Lesezeichen
 

Perfect Pussy

Das Hardcore-Quintett aus Syracuse, New York, rockt auf Kampnagel. Im Vorprogramm spielt das Hamburger Duo St. Michael Front seine Lieder für den Untergang.

Ganz schön oller Hardcore-Shit, aber trotzdem (oder gerade deswegen?) ganz nett: Perfect Pussy sind derzeit ziemlich angesagt, obwohl sie im Grunde wie eine Band der Mittachtziger klingen: melodische Breitband-Riffs á la Hüsker Dü, konsequentes Up-Tempo-Drumming, Screamo-Vocals. Was das US-Quintett dennoch besonders erscheinen lässt? Zum einen die Tatsache, dass es sich einen festen Keyboarder leistet, der den Brachialsound der Band um Soundflächen und Quietsche-Sounds ergänzt. Und dann ist da noch Sängerin Meredith Graves. Ihr Organ scheint zwar nicht gerade viele Tonlagen zu kennen, aber wir sind ja hier auch nicht beim Prog-Rock. Vorsicht: explicit lyrics! Aber das versteht sich ja bei dem Bandnamen sowieso fast schon von selbst. Den Support für Perfect Pussy besorgen St. Michael Front, deren sarkastischer Folk dem Sound der Hauptgruppe diametral gegenüber steht. Kurzweilige Paarung.

 

Zur Sache, Schätzchen!

Die Insel-Lichtspiele in Wilhelmsburg zeigen May Spils‘ Erfolgskomödie als letzte Vorstellung der Open-Air-Saison unter dem Motto „Scheitern“.

Altes, kulturell verknöchertes Deutschland auf dem Weg zur geistigen Modernisierung: In München-Schwabing Ende der 1960er beobachtet der vom Leben gelangweilte Schlagertexter Martin (gespielt von Werner Enke) einen Einbruch, den er – nach einigem Widerwillen – der Polizei meldet. Weil er an der Aufklärung der Tat nicht interessiert zu sein scheint und zudem noch eine Abneigung gegenüber Autoritäten jeder Art an den Tag legt, zieht er den Verdacht der Beamten auf sich. Als dann Barbara (Uschi Glas) auftaucht, nimmt die Geschichte Fahrt auf. Der 1968 fertiggestellte Streifen von May Spils gehörte zu den kommerziellen Erfolgen des „Jungen Deutschen Films“ und brachte der Erwachsenenwelt Begriffe wie „fummeln“ und „Dumpfbacke“ bei. Ebenfalls interessant: Da kurz nach Beginn der Dreharbeiten der Student Benno Ohnesorg in Berlin erschossen wurde, änderte man das Ende des Films: Aus Totschlag wurde ein Streifschuss.

 

 

Dries Verhoeven

Der niederländische Künstler präsentiert sein Projekt „Ceci n’est pas – 10 Ausnahmen von der Regel“ in der Spitaler Straße.

Der niederländische Künstler Dries Verhoeven bewegt sich mit seinen Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Theater und Installation. Die Begegnung mit unerwartet radikalen Aussagen und unbequemen Wirklichkeiten ist integraler Bestandteil seiner Kunst. Im Rahmen des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel präsentiert Verhoeven das Projekt Ceci n’est pas – 10 Ausnahmen von der Regel: Über zehn Tage lang konfrontiert er Passanten in der Hamburger Innenstadt mit unterschiedlichen Tableaux Vivants, lebendigen Bildern von gesellschaftlichen Randbereichen, die in einer vermeintlich heilen Konsumwelt als störend empfunden werden müssen. In Anlehnung an sogenannte Freakshows und Menschenausstellungen der letzten Jahrhunderte rückt er Ikonen von Schwäche, Unvollkommenheit und Ängsten ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Die Performance-Vitrine in der Fußgängerzone wird täglich für fünf Stunden zwischen 15 und 20 Uhr im 15 Minuten-Takt bespielt.

 

Lesebühne Längs

„Sex on the beach“ gefällig? Die Hamburger Autorengruppe lädt zur Lesung einer Best-of-Auswahl ihrer Sexgeschichten an den Elbstrand Övelgönne.

Wer auch nur ein Mal mit Fahrrad und offenen Augen durch die Stadt gefahren ist, wird bemerkt haben: Hamburg ist nicht gerade arm an schönen Eckchen und lauschigen Plätzchen, die an einem Sommerabend, wie sie in diesem Jahr fast schon inflationär vorkommen, den Alltag und so manche Sorge vergessen lassen. Doch kaum ein anderer Ort in Hamburg weckt so starke Urlaubsgefühle, erzeugt Fernweh und Reiselust wie der Elbstrand in Övelgönne. Kein Wunder also, dass es einmal im Jahr auch die Lesebühne Längs aus dem Mathilde Literaturcafé zu den Sonnenanbetern ans Wasser zieht. So viel nackte Haut bietet den idealen Rahmen, wenn es mit Jan Kluczewitz und Thomas Nast beim „Best Of“ ihrer legendären Sexgeschichten etwas anzüglicher wird. Wem dabei zu heiß wird, kann ja zum Abkühlen kurz einen Fuß in die Elbe setzen.

Text: Alessa Pieroth

 

Das Münzviertel feiert

Das kleinste und zugleich charmanteste Straßenfest der Stadt bietet einen Flohmarkt, diverse Gastro-Angebote und einen Haufen toller Live-Bands.

Es mag das kleinste Straßenfest der Stadt sein, und das Viertel, in dem es stattfindet, zählt nicht gerade zu den bekanntesten, erst recht nicht zu den beliebtesten Wohngegenden Hamburgs. Doch nicht nur das Musikprogramm ist hier immer wieder bestechend hochklassig, auch die bescheidene Do-it-yourself-Atmosphäre, die dieses Straßenfest (anders als andere) ausstrahlt, macht es so ungeheuer sympathisch. Neben einem Flohmarkt, gastronomischen Angeboten und Infoständen verschiedener politischer Initiativen, spielt die Musik ab 14 Uhr auf der großen Bühne des Münzviertel-Fests, wo verschiedene Hamburger Acts auftreten werden, so zum Beispiel das imposante Gitarre-Schlagzeug-Duo Totenzug, die Minimal-Rocker von Twisk und das Jazz-Trio ¡CARAMBA!. Aus Berlin wird das Abstract-Pop-Duo Hunger erwartet, für Musik vom Plattenteller sorgt DJ Dorien Grey.

 

Death Metal

Volle Brachial-Packung im Marx: Devastator, Rebattered und Hydrophobic ballern ihre tiefergelegten Riffs im MarX herunter.

„Zarte Melodien und Akustikgitarren werden also eher weniger an diesem Abend zu erwarten sein!“ – so kündigt die Website der Markthalle diesen Abend an. Und, in der Tat: Am 9. August gibt es im kleinen Saal der traditionsreichen Venue am Klosterwall ordentlich auf die Ohren. Verschiedene Varianten dessen, was sich Ende der 1980er Jahre als Death Metal herausgebildet hat, werden hier zu hören sein: reiner Death Metal von Hydrophobic; Boreout Syndrome stehen mit mindestens einem Zeh im Grindcore; und Rebattered reichern ihren Death-Sound mit Elementen aus dem guten, alten Thrash Metal an. Headliner des unter dem Motto Passionate Brutality Vol. 1 stehenden Konzertreigens sind schließlich Devastator, fünf Jungs aus Hamburg, die ihren komplex strukturierten Tech-Death mit zahlreichen Ideen vollballern, anstatt sich auf zwei Riffs pro Song auszuruhen. Ein intensiver Abend ist also garantiert.

 

Rausch

Im Rahmen des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel präsentiert der ehemalige Selig-Frontmann Jan Plewka sein Song-Programm über Liebe, Drogen und Alkohol.

Dass Jan Plewka einen Hang zur Inszenierung hat, hat er mit seinen Interpretationen von Rio Reiser und Simon & Garfunkel gezeigt. Diesmal geht es beim Frontmann der wiedervereinigten Rockband Selig um Rauschzustände. Beim dreiteiligen Konzertabend auf Kampnagel ist jedes Konzert einem eigenen Suchtmittel gewidmet: Alkohol, Drogen und Liebe. Dabei singt Plewka Lieder von Heinz Erhardt bis zu den Dead Kennedys in Begleitung seines Bandkollegen, dem Komponisten Leo Schmidthals. Inszeniert wird das musikalische Kammerspiel vom Ex-Schauspielhaus-Intendanten Tom Stromberg. Nicht nur die Themen des bacchantischen Konzertabends muten anarchisch an, sondern auch die Spielstätte: Das Kanalspielhaus Flora bildet das besetzte Rote-Flora-Gebäude nach und trägt damit zur Debatte über öffentliche Räume bei. Der alternative Kulturraum mit subversivem Flair wurde nach ökologischen Prinzipien von der Hamburger Künstlergruppe Baltic Raw gestaltet. Es ist Platz für nur 99 Besucher – Ticketreservierung wird empfohlen.

Text: Natalia Sadovnik

 

Peaches

Grand Dame des Elektropunks und exaltierte Rampensau: Die kanadische Performerin gastiert auf Kampnagel – das Konzert ist ausverkauft.

Anfang des Jahrtausends trat Merrill Nisker erstmals als Peaches in Erscheinung. Im Verbund mit Bands wie Chicks On Speed und Le Tigre stellte sie Geschlechterrollen infrage, allerdings ohne allzu akademischen Gender-Theories-Gestus. Diese Musik kochte sich aus Elektro und Punk ihr eigenes Süppchen, Niskers Debüt The Teaches Of Peaches fügte dem Ganzen außerdem eine gehörige Portion Hip-Hop hinzu. Und sie fand Nachahmer: Bands wie Gossip oder die ebenfalls beim Kampnagel-Sommerfestival auftretenden Perfect Pussy schulden einiges dem selbstbewussten Feminismus der kanadischen Wahl-Berlinerin. Mittlerweile wäre Peaches also so etwas wie eine Grand Dame des Elektropunks, nur dass der exaltierten Rampensau nach wie vor alles Damenhafte abgeht. Ihr jüngstes Album I Feel Cream zeigte sie 2009 noch immer voller Energie, auf Kampnagel darf sie beweisen, dass sie in den vergangenen Jahren nichts verlernt hat: Ihre Konzerte sind immer auch perfekt gestylte, provokative Performances, mit Sexappeal abseits degradierenden Hip-Hop-Hinterngewackels.

Text: Michael Weiland

 

Protomartyr

Das Quartett aus Detroit präsentiert die Songs seines zweiten Albums, „Under Color Of Official Right“, live im Hafenklang.

Klingt gut: Die Gitarren auf Protomartyrs zweitem Album, Under Color Of Official Right, haben jenen leicht verschwommenen Post-Punk-Punch, zu dem auch Interpol mit der Single All The Rage Back Home gerade zurückgefunden haben. So lange niemand eine bessere Idee hat, kriegt man aus dem Sound doch immer noch ein paar ganz gute Songs heraus. Das Quartett aus Detroit begegnet der desolaten Kaputtheit ihrer Heimatstadt zwar nicht gerade mit ansteckender Lebensfreude, aber auch nicht mit achselzuckender Niedergeschlagenheit. Under Color Of Official Right ist pulsierender Punkrock kurz vorm Siedepunkt, Krach mit Selbstbeherrschung, auch der Gesang macht nicht viel Aufhebens um sich. Natürlich hat man das alles schon mal gehört, und gelegentlich besser. So oft aber nun auch wieder nicht. Muss man im Auge behalten.

Text: Michael Weiland

 

 

Massaya Soundsystem

Die Hamburger Reggae-Crew feiert im August das 11. Jahr ihres Bestehens mit zwei Partys – eine davon ist der „Boat Ride“ mit Mango Tree.

Im Sommer 2003 veranstaltete das Massaya Soundsystem seine ersten Tanznächte in der Roten Laterne auf dem Kiez. Dann folgte der Sieg beim renommierten Hamburg 45 Clash, und als erstes deutsches Soundsystem konnte Massaya in Großbritannien einen Soundclash gewinnen. 2006 startete die eigene Partyreihe Destination: Kingston – zunächst im Fundbureau, später im Waagenbau. Mittlerweile wurde mit dem Hafenklang ein perfekter Ort gefunden. Interview mit Semik, einem der Massaya-Betreiber.

SZENE HAMBURG: Ihr feiert an gleich zwei Tagen Geburtstag. Was erwartet eure Gäste?

Semik: Wir wollten unser Jubiläum unbedingt Open Air an der Elbe feiern, denn so haben wir vor elf Jahren begonnen – mit einem Soundsystem am Elbstrand gegenüber den Landungsbrücken. Wir mögen aber auch die heißen, lauten Clubnächte – und deshalb laden wir noch in unseren Stammclub.

Was hat sich für euch als Veranstalter in den letzten Jahren verändert?

Semik: In unserer Anfangszeit profitierten wir sehr vom Reggae- & Dancehall-Hype, den man mit Sean Paul und Gentleman assoziiert. Wenige Jahre später war es nicht mehr so leicht, viele Leute für die Soundsystem-Kultur zu begeistern. Veranstaltungen wurden eingestellt, auch weil viele Clubs keine Lust mehr auf Reggae & Dancehall hatten. Die Entscheidung mit „Destination: Kingston“ vom Waagenbau ins Hafenklang umzuziehen, war großes Glück. Dort passt alles: der Sound, das Publikum, die Leute, die Preise.

Bei der Bootsfahrt sind erneut Mango Tree zu Gast. Wie entstand die Verbindung nach Nürnberg?

Semik: Wir haben vor acht Jahren das erste Mal zusammen mit ihnen auf einer Party von Hakuna Matataa aus Leipzig aufgelegt. Das war eine der heftigsten Partys, die wir bisher gespielt haben. Seitdem sind wir regelmäßig in Nürnberg zu Gast und laden die Franken immer wieder nach Hamburg ein. Wir ergänzen uns perfekt.

Interview: Ole Masch