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Bremst der Wohlfahrtsstaat die Integration?

 

Siegfried Kohlhammer, ein singulär freier Kopf seit vielen Jahren, an dessen islamdiskurskritisches Buch aus den 90ern ich meine meistgebloggte Kategorie hier angelehnt habe, hat im neuen MERKUR mal wieder zugeschlagen.

Kohlhammer ist nach Jahren in Berlin leider wieder nach Japan zurückgegangen, von wo aus er aber immer wieder einen kühlen Blick zurück auf die europäischen Verhältnisse wagt. Ich bin durch seinen Umzug in den Besitz einer exzellenten und beeindruckend durchgearbeiteten Bibliothek von islamwissenschaftlichen Werken gekommen. Traurig bleibt es trotzdem, dass Kohlhammer nicht von Berlin aus die Debatte mit bestimmt.

Aber sein Text sollte genügend Stoff zur Debatte liefern. Auszug:

Niemals zuvor in der Migrationsgeschichte hat es einen derartig hohen Grad an materieller, rechtlicher und ideologischer Unterstützung der Migranten von staatlicher und nichtstaatlicher Seite gegeben wie im heutigen Europa, und Deutschland nimmt dabei einen der Spitzenplätze ein. Seit Jahrzehnten werden hier erhebliche Summen für Integration ausgegeben, in die Sprachprogramme allein sind Milliardenbeträge investiert worden. Schon die Gastarbeiter in den sechziger Jahren waren von Anfang an arbeits- und sozialrechtlich gleichgestellt, erhielten also Tariflohn, Arbeitslosengeld und -unterstützung, Kinder- und Wohnbeihilfe, BAFÖG, ärztliche Betreuung – das volle Programm. Das hatte denn auch zur Folge, dass das (1973 eingestellte) Gastarbeiterprogramm zwar für die Privatwirtschaft, auf deren Druck es eingeführt worden war, einen Erfolg darstellte, nicht aber gesamtwirtschaftlich, da die Folgekosten die Gewinne schließlich übertrafen. Generell gilt in Europa, dass die Migranten insgesamt den Wohlfahrtsstaat mehr kosten, als sie zu ihm beitragen. Eine Lösung der Probleme Europas durch mehr Migranten, wie sie die EU wünscht, ist eher unwahrscheinlich.

Während früher den Einwanderern selbst die Last der Integration auferlegt wurde – und sie funktionierte in der Regel, auch ohne Sozialhilfen und Wohlfahrtsstaat und Antidiskriminierungsgesetze –, gilt heute Integration immer mehr als in die Verantwortung des Staates fallend. Und doch sind die Ergebnisse insgesamt immer dürftiger. »Nie zuvor in der Geschichte der Migration gab es so viel Rücksichtnahme und Planung. Doch die Ergebnisse waren dürftig.« (Laqueur) Das hatte unter anderem zur Folge, dass der Anteil der Erwerbstätigen unter den Migranten stetig sank und eine Lebensplanung auf der Grundlage von Sozialhilfe möglich wurde. So machen etwa die Muslime in Dänemark 5 Prozent der Bevölkerung aus, nehmen aber 40 Prozent der wohlfahrtsstaatlichen Leistungen in Empfang – und andere Länder weisen ähnliche Missverhältnisse auf. »Die Muslime in Europa erhielten mehr wohlfahrtsstaatliche Leistungen als jede andere Gruppe irgendwo und irgendwann.« (Bawer). Omar Bakri Mohammed, Gründer der islamistischen Hizb ut-Tahrir in England, lebte mit seiner Familie von wohlfahrtsstaatlichen Leistungen in der Höhe von circa 2000 Pfund im Monat. »Der Islam erlaubt mir, die Leistungen des (wohlfahrtsstaatlichen) Systems in Anspruch zu nehmen. Ich bin ohne Einschränkungen anspruchsberechtigt. Ohnehin lebt ja der größte Teil der Führerschaft der islamischen Bewegung von Sozialhilfe.«

Überall in Europa, wo eine nennenswerte Zahl muslimischer Zuwanderer sich niedergelassen hat, stößt man auf dieselben Probleme – und es scheint dabei keine Rolle zu spielen, ob die Muslime aus Pakistan oder aus der Türkei kommen, aus Algerien oder aus Bangladesch. Diese Probleme scheinen alle ihren Grund in der zunehmend misslingenden Integration zu haben, wobei gerade auch die zweite und dritte Generation, die traditionell die Integration schaffte, nicht besser integriert sind. Deutlich zeigt sich dies an den ethnischen Kolonien vieler Städte.(7)

Das ist ein zentraler Punkt: Wer hat die Verantwortung für Integration? Der Staat oder primär die Migranten selber?

Bei einem Moscheebesuch mit Sigmar Gabriel in Gelsenkirchen ergab sich letzten Freitag eine interessante Debatte. Es ging um die Schulen, an denen 80 oder mehr Prozent Migranten konzentriert sind. Eine junge Frau meldete sich, Alev Aksu, die sich als Alevitin vorstellte:  “Sorry. Mir kann keiner erzählen, dass die schlechten Bildungserfolge daran liegen, dass achtzig Prozent Türken in einer Klasse sind. Was spricht denn für ein Selbstbild aus so einer Aussage? Wenn wir zuviele auf einem Haufen sind, lernen wir nicht mehr? Es wird genug getan für die Bildung in diesem Land. Alle Chancen sind da. Aber wenn ich den Lehrer nicht respektiere und mich daneben benehme, kann es eben nichts werden. Setzt euch auf den Hintern und lernt!”

Es ist eben nicht so, dass die Migranten selber blind für die Zusammenhänge wären. Wir brauchen mehr Alev Aksus, die den Mund aufmachen.

(Tip: tati, Bakwahn)