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ProReli – Berliner Bürger streiten für Religionsunterricht

 

 Aus der ZEIT von morgen, Donnerstag, 28.8.2008:

Dies also ist der Mann, in dem Berlins rot-rote Regierung einen Agenten des gesellschaftlichen Rückschritts ausgemacht hat. Christoph Lehmann, ein schlanker 46-jähriger Anwalt mit gewinnendem Lächeln und einem Büro in bester Lage am Kurfürstendamm, bereitet dem Senat mit einer Bürgerinitiative schlaflose Nächte. Der bekennende Katholik und CDU-Mann hat nämlich Pro Reli gegründet, eine Lobbygruppe für den Religionsunterricht. Katholisch, CDU, Anwalt, Westberliner – alles klar: Gern möchte man Lehmann und seine kleine Truppe als verstockte Westler abtun, die nicht zum bunten, weltoffenen und multikonfessionellen Berlin passen. Aber Lehmann macht es seinen Gegnern schwer. »Natürlich setzen wir uns auch für die Muslime ein«, sagt er. Sie sollen endlich einen regulären Religionsunterricht haben, ganz wie Katholiken, Evangelische und Juden.« Im Übrigen möchte er seine Sache nicht von der eigenen Partei instrumentalisiert sehen. Es wäre ihm nicht recht, sagt Lehmann, wenn Pro Reli vom Berliner CDU-Chef Pflüger für dessen nächste Kampagne vereinnahmt würde.
Wie bitte? So spricht ein Mann, der angeblich Berlin in die Ära der Kirchenkämpfe zurückzuwerfen versucht und der religiösen Segregation das Feld bereitet? Das zumindest behaupten die herrschenden Parteien – Wowereits SPD und die mitregierende Linke.

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Christoph Lehmann

Sie werden nicht ohne Grund nervös. Denn Christoph Lehmann hat Chancen, die Regierung der Hauptstadt nachhaltig in Verlegenheit zu bringen. Das liegt an zwei Berliner Besonderheiten. Berlin hat erstens keinen Religionsunterricht, wie man ihn sonst überall in Deutschland kennt. Reli­gions­unter­richt war in Berlin vielmehr seit 1948 ein Zusatzangebot, zwar während der normalen Schulzeit, doch freiwillig und ohne Einfluss auf den Notendurchschnitt. Vor zwei Jahren hat der Senat nun ab Klasse 7 einen verpflichtenden Ethikunterricht eingeführt. Der Religionsunterricht rückte damit oftmals in die späten Nachmittagsstunden. Viele Oberschüler meldeten sich ab, zumal sie durch die Verkürzung von 13 auf 12 Schuljahre ohnehin neue Belastungen zu schultern hatten. Lehmann und seine Initiative wollen nun die Gleichstellung von Religionsunterricht und Ethik erreichen: Jeder Schüler ab der ersten Klasse soll sich zwischen Ethik oder katholischem, evangelischem, jüdischem oder muslimischem Religionsunterricht als Wahlpflichtfach entscheiden können. Man hofft, damit die schleichende Verdrängung der Religion aus dem Schulleben zu stoppen.
Es ist die zweite Berliner Besonderheit, die Pro Reli hierbei ins Spiel bringt: Der rot-rote Senat hat in der letzten Legislaturperiode die Hürden für Volksbegehren gesenkt. Man wollte durch die Stärkung der direkten Demokratie die Politikverdrossenheit bekämpfen und die Bürger einbinden. Doch nun sieht sich die Regierung einem permanenten Legitimationsdruck ausgesetzt. Über alles und jedes gibt es plötzlich Volksentscheide: den Flughafen Tempelhof, die Situation der Kitas, die Bebauung des Spreeufers – und nun auch noch den Religionsunterricht. Längst verflucht sich der Senat im Stillen für seine basisdemokratische Großmütigkeit.
Pro Reli wird am 22. September beginnen, 170 000 Unterschriften zu sammeln, um einen Volksentscheid für ein Wahlpflichtfach Religion herbeizuführen. Die Kirchen werden sich voll hinter Lehmann stellen und ihre Mitglieder mobilisieren. Gelingt es binnen vier Monaten, die nötigen Unterschriften zu sammeln, wird der Vorschlag wahrscheinlich im Juni 2009, dem Tag der Europawahl, den Berlinern zur Abstimmung vorgelegt. Wenn dann mindestens 610 000 Wahlberechtigte zustimmen sollten, müsste der Berliner Senat das Schulgesetz ändern und regulären Reli­gions­unter­richt einführen – »Bekenntnisunterricht«, erteilt von den Glaubensgemeinschaften unter Aufsicht des Staates.
Doch in dem Berliner Fall schwingt Grundsätzliches mit: Soll Religion Privatsache sein, oder darf sie einen Platz im öffentlichen Leben beanspruchen? Sehen wir den Glauben als vitale Ressource für die freiheitliche Gesellschaft oder als Belastung und Gefahr, die der Staat einhegen muss, wie es die Gegner des Religionsunterrichts fordern? Wollen wir fremde Religionen wie den Islam ins Staatskirchenrecht einbinden oder raushalten?
Die Verteidiger des Ethikunterrichts argumentieren, ausschließlich der weltanschaulich neutrale Unterricht ermögliche es den Schülern, zwischen verschiedenen Kulturen sprech- und konsensfähig zu werden. Nur im gemeinsamen Unterricht ohne Abwahlmöglichkeit lerne man, so der Berliner Bildungssenator Jürgen Zöllner, »sich Andersdenkenden zu vermitteln, den eigenen Standpunkt nachvollziehbar zu begründen« und einen Wertekonsens zu finden. In einer Stadt mit einer großen muslimischen Minderheit und einer konfessionslosen Mehrheit ist das nicht von der Hand zu weisen.
Doch die Freunde des Religionsunterrichts setzen am gleichen Punkt an: Zur Toleranz sei nur fähig, wer den eigenen Glauben kenne. Ein muslimischer Junge, dem man im Ethikunterricht sagt, Mann und Frau seien gleichberechtigt, so Christoph Lehmann, könne der Meinung der Fundamentalisten, im Koran sei das nun mal anders vorgesehen, nicht im eigenen Vokabular entgegentreten. Man könne ihn aber durch einen vernünftigen Religionsunterricht in die Lage versetzen, aus der islamischen Tradition heraus dagegen zu argumentieren. Grundlage für Fundamentalismus, meint Lehmann, sei in allen Religionen die Unfähigkeit, sich die eigene Tradition kritisch anzueignen. Und die dafür nötigen Kenntnisse seien nicht wertneutral zu vermitteln, sondern nur in der lebendigen Auseinandersetzung mit geschulten und authentischen Vertretern des Glaubens. »Die Idee, wertneutral den Glauben zu vermitteln«, sagt Pfarrer Ralph Döring-Schleusener, der in Charlottenburg unterrichtet, »ist so sinnvoll wie ein Musikunterricht, in dem nie gesungen wird. Ich bin als Pfarrer nicht neutral, aber ich missioniere auch nicht. Und gerade darum können sich meine Schüler an mir reiben. Ich gebe zu, wir wollen etwas auf den ersten Blick Paradoxes: Wir streiten für das Recht, als Teil des Bildungssystems auch ein Raum für das ganz andere zu sein – ein Freiheitsraum für Grundsatzfragen, die man sich anderswo verkneift.«
Hat das Fragen nach dem letzten Sinn, Gut und Böse, Freiheit und Schuld, Verstrickung und Erlösung – mit anderen Worten: Hat die Frage nach Gott einen Platz im normalen Curriculum der Schule? Aufseiten der Ethikbefürworter gibt es manche, die das radikal verneinen, etwa die Atheisten des Humanistischen Verbandes. Der Verband ist in Berlin Träger des Ethikunterrichts. Doch wie wertneutral sind eigentlich die selbst ernannten Humanisten, wenn auf der Web­site ihres Pressedienstes für T-Shirts mit herabsetzenden Slogans wie »Religion ist heilbar« geworben wird?
Vor allem eine Partei wird wieder einmal leiden, sollte es zur Abstimmung kommen – die SPD. Denn viele Parteigenossen sind zugleich in der evangelischen Kirche aktiv, die den Erfolg des Volksbegehrens zur »Ehrensache« erklärt hat. Für die beträchtliche Gruppe frommer Sozis wird der Volksentscheid damit zu einer schmerzhaften Gretchenfrage.