Lesezeichen
‹ Alle Einträge

Jugendstil: Die große Utopie

 

Weil der Gründungsdirektor des MKG, Justus Brinckmann, auf der Pariser Weltausstellung von 1900 wahre Großeinkäufe tätigte und sich Extravaganzen leistete, wie etwa einen Teil eines Hotel-Speisesaals von Nizza nach Hamburg bringen zu lassen, besitzt das Museum heute eine wirklich bedeutende Jugendstilsammlung. Jetzt wurde sie neu ausgerichtet – und als Entrée führt die kleine, feine Schau Die große Utopie ganz neu in diese Epoche ein.

Jenseits von Ornamentik und elfenhafter Romantik zeigen die Kuratorinnen Claudia Banz und Leonie Beiersdorf, wie der Jugendstil von gesellschaftlichen Utopien geprägt war – und wie ungeheuer frisch und zeitgemäß man ihn präsentieren kann. In verschiedenen Filmen schuften im flirrenden Schwarzweiß Erwachsene und Kinder in Fabriken, in anderen tollen junge Nackte durch die Natur. Der Jugendstil zeigt sich hier vor allem als Reformbewegung gegen die Industrialisierung, die dem geknechteten Menschen den befreiten Körper entgegensetzte, ein Zurück zur Natur propagierte und Handwerk statt industriell gefertigter Massenware.

Sie lehnten sich gegen den Kapitalismus auf – und strandeten in der Elite. Die Einzelstücke die sie herstellten konnten sich nur die Privilegierten leisten. Dieses Paradox ist so spannend und konzentriert präsentiert – und kommt einem doch ganz aktuell vor, oder?