Ein Gespräch mit dem bekanntesten iranischen Blogger

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Hossein Derakshan (aka Hoder), letzte Woche im „Good Friends“, Berlin. Foto: JL

Letzte Woche war Hossein Derakshan, der bekannteste iranische Blogger, wieder einmal in Berlin. Wir trafen uns, um über die Lage zu debattieren. Vor fast zwei Jahren hatte ich Hoder (so sein nom de plume) in der Zeit vorgestellt. Er hat für uns auch einen Kommentar zur Wahl Achmadinedschads geschrieben.

Hossein hat das Bloggen im Iran populär gemacht und ist bis heute eine Legende (sein Blog hier). Er lebte einige Jahre in Toronto, zur Zeit ist er ein veritabler Nomadeder immer wieder bei Freunden unterkommt.
Im letzten Jahr hatten wir uns über den Fall des Philosophen Ramin Jahanbegloo zerstritten, der im Iran verhaftet worden und zu einem Geständnis gezwungen worden war. Hossein hatte dieses Geständnis als ein Zeichen wirklichen Umdenkens gedeutet und damit letztlich dem Regime Recht gegeben, das Jahanbegloo subversive Umtriebe und Kontakte zu feindlichen westlichen Agenturen unterstellte.

Wir haben uns auch diesmal nicht über den Fall und seine Implikationen einigen können: Hossein hält es für illegitim für Iraner, sich in der angespannten Lage mit irgendeiner ausländischen Organisation einzulassen, die für eine Änderung des iranischen Regimes eintritt – selbst auf friedlichem Weg.

Ich finde dies falsch, weil es am Ende darauf hinausläuft, die iranische Zivilgesellschaft ihrem Schicksal zu überlassen und jede Unterstützung aus dem Westen als „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ auszuschliessen.

Hossein halt selbst einmal anders argumentiert.

Er wird mittlerweile wegen seines neuen Kurses, angesichts eines drohenden Krieges die Legitimität des iranischen Regimes zu verteidigen, im Internet als Agent des Iran denunziert. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass dieser unabhängige Kopf sich derart einspannen lassen würde.

Er meint was er sagt, wenn er ankündigt, er werde notfalls den Iran verteidigen, wenn es zum Krieg kommt. Er ist nicht der einzige Iraner, der mit dem Regime in Konflikt steht und dennoch so denkt. Das sollte im Westen zur Kenntnis genommen werden.

Hossein war kürzlich zum wiederholten Mal in Israel, um dort klarzumachen, dass es viele Iraner gibt, die jeden Antisemitismus ablehnen und doch zu ihrem Land stehen. Ich finde dieses Engagement mutig und fast heldenhaft, denn er weiss, dass ihm dies die Rückkehr in den Iran so lange unmöglich machen wird, wie dort der Antizionismus/Antisemitismus Staatsdoktrin ist.

Zugleich verteidigt Hossein heute im Prinzip das Recht Irans nicht nur auf ein ziviles Atomprogramm, sondern sogar auf eine Atombombe, weil dies schlicht den unleugbaren Sicherheistinteressen des Landes entspreche. In der westlichen Öffentlichkeit ist das eine tabuisierte Position, was uns vielleicht darüber hinwegtäuscht, wie viele Iraner sie unterstützen (ohne dabei notwendigerweise die Mullahs zu unterstützen). Ich finde diese Position falsch, aber ich denke, sie sollte zur kenntnis genommen werden. Jedenfalls wäre es falsch zu glauben, demokratisch gesinnte junge Iraner seien durchweg „gegen die Bombe“.

Vor einem Jahr hat Hossein immerhin noch argumentiert, nicht die Bombe per se sei das Problem, sondern die undemokratische, tyrannische Natur des Regimes, das nach ihr strebt. Jetzt ist solcher Vorbehalt aus seinen Thesen verschwunden.

Im Licht eines möglichen Angriffs auf Iran, im Licht der Rückkehr einer zynischen westlichen Realpolitik, die sich mit den Lumpenregimen der Region verbündet, hat die Islamische Republik Iran für Hossein Derakshan plötzlich wieder so viel Legitimität, dass er sie mit der Waffe in der Hand verteidigen würde. Und das sagt jemand, der ins Land nicht einmal einreisen dürfte, ohne verhaftet und verhört zu werden.

 

Iranische Intellektuelle protestieren gegen Ahmadinedschad

Dies hier sollte nicht unbekannt bleiben:
An open letter by a group of Iranian academics, writers, and artists regarding the Tehran Conference on Holocaust Denial

Over the past year or so a number of official and unofficial public statements have been made in Iran denying the genocide of Jews during the Second World War. The culmination of this trend was the widely publicized, so called „International Holocaust Conference“, held in Tehran in December 2006. Given the serious moral and practical implications of this trend, we, a group of Iranian academics, intellectuals, writers and artists, find it imperative to take a public stance on this issue….

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Ein Fall „Hoder“? Der bekannteste iranische Blogger auf Abwegen?

Je angespannter die Lage im Iran, um so tiefer werden auch die Risse in den Dissidentenzirkeln im Ausland.
Derzeit ist die Bewertung des Falles Jahanbegloo (siehe vorherige Posts) die Frage, an der sich die Geister scheiden.

Der iranische Blogger Hossein Derakshan (aka „Hoder“: www.hoder.com), eine wichtige Figur der jüngeren iranischen Exilopposition, gewinnt dem „Geständnis“ von Ramin Jahanbegloo jetzt andere Seiten ab: Derakshan erklärt das „Geständnis“ zum Zeichen eines wirklichen Umdenkens.
Jahanbegloo habe sich von der Idee des „regime change“ verabschiedet, die er als falsch erkannt habe. Zum Interesse des Regimes, Jahanbegloo als Regime-change-Advokaten hinzustellen, siehe meine früheren Posts.
Unter anderen reformgesinnten Exilanten (die durchaus nicht für gewaltsamen Regimewechsel, sondern demokratischen Wandel von innen stehen) Hoders Deutung heftigen Widerwillen, ja sogar Abscheu ausgelöst.

Die Tatsache, daß Jahanbegloos „Undemkungsprozeß“ nach 4 Monaten Einzelhaft stattfand und daß das Regime nachhalf, indem es Ramin Jahanbegloo das eigene Haus und das seiner Mutter als Sicherheit abverlangte, spielt in Hoders Deutung seltsamer Weise keine Rolle.
KÜRZLICH ERST HAT HODER DAS ATOMPROGRAMM DES IRAN GERECHTFERTIGT, UND ZWAR AUCH EINDEUTIG ALS WAFFENPROGRAMM.
Im letzten Jahr war Hoder im Iran, um über die Wahlen zu berichten. Er durfte selbst erst nach intensiver Befragung durch den Geheimdienst ausreisen.
Es gibt gute pragmatische Gründe, gegen eine aggressive Regime-change-Politik im Iran zu sein. (Vor allem, weil sie in einem Land nichts fruchtet, das sich sehr zu Recht vom Westen, besonders von den USA, verraten und verkauft fühlt – seit der Unterstützung des Schahs und schließlich Saddam Husseins, selbst noch als dieser Giftgasangriffe auf iranische Truppen ausführen ließ.)
Aber man muß die Falschheit der Regimewechsel-Propaganda nicht an jemandem zu belegen versuchen, der mit ihr nie etwas zu tun hatte und nun vom iranischen Geheimdienst in durchsichtiger Weise als „reuiger“ Einflußagent hingestellt wird.

 

Die öffentliche Vernichtung eines Intellektuellen als Schauspiel vor der Weltöffentlichkeit

Das Transskript des „Geständnisses“ von Ramin Jahanbegloo (siehe Link in der Titelzeile) läßt keinen anderen Schluß zu, als daß wir Zeugen einer öffentlichen (Selbst-)Vernichtung eines hervorragenden Intellektuellen werden.
Es ist ein erschütterndes, abstoßendes Schauspiel.
Es wird auch offenbar, dass diese erzwungene Selbstzerstörung eines integren und mutigen Philosophen nicht nur auf die iranische Öffentlichkeit zielt. Austauschorganisationen, westliche Medien und Individuen, die Kontakt mit unabhängigen Köpfen wie Jahanbegloo suchen, sollen abgeschreckt werden.
In diesem Fall ist der German Marshall Fund in die Schußlinie geraten, mit dem Ramin kooperieren wollte. Der GMF ist eine integre, unabhängige und überparteiliche Institution, die den transatlantischen Austausch pflegt. In Jahanbegloos „Geständnis“ erscheint er als sinistere Organisation, die den Umsturz im Iran vorbereitet.
Das ist grotesk, doch es geht hier nicht um Tatsachenfeststellungen. Es sollen schlichtweg alle abgeschreckt werden, die sich für die Dissidenten des Landes einsetzen.
Die Botschaft lautet: Wenn ihr sie druckt, wenn ihr sie einladet, wenn ihr auch nur Kontakt mit ihnen aufnehmt, kann das für uns Grund genug sein, sie fertigzumachen!