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Atomausstieg bedeutet Milliardenverlust für Energiekonzerne

Ein Ausstieg aus der Atomenergie wird für die vier großen Energiekonzerne ein milliardenschweres Verlustgeschäft. Bei einem Komplettausstieg bis zum Jahr 2015 (und eben keiner Laufzeitverlängerung) würden ihnen Gewinne in Höhe von 75 Milliarden Euro entgehen, schätzt Greenpeace. Würde der Ausstieg erst 2020 passieren, wären es immer noch 60 Milliarden Euro. Die Atomkraftgegner unterstellen, dass jeder Meiler einen täglichen Gewinn von rund einer Million Euro abwirft.

Mit solchen Schätzungen will die Umweltschutzorganisation die Bundesregierung auf harte Ausstiegsverhandlungen vorbereiten: „Die Manager und Lobbyisten der Atomkonzerne werden um jedes Jahr Laufzeit für ihre gefährlichen, aber profitablen Uralt-Meiler kämpfen“, erklärte Tobias Riedl, Atomenergieexperte bei Greenpeace.

Die Zahlen sind interessant – aber auch sehr gewagt. Denn viel zu viele Kenngrößen sind noch unbekannt. Liegt der Gewinn tatsächlich bei einer Million Euro? Niemand weiß das so genau, die Gewinnkalkulationen gehören zu den bestgehütetsten Geheimnissen der Branche. Das Ökoinstitut kam im vergangenen Jahr in einer Studie sogar auf noch höhere Gewinnspannen.

Zudem basiert die Schätzung auf dem theoretischen Fall, dass keine Störfälle in den AKW passieren und diese nicht vom Netz müssen – wie schnell das passieren kann, zeigt der Vattenfall-Meiler Krümmel.

Und noch wird in Berlin heftig diskutiert, ob es überhaupt ein festes Ausstiegsdatum geben soll, das für alle Meiler gilt, oder ob – wie bisher – für jeden Meiler Reststrommengen vergeben werden sollen. Dass E.on, RWE, Vattenfall und vor allem EnBW im Fall eines Ausstiegs aus der Laufzeitverlängerung Milliardenverluste verbuchen müssen, ist nichts Neues. Nur wie hoch diese sind, das kann heute wohl niemand seriös sagen.

 

1. Offshore-Windpark in der Ostsee in Betrieb

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte heute morgen einen angenehmen Termin: Sie nahm den ersten Offshore-Windpark in der Ostsee in Betrieb. Der Windpark Baltic 1 des süddeutschen Energiekonzerns EnBW hat eine Leistung von 48,3 Megawatt und kann damit theoretisch rund 50.000 Haushalte versorgen.

Vor drei Jahren hatte EnBW den Windpark rund 16 Kilometer vor der Halbinsel Darß/Zingst gekauft. Die Schwaben planen außerdem einen weiteren, viermal so großen Offshore-Windpark (Baltic 2 vor Rügen) . Sie  investieren nach eigenen Angaben insgesamt rund 1,3 Milliarden Euro. Im Unterschied zu den anderen Energiekonzernen RWE, Eon und Vattenfall hat EnBW das Thema Offshore-Windenergie relativ spät für sich entdeckt. Während die anderen Unternehmen bereits seit Jahren vor allem auch im Ausland investieren, will EnBW bis 2015 erst einmal nur vier Windparks in der deutschen Nord- und Ostsee realisieren. Wegen der ausgesetzten Laufzeitverlängerung und der neuen grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg steht EnBW unter enormem Druck, seinen Energiemix schnell und stärker auf erneuerbare Energien auszurichten.

Merkel nutzte übrigens den Termin, um ein neues Kfw-Sonderprogramm für die erneuerbaren Energien anzukündigen. Fünf Milliarden Euro will die Bundesregierung für die Energiewende zur Verfügung stellen. Das Programm könne hoffentlich bald in Kraft treten, so die Bundeskanzlerin.

Das klingt nicht schlecht, ist aber, sorry, nichts Neues. Das Kreditprogramm hat die Bundesregierung schon in ihrem Energiekonzept vor einem halben Jahr angekündigt. Und seitdem ist leider nichts passiert, dabei wartet gerade die Offshore-Windbranche sehnlichst auf staatliche Unterstützung. Ein bisschen mehr Ehrlichkeit wäre also wünschenswert: Trotz ambitionierter Pläne und vieler Beteuerungen verschleppt die Bundesregierung gerade den Ausbau der Offshore-Windkraft.

 

Globalisierung verwässert Klimaschutz-Statistiken

Die Grundstruktur des Kyoto-Klimaschutzprotokolls ist ja eigentlich simpel: Es unterscheidet zwischen Industrienationen wie Deutschland, die sich zur Begrenzung der Treibhausgasemissionen verpflichten, und Entwicklungsländern, die – aus Rücksicht auf ihr Wirtschaftswachstum – nicht daran teilnehmen müssen. Seitdem hat sich vor allem Europa eine ambitionierte Klimaschutzpolitik verordnet, um die CO2-Emissionen zu mindern.

Auf den ersten Blick könnten man meinen, es ist ein Erfolg: Zwischen 1990 und 2008 konnte in den Industrieländern der Emissionsanstieg gebremst werden. Doch das Kyoto-Protokoll hat eine entscheidende Lücke: Es geht nicht auf die Emissionen ein, die durch Waren entstehen, die in Entwicklungsländern produziert und anschließend importiert werden. Das führen die Klimawissenschaflter Glen Peters, Jan Minx, Christopher Weber und Ottmar Edenhofer in ihrer aktuellen Studie  „Growth in  emission transfer via international trade from 1990 to 2008“ aus:

„Der Konsum in Industrienationen verursachte einen Emissionsanstieg in Entwicklungsländern, welcher die bis 2008 erreichten Emissionseinsparungen in den Industrienationen um ein Fünffaches übersteigt.

„Wir begrenzen Emissionen bei uns, verursachen aber zugleich mehr CO2-Ausstoß in Regionen ohne Klimaschutzziele“, sagt Minx. Nur durch dieses Auslagern von Emissionen, so die Autoren, könnten die Industrieländer bislang ihre Klimaschutzziele mit vergleichsweise geringen Anstrengungen und trotz wachsenden Konsums erreichen.“

CO2 ist ein globales Klimagas, das sich an keine Ländergrenzen hält – entscheidend ist eben, wie die weltweite Klimagasbilanz aussieht. Und die sieht schlecht aus:  Zwischen 1990 und 2008 sind die Emissionen global um 39 Prozent gestiegen. Offenbar gibt es  enormen Zahlenbedarf. Denn bislang werden die CO2-Emissionen nur dem Land zugeschrieben und unter dem Protokoll erfasst, auf dessen Gebiet sie entstehen. Dabei wird immer öfter Produktion ins Ausland ausgelagert:

„Beispielsweise führt das niedrigere Lohnniveau in Entwicklungs- und Schwellenländern zu Produktionsverlagerungen aus Industrieländern.  (…)  So zeigt ein Vergleich der Europäischen Union und der USA: Nur in der EU gibt es verbindliche Regeln für Klimaschutz, trotzdem ist hier wie dort der Transfer von Emissionen durch Handel gleichermaßen gestiegen.“

Was tun? Leider bleibt die Studie hier relativ vage, die Autoren fordern, dass auf jeden Fall auch die Emisionen von importierten Gütern erfasst werden müssten. Aber das ändert nichts am Grundproblem des Kyoto-Protokolls: Die weltweiten größten CO2-Emittenten China und USA machen nicht mit.

 

AKW-Moratorium mit ungewünschten Folgen für Windstrom

Es gibt für Windmüller wohl wenig Frustrierenderes als Windräder, die sich trotz Sturm nicht drehen. Das könnte in Zukunft leider noch öfter passieren, wie heute die Bundesnetzagentur in einem Bericht schreibt. Denn das AKW-Moratorium führt zu einer paradoxen Situation. Es soll ja ein Zeichen für die Energiewende Deutschlands sein, also „Raus aus Atom, rein in Ökostrom“. Weil aber Deutschlands Stromnetzausbau nicht hinterherkommt, kann es zukünftig noch häufiger passieren, dass einige Windparks ihren Ökostrom nicht mehr einspeisen können. Denn die Stromleitungen, die wir haben, sind seit dem Abschalten von acht AKW noch mehr gefordert, den fluktuierenden Ökostrom hin- und herzuschieben. Dabei stoßen sie an ihre Grenzen. Und gewartet bzw. verbessert werden können die Leitungen nur schlecht, da dies nur möglich ist, wenn die Stromleitungen wenig ausgelastet sind.

„Durch die Abschaltung der 7+1 Kernkraftwerke ist eine stärkere Belastung der Nord-Süd und Ost-West-Trassen im Übertragungsnetz zu erwarten. (…) In Zeiten hoher Windstromeinspeisung ist bei drohenden Überlastungen im Übertragungsnetz auch mit einer Zunahme der Abschaltung von Erneuerbare-Energien-Anlagen nach § 11 EEG zu rechnen.“

Vor zwei Jahren verpufften übrigens laut Bundesnetzagentur nur 0,2 Prozent des produzierten Ökostroms ungenutzt, weil Windräder wegen Netzüberlastung abgeriegelt wurden. Überraschend wenig, wie ich fand – gerade wenn man noch die häufigen Klagen der Windmüller im Ohr hat. Die verweisen allerdings darauf, dass sich die Lage verschärft habe und dass es vor allem regionale Unterschiede gebe. In Schleswig-Holstein sei teilweise ein Viertel aller Windräder nicht am Netz. Die Windmüller erhalten eine Entschädigung für die verlorene EEG-Vergütung.

 

Die Energiewende und ihre Kosten

Dieser Tage kursieren ja die verschiedensten Zahlen über die Kosten der Energiewende, also dem Ausstieg aus der Atomkraft und dem Einstieg in die Erneuerbaren. Das Bundeswirtschaftsministerium spricht von drei Milliarden Euro insgesamt, die Deutsche Energieagentur (dena) heute von einer Strompreissteigerung für Privathaushalte von etwa 20 Prozent, machmal ist auch von 70 Prozent die Rede. Drei Gedanken noch dazu:

– Was oft in Vergessenheit gerät: Wer auf Erneuerbare setzt, der spart sich den Import von Öl, Gas und Uran, um damit Energie zu erzeugen. Im vergangenen Jahr waren das insgesamt etwa 7,4 Milliarden Euro, schätzt der Bundesverband Erneuerbare Energien (pdf BEE-Jahreszahlen_2010).  (Ehrlicherweise muss man allerdings die Investitionen in erneuerbare Energien wiederum von den eingesparten Brennstoffimporten abziehen.)

– Dazu kommen noch die vermiedenen Umweltkosten – okay, ein ganz schön schwammiger Begriff. Aber klar ist, dass fossile Energieträger natürlich auch Schäden verursachen (Klimawandel, Waldsterben, Gesundheitsschäden). Eine grobe Schätzung des BEE geht von zusätzlich vermiedenen Kosten in Höhe von 8,3 Milliarden Euro in 2010 aus. Passend dazu auch die aktuelle Studie von Greenpeace Energy, welche die wahren Kosten von Atom- und Kohlestrom zu beziffern versucht und insbesondere auf die staatliche Förderung eingeht:

„So profitierte die Atomstromproduktion zwischen 1970 und 2010 von staatlichen Förderungen in Höhe von 186 Milliarden Euro. Der Steinkohle-Verstromung kamen 165 Milliarden Euro zugute, bei Braunkohle waren es 57 Milliarden Euro. Die erneuerbaren Energien erhielten im selben Zeitraum 28 Milliarden Euro, die Zusatzkosten des EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) mit eingeschlossen.“

– Zwar fürchten die Energieversorger um die Gewinne aus den abgeschriebenen Meilern. Aber ob der Atomaustieg tatsächlich ein Minusgeschäft für sie wird? Die Financial Times Deutschland zitierte jüngst die Investmentbank Macquarie:

„Das höhere (Strom, die Red.)-Preisniveau verbessere die Marge der zunächst verbleibenden Kernreaktoren und des übrigen Kraftwerksparks von Eon und RWE so stark, dass eine vorzeitige schrittweise Schließung der Meiler bis etwa 2025 neutralisiert werde. „Letztlich sind die Auswirkungen auf die Gewinnschätzung und den fairen Aktienwert minimal“, so Matthias Heck von der Investmentbank Macquarie.“

 

Elektroschrott: Fragwürdige US-Recyclinginitiative

Auf den ersten Blick klingen die Ziele ambitioniert: Die großen Elektronikkonzerne in den USA, etwa Panasonic, Sony und Toshiba, wollen in den kommenden fünf Jahren ihre Recyclingquote von Elektroschrott verdreifachen. Eine Milliarde US-Pfund Elektroschrott („one billion pounds“) wollen sie jährlich einsammeln, gaben sie jüngst bekannt. Das entspreche etwa einem Football-Stadium mit 71.000 Sitzplätzen, das bis zur Oberkannte nur mit alten Computern, Laptops, Handys und Fernsehern gefüllt sei. Ziel sei unter anderem zu verhindern, dass Elektroschrott unsortiert in Entwicklungsländern lande, wo er nicht nur für Umweltprobleme sorgt, sondern auch massive Gesundheitsschäden verursacht. Die eCycling Leadership Initiative will dafür unter anderem die 5000 Recyclinghöfe in den USA besser bewerben und setzt auf Aufklärung beim Kauf von neuen Elektrogeräten.

Doch Kritik gab es prompt – und zwar von prominenter Stelle. Das Basel Action Network, eine einflussreiche Umweltschutzorganisation, die sich auf illegale Müllexporte spezialisiert hat, weist darauf hin, dass die USA immer noch nicht die Basel Konvention ratifiziert haben. Das wäre der erste und wichtige Schritt, um den Export von Elektroschrott in Entwicklungsländer zu brandmarken. Dieses Abkommen regelt den internationalen Handel mit Giftmüll und verbietet den Export in Entwicklungsländer. Deutschland hat es 2002 ratifiziert.

So schön freiwillige Initiativen der Privatwirtschaft auch sein mögen, die Praxis zeigt: Beim Elektroschrott  braucht es Gesetze, damit der Handel besser kontrolliert werden kann. Das findet auch die Electronics Take Back Coalition, die vermutet, die Unternehmen wollten einer ungeliebten Gesetzgebung nur zuvorkommen. Das Problem wird sicherlich nicht kleiner, nur weil niemand mehr darüber berichtet. Kaum eine andere Müllart wächst so schnell wie Elektroschrott  (kein Wunder, wenn fast jedes Jahr neue iPhones auf den Markt kommen). Und die USA sind einer der größten Elektroschrott-Produzenten der Welt.

 

Schiefergas – sogar klimaschädlicher als Kohle?

In den Blogs, u.a. bei Science Daily, sorgt eine Studie der amerikanischen Cornell Universität für Beachtung: Danach ist unkonventionell gefördertes Erdgas (Schiefergas) weitaus klimaschädlicher als bislang gedacht. Der Grund: Bei der Förderung wird auch vor allem das Klimagas Methan freigesetzt, dessen Treibhauspotenzial bis zu 25 Mal größer ist als das von Kohlendioxid.

Betrachte man einen Zeitraum von 20 Jahren, könnte der ökologische Fußabdruck von Schiefergas mindestens 20 Prozent höher sein als der von Kohle, so die Autoren.

„Considering the 20-year horizon, the GHG footprint for shale gas is at least 20% greater than and perhaps more than twice as great as that for coal when expressed per quantity of energy available during combustion“.

Warum das interessant ist? Zurzeit gibt es ja fast so etwas wie einen „Erdgas-Hype“, wie auch vor kurzem die ZEIT berichtete. Gerade flexible Gaskraftwerke sollen ja nun die neue Brücke in das Zeitalter der erneuerbaren Energien sein. Der britische Guardian berichtete jüngst über eine Studie großer Gaskonzerne, die sich für eine verstärkte Förderung von Schiefergas aussprach – zu Lasten der erneuerbaren Energien (Schiefergas wird übrigens mit der umstrittenen Fracking-Methode gefördert, die vor allem Umweltschützer wegen des Einsatzes von Chemikalien kritisieren). Auch die USA setzen massiv auf Schiefergas, im Jahr 2035 soll der Anteil  laut Energy Information Administration bei 46 Prozent der US-Gasproduktion liegen. Wenn also nun alle Welt vom sauberen Erdgas schwärmen, dann lohnt es sich, vorher eine umfassende Klimabilanz zu machen.

Nach Ansicht von Greenpeace ist übrigens der Einsatz von Schiefergas überhaupt nicht nötig. Würden Häuser besser gedämmt und Heizungen erneuert, dann bräuchte man gar nicht auf das umstrittene Schiefergas zurückzugreifen.

 

Solarzellen: Das will ich auch!

Vielleicht ist Ihnen das auch schon aufgefallen: In der einen Straße schmückt sich fast jedes Haus mit Solarzellen auf dem Dach, nur ein paar Kilometer weiter dagegen gar keines. Woran liegt das? Das haben zwei Wissenschaftler der Universität Stanford in Kalifornien untersucht. Das Ergebnis ihrer Studie (pdf): Wenn ein Hausbesitzer sich ein Solarmodul installiert, wollen die Nachbarn auch eins. Solarzellen sind also „ansteckend“, wie es ein US-Blogger auf „Good“ formulierte. Oder – wissenschaftlich korrekt – formuliert:

(we …) „find that a 1% increase in the number of installations in a zip code decreases the time until the next adoption by roughly 1% (…)“

Was sind die Gründe? Die beiden Autoren glauben an mehrere Effekte. Zum einen könnte der Nachbar, der zuerst vorprescht, eine Art „peer group“-Effekt auslösen: Andere sehen, dass die Installation gar nicht so kompliziert ist wie gedacht, lassen sich über die Vorteile aufklären. Und natürlich tauschen sich die Nachbarn im Gespräch aus und empfehlen vielleicht einen Installateur, was die Sache noch einfacher macht. Zudem setzen in Kalifornien einige Solarmodulhändler auf gezieltes Marketing und versprechen Rabatte, wenn eine Nachbarschaft zusammen Module kauft.

Wie das Lebensgefühl einer Nachbarschaft ist („grün“?), spielt übrigens auch noch eine Rolle: Wo besonders viele Menschen ein Hybrid-Auto fahren (und der Toyota Prius ist ja gerade in Kalifornien weit verbreitet), finden sich auch besonders viele Solarzellen auf den Dächern.

 

Die Aschenbrödel-Wirtschaft: Wohlstand ohne Wachstum

Es ist ein Thema, das die Menschen offenbar bewegt: Der Saal der Grünen-nahen Böll-Stiftung in Berlin platze diese Woche bei der Präsentation des Buches  „Wohlstand ohne Wachstum – Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt“ aus allen Nähten.

Tim Jackson, Copyright: Sustainable Development Commission
Tim Jackson, Copyright: Sustainable Development Commission

Autor des Buches ist der britische Wirtschaftswissenschaftler Tim Jackson, Professor für Nachhaltige Entwicklung an der Universität Surrey.

Brauchen wir wirklich Wachstum, um Wohlstand zu erfahren? Jedes Quartal aufs Neue Wachstumsprognosen, noch mehr BIP-Prognosen? Jackson plädiert in seinem Buch, das jetzt erstmals auf Deutsch erschienen ist, für einen neuen Wohlstandsbegriff, der weniger auf materiellem Wohlstand beruht, sondern eher darauf, ein sinnerfülltes Leben zu führen – und zwar nicht zu Lasten der Umwelt.

Kaum überraschend, dass Jackson daher viel Zeit damit verbringt, an den Grundfesten unseres heutigen Wirtschaftssystems zu ruckeln. Es sind bekannte Streitpunkte, etwa die fehlende Aussagekraft des Wachstumsindikators Bruttoinlandsprodukt (BIP), der noch nicht einmal Effekte wie Umweltverschmutzung oder einfachste Dienstleistungen wie Hausarbeit betrachtet.

Es sind aber vor allem auch provokante Gedanken. Mit vielen Daten widerlegt etwa Jackson gekonnt den „Mythos Entkopplung“, den ja auch gerne deutsche Umweltpolitiker immer wieder beschwören. Er besagt, dass sich die Wirtschaftsleistung durch effizientes Wirtschaften vom Ressourcenverbrauch unabhängig machen kann. Auf den ersten Blick mag das stimmen, die globale Energieintensität sei etwa heute 33 Prozent niedriger als noch 1970, so Jackson. Betrachte man jedoch absolute Werte, dann falle auf, dass etwa die globalen CO2-Emissionen heute um fast 40 Prozent höher seien, als noch 1990. Jacksons Buch ist daher vor allem auch eine Konsumkritik.

Was aber wäre ein Wirtschaften, das nicht zu Lasten unserer Lebensgrundlagen und des Klimas geht? Jackson hat dafür den Begriff der Aschenbrödel-Wirtschaft geprägt („Cinderella-Economy“). Lokale Firmen, kommunale Energieprojekte, Bauernmärkte, Slow-Food-Genossenschaften, Büchereien. Noch fallen solche Projekte kaum ins Gewicht. Aber glaubt man Jackson, sind sie die Keime für ein neues, ressourcenschonenderes und umweltverträglicheres Wirtschaftssystem, das uns alle glücklicher machen könnte.

Ein spannendes Buch, das genau zum richtigen Zeitpunkt kommt. Denn spätestens seit der Finanzkrise – und vielleicht jetzt noch mehr nach dem AKW-Desaster in Japan – fragen sich viele Menschen, ob unsere derzeitige Art zu Wirtschaften die richtige ist.

Jetzt ist die Politik gefragt, Jackson entlässt sie nicht aus der Verantwortung. Denn sporadische Verzichts- und Entsagungsübungen des Einzelnen bringen nichts. Die Politik müsse die strukturellen Wachstumszwänge aufbrechen, fordert Jackson. Na, wie gut, dass alle Mitglieder der neuen Bundestags-Enquete-Komission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der sozialen Marktwirtschaft“ Jacksons Buch erhalten haben.

Tim Jackson: Wohlstand ohne Wachstum – Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt, oekom Verlag München, 19,95 Euro

 

Windkraftbranche will Atomstrom ersetzen – theoretisch

Heute hat sich die Windenergiebranche optimistisch gezeigt. Wenn man auf zwei Prozent von Deutschlands Fläche Windräder mit einer Leistung von jeweils drei Megawatt installieren würde, ließe sich der Atomstromanteil im deutschen Energiemix ersetzen, so der Bundesverband Windenergie. Etwa 390 Terawattstunden würden dann produziert. Vize-Präsident Albers:

„Die Erneuerbaren Energien können die Atomenergie mühelos ersetzen. Allein das Potenzial der Windenergie ist wesentlich größer als der Anteil des Atomstroms im gegenwärtigen Strommix. Denn die deutschen Atomkraftwerke erzeugten im vergangenen Jahr nur gut 140 Tewawatstunden.“

Doch es gibt mehrere große ABER: Leider ist Windstrom nicht grundlastfähig. Damit wirklich der Kernenergienanteil ersetzt werden kann, müssen sich die erneuerbaren Energien Sonne, Wind, Wasser und Biomasse noch besser vernetzen. Und Speicherkapazitäten müssen her. Damit bei einer starken Brise der Windstrom nicht ungenutzt bleibt, nur weil er etwa nachts um drei Uhr keine Abnehmer findet.

Außerdem müssten alle Windräder auf den Stand der 3- Megawatt-Klasse gebracht werden, zurzeit drehen sich natürlich auch noch 1,5 MW-Anlagen oder noch leistungsschwächere. Und dieses Repowering ist noch mit zahlreichen, vor allem bürokratischen Hürden belastet.