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Ohne absolute Wahrheit keine Toleranz – Replik auf Micha Brumlik

 

Der geschätzte Micha Brumlik setzt sich heute in der taz in einem Essay mit der Haltung der Kirche (der evangelischen im engeren Sinne) zu den Muslimen auseinander.

Die kirchliche Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ – die bei den Muslimen zu großem Ärger geführt hat – ist auch Brumlik übel aufgestoßen. Er nennt sie zwar „insgesamt moderat“, aber es bleibt doch ein „Unbehagen“.

Es rührt daher, dass sogar eine so aufgeklärte religiöse Organisation wie die EKD in einem wenn auch letzten Rückzugswinkel nicht umhinkann, eine große andere Religion in einigen Hinsichten abzuwerten. Zu behaupten, es ginge dabei nur um das ehrliche Herausarbeiten von Differenzen, wird dem theologischen Duktus der Handreichung nicht gerecht. Bei aller Toleranz im zivilen Umgang klammert sie sich krampfhaft an einen absoluten Wahrheitsanspruch.

Dies wiederum berührt mich sehr eigenartig: Denn wieso ist das festhalten an einem „absoluten Wahrheitsanspruch“ mit der „Abwertung einer großen anderen Religion“ gleichzusetzen? Ich kann diesen Zusammenhang nicht erkennen. Ich würde es sogar umdrehen: Nur wer an seinem Wahrheitsanspruch (ist der nicht per se „absolut“) festhält, kann überhaupt verstehen, warum andere dies ebenfalls tun. Die Einsicht in den „Absolutismus“ der Wahrheitsansprüche ist somit die Basis für gegenseitige Toleranz: Denn nur, was sich nicht irgendwo im relativen Konsens treffen kann – und dies ist bei den monotheistischen Religionen der Fall, braucht Toleranz: eine Form der humanen Resignation angesichts der Tatsache, dass man den anderen Wahrheitsanspruch (im Auge des anderen) nicht falsifizieren kann.

Das ist etwas, das im religiös lauen Europa leicht vergessen wird. In den USA ist es gelebte Wirklichkeit. Wir müssen das als unsere Zukunft erkennen.

Die EKD-Schrift, die übrigens nicht von der „theologischen Kammer“ der EKD (sowas gibt es nicht), sondern von einer bunt zusammengesetzten Arbeitsgruppe geschrieben wurde (darunter moderate Evangelikale, ein katholischer Theologe und der religionspolitische Kopf der Friedrich-Ebert-Stiftung), bekennt sich aus diesem Geist auch zur Mission. Das ist ein Unwort für manch einen, aber man sollte dies nicht dramatisieren in einer Zeit der Kirchenflucht: Die Kirche tut alles, was sie tut – auch die Kindergartenbetreuung, die Altenpflege, den Sozialdienst – immer schon im Geist des christlichen Bekenntnisses und letztlich als Bekenntnis.

Ohne Bekenntnis – und das heisst auch ohne das Wissen, wofür man als Kirche steht – kann es keinen sinnvollen Dialog geben. Eine Krankheit des so genannten Dialogs der letzten Jahre war die Selbstverluegnung und Eskamotierung von Gegensätzen unter faulen Konsensformeln wie der vom „Glauben an den selben Gott“. Nun wird der Glaube an „einen Gott“ als Gemeinsamkeit bewahrt, während man zugleich auf der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Bilder und Vorstellungen von Gott beharrt. Wie anders wäre das jeweilige Bekenntnis überhaupt zu erfassen?

Brumlik aber deutet die EKD-Schrift sehr ungnädig und sozialpsychologisierend als Angst-Zeugnis:

Versucht man, diese Befunde zu deuten, so bleibt kaum ein anderer Schluss übrig, als dass die christlichen Kirchen in Deutschland der Weiterentwicklung des Landes zu einer multireligiösen Gesellschaft keineswegs mit fröhlicher Zuversicht entgegensehen, sondern mit einem gerüttelt Maß an ganz unchristlicher Angst.

Schrumpfende gesellschaftliche Macht und Verunsicherung der eigenen Mitgliedschaft gehen Hand in Hand. Angst und Abwehr sind indes allemal schlechte Ratgeber. Sosehr es die Aufgabe der Kirchen in Zukunft sein wird, verängstigten Christenmenschen in ihren meist, nicht immer unbegründeten Befürchtungen ernst zu nehmen, so sehr sollten sie darauf achten, in ihren Theologien nicht genau das zu reproduzieren, was sie dann im seelsorgerlichen und sozialen Bereich mühsam wieder ruhigstellen müssen.

Angst ist in der Tat ein schlechter Ratgeber. Aber sie läßt sich nicht dadurch überwinden, daß man Befürchtungen einfach abtut (die ja auch Brumlik als „nicht immer unbegründet“ anerkennt). Und sie läßt sich nicht durch das fröhliche Überspringen von Differenzen in die „multireligiöse Gesellschaft“ beseitigen. Wahrhaft multireligiöse Gesellschaften relativieren die Wahrheitsansprüche nicht, sondern lehren die Menschen, konkurrierende Wahrheitsansprüche auszuhalten. Das muss allerdings auf echter, nicht bloss vorgespielter Gegenseitigkeit beruhen – und dabei hat „der Islam“ noch eine ganz schöne Wegstrecke vor sich. Die Angst, vor der Brumlik spricht, läßt sich nicht ohne Rückbesinnung aufs Eigene bekämpfen – weil es ohne Selbstachtung auch keine Empathie und keinen Respekt für den anderen geben kann.

Die EKD-Schrift ist kein Angst-Symptom, sondern ein Zeugnis, dass die evangelische Kirche selbstbewusst genug ist, die eigene Wahrheit herauszustellen, für die sie streitet. Sie bekennt übrigens auch, daß sie dieser Wahrheit oft genug im Wege steht und gestanden hat (und sie also nicht einfach „besitzt“). So kann ein Dialog beginnen, der seinen Namen verdient. Bisher hat die andere Seite leider nur mit Kränkung und Vorwürfen reagiert.