Ich war in den letzten zwei Wochen in Malmö, Amsterdam, Budapest und wieder in Amsterdam, um mir ein Bild von den Schwierigkeiten der jüdischen Gemeinden mit einem neuen (?) Antisemitismus zu machen. Ich habe mit Rabbinern, Gemeindevorständen, gewöhnlichen Juden (fromm, säkular, orthodox, liberal) und auch mit aktiven Gemeindemitgliedern gesprochen.
Und das vorläufige Ergebnis ist: nicht gut. Der Sohn des bekanntesten Amsterdamer Rabbiners sagt mir, dass er in einem Jahr emigriert, wenn sein Studium fertig ist. In Budapest traf ich zwei betont weltgewandte, moderne ungarische Juden, die sich erst gegen den Holocaust- und Opferdiskurs der etablierten Gemeinde verwahren. Und dann, nach ihrer Zukunft befragt, sagen sie: Wahrscheinlich nicht in Budapest, obwohl sie diese Stadt „wie verrückt lieben“. Sie müssen sich permanent für ihr Judentum rechtfertigen, und für Israel. Der Sohn des Rabbiners sagt, er selber komme schon damit klar, man trägt halt Baseballkappe statt Kippa in bestimmten Vierteln. Aber seinen Kindern will er das nicht zumuten.
In Malmö ist die Lage so, dass vor allem junge Paare mit Kindern wegziehen. Erkennbare Juden werden beschimpft und bespuckt. Der sozialdemokratische Bürgermeister hat der Gemeinde zynischer Weise geraten, sie solle sich vom Gaza-Krieg Isarels distanzieren, dann werde die Lage schon besser werden. Schwedische Juden werden also als Agenten und Repräsentanten einer fremden Regierung behandelt – von einem schwedischen Bürgermeister (eine Art geistige Ausbürgerung).
Ein Großteil des neuen Antisemitismus kommt von muslimisch geprägten Einwanderern und ihren Kindern. In Amsterdam sind es vor allem marokkanischstämmige Jungs, in Malmö Somalier. Aber das ist nur eine Facette. Die islamisch/islamistische Judenfeindschaft tritt neben den linken Antiisraeldiskurs (mit dem sie sich teils vermischt). In Ungarn hingegen lebt der „klassische“ faschistische Antisemitismus wieder auf. Dort sind Rechtsradikale die Hauptquelle, wie auch im deutschen Osten.
Die Regierungen tun nichts oder zu wenig. Gestern war ich in Amsterdam bei Frits Bolkestein, dem ehemaligen EU-Komissar und zuvor Vorsitzenden der liberalen VVD. Er hat mit seiner Äußerung, Juden hätten in den Niederlanden keine Zukunft, wenn sie als solche erkennbar leben wollten, die jüngste Debatte ausgelöst. Bolkestein ist hoch beunruhigt und beschämt über diese Entwicklung in seinem Land. Er hat den Krieg in Amsterdam erlebt und weist daraufhin, dass die Holländer schon unter den Nazis gut im „wegkijken“ (wegschauen) waren. Er sieht heute (ohne die Situation gleichsetzen zu wollen) eine ähnliche Haltung am Werk, wenn im Stadion gegen die Spieler von Ajax Amsterdam gilt als „jüdischer“ Verein) gehetzt wird mit Sprüchen wie „Hamas, Hamas, die Juden ins Gas“.
Die Frage ist, ob sich nicht gerade ganz Europa im „wegkijken“ übt. Über die möglichen Folgen davon schreibe ich für die nächste Nummer einen ausführlichen Bericht.