Ich kann die Veranstaltung der DGAP vom Dienstag, bei der ich auf dem Podium saß, naturgemäß nicht rezensieren. (Anlass der Debatte war Nina zu Fürstenbergs empfehlenswertes Buch über Tariq Ramadan.)
Aber ein paar Anmerkungen sind wohl erlaubt:
Otto Schily überraschte das Publikum mit dem interessanten Geständnis, er halte die Deutsche Islam Konferenz seines Amtsnachfolgers für eine sehr gute Idee. Er selber habe Ähnliches umzusetzen versucht, sei aber gescheitert (woran, wurde nicht erklärt). Es sei wichtig, einen ernsthaften Dialog zu führen, allerdings ohne Preisgabe unserer Grundsätze, wie sie in Verfassung und Menschenrechtserklärung festgehalten sind. Schily äusserte Zweifel, ob der Islam mit der Tatsache der Religionsfreiheit klarkommen könne. Jedenfalls hätten die Gelehrten da einiges zu erklären. Er habe einmal bei einer Diskussion in Magedeburg gesagt, es sei in Deutschland vom Grundgesetz gedeckt zu sagen, „Islam is nonsense“. Damit müssten sich die hier lebenden Muslime abfinden, genau wie alle anderen Gläubigen auch für ihre Religion. Er wolle nicht in einem Zustand der Unfreiheit leben wie in vielen Ländern der arabischen Welt, wo die Meinungsfreiheit durch Rücksicht auf die Religion extrem eingeschänkt werde. All dies im Kopf, müssten wir trotzdem das Gespräch mit muslimischen Vordenkern wie etwa Tariq Ramadan suchen – eben weil es da so viel zu klären gebe.
Giuliano Amato, der ehemalige italienische Ministerpräsident und Innenminister, sprach über die Modernisierung des islamischen Denkens in Europa als Langzeitprojekt. Er führte an, dass seine Vorfahren in Sizilien – nur zwei Generationen früher – genauso mit den Frauen umgegangen seien, wie wir es heute bei vielen Muslimen beklagen (Zwangsheirat, Blutrache, Kopftuch…). Wir bräuchten also mehr Geduld. Ramadan schätze er, weil er über das muslimsiche Leben in Europa nachdenkt, allerdings in Grenzen: Es sei nicht genug, die barbarischen Strafen des Schariarechts nur unter ein „Moratorium“ zu stellen – sie müßten klar und eindeutig verurteilt werden. Im übrigen sei Integration keine Einbahnstraße, und die aufnehmende Gesellschaft müsse sich auch verändern. Noch eine absolute Grenze beim Dialog mit Muslimen nannte Amato: Die Anerkennung Israels sei unmißverständlich Teil unserer Werte, und das müsse auch immer wieder betont werden.
Ich für meinen Teil berichtete aus meinen drei Begegnungen mit Ramadan. Zweimal habe ich mit ihm auf einem Podium gesessen und ihn als einen sehr guten Debattierer erlebt. Ich halte ihn nicht für den Feind oder für einen heimlichen Unterstützer finsterer terroristischer Umtriebe. Dennoch respektiere ich ihn nicht völlig als echten Intellektuellen. Privat gibt er schnell zu verstehen, dass ihn die Steinigungen, Amputationen und Blendungen abstoßen, die in manchen islamischen Ländern praktiziert werden. Wenn man ihn fragt, warum er das nicht so deutlich sagt, kommt als Antwort, er sei dann nicht mehr Teil der innerislamischen Debatte und habe keine Wirkung mehr. Darum plädiere er ja eben für ein Moratorium und eine Gelehrtendebatte.
Ich finde das nicht akzeptabel. Er muss als Intellektueller wirklich sagen, was er denkt und nicht herumtaktieren, sonst gibt es nie einen Fortschritt in der Debatte. Trotzdem habe auch ich mich für einen Dialog mit ihm und anderen Kräften ausgesprochen, auch wenn solche Dinge weiter offen sind.
Ich sehe diesen Dialog in einer post-naiven Phase. Es geht nicht mehr darum grundsätzlich anzuerkennen, dass der Islam ein Teil Europas ist und sein wird. Das ist längst vollzogen, und die Deutsche Islam Konferenz zeugt davon. Jetzt fängt die harte Arbeit an, ohne Illusionen und mit offenem Ende. Europa ist ein guter Ort für Muslime. 20 Millionen leben hier, und kein einziger wurde auf einem Sklavenschiff hergebracht. Und über 2000 Moscheen sind ja nicht nichts. (Wenn es Zwang gibt, dann wird er von anderen Muslimen ausgeübt, etwa von den Eltern, die die Ehen arrangieren.) Das muss sich auch in der Haltung der Muslime zu ihrer neuen Heimat widerspiegeln. Muslime müssen lernen mit Pluralismus zu leben, und dazu sind ihre Heimatgesellschaften und auch ihr Glaube denkbar schlechte Vorbereitung. Noch einmal: Europa ist ein guter Ort für Muslime, die hier Freiheit und Wohlstand finden.
Wir können und müssen erwarten, dass sie auch danach zu leben und zu denken beginnen.
Amato ergänzte, Amerika vermöge es doch bei allen Problemen, seinen Einwanderern das Gefühl einer gemeinsamen Zukunft zu vermitteln – eines gemeinsamen Schicksals, für das jeder mit verantwortlich sei. Das müssten wir hier in Europa auch schaffen.
p.s. Am Rande der Veranstaltung traf ich eine Gruppe junger israelischer Diplomaten in der Ausbildung, die sich unsere Debatte angehört hatten. Ich hatte das Gefühl, dass die Rede vom Dialog mit Radikalen sie ziemlich nervös gemacht hatte. Einer von ihnen wies mich darauf hin, dass sich die neuen ameriklanisch-europäischen Gedankenspiele über „ausgestreckte Hände“ in Jerusalem anders anhören. Man müsse aufpassen, dass man mit Gesprächsangeboten an Radikale nicht den Moderaten den letzten Rest Legitimität raube. Bevor ich noch sagen konnte, dass der Gaza-Krieg sicher auch nicht den Moderaten geholfen hatte, musste mein Gesprächspartner leider schon los.
p.p.s. Unterdessen gibt es eine neue Initiative, den Bann auf Ramadan aufzuheben, den die Bush-Regierung verhängt hatte. Selbst Paul Berman, sein schärfster Kritiker, tritt dafür ein, dass Ramadan in Amerika debattieren darf.