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Farao

3144 Fotografien auf 4 Minuten und 22 Sekunden. Alle zeigen Kari Jahnsen, die Sängerin der norwegischen Band Farao. Das Musikvideo zu ihrem Song The Hours ist genau wie ihre Musik: irgendwie verwunschen und verträumt. Während ihre ersten Songs noch sehr vom Folk beeinflusst wurden, spielen auf der neuen Platte ungewöhnliche Grooves und Rhythmen die entscheidende Rolle, die Gitarre rückt dabei etwas in den Hintergrund. Zwar ist die Singersongwriterin in Großstädten wie London und jetzt Berlin zu Hause, doch hat sie ihre Musik in der Abgeschiedenheit Islands aufgenommen. Jetzt kommt sie nach Hamburg und stellt ihr Debütalbum Till It’s All Forgotten vor.

Text: Louise Otterbein

 

DAS EFX

Das Rapduo DAS EFX gab in den 90ern im Underground den Ton an. Dabei steht „DAS“ für „Drayz and Skoob“ und „EFX“ für „effects“. Aha! Wer also dachte, Snoop Dogg wäre der Erste gewesen, der mit seinem ge-izzle für Schwung in der Szene gesorgt hat, liegt falsch. Denn die beiden Jungs aus Brooklyn haben schon davor ins Mikrofon gespittet. Ihr Stil, der stark vom jamaikanischen Ragga beeinflusst ist, brachte auf dem Debütalbum Dead Serious die Massen zum Nicken. Nun ziehen uns Krazy Drayzy und Skoob für eine Nacht an unseren Baggy Pants zurück ins New York der 1990er Jahre – und zwar ganz stilecht unter einer U-Bahn-Brücke im Waagenbau.

Text: Louise Otterbein

https://youtu.be/UmiiW936jqw

 

„Garp und wie er die Welt sah“

„Das Leben ist ein Kampf“ scheint das Ringerballett am Anfang des Stücks Garp und wie er die Welt sah zu suggerieren, mit dem das Altonaer Theater die neue Spielzeit eröffnet. Intendant Axel Schneider hat in seiner Adaption die komplexe Handlung von John Irvings gleichnamigem Bestseller geschickt gestrafft – von Garps ungewöhnlicher Zeugung bis zu seinem gewaltsamen Tod. In der temporeichen Tragikomödie wird die absurd-skurrile Lebensgeschichte des vaterlosen Garp (Benjamin-Lew Klon) erzählt, Regisseur Michael Bogdanov legt in seiner Inszenierung den Fokus ganz auf den Titelhelden. Die vielen Facetten anderer wichtiger Figuren wie Garps Mutter Jenny (Isabell Fischer) und seine transsexuelle Freundin Roberta (Tobias Kilian) werden dabei weniger berücksichtigt, ebenso wie die Geschichte des Feminismus, die in dem Roman von 1978 eine zentrale Rolle spielt. Ein kurzweiliger Theaterabend.

Text: Angela Kalenbach

 

Schafe für St. Pauli

Es blökt diesmal am KunstHasserStammTisch, bei dem sich alles um Schafe in der Stadt dreht. Urban Gardening? Das ist ja so gestern! Wie wäre es denn vielmehr mit einem Schäfer für St. Pauli und mit seinen Herden auf den Grünflächen des Stadtteils? Oder vielleicht auf dem Dach der neuen Esso-Häuser? Oder wie steht es mit einem Winterlager auf dem Feldstraßenbunker? Wie würde der ideale Lastenaufzug für die Tiere aussehen? Und würden sie zwischendurch dann durch die Straßen getrieben werden? Fragen über Fragen, mit denen sich der Schäfer Volker Derbisz aus Neuengamme, die Biologin Dr. Julia Offe und auch die noroom-gallery selbst, beschäftigten. Schafe hüten als Handlungskunst? Als Hirngespinnst? Oder ein Projekt mit Potenzial? Nach dem KunstHasserStammTisch wissen wir mehr. Auch darüber, was es als Schäfer alles braucht – und auch als Hütehund.

Text: Sabine Danek

 

Bonaparte

Es macht keinen Sinn, über Genrezugehörigkeiten zu fachsimpeln, geht es um Bonaparte. Weil es für diese Band schlichtweg keine Schublade gibt. Diese laute, grelle, schrille, einfach nicht zu bändigende Truppe um den Schweizer Gitarristen und Sänger Tobias Jundt macht, was sie will – und das ist meistens ein ziemliches Theater. Tierkostüme, Hauptmannsjacken, Perücken, Augenklappen, nackte Brüste: alles ist erlaubt, wirklich: alles. Während Jundt mit der E-Gitarre vorne steht, tanzen hinter ihm die Puppen jeden denkbaren Tanz. Die Bühnenshow der Band ist an Extremitäten kaum zu übertreffen. Auch nicht zu unterschätzen: der Soundtrack des Spektakels. Bei Bonaparte trifft das schräge Bühnenbild auf Punkmusik und ekstatischen, teils hymnischen Gesang. Unbeschreiblich eben. Die am selben Tag im Ball des Uebel & Gefährlich angesetzte Lesung mit Michael Nast und Oliver Korittke um 20 Uhr ist leider bereits ausverkauft.

Text: Erik Brandt-Höge

 

Hamburger Theaterfestival

Von Beginn an groß angelegt, wächst die Veranstaltung in diesem Jahr über sich hinaus: Unter den zehn Produktionen, die jeweils nur ein- oder zweimal zu sehen sind, finden sich klangvolle Namen in spektakulären Stücken. Das Hamburger Theaterfestival eröffnet mit einer fiesen historischen Schlussmach-Geschichte: Marcelle Sauvageot wurde Anfang des 20. Jahrhunderts mit den knappen Worten: „Ich heirate … Unsere Freundschaft bleibt …“ abserviert, worauf sie ihr einziges Werk verfasste. Mit ihrer klaren Analyse befreit sich die früh an Tuberkulose verstorbene Autorin aus ihrer emotionalen Ohnmacht. Der als Antwort auf den lapidaren Trennungssatz gedachte Briefroman Fast ganz die Deine wurde allerdings nie abgeschickt und auch erst post mortem veröffentlicht. Johanna Wokalek (Foto) und das Merlin Ensemble Wien entwickeln aus dem Stoff einen musikalisch-literarischen Abend.

 

Ben Becker

Berlin, Ende der zwanziger Jahre: Die Stadt ist politisch zerrissen und wirtschaftlich gebeutelt. Ernst Haffner arbeitet als Journalist und Sozialarbeiter und hat so Kontakt zu jugendlichen Obdachlosten. Von den Nazis öffentlich verbrannt, geriet der so entstandene Roman Blutsbrüder (im Original: Jugend auf der Landstraße Berlin) bald in Vergessenheit – bis der Metrolit Verlag ihn vor zwei Jahren erneut veröffentlichte.

Haffner schildert den Alltag einer Jugendsubkultur während der prekären Wirtschaftslage der Weimarer Republik, als Tausende Jugendliche auf der Straße lebten. Zwischen Überlebenskampf und Freiheitsdrang suchten sie in organisierten Cliquen Schutz und ein Zuhause. Von Ernst Haffner selbst ist nur sehr wenig bekannt, 1938 wurde er vor die Reichsschrifttumskammer zitiert, danach verliert sich seine Spur. Ben Becker liest am 5., und 6.10. im St. Pauli Theater mit gewohnt dramatischer Betonung aus seinem Buch.

Text: Hedda Bültmann

 

Mo Kenney

Ihre Songs kommen mit schmissigem Drive daher, wer dem Text folgt, stellt aber bald fest: hier wird bissig und schonungslos aus dem emotionalen Nähkästchen geplaudert. Gleich im Opener ihres vielbeachteten 2014er Albums In My Dreams haut sie raus: „I Faked It„, womit ihre Gefühle zum Partner gemeint sind. Ein ander Mal fragt sie zwischen dem treibenden Beat dann: „Have I made myself clear?„. Auf jeden Fall!

Die junge Kanadierin mit viel Stimme und Selbstbewusstsein hat schon mit Joel Plaskett und Ron Sexsmith getourt (und ihm den Kopf verdreht). Ihrem Sound ist die frühe Liebe zum Classic Rock deutlich anzuhören, dazu gesellen sich Pop und Folk und ihre multiinstrumentalen Fähigkeiten. Auf dem Reeperbahn Festival konnte man schon zweimal dieses Phänomen bewundern, nun auch im Nochtspeicher, wo sie erneut und trotz aller Toughness ihr chronisches Lampenfieber überwinden muss.

 

„Off Course“

Hochqualifiziert und trotzdem ohne Aussicht auf eine gute Anstellung sitzen die Freunde Hugo und Braulio in ihrer von der Wirtschaftskrise gebeutelten Heimat Spanien. Der eine hat zwei Uniabschlüsse und einen Master in Wirtschaft, der andere ist Molekularbiologe. Im Fernsehen läuft eine Sendung über den boomenden Arbeitsmarkt in Deutschland und überhaupt ist Berlin ja so cool. Da beschließen sie auszuwandern. Die Koffer sind gepackt, es geht los und in Berlin wartet keiner auf die beiden – außer der Besitzer eines Kebab-Ladens, bei dem sie wohnen können. Endstation Dönerspieß? Oder gibt es doch noch eine Zukunft in der deutschen Hauptstadt? Nacho Garcia Velilla hat mit Off Course eine charmante Krisen-Komödie mit spleenigen Typen gedreht und das Filmfest Hamburg zeigt sie am Sonntag.

Text: Andra Wöllert

 

„LIFE“

Es ist ein Foto, das jeder kennt: James Dean am verregneten Times Square in New York, den Mantelkragen hochgestellt, eine Zigarette im Mundwinkel und weit und breit keine Menschenseele. Wie es zu dem Foto kam und zu den vielen anderen James-Dean-Porträts, die der Fotograf Dennis Stock 1955 für das Life Magazine schoss, erzählt Anton Corbijn in seinem neuesten gleichnamigen Film.

Die berühmte Life-Serie von Dennis Stock zeigt James Dean auf der Farm seiner Familie in Indiana, mit Kühen, mit seinem Neffen in Comics vertieft, Schweine streichelnd im Stall, sprühend vor Energie, zärtlich und versetzt mit der berühmten Ironie, die sein Lächeln umspielt. Nur wenige Monate später stirbt Dean, gerade mal 24 Jahre alt, in seinem Porsche und Stocks Porträts tragen einen großen Teil zur Legendenbildung bei.

Corbijn erzählt, wie die zwei ungleichen Charaktere sich auf die Reise quer durch die USA machen: Stock (Robert Pattinson), ungelenk und getrieben, der seine Chance zum Durchbruch wittert und Dean (Dane DeHaan), der so selbstbewusst wie unberechenbar ist, gezeigt wird das alles ganz konzentriert in einer Abfolge perfekt inszenierter Bilder. Der Film läuft derzeit unter anderem im 3001 Kino.

Text: Sabine Danek

https://youtu.be/lMMwg4RoaRU