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„Träumt ihr türkisch?“ – mit Sigmar Gabriel im Moscheenland Ruhr

 

Die ausführliche Version meiner Reportage aus der aktuellen ZEIT:

Die Fahne seht man schon von weitem. Mondsichel und Stern auf flammendem Rot. Vor der Buer Merkez Moschee an der Horststraße in Gelsenkirchen steht Ümit Cibir, eine verkehrt herum aufgesetzte Baseballmütze auf dem Kopf. Ein paar seiner Freunde hat er mitgebracht, auch sie tragen Hiphop-Klamotten und haben ihre Haare mit großen Mengen Gel zu gewagten Skuplturen aufgetürmt.
Eine Weile haben sie schon ausgeharrt an diesem Freitagmittag. Sie warten auf Sigmar Gabriel, den SPD-Vorsitzenden und seinen Bus voller parteinaher Promis. Und natürlich auf die mitreisenden Kameras der Journalisten. Als die Expedition endlich verspätet auftaucht, spannt Ümit mit seinem Kumpel Mohammed zur Begrüßung die Fahne auf. In den Busfenstern prangen Plakate: “Wir zeigen den Rechten die Rote Karte! SPD.”
Ümit und sein Freund zeigen den Linken die Rote Fahne. Es ist freilich die türkische, und das schafft ein Kommunikationsproblem. Denn Sigmar Gabriel ist unterwegs um zu betonen, dass die türkischen Einwanderer und ihre Kinder “hier in NRW dazugehören” und “dass wir nicht zulassen werden, dass diese Typen einen Keil zwischen uns treiben”.
“Diese Typen”, das sind die rechtsextremistischen Hetzer von der Initiative “pro NRW”, die an diesem Wochenende überall im Ruhrgebiet “Mahnwachen” vor Moscheen abhalten und einen “Sternmarsch” auf die neue Duisburger Moschee veranstalten, die größte in Deutschland. Denen will man mit dieser Aktion die Show stehlen. Die Kameras sollen nicht nur die Krakehler zeigen, die ein Minarettverbot auch in Deutschland fordern und biedere Nachbarschaftsmoscheen wie diese hier als “Brutstätten des Terrorismus” hinstellen. An deren Stelle soll Sigmar Gabriel zu sehen sein, Gemütsmensch, Nachbar und Parteichef, der mit den Menschen ohne Furcht und Vorurteile redet, ein Mann, der durch seine schiere Präsenz und Offenheit Zusammenhalt schafft. Ein guter Plan.
Doch so eine riesige türkische Fahne ist da nicht wirklich hilfreich. Sie macht das gewünschte Bild kaputt. Ümit und Mohammed wird das auch gleich deutlich werden.
Gabriel hat kaum den Bus verlassen, da ist er schon federnden Schritts bei den Jungs: “Merhaba. Warum steht ihr hier mit der türkischen Fahne? Seid ihr keine Deutschen? Gehört ihr hier nicht dazu?” Damit haben sie nicht gerechnet. Verlegenes, sprachloses Grinsen unter der Basecap. “Ich bin gleich wieder da, will nur eben die Demonstranten da hinten begrüßen”, versetzt Gabriel und läßt die beiden Verdutzten stehen. Er marschiert zu einer Gruppe von Jusos und Falken, die an der nächsten Ecke lautstark gegen “Rechtsextremismus und Rassismus” demonstrieren. Als er zum Eingang der Buer Merkez Moschee zurückkehrt, leuchtet es ihm schon schwarzrotgold entgegen. Ümit und sein Freund halten jetzt eine deutsche Fahne in den Händen: “Wow. Ihr seid ja pfiffig. Da können wir ja noch was lernen. Kommt mit rein”, sagt Gabriel im Vorbeigehen. Allgemeines Gelächter, in das schließlich auch Ümit und Mohammed einstimmen.

Gabriel mit seinem Tross in der Buer Merkez Moschee Foto: JL
Wenn der SPD-Chef dieser Tage ein “Zeichen gegen die Rechten” setzt, indem er durch die Moscheen des Ruhrgebietes tourt, dann ist das natürlich auch Teil Wahlkampfes in Nordrhein-Westfalen – sechs Wochen vor dem Sonntag, an dem es der Spitzenkandidatin der SPD, hannelore Kraft, vielleicht sogar gelingen könnte, Schwarz-Gelb in Düsseldorf von der Macht zu vertreiben. Frau Kraft ist folgerichtig an mehreren Stationen der Reise ebenfalls dabei. Die Sozialdemokratie hat die Muslime nach Jahren ratlosen Schweigens wiederentdeckt. Integrationspolitik ist unterdessen Unionsterritorium geworden, im Bund durch Islamkonferenz und Integrationsgipfel, in NRW durch den umtriebigen Minister Laschet. Es geht also auch um die Rückeroberung eines Themas.
Aber mit dem Zeichensetzen ist das nicht so einfach dieser Tage. Wo auch immer der Moscheentourist Gabriel hinkommt an diesem Freitag – immer ist einer schon da, den er nicht auf der Rechnung hatte. Ob in in Oberhausen, Mühlheim oder Essen-Katernberg: Überall muss Gabriel die Äußerungen des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan aus der ZEIT kommentieren, türkische Gymnasien seien ein Mittel gegen die Integrationsdefizite vieler junger Türkischstämmiger. Und nur wer seine Muttersprache beherrsche, könne auch Deutsch lernen.

In Mühlheim kommen Hannelore Kraft und Peter Maffay dazu (rechts mit Krawatte Vural Öger) Foto: JL

Kaum hat er am Morgen die Haci Bayram Moschee in Oberhausen betreten, geht es schon los. Es ist eine kleine, bescheidene Hinterhofmoschee, in die der Tross hier einfällt. Die mit ornamentalen Kacheln verkleidete Gebetsnische mag in Richtung Mekka weisen, doch die Debatte hat sofort Ankara zum Ziel. Herr Yildirim, der Generalsekretär desMoscheeverbandes Ditib – ein Ableger des Religionsministeriums der Türkei – möchte sich lieber nicht zu Erdogans Meinungen äußern. “Wir gehören zu Deutschland, wir schätzen den Rechtsstaat” – mehr ist dem Funktionär nicht zu entlocken. Da können Gabriels mitreisende türkische Promis nicht mehr an sich halten. Die Schauspielerin Renan Demirkan sagt, ihr eigenes Türkisch sei zwar “nur radebrechend”: “So what! Mein Deutsch ist gut, das war meinen Eltern wichtig, und darum habe ich es zu etwas gebracht. Ich will dass die Kinder diese Sprache lernen, damit sie sich sichtbar machen können und mitmachen können in dieser Gesellschaft, die ich so liebe.”
Jawohl: Liebe. Sie hat wirklich von ihrer “Liebe zu dieser Gesellschaft” gesprochen. Hier an diesem Ort, der eigentlich der Gottesliebe geweiht ist. Der Reise-Unternehmer Vural Öger nickt und ergreift das Wort: “Wir wollen keine Diasporatürken in der dritten und vierten Generation. Ankara soll sich hier gefälligst nicht mehr einmischen. Wie lange soll das noch weitergehen? Bis zur 5. Generation? Das macht die Identitätskrise der Menschen hier nur noch schlimmer, wenn sie als Stimmvieh der türkische Politik behandelt werden. Es wäre keine Schande, sondern ein Grund zum Stolz, wenn junge Leute hier besser Deutsch als Türkisch könnten. Seid endlich Deutsche – mit einem großen türkischen Herzen!”
Mit einem solchen Ausbruch hatte niemand gerechnet. Öger macht deutlich, dass die Integration nicht nur von den Rechtsradikalen da draussen bedroht wird, sondern auch von einem türkischen Nationalismus, der von innen her eigene Barrieren aufbaut. Gabriel nimmt befriedigt zur Kenntnis, dass die Deutschtürken selbst sich dagegen zu wehren beginnen.

Kuppel des noch unfertigen Neubaus der Mühlheimer Moschee  Foto: JL

Und so wird der Trip für ihn zu einer höchst lehrreichen Reise in die Widersprüche des Einwanderungslandes Deutschland, die längst nicht mehr im Links-Rechts-Schema aufgehen. Und übrigens auch nicht in dem alten Spiel Einwanderer gegen Alteingesessene, das die Rechtsextremisten gerne zu ihrem machen wollen. In Gelsenkirchen folgt dem schnellen Fahnenwechsel ein überraschender Schagabtausch mit Ümit und anderen jungen Leuten im Versammlungsraum der Moschee, bei süßem Tee und Gebäck.
Wieder ist die von Erdogan befeuerte Bildungsdebatte der Katalysator. Türkische Gymnasien werden von den Türken einhellig abgelehnt. “Wir wollen, dass unsere Kinder gemeinsam mit Deutschen lernen”, sagt eine Mutter. “Segregation hilft niemandem, wir haben schon zuviel davon an ganz normalen Schulen, an denen unsere Kinder die Mehrheit sind.” Gabriel zeigt zwar Verständnis dafür, dass “an Schulen mit 80 bis 90 Prozent Migrantenquote kein ordentliches Deutsch gelernt werden kann” – er sei ja “eigentlich Deutschlehrer von Beruf, wie Sie wissen”. Doch mit Erdogans Vorschlag könne man dieses Problems nicht Herr werden. Zustimmendes Murren allerseits.
Da platzt es aus Alev Aksu heraus, einer jungen Frau mit Beyoncé-Lockenkopf und Wangen-Piercing: “Sorry. Mir kann keiner erzählen, dass die schlechten Bildungserfolge daran liegen, dass achtzig Prozent Türken in einer Klasse sind. Was spricht denn für ein Selbstbild aus so einer Aussage? Wenn wir zuviele auf einem Haufen sind, lernen wir nicht mehr? Es wird genug getan für die Bildung in diesem Land. Alle Chancen sind da. Aber wenn ich den Lehrer nicht respektiere und mich daneben benehme, kann es eben nichts werden. Setzt euch auf den Hintern und lernt!”
Jetzt ist Gabriel verdutzt und hat einen Moment den Faden verloren. Die Jungs schauen verlegen unter ihren Basecaps hervor. Der SPD-Vorsitzende macht Erfahrungen mit einer türkischen Suböffentlichkeit, die offener und härter diskutiert, als sich manche Deutsche trauen. Man war gekommen, um sich in guter alter Antifa-Tradition vor die Moscheen zu stellen. Die Muslime hier sind dankbar und sichtbar geschmeichelt. Doch sie steigen nicht auf einen Opferdiskurs ein. Es gibt viel mehr Bereitschaft über die eigene Verantwortung für Integration zu reden als vermutet – hier im geschützten Raum der Moscheen, in dem die ehemaligen Gäste nun die stolzen Gastgeber sind.

Beim interreligiösen Friedensgebet in Essen Katernberg     Foto: JL


“Was wollt Ihr werden? Was können wir für Euch tun?” will Gabriel von Ümit und seinen Freunden wissen. “Mir gehts gut”, kontert der, “ich mache eine Ausbildung zum KfZ-Mechatroniker.” Seine beiden Freunde stehen vor dem Abitur. Der eine will Wirtschaftssprachen studieren, der andere Maschinenbau. “Träumt ihr auf Deutsch oder Türkisch?” fragt Gabriel. “Beides”, antwortet Ümit, dessen erstauntem Blick man anmerkt, dass ihn das wohl noch niemand gefragt hat: “Unser Leben wird hier sein, in der Türkei machen wir bloß Urlaub.”
Und dann muss Gabriel auch schon weiter. Das türkische Deutschland wird von Politikern immer noch bereist wird als wäre es ein ferner Kontinent, den man nur unter Strapazen und aufwendigen Vorkehrungen besucht. Man braucht schon einen guten Grund, um sich das anzutun – eine rechtsradikale Gefahr etwa, oder Wahlkampf, oder gar beides. Erst wenn solche Reisen in den Alltag auch ohne Zwang und Kalkül unternommen werden, kann ein echtes Gespräch zustande kommen. Immerhin, etwas hat begonnen.
Am Ende des Trips durch das Moscheenland Ruhr steht ein interreligiöses Friedensgebet in der Essener Fatih-Moschee. Nachdem Gabriel mit seinen Gästen vor dem Minbar, der Predigtkanzel, Platz genommen hat, sprechen Pastoren und Hodschas gemeinsame Fürbitten. Dann singt der Chor der St. Josefs-Gemeinde, lauter weißhaarige Frauen und Männer (“Geh unter der Gnade”). Und schließlich läßt die Sängerin Schirin Partowi, eine Meisterin der Bach-Kantate, ihre raumfüllende Stimme durch die prächtige Kuppel fliegen. Die Künstlerin singt ein ökumenisches Gotteslob auf arabisch und englisch: “Oh Lord, the Light of my Life”. Partowi schüttelt ihre beeindruckende Lockenmähne, wenn sie pausiert. Eine iranisch-deutsche Frau ohne Kopftuch singt in der Moschee von Allah und vom christlichen Gott, als wäre die beiden gute Nachbarn. Und die Pastoren und Hodschas machen gute Miene dazu. Als alles vorbei ist, sagt sie: “Das ist ein Riesenschritt, dass sie mich das hier haben machen lassen.”
Wie groß der Schritt ist, zeigt ein Blick auf die Empore. Da stehen die Frauen der hiesigen Gemeinde, allesamt bekopftucht und getrennt von den männlichen Betern, die den Moscheeraum am Boden bevölkern. Was sie wohl von Schirin Partowi denken? Und ob sie wohl nur türkisch träumen? Oder manchmal auch auf deutsch?