Ein interessantes Interview findet sicht im Magazin meiner kleinen alten taz an diesem Wochenende. Befragt wird vom Kollegen Martin Reichert die Journalistin und Autorin Güner Balci – über Neukölln, Türken in Deutschland, ihren Aufstieg und die Gründe für scheiternde Vermischung und Integration:
Sie sind ja jetzt auch nicht mehr Sozialarbeiterin im Neuköllner Mädchentreff, sondern ZDF-Journalistin und Buchautorin – wie geht Ihr Umfeld damit um? Mit Stolz?
Ja, sehr. Blöd fanden sie allerdings meist meine islamkritischen Beiträge, meine Kritik an der Migrationsgesellschaft. Da haben sie mich immer wieder angesprochen, dass ich sie schlechtmachen würde. Trotzdem war es zwischen denen und mir immer ein vernünftiges Gespräch. Denn ich bin immer noch eine von uns. Das ist ja jetzt nicht so, dass ich sage: „Jetzt habe ich den Absprung geschafft, bin weg von euch und will mit euch nichts mehr zu tun haben.“ (…)
Güner Yasemin Balci Foto: Fischer Verlag
Sogenannte Abiturtürken finden, dass Frauen wie Necla Kelek oder Seyran Ates „alles kaputtmachen“.
Was machen die denn kaputt? Die machen auf Dinge aufmerksam, auf die man eben zeigen muss. Den sogenannten Abiturtürken geht es offenbar nur darum, dass niemand nestbeschmutzt. Die schicke Fassade soll aufrechterhalten werden. Ich nenne die auch Hollywoodtürken.
(…)
Geht es insgeheim womöglich darum, dass es bestimmte Dinge gibt, die bitte in der Familie bleiben sollen – über die man „draußen“ in der Mehrheitsgesellschaft nichts erfahren soll?
Ein Image soll aufrechterhalten werden. Wir sind die ordentlichen, fleißigen Gastarbeitertürken. Da gibt es vielleicht mal einen Ehrenmord oder eine Zwangsehe, aber eigentlich sind wir doch vernünftige Menschen, durch die Bank. Und jetzt kommen da zwei Hexen und machen alles kaputt. In der Türkei ist das mittlerweile ein viel größeres Thema als hier, auch Prominente äußern sich, das Thema wird in Vormittagstalkshows behandelt.
Warum ist das so ein Problem für „Abiturtürken“?
Die, die es geschafft haben, haben meist ein Identitätsproblem. Es kommt eben immer darauf an, aus welchem Milieu sie kommen, was sie für Eltern hatten, als sie herkamen oder hier geboren wurden. Manche erfolgreiche türkischstämmige Geschäftsleute verleugnen diese Wurzeln dann – das ist auch verlogen.
Und woher die krasse Abneigung gegen Seyran Ates und Necla Kelek?
Die Probleme, über die beide sprechen, sind für viele Probleme einer „bäuerlichen“ Gesellschaft. Sie brüsten sich und sagen: „Wir, die gebildeten Kemalisten aus Istanbul, bei uns gibt’s das nicht!“
Könnte doch sein, oder?
Das ist aber eine Lüge, alle von Kelek und Ates benannten Probleme findet man in allen Gesellschaftsschichten der Türkei. Es stimmt eben auch nicht, dass die Frauenrechte seit Atatürk immer hochgehalten wurden. Wenn man da mal dran kratzt, sieht man schnell, dass es da noch Nachholbedürfnisse gibt, sowohl was die Frauen- als auch was die Menschenrechte angeht. Letztlich ist die Türkei eine männerbestimmte Gesellschaft, in der Frauen auch mal Führungsaufgaben übernehmen dürfen.
Wenn man Ihr Buch liest, hat man das Gefühl, dass es gar keine Möglichkeiten gibt, der Traum von erfolgreicher Einwanderung könne wahr werden. Wie kann man den Menschen helfen?
Bei den Älteren geht es jetzt, glaube ich, nur noch darum, dass sie einigermaßen gut versorgt sind im Alter. Aber ansonsten ist diese Generation eher der Meinung, dass sie nun ihre Pflicht getan hat. Zum Teil leben sie auch schon halb in der Türkei – die sieht man ja auch kaum im öffentlichen Leben Deutschlands. Häufig sind sie auch krank, weil sie immer viel gearbeitet haben und wenig Geld hatten. Es ist wichtig, dass man die Menschen erreicht, die hier in Deutschland zur Welt gekommen sind.
Und wie geht das?
Ebendiese Menschen gehören noch immer nicht zur deutschen Gesellschaft. Sie betrachten sich auch selbst nicht so. Man muss deutlicher machen, dass all diese Aishes und Tareks – und wie sie alle heißen – Teil dieser deutschen Gesellschaft sind. Was sollen sie denn auch sonst sein: Sie sind hier geboren und aufgewachsen! Statt immer nur ihre besonderen kulturellen Eigenheiten zu betonen, sollte man sie genauso in die Verantwortung nehmen wie alle anderen auch.
War das bei Ihnen auch so?
Nicht von Seiten meiner Eltern. In der Schule wurde mir klargemacht, dass ich Türkin bin, von deutscher Seite. Aber auch von der türkischen Community wurde Druck ausgeübt – da wird dann sehr genau hingeschaut, wie türkisch man denn nun eigentlich ist. Da wurde ich immer diskriminiert, weil meine Türkischkenntnisse schlecht sind. Als Kind habe ich dann auch einen türkischen Pass bekommen – das fand ich dann schon seltsam, weil ich ja zu diesem Zeitpunkt noch nie in der Türkei gewesen war.
(…)
Hätte Ihr Buch auch „Türkboy“ statt „Arabboy“ heißen können?
Klar, unbedingt. Es heißt bloß „Arabboy“, weil ich in meiner Zeit als Sozialarbeiterin im Neuköllner MaDonna-Mädchentreff eben viel mit arabischen Jugendlichen gearbeitet habe, aber bei den türkischen Jungs passiert genau das Gleiche. In jeder Randgruppe differenziert sich das eben aus, die einen tragen Kopftuch, die anderen nicht. Bei der arabischen Community der Unterschicht gibt es eigentlich gar keine emanzipierten Frauen, bei den Türken gibt es dann schon mal welche, die noch arbeiten dürfen. Da gibt es so kleine Differenzen, aber sonst – die Restriktionen sind die gleichen.
Wenn wir von den jungen Menschen ausgehen, die Sie in Ihrem Buch beschreiben: Geht es nicht auch darum, dass diese riskieren müssten, auf sich gestellt zu sein, wenn sie ihr eigenes Leben leben wollen – zur Not ohne die Familie?
Das ist tatsächlich das größte Problem. Sie haben wahnsinnige Angst, alleine zu sein. Sie haben auch nicht gelernt, ein eigenes Leben zu haben, eines zu entwickeln. Das deutsche Modell, das ist ihnen zu fremd.
„Die haben alle keine Familie“, heißt es.
Keine Bindung, alle sind Einzelgänger. Die einsamen Deutschen, die keine Kinder bekommen – ja, so lauten die Klischees.
Klingt jedenfalls nicht attraktiv.
Freiheit ist immer gefährlich. Man könnte falsche Entscheidungen treffen, zum Beispiel vorehelichen Geschlechtsverkehr haben …
… riskant!
Besonders für die Mädchen, weil das dann nicht mehr rückgängig zu machen ist. Die gelten dann als dreckig. Die Jungs dürften das schon eher, sollten aber auch eine ernsthafte Beziehung eingehen wollen.
In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie Rashid, der Protagonist, erst nach seiner Abschiebung in die Türkei merkt, welche Freiheiten er in Deutschland hatte.
Ja, die Idee der Freiheit in Deutschland wird ja auch immer nur auf Sexualität reduziert und nicht zum Beispiel auf individuelle Bewegungsspielräume, auf ein Leben unabhängig von Familie und Verwandten, mit Privatheit. Es fehlen eigentlich die Ideen, wie man Freiheit umsetzen könnte: Kunst, Musik, seinen Geist trainieren und einsetzen.
Diese Option der Freiheit gibt es also gar nicht?
Bei meinem Protagonisten, Rashid, vermissen viele Leute eine tiefere Ebene, eine Selbstreflexion. Und genau so ist es, diese Ebene fehlt völlig. Diese Jungs haben auch ein ganz merkwürdiges Körpergefühl.
Inwiefern?
Wenn man mit Gewalt aufwächst, verändert sich die Schmerzgrenze. Man tut sich dann mal gegenseitig weh und findet das witzig – weil Schmerz nicht relevant ist. Wenn da jemand eine blutende Nase hat, wird er nicht ernst genommen. Einmal hat mir jemand aus Versehen einen Eimer auf die Nase gehauen, und ich habe unglaublich stark geblutet. Alle haben gelacht, aber niemand kam auf die Idee, mir ein Taschentuch zu geben. Es gibt kein Mitgefühl. Bei den Mädchen ist das genauso: Die geben sich in einem Keller hin. Ihnen ist es völlig egal, wer sie anfasst. Es ist eine andere Körperlichkeit.
Und Zärtlichkeit?
Zärtlichkeit ist „schwul“. Man kann nicht einfach jemanden in den Arm nehmen, nur bestimmte Menschen.
Im Straßenbild sieht man immer Jungs Arm in Arm gehen oder aneinandergekuschelt in der U-Bahn.
Das ist abgefahren, ja. Das wird dann unter Freundschaft verhandelt, „Kumpels“. Aber natürlich ist das eine Form von Erotik, die sie niemals zugeben würden. Sie haben ja auch das Problem, dass sie mit Mädchen nicht befreundet sein dürfen. Es gibt ja nur Schlampen oder die, die zu Hause sind und nicht auf die Straße dürfen.