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Die Aufklärung und der Islam

 

Anläßlich der von mir aufgeworfenen Frage, ob es eine Islamische Theologie an deutschen Universitäten geben soll, ist hier ein Streit um Wissenschaftlichkeit und Säkularismus entbrannt – zwei zentrale Begriffe der Aufklärung.

Es geht auch in unserer Debatte hier letztlich um den Begriff der Aufklärung: Läßt sich der Islam über sich selber aufklären? Passt er also in unser Wissenschaftssystem hinein wie die christlichen Theologien (obwohl eben auch letzteres einige hier heftig bestreiten).

Dabei ist mir eingefallen, dass ich kürzlich mit dem Kollegen Christian Staas von ZEIT Geschichte (unserem relemäßig erscheinenden Sonderheft) ein sehr munteres Streitgespräch zum Thema Aufklärung geführt habe. Unsere beiden Gesprächspartner waren Rüdiger Safranski und Mathias Greffrath. Das ganze Gespräch gibt es hier zu lesen. Unten zwei für unseren Zusammenhang relevante Ausschnitte:

ZEIT Geschichte: Religion ist aber mehr als nur ein Krisenphänomen. Sie ist auch ein weltpolitischer Faktor, den man lange Zeit nicht auf der Rechnung hatte. Religion ist offenbar etwas, das auch in säkularisierten Gesellschaften nicht einfach verschwindet, wie manche Aufklärer sich das vorgestellt haben.

Safranski: Die Aufklärer des 18. Jahrhunderts, besonders die französischen, hatten tatsächlich einen starken polemischen Impuls gegen Religion und Kirche. Das waren die Gegenkräfte, die entlarvt werden mussten. Kant hat die Religionsdebatte dann auf den Punkt gebracht: Religion ist schon in Ordnung, aber sie muss durch das Filter der Vernunft. Was durchgelassen wird, darf bleiben – die Moral. Insofern gab es für Kant eine Art aufklärungsverträglicher Religiosität. Schon sehr schnell, vor allem in Deutschland, wird jedoch moniert: Moment mal, wir haben also den Menschen, und da gibt es die Vernunft, für die hat Kant die Blaupause angefertigt, der war im Maschinenraum und weiß, wie das Ding funktioniert. Aber es gibt doch noch anderes, Gefühle, Ahnungen, alles Mögliche gibt es in uns! Das war die Romantik, die so sprach. Und so kommt am Ende des 18. Jahrhunderts, 16 Jahre nach Kants Was ist Aufklärung?, Friedrich Schleiermacher und hält die Religion hoch – ist dabei aber ganz Aufklärer. Keine Offenbarung, keine Orthodoxie, keine Fremdbestimmung: Schleiermacher ruft zur Autonomie im Glauben auf. Geht in euch, da werdet ihr das Religiöse erfahren. Die Bibel, sagt er, kann ein jeder selbst schreiben. Er klärte damit die Aufklärung über sich selbst auf. Er warnte: Wir dürfen nicht auf ein reduziertes, rationalistisches Menschenbild zurückgreifen.

Greffrath: Aber jetzt sind wir mehr als 200 Jahre weiter, und die neue Religiosität, mit der wir es heute in der westlichen Welt zu tun haben, lässt uns weit hinter die Möglichkeiten von Aufklärung zurückfallen. Schleiermacher hat die massive Religion zur Religiosität verdünnt, bei Hegel kommt sie noch als i-Punkt vor – so wie der Monarch als i-Punkt auf dem rationalen Staat –, letztlich aber besagt das alles nicht mehr als: Hinter der Endlichkeit liegt immer noch eine Unendlichkeit, auf die wir hinstreben; da gibt es etwas, das wir mit Vernunft und bloßem Denken nicht fassen können. Mir behagt das nicht, diese Art des Grenzen-Einziehens. Schauen Sie sich doch einmal an, was heute in den modernen Naturwissenschaften alles möglich ist, in der Molekularbiologie, der Gehirnforschung, der Astrophysik! Da wird für mich sichtbar, wovon die Aufklärer immer geträumt haben: eine Theorie des Ganzen, auf empirischer Basis, vernünftig begründet. Ich sympathisiere sehr mit Naturforschern, die nicht mehr sagen: Wo wir nicht weiterkommen, kommt Gott ins Spiel, sondern: Wir können – mit den Worten Schleiermachers – eine Bibel schreiben, in der alles empirisch belegt ist und die uns trotzdem zu mystischen Gefühlen der Verbundenheit, der Ehrfurcht, der Demut Anlass gibt. Wenn man zu früh auf Spiritualitäten zurückgreift, kommt man wieder ins Reich der Geisterseher.

Safranski: Da würde ich jetzt aber ein großes Fragezeichen setzen. Zumal es mir ja auch gar nicht darum geht, eine Art Reservat auszugrenzen, das vom Strom der Wissenschaft unberührt bleibt und wo man sagt: Geht hier bitte nicht ran, hier generieren wir unsere Gespenster. Ich möchte vielmehr sagen, dass wir nicht so tun dürfen, als sei das alte Wahrheitsprivileg der Religion auf die Wissenschaft übergegangen. Die Aufklärung der Aufklärung im Sinne Schleiermachers versucht uns zu warnen vor solchem Absolutismus. Natürlich sollen wir die Wissenschaft nutzen – aber im Horizont des Unendlichen, das wir selbst sind. In diesem Horizont müssen wir die Dinge beweglich halten. Ich sehe die moderne Hirnforschung daher keineswegs so positiv, ich sehe da eine Wiederkehr primitivster Naturalismen – etwa in der Debatte um die Willensfreiheit. Es ist doch wieder dieses berühmte Spiel, Freiheit wegzuerklären mit Theorien, die nichts anderes sind als Inanspruchnahme der Freiheit.

Greffrath: Also da möchte ich mich hier aber ganz klar als Fortschrittler bekennen! Die Debatte über die Willensfreiheit ist doch nicht von ungefähr vor etwa zwei Jahren verschwunden. Wenn man das aus der Nähe verfolgt, kann man an den modernen Wissenschaften wunderbar sehen, was Aufklärung ist – ein dialektisches Fortschreiten, eine fortlaufende Selbstkorrektur und Hypothesenprüfung. Die Willensfreiheitsdebatte hat sich als Scheinproblem erwiesen. Inzwischen befasst man sich mit der biologisch ermöglichten und sozial hergestellten Fähigkeit des Menschen, kommunikativ zu handeln. Ich glaube durchaus, dass die Wissenschaft den Welträtseln immer näher kommt.

(…)

ZEIT Geschichte: In der aktuellen Islam- und Islamismusdebatte gibt es zahlreiche Stimmen, die sagen: Wer zu sehr auf Pluralität setzt, gibt letztlich die Aufklärung preis. Die Folge sei ein gefährlicher Werterelativismus. Das nicht minder scharfe Gegenargument lautet: Ihr zerstört die Ideen der Aufklärung, wenn ihr sie verabsolutiert!

Safranski: Der radikale Islam und der Islamismus sind natürlich eine gewaltige Herausforderung. Sogar noch bei einer so elementaren Idee wie der Selbstbestimmung merken wir: Man kann sie auch bestreiten. Sogar die Menschenrechte kann man infrage stellen. Und dies macht deutlich: All diese Dinge gehen auf Entscheidungen zurück. Noch hinter dem Elementarsten steht eine Entscheidung. Aber wir alle haben natürlich die große Sehnsucht, dass die Entscheidungen irgendwo einmal aufhören und die Wahrheit beginnt, eine Sehnsucht danach, dass es endlich einmal Ruhe gibt, so wie der heilige Augustinus sie fand: bei Gott…

Greffrath: Man kann es nun aber auch mehr zuspitzen, als es der Sache guttut. Der Fall ist doch klar: Mit der türkischen orthodoxen Familie ist hierzulande genauso zu verfahren wie mit der deutschen evangelischen oder katholischen Familie. Wie das Familienleben organisiert wird, das ist deren Sache. Aber wenn Menschenrechte verletzt werden – bei Gewalt in der Ehe oder Misshandlung von Kindern –, dann ist das keine Privatangelegenheit mehr, sondern ein Verstoß gegen geltendes Recht. Mit einem forcierten Begriff von Republikanismus kommt man da weiter als mit philosophischen Argumenten.

Safranski: Dem kann ich mich nur anschließen. Denn wenn wir nun anfangen zu sagen, wir verbieten beispielsweise, dass Kinder geschlagen werden, weil das mit unserem Menschenbild nicht zu vereinbaren ist, dann kommen wir im Zweifelsfall in Schwierigkeiten. Wenn man aber sagt: Hier in unserem Land wird nicht geprügelt, weil das nicht mit Paragraf 1 des Grundgesetzes vereinbar ist, dann ist das eine klare Entscheidung. Ich denke, man sollte sich so lange wie möglich im Bereich des Pragmatischen aufhalten und nur, wenn es unbedingt nötig ist, mit starken Begründungen kommen.

Greffrath: Letztlich geht es im Konflikt mit dem Islam doch um Fragen des Zusammenlebens. Aufklärung, sagen Horkheimer und Adorno, heißt auch, die Menschen heimisch auf der Erde zu machen. Betrachten wir einmal mit diesem Satz die türkischen Ghettos in Berlin: Die dort leben und die Nachbarn ringsum haben gemeinsame Interessen, etwa dass alle Arbeit haben. In solcher Richtung kann man konstruktiv denken. Dann braucht man gar nicht so viel übers Prinzipielle zu reden, sondern kann ganz konkret losarbeiten. Aufklärung ist auch und vor allem eine Form der Praxis.