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Sebastian Haffner über Afghanistan

 

Als ich diese Stelle in einem alten Buch las – fast dreißig Jahre alt! – hat es mir fast die Schuhe ausgezogen. Wie bitte? Damals hat der Mann das schon gesehen? Ist ja Wahnsinn.

Der Mann ist Sebastian Haffner, und das Buch heißt „Überlegungen eines Wechselwählers“. Es erschien 1980 zur Wahl – als Empfehlung für Helmut Schmidt und gegen Franz-Josef Strauss. Haffner hätte aus innepolitischen Gründen nichts gegen die Union an der Regierung gehabt, aber die Aussenpolitik hat für ihn den Ausschlag gegeben, noch einmal der SPD den Sieg zu wünschen.

Und am Ende kommt er auf einen Konflikt zu sprechen, der damals noch vor allem die USA betraf. Heute ist er auch unserer. Die Rede ist von Afghanistan. Die Russen hatten das Land besetzt, und Amerika nahm auf seiten der Mudschaheddin Partei, die es in der Folge massiv unterstützte, zum großen Teil über den Umweg des pakistanischen Geheimdienstes, der den islamistischen Widerstand mit amerikanischen Dollars förderte.

Sebastian Haffner Foto: Teuto

Haffner sieht hier schon den neuen Weltkonflikt heraufziehen, der den Kalten Krieg ablösen wird. Den Konflikt mit einem „militanten islamischen Glaubensfanatismus“. Sein Rat, dies an einen Konflikt zu begreifen, der die Blockkonfrontation transzendiert, liest sich wie ein Omen:

„Ob die Amerikaner in ihrem eigenen Interesse richtig gehandelt haben, als sie den russischen Einmarsch in Afghanistan, ein mit Amerika nicht verbündetes Land, mit wirtschaftlichen und sportlichen Sanktionen beantwortet haben, ist nicht unsere Sache zu entscheiden; wir sind nicht gefragt worden. Denkbar gewesen wäre auch eine ganz andere amerikanische Reaktion, bis hin zu einem russisch-amerikanischen Zusammenwirken. Denn schließlich haben es die Russen in Afghanistan mit demselben Gegner zu tun wie die Amerikaner im benachbarten Persien, nämlich einem wiedererwachten, ebenso antiwestlichen wie antiöstlichen, militanten islamischen Glaubensfanatismus; und ein gemeinsamer Gegner, sollte man meinen, legt eher Allianz nahe als Konflikt. Wie auch immer, dieser Konflikt ist nicht unser Konflikt. Afghanistan ist nicht unser Verbündeter, un wir sind kein Weltpolizist. Wir sind in Afghanistan nicht einmal ideologisch engagiert. In dem ideologischen Konflikt zwischen dem Kommunismus und der westlichen Demokratie sind wir Partei; aber zwischen Kommunismus und Islam sind wir neutral. Wenn Amerika glaubt, in diesem Konflikt Partei nehmen zu sollen, ist es seine Sache, nicht unsere. Unser klares Interesse – ein wirkliches Lebensinteresse – ist, zu verhindern, daß die mittelöstlichen Wirren auf Europa übergreifen; und es trifft sich gut, daß sich dieses Interesse mit dem ganz Europas deckt – ganz Europas: unserer westeuropäischer Partner sowohl wie der osteuropäischen Verbündeten Rußlands.

Aus: Sebastian Haffner, Überlegungen eines Wechselwählers, Kindler Verlag, München 1980 (2000, Neuauflage), S. 139