Mein Artikel aus der ZEIT von heute:
Als die Bushs am Montag ihre Nachmieter für das Haus an der Pennsylvania Avenue 1600 begrüßten, standen beide Paare für einen kurzen Moment im Blitzlicht der Kameras. Es war das normale Washingtoner Übergangsritual, und doch war alles anders. Die Fotografen am South Portico des Weißen Hauses wußten, dass sie Bilder fürs Geschichtsbuch schossen.
Amerika wundert sich seit dem grandiosen Sieg Obamas über sich selbst wie lange nicht mehr. Es ist, als müsse sich das Land immer noch vergegenwärtigen, was letzte Woche geschah: Wir haben es wirklich getan! Wir haben einen Schwarzen und seine strahlend schöne Frau ins Weiße Haus gewählt! Die Bilder des Ehepaars Bush, das neben den Obamas plötzlich grau und aschfahl wirkte, machten den Umbruch spürbar, der Washington bevorsteht.
Foto: Getty Images
Die athletisch hochgewachsene Michelle Obama im flammend roten Kleid überragte beide Bushs. Diese Frau, daran gibt es keinen Zweifel, wird das Bild der kommenden Präsidentschaft mitprägen. Sie wird sich nicht verstecken.
Wie denn auch? Jeder Schritt des neuen First Couple in diesen ersten Tagen wird zum Gleichnis. Barack Obama versucht die Sache zwar leicht zu nehmen. Bei seiner ersten Pressekonferenz kam er ironisch auf den Hund zu sprechen, den er seinen Töchtern schon lange versprochen hatte, zum Ausgleich für die Entbehrungen des Wahlkampfs. Es werde „wahrscheinlich ein Mischling, wie ich“, scherzte der Sohn einer Weißen aus Kansas und eines Kenianers.
Tatsächlich werden Fragen wie die Kür des „Ersten Hundes“, Michelle Obamas Kleidergeschmack und die Wahl einer Washingtoner Schule für die beiden Töchter Malia (10) und Sasha (7) derzeit mit beinahe dem gleichen Ernst verfolgt wie der Kampf um die Ministerposten. Die Kleider sucht Michelle Obama übrigens selbst aus. Sie stammen meist von wenig bekannten Designern. Nicht nur die bunten Blätter interessieren sich für die Familie, die Amerikas Bild in der Welt verändern wird.
Vor kurzem noch wurde angstvoll spekuliert, dass die Vorstellung einer schwarzen Familie im Weissen Haus zu viele Wähler – vor allem ältere Weiße – überfordern würde. In Wahrheit wirken die Obamas mit ihren quirligen Kindern, die wie alle Mädchen in ihrem Alter die Jonas Brothers und Beyoncé verehren, normaler, authentischer und bodenständiger als die McCains, die Bushs und auch die Clintons. Amerika fängt schon an sich Sorgen zu machen, ob die charmante Natürlichkeit von Michelle und ihren Töchtern den Elchtest der Präsidentschaft auch überstehen kann. Eine erstaunliche Wendung: Über Nacht ist aus einer Minderheitenfamilie die neue amerikanischen Royalty geworden, auf die alle Augen starren.
Seit Jackie und John F. Kennedy das Weisse Haus mit ihrem glanzvollen Hofstaat in ein modernes „Camelot“ verwandelten, hat es solche hoffnungsvollen Erwartungen nicht mehr gegeben. Die Obamas waren Öffentlichkeit gewohnt. Doch jetzt, da sie ihren Stil als erste Familie der Nation finden müssen, kommt auch noch der mühsam erkämpfte Rest von Alltäglichkeit unter Druck.
Ob es ihnen nun gefällt oder nicht, die Obamas werden zunächst als ein lebendes Tableau des schwarzen Fortschritts beobachtet werden, und selbst die harmlosesten Dinge werden sich mit ungeheurer Bedeutung aufladen. Michelle Obama steht dabei mit im Zentrum der Aufmerksamkeit, weil sie es ist, die diese Familie zusammenhält, wie ihr Mann immer wieder bereitwillig und schuldbewußt eingesteht. Dieselbe Frau, die im Wahlkampf noch sehr häßliche Angriffe ertragen musste – sie sei unpatriotisch, undankbar, wütend – sieht sich jetzt gefordert, als neue First Lady Erlösungshoffnungen aus zwei Richtungen einzulösen. Weiße Wähler hoffen in der unwahrscheinlichen Karriere der neuen First Family ein Zeichen dafür zu sehen, dass die amerikanische Ursünde der Rassendiskriminierung an Gewicht verliert. Und die schwarze Mittelklasse sieht in ihr das eigene Ankommen und Aufsteigen verkörpert. Zusammengenommen ergibt beides einen unverhofft erneuerten amerikanischen Traum, der um so heller leuchtet, je mehr sich durch die Krise die allgemeine Stimmung verdüstert.
Barack Obama gehört mit seiner Exoten-Biografie, die zwischen Kansas, Hawaii, Indonesien und Chicago spielt, schon zum „postrassistischen Amerika“. Michelle Robinson aber, so der Mädchenname seiner Frau, kommt aus Verhältnissen, in der Erinnerungen an Sklaverei und Diskriminierung zum Familienerbe gehören. Für viele afroamerikanische Wähler, denen Barack Obama anfangs „nicht schwarz genug“ war, wurde er nicht zuletzt durch seine Frau zum glaubhaften Sprecher. Mit der ehrgeizigen Arbeitertochter aus dem Süden Chicagos, die sich ihren Aufstieg erkämpft hat, können viele schwarze Menschen sich leichter identifizieren als mit dem Mann, den sie gewählt haben.
Das haben die Strategen der anderen Seite unterschätzt, die glaubten, man könne Barack Obama schaden, indem man seine Frau dämonisiert.
Es ist eine Quelle großen Stolzes unter schwarzen Amerikanern, dass die Nation endlich auch einmal am Leben einer intakten afroamerikanischen Familie teilhaben wird. Man muss sich klarmachen, vor welchem finsteren Hintergrund das traute Glück von Barack, Michelle, Sasha und Malia sich abhebt: Mehr als die Hälfte aller schwarzen Kinder wachsen bei alleinerziehenden Müttern auf – wie übrigens auch der kommende Präsident. Nur ein Drittel der schwarzen Frauen lebt überhaupt noch in einer Ehe.
Beim Umbruch vom Weißen Haus der Bushs zu dem der Obamas geht es aber um mehr als die Hautfarbe. Michelle und Barack Obama verkörpern einen Generationswechsel. Bush war wie Clinton ein Exemplar der „Baby-Boomer“-Generation, geboren in der unmittelbaren Nachkriegszeit und geprägt durch die Sechziger, den Vietnamkrieg und erbitterte politisch-ideologische Kulturkämpfe. Das alles ist für die Obamas Geschichte – und so auch die damit verbundenen Rollenmodelle. Weder er noch sie halten Selbstverwirklichung um jeden Preis für eine gute Idee. Aber auch auf dem stummen Verzicht eines Partners kann keinn gemeinsames Glück wachsen. Barack Obama geht demonstrativ zu Elternabenden und Balletaufführungen der Kinder, und er nennt seine Frau „meine beste Freundin“. Selbst in harten Wahlkampftagen war das Dinner mit Michelle am Freitagabend heilig. Und sobald es nach dem Sieg der letzten Woche möglich war, führte der Präsident in spe seine Gattin wieder zum Lieblingsitaliener in Chicago aus.
Michelle Obama ist auf eine schillernde Weise konservativer und doch unkonventioneller als die First Ladies vor ihr. Sie hat offenbar weniger politischen Ehrgeiz als Hillary Clinton, die sich auch ohne Mandat als treibende Kraft der Regierung ihre Mannes sah. Sie sieht ihre Aufgabe vor allem darin, den beiden Töchtern ein Maximum an Normalität und Unbeschwertheit zu sichern, inklusive Übernachtungsparties, Kinobesuche und Fußballturniere. Aber eine zurückhaltende Mutter der Nation wie Laura Bush wird sie auch nicht werden.
Michelle Obama muß sich nicht durch politischen Aktionismus beweisen, was sie alles kann. Lange Jahre war sie es schließlich, die als erfolgreiche Anwältin und Managerin die erfolglosen Ambitionen des jungen Politikers finanziert hat, der jetzt der mächtigste Mann der Welt wird. Ihre Biografin Liza Mundy spekuliert, dass Michelle Obama die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zum Thema machen wird, indem sie sich um die Sorgen der arbeitenden Familien kümmert, nicht zuletzt derjenigen im Militär.
Mit ihrem Mann hat sie immer wieder teils erbittert um den Anteil gestritten, der jedem an der Familienarbeit zukommt. Und doch sind sie zusammengeblieben. Die beiden reden und schreiben sehr offen über diese Auseinandersetzungen. Mag sein, daß diese Offenheit jetzt ein Ende hat. Aber auch das ist etwas Neues: Die Welt schaut auf ein Paar, das die gleichen Konflikte um Freiheit und Bindung, Selbstverwirklichung und Kindeswohl bestehen muß wie heute alle Eheleute mit Kindern und zwei Berufen. Und anscheinend sind sie als Paar daran gewachsen, statt zu zerbrechen wie so viele andere. Das bürgerliche Familienleben ist diesen beiden nicht in den Schoß gefallen. Sie haben es sich zusammen erkämpft. Und man ahnt, dass dieser Kampf noch nicht vorbei ist. Denn was jetzt an Belastungen auf die Familie zukommt, bringt neue Spannungen.
Überhaupt eine Familie zu haben ist für die Obamas – wie für viele Menschen ihrer Generation – eine Wette gegen die Wahrscheinlichkeit von Scheidung und Trennung: Die Obamas verkörpern die Hoffnung, daß Normalität ohne Dumpfheit und Harmonie ohne Verlogenheit möglich sind, und das selbst im Weissen Haus.
Michelle Obama erzählt gerne die Geschichte eines Mädchens aus South Carolina, das sie im Wahlkampf angesprochen habe. Dieses Mädchen sagt, es hoffe auf Barack Obamas Sieg, weil es sich „dann alles für mich vorstellen kann“. Michelle Obama sagt, sie wisse genau wie dieses Mädchen fühle: „Denn sie war genau wie ich. Sehen Sie, ich sollte eigentlich auch nicht hier sein.“
Michelle Obama wird jetzt erst einmal entscheiden müssen, in welchem Stil die privaten Räume umdekoriert werden sollen. Und vielleicht noch wichtiger: Welches Zimmer Sasha, und welches Malia bekommt. Man wüßte es zu gerne: Wie lange es wohl dauern wird, bis den Obamas das Gefühl für die Unwahrscheinlichkeit ihres Einzugs ins Weiße Haus verloren geht?