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Computerspieler als tapfere Rebellen gegen die bürgerliche Gesellschaft?

 

Aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 26.11.2006:

Aber man kann doch nicht leugnen, daß Gewalt ein wichtiger Bestandteil von Spielen ist.

Zugegeben: Als ästhetisches Motiv ist Gewalt in Computerspielen im Gegensatz zu Horrorfilmen, Schauerromanen oder Death-Metal-Bands nicht unbedingt ein Nischenphänomen. Was ganz einfach damit zusammenhängt, daß man in virtuellen Welten außer den Dingen, die man nicht auf die Reihe kriegt (das Alltagsleben oder die Profikarriere), auch ausleben kann, was man nicht darf (das Töten). Es ist eben die Funktion der Kunst, jenen Verhaltensweisen ein Reservoir zu bieten, die im gesellschaftlichen Umgang miteinander nicht als salonfähig gelten, sei es als Folge kultureller Ächtung oder sozialer Übereinkunft. Nicht nur für Menschen, die sich als Verlierer dieser Ausgrenzung fühlen, sind anders gestrickte Parallelwelten interessant, sondern auch für solche, die sich vom herrschenden Geschmacksterror nicht ihren stilistischen Horizont vorgeben lassen wollen. Für den Hannoveraner Medienwissenschaftler Christoph Klimmt hat der Einsatz von Gewaltmotiven noch einen weiteren Grund: „Das Element der Gewalt macht die Dimension des Konflikts, den es zu lösen gilt, deutlicher – er gewinnt dadurch an Relevanz.“ Besonders für männliche Jugendliche geht es zudem um die Suche nach Rollenmustern für Männlichkeit.

Man möchte die Bedeutung der Gewalt in der Computerspielewelt nicht rundheraus leugnen, was ja derzeit auch nicht gut geht.

Aber so richtig heran an das Thema traut man sich denn auch wieder nicht: „nicht unbedingt ein Nischenphänomen“ – das ist gut!

Nachdem die Autoren eingangs ihres Artikels einfach so behauptet haben, dass es bei den Spielen überhaupt nicht um die Gewalt gehe („denn erstens wird ja keine Gewalt ausgeübt beim Spielen…“) – kommen sie nun mit einer Kompensationstheorie, die dazu nicht so recht passt. Denn dazu müssen sie annehmen, die Lust an der verbotenen realen Gewalt werde kompensiert durch die virtuell ausgeübte Gewalt. Die Spiele-Gewalt sei also ein Form des Handelns, nicht bloss des Rezipierens eines Abbilds der Gewalt (wie etwa im Film).

Das Töten beschreiben sie dann als eine „Verhaltensweise“, die nicht als „salonfähig“ gilt – infolge „kultureller Ächtung“. Und diese Ächtung wird nun in die Nähe des „herrschenden Geschmacksterrors“ gerückt, der den Menschen leider einen „stilistischen Horizont“ vorgibt. Wer virtuell tötet, überschreitet also mutig und rebellisch die Grenzen, die ihm die moralisierende Spiesserwelt zieht. Der Killerspieler ist ein Rebell wieder die bürgerliche Gesellschaft mit ihrem Geschmacksterror.

Dann wiederum scheint es aber doch nicht um die Gewalt per se zu gehen – sie macht bloss, wie der zitierte Medienwissenschaftler erklärt, von ihr unabhängige Konflikte „relevant“. (Den alten Konflikt zwischen Menschen und Moorhühnern, Menschen und Aliens?)

Am Ende wird dann noch beiläufig hingeworfen, dass männliche Jugendliche in Spielen Rollenmuster suchen. Guter Punkt!

Schade nur, dass manche dabei Rollenmuster finden, die häßliche Konsequenzen für sie und andere haben. Aber dazu – zum Hauptpunkt des Problems – zur Krise der Männlichkeit und ihrem Ausdruck in den Ballerspielen – kein Wort von den geschätzten Kollegen.