürgschaft für Angra 3 zurückziehen.“

Die Forderung könnte erfolgreich sein. Bürgschaften für Kernkraftwerke wolle die Bundesregierung zukünftig sorgfältiger prüfen, zitierte vergangene Woche der Spiegel ein Schreiben aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Das ist zwar noch kein Entzug der Bürgschaft, aber ein Anfang.

 

Nach der Wahl: BaWü könnte bei Windenergie aufholen

Gerade einmal acht Windräder gingen vergangenes Jahr in Baden-Württemberg ans Netz, schreibt das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in seiner jüngsten Studie. „Erbärmlich“ nennt das der Bundesverband Windenergie. Denn es fehlt nicht an geeigneten Standorten, bis 2020 ließe sich die Windkraftleistung von aktuell 467 Megawatt auf 2400 Megawatt erhöhen, schätzt Greenpeace. Bislang aber haben offensichtlich vor allem die regionalen Planungsbehörden nur sehr zögerlich Flächen für Windparks ausgewiesen.

Das könnte sich nun ändern. Die gestrige Landtagswahl war ja vor allem auch eine Abstimmung über die Energiepolitik und den atomfreundlichen Kurs von Union und FDP. Jetzt wird Windfried Kretschmann voraussichtlich als erster grüner Ministerpräsident Deutschlands in Baden-Württemberg das Sagen haben – und für die Erneuerbaren könnten bessere Zeiten beginnen. Der Bundesverband Windenergie hofft auf eine Energiewende im Ländle. „Gerade EnBW muss jetzt ganz schnell auf erneuerbare Energien umsteigen“, sagt ein Sprecher. Und Investitionen in erneuerbare Energien würden sich rechnen, so die IÖW-Studie:

„Land und Kommunen würden durch eine Zunahme der Wertschöpfung um fast das Dreifache auf 388 Millionen Euro profitieren. Das bedeutet dreimal mehr Steuereinnahmen, Einkommen und Unternehmensgewinne im Land.“

 

Größter Anti-Atom-Protest in Deutschland

… nur flott eine Zahl: Mindestens 200.000 Menschen (die Veranstalter sprechen von 250.000) haben gestern deutschlandweit für die sofortige Abschaltung der Atomkraftwerke protestiert. Da bin ich wirklich gespannt, welche Ergebnisse die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz heute abend ergeben.

Nicht nur der Politik, auch den Energiekonzernen sind die aktuellen Entwicklungen nicht geheuer. Laut SPIEGEL wollen RWE und Eon gegen das Moratorium klagen. Siemens erwägt zudem offenbar einen Ausstieg aus dem geplanten Joint Venture mit dem russischen Atomkonzern Rosatom.

 

Earth Hour Day 2011: Zapfenstreich in Deutschland

… und keine Bange: Wenn an diesem Samstag abend (26. März) um 20:30 plötzlich bei Ihnen in der Straße die Lichter ausgehen, dann hat das nichts mit den jüngst abgeschalteten Atomkraftwerken zu tun. Viel besser: Es ist Earth Hour Day 2011.
60 Minuten Strom abschalten.

 

Japans AKW-Unglück und Deutschland

Die (eventuelle) Kernschmelze in Japans Atomkraftwerk Fukushima hitzt die energiepolitische Debatte in Deutschland wieder an: Wie sicher ist Atomkraft? Was können die erneuerbaren Energien leisten? Spätestens seit dem Video, das die Explosion in Fukushima zeigt, ahnt auch die Politik, dass sie um das Thema Atomkraft nicht drumherumkommt. Das merkte man so eben Bundesumweltminister Norbert Röttgen an. Auch wenn heute nicht der Tag sei, um über die deutsche Laufzeitverlängerung zu diskutieren – das Thema komme wieder auf die Tagesordnung, sagte er so eben in den tagesthemen (Leider habe ich das Video vom Interview Susanne Holst/Norbert Röttgen um etwa 22 Uhr noch nicht online entdeckt, über Hinweise bin ich dankbar).

 

Strombosse fordern mehr Klimaschutz

Nun gut, es sind nur sechs. Aber es ist ein Anfang. Die Chef von sechs Energiekonzernen, darunter Scottish and Southern Energie SSE, Statkraft (Norwegen), Eneco (Niederlande) und Dong (Dänemark) fordern heute in einer gemeinsamen Erklärung die EU auf, die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 um 25 Prozent zu mindern. Bislang plant die EU ja nur 20 Prozent, Bundesumweltminister Röttgen hatte wiederholt 30 Prozent gefordert, im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP ist sogar von 40 Prozent die Rede.

Warum gerade diese sechs Firmen? Weil sie von der Klimawende profitieren – auch wenn sie eigentlich „ganz normale“ Stromlieferanten sind und keine reinen Ökostromfirmen. Statkraft schimpft sich etwa schon heute „Europas größter Produzent von erneuerbaren Energien“ (dank der vielen Wasserkraftwerke in Norwegen). SSE engagiert sich vor allem bei Windkraft und Meeresenergie. Diese Stromkonzerne wollen Planungssicherheit für ihre Investitionen in Ökostrom.

Eine wunderbare Forderung, die Skeptikern von engagiertem Klimaschutz (etwa EU-Energiekommissar Oettinger) Wind aus den Segeln nimmt.

 

Gorleben ist undicht

Im Salzstock Gorleben finden sich bedeutsame Mengen Gas, die von außen eindringen. Dies belegen bisher unveröffentlichte Untersuchungsberichte der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoff (BGR), die jetzt im Auftrag von Greenpeace ausgewertet wurden. Für die Umweltorganisation ein Beweis, dass das geplante Atommüllendlager nicht dicht ist und damit als Standort nicht in Frage kommt.

Greenpeace fordert Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) deshalb auf, die Endlagerpläne in Gorleben aufzugeben. „Es gab in der Vergangenheit Wege für das Gas in den Salzstock“, sagt Mathias Edler, Atomexperte bei Greenpeace. Also könnten auch Wasser oder hochradioaktive Teilchen einen Weg finden. Von einer wirksamen Barriere gegenüber der Umwelt könne nicht die Rede sein.

Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), hatte bereits Ende 2010 erklärt, sollten kritische Mengen Gas im Erkundungsbereich gefunden werden, könne das zum „K.O.-Kriterium“ für Gorleben werden. Laut BfS müssen sichere Endlager in „einschlusswirksamen Gebirgsbereichen“ liegen. Heute betonte das BfS, dass die Gasvorkommen weiter untersucht werden müssen. Zumal der Salzstock unter dem größten Erdgasvorkommen Deutschlands liegt.

Pikant ist, dass dem BGR die entscheidenden wissenschaftlichen Befunde bereits seit dem Jahr 2002 bekannt waren. Konsequenzen blieben jedoch aus. Noch heute spielt die Bundesanstalt die Herkunft der Gase und das Eindringen über Klüfte und Spalten herunter. Die BGR-Berichte sind Grundlage für eine vom Bundesumweltministerium in Auftrag gegebene „Sicherheitsanalyse“, die 2013 fertig sein und die Eignung des Salzstocks nachweisen soll.

Dass Gas den geplanten Endlagerbereich durchzieht, wird sicher auch nächste Woche Thema sein. Dann reist  Umweltminister Röttgen ins Wendland, um mit den Gegnern des Endlagers zu sprechen.

Im November 2010, als die Castoren gen Gorleben rollten, hatte Röttgen die Region übrigens gemieden und stattdessen lieber in Fernseh-Talkshows den Atomkompromiss der schwarz-gelben Regierung verteidigt. Der Protest gegen Gorleben hatte Zehntausende von Menschen auf die Straße getrieben.



 

In eigener Sache: Tschüss und Hallo

Liebe Leser,

der Endspurt ist eingeläutet: Ich verabschiede mich in Elternzeit. Bis Anfang kommenden Jahres hat nun Gastbloggerin Kirsten Brodde aus Hamburg hier das Sagen. Sie ist eine versierte Kennerin von Grünen Geschäften –  insbesondere denen mit Grüner Mode, wie sie in ihrem eigenen Blog zeigt.

Copyright: Helen Fischer

Kirsten hat jahrelang für das Greenpeace Magazin gearbeitet und schreibt inzwischen als freie Autorin für den Stern, Geo Wissen und die ZEIT. Nebenbei hat sie gleich auch noch zwei Bücher veröffentlicht, eines über Geschäfte mit Bio-Baumwolle und eines über moderne Protestformen.

Liebe Kirsten: Viel Spaß!

Und Ihnen, liebe Leser: auf bald!

Herzliche Grüße

Marlies Uken