Es ist, mit Verlaub, ein lausiges Angebot: Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) hat jüngst erzählt, welche Kennzeichnungsstandards für Gentechnik sich die US-Regierung im Freihandelsabkommen TTIP vorstellen könnte. Die Idee des US-Agrarministers Tom Vilsack, die während eines informellen Gesprächs aufkam: Verbraucher scannen einfach mit ihrem Handy den Barcode des Produkts – und wenn das Lebensmittel gentechnisch veränderte Bestandteile enthält, wird das via App angezeigt. Der Fairness halber muss man sagen: Es ist bislang kein offizieller Vorschlag. Der deutsche Agrarminister hat mit seinem amerikanischen Kollegen darüber gesprochen, am Ende aber verhandelt die EU-Kommission mit der US-Regierung. Weiter„Such die Gentech-Milch mit deinem Handy“
Haben Sie schon einen Weihnachtsbaum? Für gerade einmal 29 Euro verkauft die Baumarktkette Obi zurzeit die Nordmann-Tanne. Der Projekt-Baumarkt Hornbach bietet den Festbaum schon ab 19 Euro an. Und dann gibt’s noch die zahlreichen Weihnachtsmärkte, Gärtnereien und Landwirte, die vor Ort ihre Bäume anbieten.
Keine Frage, Clive Palmer hatte schon immer etwa Rebellisches. Der Erz- und Kohle-Milliardär aus Australien, einst Schulabbrecher, lässt zurzeit einen originalgetreuen Nachbau der Titanic für mehrere Hundert Millionen Euro bauen und will die Tickets der Jungfernfahrt Southampton – New York lukrativ verkaufen. Sein Urlaubsressort an einem Traumstrand in Australien ist ein gigantischer Dinosaurier-Park.
Jetzt hat der Hobby-Berufspolitiker, der die Palmer United Party anführt, mal eben für einen Eklat in der australischen Energiepolitik gesorgt.
Am Wochenende waren Deutschlands Gentechnik-Gegner alarmiert: Die Fastfoodkette McDonald’s hatte bekanntgegeben, ihren Zulieferern den Einsatz von gentechnisch verändertem Soja (GV-Soja) wieder zu erlauben. 13 Jahre lang hatte sich McDonald’s die Selbstverpflichtung auferlegt, auf Gentechnik im Hühnerfutter zu verzichten. McDonald’s ist nicht irgendwer, allein in Deutschland betreibt die Fastfoodkette mehr als 1.400 Restaurants. McDonald’s ist ein Großabnehmer in der Landwirtschaft, jedes Jahr verkauft die Kette allein mehr als 24.000 Tonnen Hühnerfleisch als Chicken Nuggets oder Chickenburger.
Irgendwie aber spricht der Konzern nur ungern über die Entscheidung. Ich rufe in Paris an. Gilt die Rolle rückwärts auch in anderen Ländern? In Frankreich hat eine externe Werbeagentur die Pressearbeit für McDonald’s übernommen. Die Dame ist sehr freundlich, aber auf die simple Frage: „Erlaubt McDonald’s Frankreich jetzt auch GV-Soja im Hühnerfutter?“, hat sie so schnell keine Antwort. Zwei Stunden später ruft sie nochmal an: Ob ich denn auch zu anderen Ländern recherchieren würde? Was genau ich schreiben wolle? Und ob ich schon in Kontakt mit der Europazentrale in London sei? Diesmal stellt sie die Fragen. Ein Antwort auf meine hat sie nicht, sie rufe noch einmal an. Das macht sie zwei Stunden später. Und verweist auf die Europazentrale. Sie dürfen nichts sagen.
London wiederum mailt mir abends um halb sieben ein Statement, das wiederum nur eine Übersetzung der deutschen Erklärung ist. In welchen Ländern McDonald’s das Verbot nun aufgibt, wird daraus nicht klar. Österreich bestätigt die Ausnahme, aber was ist mit Frankreich? Nachgefragt in London, nachts um halb elf kommt eine Antwort: Frankreich genießt weiterhin eine Ausnahme und bleibt gentechnikfrei. Die jüngste Lockerung „does not currently affect McDonald’s France. McDonald’s France still uses non-GM feed for their chickens“.
Liebes Management von McDonald’s, eine solche Informationspolitik ist ärgerlich, nicht nur für Journalisten, sondern auch für die Kunden. Wenn so viel über Transparenz gesprochen wird, dann bedeutet das nun einmal auch, den Kunden zu sagen, welche Art von Landwirtschaft man unterstützt. Auch wenn McDonald’s offenbar davon ausgeht, dass es die Kunden nur am Rande interessiert, wie das Essen in Burgern und Wraps produziert wurde.
Warum Frankreich an der Gentechnik-Freiheit festhält, darüber lässt sich erst einmal nur spekulieren. Vielleicht sieht sich McDonald’s Deutschland stärker im Preiskampf als Frankreich: Der Mindestlohn, die steigenden Energiekosten: Die Bereitschaft, für eine Tonne Gentechnik-freie Soja einen Aufschlag von etwa einem Viertel zu zahlen, ist offenbar nicht mehr da. Die französische Politik und Bevölkerung sind seit Jahren Gentechnik-kritisch eingestellt, erst vor zwei Wochen verabschiedete die Nationalversammlung ein Anbauverbot von Genmais. José Bové, der französische Gentechnikkritiker, der 1999 als Protest eine McDonald’s-Filiale zerstörte, findet als neuer Spitzenkandidat der Grünen im Europawahlkampf ebenfalls Gehör.
Ich habe ja einen gewissen Hang zu Crowdsourcing-Aktionen, nachdem ich mit meiner Kollegin Nadine Oberhuber mit Hilfe unserer Leser eine Recherche zu Dispozinsen gestemmt habe. Jetzt bin ich über ein ungewöhnliches Crowdsourcing-Projekt aus Kalifornien gestoßen, von dem nicht nur Landwirte, sondern auch die Natur profitieren. Die Naturschutzorganisation The Nature Conservancy hat es sich zum Ziel gesetzt, die Vogelzugstrecke Pacific Flyway wiederzubeleben. Die Strecke entlang der Westküste Amerikas ist eine der wichtigsten Flugrouten für Falken, Milane, Gänse oder Adler.
Es gibt nur ein Problem: Inzwischen gibt es kaum noch gute Landestätten für die Vögel. 95 Prozent der Feuchtgebiete, wo die Tiere üblicherweise einen Zwischenstopp einlegen, sind inzwischen verschwunden. Sie wurden für Agrarland umgebrochen, sind oder wurden ausgetrocknet. Und hier genau kommt eine App mit ins Spiel: eBird heißt sie und setzt auf die Mithilfe von Vogelliebhabern, die in den USA „Birders“ genannt werden. Sie melden mit der App, wo sie gerade welche Vögel beobachten. Das Cornell Lab of Ornithology, eines der angesehensten Institute in der Vogelforschung, wertet diese Daten aus und ermittelt so, wo es noch mehr Landbedarf für die Vögel gibt.
Und dann kommt die Ökonomie mit ins Spiel. Salopp gesagt organisiert The Nature Conservancy eine „umgekehrte Auktion“. Welcher Farmer ist bereit, sein Land mit Wasser zu fluten und so den Vögeln neuen Nistraum zu bieten? Der Landwirt, der den geringsten Preis verlangt, bekommt den Zuschlag. Er erhält Geld und eröffnet im Gegenzug auf seinen Äckern ein Pop-Up-Vogelschutzgebiet.
Die Aktion kann schon erste Erfolge vermelden. Südlich von Sacramento, im Cosumnes River Preserve, fluteten Reisbauern gegen Cash ihre Felder. Mehr als 120.000 Vögel wurden daraufhin im vergangenen Dezember in der Region gesichtet – so viele wie seit Langem nicht mehr. Zurzeit werten die Wissenschaftler die Aktion aus. Im Herbst soll es weitere Pop-Up-Gebiete geben.
Der Comic ist aktuell, weil am Dienstag das EU-Parlament über einen Vorschlag der EU-Kommission abstimmen soll. Er sieht vor, dass zukünftig in Wassertiefen von mehr als 600 Metern die zwei Fischereiarten verboten werden soll: die Grundschleppnetzfischerei und die Stellnetzfischerei. Die Regel soll in EU-Gewässern und in den internationalen Gewässern des Nordatlantiks gelten. Umweltschützer kritisieren beide Fangmethoden, vor allem die Schleppnetzfischerei, weil dabei der Meeresboden regelrecht einmal durchpflügt wird. Gerade die Tiefsee sei bislang kaum erforscht, über Fangarten wie den Schwarzen Degenfisch, Blauleng und Grenadierfisch sei kaum etwas bekannt. Die Fischarten dort werden erst sehr spät geschlechtsfähig und sehr alt.
„Das Ökosystem Tiefsee ist extrem verletzlich, bislang kaum erforscht, geschweige denn reguliert“, sagt Matthew Gianni von der Deep Sea Conservation Coalition in Amsterdam. Auch Wissenschaftler wie Rainer Froese vom Helmholtzzentrum für Ozeanforschung in Kiel sprechen sich gegen die Tiefseefischerei aus: Man wisse, dass einige Populationen bereits durch wenige Fangfahrten nahezu ausgerottet wurden, sagt der Fischereiexperte.
Nun also der erste Schritt: das Verbot von extrem umweltschädigenden Fangmethoden in den Tiefen des Meeres, das Fischen mit Langleinen soll erlaubt bleiben. Man könnte nun denken, das ginge eigentlich leicht über die Bühne. Schließlich kommt der Tiefseefischerei bislang kaum eine ökonomische Bedeutung zu. Wie die jüngsten Zahlen der EU-Kommission zeigen, gibt es kein Unternehmen, das ausschließlich Tiefseefischerei betreibt. Und es sind gerade einmal 14 Trawler, bei denen Tiefseefische mehr als zehn Prozent des Fangs ausmachen. Zum Vergleich: Aktuell sind in der EU rund 37.500 Fangschiffe registriert.
Auch wenn die Tiefseefischerei zurzeit also ein maritimes Nischendasein fristet, ist der Widerstand gegen strengere Regulierung groß, glaubt man den Umweltschutzorganisationen. „Gerade Spanien und Frankreich wehren sich heftig gegen eine strengere Regulierung“, sagt Gianni. Er glaubt, dass dahinter vor allem Industrieinteressen stecken. Die Fischereibranche fürchtet offenbar, dass das Verbot der Grundschleppnetze in der Tiefsee erst der Anfang ist und später ausgeweitet wird. Erst im Sommer hatte der britische EU-Parlamentarier Stuart Agnew das französische Fischereiunternehmen Scapêche beschuldigt, in der Tiefsee bedrohte Arten zu fischen – finanziert mit dem Geld europäischer Steuerzahler. Pikant: Scapêche gehört zu Intermarché, einer der bekanntesten Supermarktketten Frankreichs.
Verrückt ist, dass über ein prinzipielles Verbot der Tiefseefischerei gar nicht mehr nachgedacht wird. Dabei wäre das aus meiner Sicht das Naheliegendste: Wenn man nicht weiß, was dort unten los ist, sollte man doch erst einmal forschen, bevor man die Wirtschaft reinlässt, oder?
Die Formel klingt sperrig und bürokratisch: „Ökologische Vorrangflächen“. Dahinter verbirgt sich jedoch eine simple Idee. Die EU will künftig Flächen schaffen, auf denen die Landwirte der Natur ein wenig Ruhe gönnen. Es sollen kleine Inseln enstehen, ein paar Hektar groß, auf denen Feldvögel, Wildkräuter und Bienen relativ ungestört leben können. Damit will die EU verhindern, dass immer mehr seltene Tierarten aussterben. Fünf Prozent ihrer Ackerflächen sollen Landwirte künftig unter einen solchen Schutz stellen. „Greening“ nennt die EU-Kommission den Plan. Er soll bald Gesetz werden.
Doch nun gibt es Widerstand. Immerhin 23 Mitgliedsstaaten, darunter Frankreich, Polen, Italien und Spanien, haben einen empörten Brief nach Brüssel geschrieben. Darin wehren sie sich gegen eine Selbstverständlichkeit. Aus den ersten konkreten Formulierungsvorschlägen für das Gesetz geht hervor, dass Brüssel auf den Ökoflächen den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln begrenzen und Dünger verbieten will. Die Flächen sollen schließlich dazu da sein, um die Natur und Artenvielfalt zu schonen.
Das sieht man in den Landwirtschaftsministerien in Paris oder Rom ganz anders. Die Ökoregel gehe gar nicht, heißt es in der Stellungnahme der 23 Länder. Die EU-Kommission verwässere damit eine politische Einigung, die die Agrarminister im Sommer getroffen hätten. Damals einigten sich die Mitgliedsstaaten auf die Grundzüge einer Agrarreform.
Dazu muss man wissen: Auf den Ökoflächen soll weiterhin Landwirtschaft erlaubt sein, vollkommen tabu sind sie nicht. Vor allem der Anbau von proteinhaltigen Pflanzen wie Mais soll möglich sein. Den 23 Staaten geht das schlicht nicht weit genug. Sie sagen: Wenn wir da schon anbauen dürfen, dann bitte auch ganz normal, mit Stickstoffdünger und Spritzpistole. Ihr Argument: Wenn sich die Kommission mit ihren Plänen durchsetze, würde „der konventionelle Anbau unmöglich gemacht“.
Kaum überraschend, dass Naturschützer gerade auf die Barrikaden gehen. „Werden Spritzmittel auf diesen fünf Prozent der Ackerflächen erlaubt, sind alle ernsthaften Bemühungen zu mehr Artenvielfalt in der Landschaft ausgehebelt“, sagt Josef Göppel, CSU-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des Deutschen Verbands für Landschaftspflege. Ganz absurd würden die Pläne der 23 Unterzeichnerstaaten, wenn man sich die Geldflüsse veranschaulicht. Denn die Ökoflächen sollen in den EU-Subventionen begünstigt werden und 30 Prozent der Direktzahlungen erhalten – um eben einen Anteil zur Artenvielfalt zu leisten. Mit Pestiziden und Stickstoffdünger wird das kaum möglich sein.
Die Bundesregierung zieht sich übrigens höflich aus der Affäre. Den Brief der 23 Aufständischen hat sie nicht unterzeichnet. Auf eine Anfrage von ZEIT ONLINE heißt es lapidar: „Deutschland gehört dabei zwar nicht zu den Unterzeichnerländern, unterstützt jedoch die grundsätzliche Zielrichtung, wonach politische Einigungen des EP und des Agrarrats respektiert werden müssen und nicht im Rahmen der Rechtssetzung umgedeutet werden dürfen.“
Die Ökobilanzen von Aquakulturen sind tricky. Auf der einen Seite entlasten sie die natürlichen Fischbestände: Aufzucht statt Überfischung. Auf der anderen Seite werden wertvolle Mangrovenwälder gerodet und Antibiotika eingesetzt, wenn es sich nicht um Aquakulturen mit Ökolabel handelt. Und natürlich müssen die Fische gefüttert werden. Das passiert in der Regel mit Fischmehl – und zwar in gigantischen Mengen. Allein 20 Millionen Tonnen kleine Fische werden jährlich nur gefangen, um sie zu Fischmehl zu verarbeiten. Das entspricht rund einem Viertel der weltweiten Fangmenge von Fischen und Meerestieren.
Das Fischmehl kommt etwa in der Lachszucht zum Einsatz. Ein Lachs von einem Kilo Lebendgewicht hat etwa ein Kilogramm Futter gefressen, davon etwa ein Drittel Fischmehl. Und um diese Menge Fischmehl herzustellen, braucht es etwa 1,2 – 1,5 Kilogramm Fisch.
Weil die Nachfrage nach Fisch aus Aquakulturen jährlich um etwa neun Prozent steigt, ist entsprechend Fischfutter auch begehrt. Für Länder wie Chile und Peru, in deren Gewässern jede Menge kleine Fische leben, die sich gut dafür eignen, ist es eine wichtige Einkommensquelle.
Und hier genau kommt Andreas Stamer aus der Schweiz ins Spiel. Der Mann arbeitet am Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FibL) im schweizerischen Frick. Weitab vom Meer hat Starmer vielleicht eine Alternative zum Fischmehl entdeckt: die Soldatenfliege, Hermetia illucens. Sie lebt in den Tropen, aber auch im Schwarzwald. „Ihr letztes Larvenstadium scheint von der Zusammensetzung her ideal geeignet für die Fischfütterung“, sagt Stamer. Das mit ihrer Hilfe produzierte Fischfutter hat also einen ähnlichen Proteingehalt. Die Fische wuchsen mit ihm genauso gut wie mit konventionellem Fischfutter. Und der Clou: Die Soldatenfliege liebt Lebensmittelabfälle aus der Biotonne und Kompost, sorgt also hier auch noch für weniger Abfall.
Stamer und sein Forschungsteam planen zurzeit im süddeutschen Raum eine Pilotanlage. Dort werden die kleinen Fliegenlarven gezüchtet, getötet, getrocknet und dann zu Insektenmehl verarbeitet, das auf einen Proteingehalt von 58 Prozent kommt. Auf EU-Ebene läuft ein Zulassungsantrag, Insektenmehl auch als Tierfutter einsetzen zu dürfen.
Stamer ist fest überzeugt, dass sich die Anlage rechnen wird, wenn sie einmal im großen Stil produziert. Lagen die Preise für Fischmehl vor etwa fünf Jahren noch bei etwa 500 Euro die Tonne, zahlen Fischzüchter inzwischen weit über das Doppelte. „Auf längere Sicht ist das Insektenmehl günstiger als Fischmehl“, sagt er.
Anmerkung 13.11.2013: Der Wissenschaftler heißt Andreas Stamer und nicht, wie ursprünglich geschrieben, Alexander Starmer. Ich habe einige Ergänzungen gemacht. Danke für die Hinweise, Herr Stamer.
Was sich die Branche alles einfallen lässt: „Hähnchen von morgen“ nennen Hollands Geflügelzüchter ihr aktuelles Projekt: Ihr Ziel: Bis zum Jahr 2020 sollen in den Niederlanden nur noch Hühner „aus nachhaltiger Erzeugung“ erhältlich sein. Zurzeit sitzen Produzenten und Handel zusammen und versuchen, Nachhaltigkeitsstandards zu entwickeln. Was bedeutet es konkret, ein „nachhaltiges Hähnchen“ zu produzieren?
Die Frage rückt die Geflügelwirtschaft in den Fokus, eine Branche, die schon seit Jahren immer wieder von Skandalen erschüttert wird. Was niederländische Geflügelzüchter treiben, ist auch für Deutschland relevant, denn am Ende landet die holländische Hühnchenbrust in vielen deutschen Supermarktkühltruhen. Wir sind der wichtigste Handelspartner für die Niederländer, rund 40 Prozent des holländischen Geflügelexports gehen nach Deutschland. Erst vergangenes Jahr übernahm die niederländische Plukon Food Group auch den deutschen Geflügelzüchter Stolle („Friki“) und machte sich damit auf dem deutschen Markt breit. Deutschland schafft es inzwischen auf Platz zwei der europäischen Geflügelzüchter, die Niederlande auf Platz sieben. Allein in Deutschland wurden im vergangenen Jahr 1,8 Millionen Tonnen Hühner geschlachtet, in „Stückzahlen“ waren das vor zwei Jahren mehr als 700 Millionen im Jahr.
Die Kriterien, welche Hollands Züchter für ihr futuristisches Hähnchen diskutieren, klingen noch ganz schön wischiwaschi. Die Branche sagt: „Die zu setzenden Nachhaltigkeitsstandards müssen weit über die Aspekte Tierwohlsein und Tiergesundheit hinausgehen. Eine besondere Herausforderung ist es in diesem Zusammenhang, die verschiedenen Nachhaltigkeitskriterien miteinander in Einklang zu bringen, um am Ende optimale Standards zu etablieren.“
Fragt man beim zuständigen Pressebüro nach, worüber denn die Züchter und die Supermärkte konkret verhandeln, bekommt man die Antwort, dass es eben nicht nur ums Tierwohl und die Tiergesundheit gehe (das betrifft natürlich auch den Antibiotika-Einsatz), sondern auch um Energie- und Umweltmanagement in der Produktion. Fragt man noch mal nach, dann geht es auch noch um Besatzdichten in den Käfigen, also wie viel Platz eigentlich das einzelne Huhn bekommt. Klar sei aber auch, dass auch wirtschaftliche Aspekte beachtet werden müssten und dass die Wettbewerbsfähigkeit gewährleistet sei, heißt es.
Wer bei nachhaltiger Züchtung nun an „bio“ denkt, der wird wohl vom niederländischen Ansatz enttäuscht sein. Dafür liegen zwischen klassisch-konventioneller Zucht und Biostandards Welten, auch preisliche. Allein Biofleisch ist etwa dreimal so teuer wie das Industrieprodukt. Agrarexperte Alexander Hissting von der Beratungsfirma grüneköpfe schätzt, dass sich Hollands Züchter und Handel wohl auf irgendetwas in der Mitte einigen würden. „Aus Marketingsicht ist nur logisch, Ware anzubieten, die von den Anforderungen und dem Preis irgendwo zwischen bio und konventionell liegt.“ Sicherlich werde aber das Programm tatsächlich „deutliche Fortschritte“ gegenüber dem Status Quo bringen.
Zu einem weitaus radikaleren Urteil kommt dagegen Greenpeace. Hühnerzucht sei Industrieproduktion: In knapp einem Monat würde teilweise ein Küken bis zur Schlachtreife gemästet, ein Biohühnchen habe nicht viel mehr Zeit. Dass die Geflügelbranche Nachhaltigkeitsstandards definiere, sei “ völlig absurd“, sagt Landwirtschaftsfachmann Martin Hofstetter. Solche Produktionen hätten nichts mehr mit der Natur zu tun. Auch die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen hält er für fatal, dort würden Arbeiter für Niedriglöhne malochen. „Aber alles, was die Situation am Ende verbessert, macht das Produkt am Ende auch teurer.“
Und so ist man am Ende bei einer ähnlichen Debatte wie beim Pferdefleisch. Entscheidend ist, was der Konsument zu zahlen bereit ist. Da helfen kaum strengere Gesetze oder zwischen Produzenten und Handel ausgehandelte Nachhaltigkeitskriterien. Es geht um einen Bewusstseinswandel bei uns Verbrauchern.
Und noch ein Gedankenanstoß: Zurzeit kostet ein ganzes, tiegefrorenes Suppenhuhn bei Rewe gerade einmal 2,59 Euro.
Seit Donnerstag nachmittag diskutieren ja in Brüssel die Staats- und Regierungschefs über den EU-Haushalt. Es ist ein Milliardenspiel: Für die kommenden sieben Jahre wird rund eine Billion Euro verplant. Einer der größten Ausgabenposten sind dabei die Zuschüsse für die Bauern. Allein im vergangenen Jahr gab Brüssel für die gemeinsame Agrarpolitik 57 Milliarden Euro aus. Davon entfielen 43,9 Milliarden Euro auf Direktzahlungen.
Nun wird in Brüssel erneut um die Agrarhilfen geschachert. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen, ein Beratergremium der Bundesregierung, warnt heute in einer Studie, dass die Agrarhilfen zukünftig an Bedingungen geknüpft werden sollen. Von Greening spricht die Fachwelt. Vereinfacht gesagt bedeutet es, dass die Bauern nur Gelder erhalten, wenn sie Umweltauflagen erfüllen. Dazu gehört unter anderem, dass Landwirte sieben Prozent ihrer Ackerfläche als ökologische Vorrangfläche ausweisen müssen, Dauergrünland nicht mehr umbrechen dürfen und sie Vorschriften für einen möglichst vielfältigen Pflanzenanbau einhalten. Für „unverzichtbar“ hält der Umweltrat diese Auflagen für Europas Landwirte.
Noch immer sei die Landwirtschaft „ein Hauptverursacher des Verlustes der biologischen Vielfalt und der Überfrachtung von Böden und Gewässern mit Nährstoffen“, so der Umweltrat. Ohne eine Trendwende würden die deutschen und europäischen Ziele für die biologische Vielfalt und den Klimaschutz verfehlt.
Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner wird diese Kritik sicher nicht gern hören. Wichtig sei, dass bisherige Umweltmaßnahmen in Deutschland ohne Abstriche auf das sogenannte Greening angerechnet werden könnten, forderte sie erst kürzlich im Interview. Eine andere Frage sei, ob anstatt die Äcker brachliegen zu lassen, dort Pflanzen gezogen werden könnten, die keinen Stickstoffdünger brauchten, so die Ministerin. Es wird spannend, ob die Stimme der Umweltschützer heute und morgen in Brüssel Gehör findet.