Der Stein, der den Spielern des FC St. Pauli vom Herzen fiel, war nach der 0:1-Niederlage zum Saisonfinale in Darmstadt noch im Clubheim am fernen Millerntor zu hören. Den FC-Anhängern hier und rund um das Millerntorstadion ging es natürlich nicht anders. St. Pauli hatte verloren und darf doch gerade eben noch in der 2. Bundesliga bleiben.
So feierte der einst als Aufstiegsaspirant ins Rennen geschickte Verein seinen Nichtabstieg wie einen Aufstieg. Im Stadion am Böllenfalltor lagen sich die tatsächlich aufgestiegenen Darmstädter und die St. Paulianer in den Armen und feierten den glimpflichen Ausgang einer katastrophalen Saison gemeinsam.
Dabei hatte die Mannschaft von Darmstadt 98 lange keinen Zugriff auf das Spiel gehabt, was man als tatsächlicher Aufstiegskandidat eigentlich hätte haben müssen. Der FC St. Pauli verteidigte mit Mann und Maus und hielt so lange das 0:0. Als dann klar wurde, dass Darmstadts Konkurrenten punkteten und nur ein Sieg den Hausherren helfen kann, schafften die Darmstädter mit Willenskraft und unterstützt von unfairen Showeinlagen noch ihren Sieg. Nach einem ungeschickten Foul von Enis Alushi an einem der fallsüchtigen Darmstädter Offensivspieler, erlöste der folgende platzierte Freistoß die Hausherren. St. Pauli gelang in der Folge nichts Nennenswertes mehr.
Herzflimmern zum Schluss
Spannend wurde es aber noch durch die Aufholjagd von Erzgebirge Aue. Die kämpferischen Underdogs aus dem Südosten der Republik schafften in der 88. Minute ihres Saisonfinales gegen Heidenheim ein 2:2 – noch ein Tor für Aue und St. Pauli hätte als zweite Hamburger Mannschaft in die Relegation gemusst. „Bitte nicht“, schickte ich Stoßgebete gen Himmel, aber Anna, meine Nebensteherin von der Gegengeraden, tröstete mich: „Keine Angst, ich hab das alles schon im Januar gewusst: 19 Punkte reichen.“
In der Tat hatte sie bei Facebook eine Liste gesehen, in der ein St. Paulianer – der nette Josef von der Haupttribüne – bereits im Frühjahr, als man heillos im Keller feststeckte, ausgerechnet hatte, dass weitere 19 Punkte reichen würden. Und die hatten die Boys in Brown bereits mit dem unerwarteten Auswärtserfolg in Kaiserslautern und dem außergewöhnlichen Heimsieg gegen Bochum eingefahren.
So wurde Josef zu unserem stillen Helden im Abstiegskampf und zum Trostspender für die letzten aufregenden Minuten. Dann Schlusspfiff, Platzsturm und Jubel. Bei Siegern und Besiegten. Ewald Lienen, Jan-Philipp Kalla und Robin Himmelmann sind danach auf dem Heimweg nach Hamburg im Sonderzug der St.-Pauli-Fans mitgefahren. Fotos von Sonnenbrillen tragenden Fußballprofis, glücklich lächelnd in den Armen ihrer Fans, machten via Twitter die Runde – tatsächlich, wie bei einer Aufstiegsfeier. Der Druck war raus, die Freude groß.
Anna und ich stießen noch mehrere Male auf dieses Finale und besonders auf unseren Helden an: Auf den von uns Chéwald getauften Ewald Lienen, für den die Hamburger Hip-Hop-Band Fettes Brot einen Nichtabstiegssong einspielte. Wie viel diesem akribischen Nettmenschen tatsächlich gelungen ist und was er in diesem verunsicherten Kader freilegte, um so einen fulminanten Endspurt hinzulegen, war kaum zu hoffen im klammen Januar und macht dankbar. Und lässt uns schon auf nächste Saison freuen.
In der Zwischenzeit fährt St. Pauli seinen Puls herunter, diskutiert schon über zu verlängernde Verträge, wie den von Seitenlinienarbeiter Sebastian Schachten. Und Anna und ich freuen uns auf eine Relegation ohne Herzkasper, die des Vizestadtmeisters gegen 1860 München den KSC.