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Nicht in kurzen Hosen – fast 100 Tage Außenminister Westerwelle

Mein Porträt aus der ZEIT dieser Woche, Nr. 4, S. 2:

Er hat wirklich vom Beten gesprochen. Nicht »Anteilnahme«, »Solidarität«, oder wie die ohnmächtigen Phrasen des Beileids sonst heißen. Nein: »Wir beten für die Verletzten in Haiti«, erklärt Guido Westerwelle in Tokio, auf der ersten Station seiner Asienreise.

Etwas grünlich-bleich schaut er in die Kameras – kein Wunder nach dem zermürbenden Nachtflug über die endlosen Permafrost-Weiten Sibiriens. Vielleicht ist ihm das fromme Wort im Meiji-Schrein eingefallen, dem Shinto-Heiligtum im Herzen des Hauptstadt. Aus Respekt vor den Göttern musste er dort ohne Mantel im dünnen Diplomatenanzug einen heiligen Tamaguschi-Zweig auf den Altar legen. Am Ende der Zeremonie war er dann so durchgefroren, dass auch der heilige Reiswein, den man hier trinkt, keine Wärme mehr brachte. Angesichts des Grauens von Port-au-Prince, über das Westerwelle von seinen Mitarbeitern ständig informiert wird, steht der Außenminister erstmals vor einer Katastrophe »biblischen Ausmaßes«, bei der auch ein geölter Apparat von fast 7000 Mitarbeitern zunächst einfach hilflos ist.

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Im Meiji-Schrein, Tokio Foto: JL

Nicht einmal hundert Tage ist der Ex-Oppositionsführer nun mit seiner Transformation in den Außenpolitiker Westerwelle beschäftigt. Und doch zeichnen sich schon erste Linien seiner Amtsführung ab. Überraschende Lockerungsübungen zum Türkeibeitritt, die Aufwertung des Nachbarn Polen auch auf Kosten der Vertriebenenfunktionärin Steinbach, ein mahnender Blitzbesuch im zerfallenden Staat Jemen, und schließlich der Versuch, unverklemmt die Interessen der deutschen Industrie und die Menschenrechte in China zu vertreten – das ist nicht nichts.
Jeder Asientrip ist dieser Tage eine Reise an die Grenze der Macht. Denn wie man mit dem jungen Riesen China umgehen soll, der selbst noch kein rechtes Gefühl für seine wachsende Kraft hat, weiß in Wahrheit niemand. Schmeicheln hilft derzeit so wenig wie drohen, locken so wenig wie mahnen – wie zuletzt selbst Obama und Google erfahren mussten, beides größere Gewichte im Ring als ein deutscher Außenminister (siehe auch Seite 9). Aber es hilft ja nichts, im Umgang mit China muss man sich kenntlich machen, nicht zuletzt fürs Publikum daheim. Es ist ein Klischee der Diplomatie, dass Asiaten so viel Wert darauf legen, »das Gesicht nicht zu verlieren«. Ein Peking-Besuch ist heute mehr ein Test der Würde des Gastes.
Westerwelle macht es so: Er fliegt demonstrativ über Japan dorthin und nimmt sich in Tokio mehr Zeit als nötig. Er isst ausführlich mit dem japanischen Amtskollegen zu abend und übernachtet in Tokio, obwohl es unpraktisch ist. Er preist die »Wertepartnerschaft« mit Japan, was im Umkehrschluss bedeutet, dass es eine solche mit China eben (noch) nicht gibt. Und in Peking, bei seiner Begegnung mit dem chinesischen Außenminister Yang Jiechi, der extra eine Afrikareise unterbrochen hat, um den Deutschen kennenzulernen, spricht er dann drei Mal vor der Presse von den »Meinungsunterschieden«, die man nicht unter den Teppich kehren wolle. Das ist – zumal bei einem Antrittsbesuch – hart an der Grenze zum Unfreundlichen.
China in Menschenrechtsfragen zu kritisieren und doch offensiv die Interessen der zahlreich mitreisenden deutschen Industrie zu vertreten, sei kein Widerspruch, meint Westerwelle. Er glaube an »Wandel durch Handel«. Der chinesische Kollege lächelt fein dazu. Mag sein, dass auch der nette Herr Yang daran glaubt. Nur wer hier am Ende wen wandelt, das ist für ihn womöglich noch nicht ausgemacht.
Mit dem Besuch in Peking ist Westerwelles weltweite Vorstellungsrunde abgeschlossen. Er wirkt noch ein wenig überrascht davon, dass er das ohne Fehltritt hinbekommen hat. Gerne streicht er heraus, er sei schließlich »nicht in einem Schloss aufgewachsen«, sondern in einem Bonner Altbau-Reihenhaus. Wenn er eifrig hinterherschiebt, zwischen dem Schlossbesitzer Guttenberg und Guido, dem Reihenhauskind, gebe es keine Konkurrenz in der Regierung, dementiert sich das von selbst. Am Ende des Monats müssen Guttenberg und Westerwelle in der wichtigsten außenpolitischen Frage dieses Landes eine gemeinsame Linie vertreten – bei der Londoner Afghanistankonferenz. Nachdem sich Liberale und Christlichsoziale seit Beginn der Regierung lustvoll beharkt haben, wäre das mal etwas Neues.
Westerwelle verdankt als Außenminister ironischer Weise nicht zuletzt der CSU sein frisches Profil. Es war seine Idee, sich bei seinem ersten Besuch in Warschau darauf festzulegen, Erika Steinbach dürfe nicht in den Beirat der Vertriebenenstiftung einrücken, weil sie der Versöhnung mit Polen im Wege stehe. Und wenige Wochen später preschte er auf eigene Rechnung in Istanbul vor, indem er Deutschlands Interesse an einem Beitritt der Türkei zur EU betonte. Verblüffte türkische Journalisten hakten nach, ob denn nun Westerwelles Wort oder das der Union von der »privilegierten Partnerschaft« gelte. Dieser konterte mit dem Bonmot, er sei nicht »als Tourist in kurzen Hosen« am Bosporus unterwegs: »Das, was ich sage, zählt.«
CSU-Generalsekretär Dobrindt adelte dann Westerwelles Nein zu Steinbach und sein Ja zur Türkei zu einem veritablen Politikwechsel: Der Außenminister solle in Istanbul keine »Geheimdiplomatie« mit den Türken betreiben, wie er es schon in Warschau mit den Polen getan habe, grummelte es aus Wildbad Kreuth. Der Gescholtene empörte sich, doch in Wahrheit kam ihm die Gelegenheit sehr zupass, in der Regierung kenntlich zu werden. Die Kanzlerin ließ ihn gewähren. Es kommt ihr gar nicht ungelegen, dass der Vize ihr den Grund liefert, Erika Steinbach aus dem deutsch-polnischen Spiel zu nehmen. Und auch als Gegengewicht zu den Populisten in der CSU, die den Türken gerne laut die Tür zur EU vor der Nase zuschlagen würden, ist Westerwelle für Merkel von Wert. Eine Art stille Arbeitsteilung.
Bei der Afghanistan-Konferenz kommende Woche in London sieht es anders aus. Wie Westerwelle bisher agiert hat, zeigt seine Schwäche: Mag sein, dass ihm als Außenminister hier ein innenpolitischer Reflex zum Verhängnis wird. Er ist der Versuchung erlegen, sich ganz die zivile Seite des Einsatzes zueigen zu machen – und den anderen die unpopuläre Frage der Truppenstärke zuzuschieben. Zum Jahreswechsel ließ Westerwelle sich aus dem Weihnachtsurlaub vernehmen, er werde nicht nach London anreisen, wenn es sich um eine »reine Truppenstellerkonferenz« handele. Man brauche vielmehr einen »breiten politischen Ansatz« und eine »Gesamtstrategie«.
Er tat, als stünde er wie ein einsamer Rufer für den zivilen Aufbau gegen eine Phalanx von militaristischen Ledernacken. Will Westerwelle als Vizekanzler selbst noch die Opposition friedensrhetorisch überholen? Er redet viel von Abrüstung und möchte gerne ein neuer Genscher werden. Vielleicht ist Westerwelles Genscherismus aber eine selbst gestellte Falle. Was Friedenspolitik in einer Welt der asymmetrischen Bedrohungen heißt, muss neu definiert werden. Nun aber liegt der Verdacht in der Luft, dass da einer Deutschland auf Kosten der Verbündeten als Friedensmacht profilieren will.
Dass der deutsche Außenminister eine Konferenz boykottieren könnte, die seine Kabinettschefin initiiert hat, war eine absurde Vorstellung, und darum korrigierte sich Westerwelle auch noch vor Silvester. Es war sein bisher einziger großer Fehler. In London sollte doch von Beginn an eben jener »breite Ansatz« verfolgt werden, den Westerwelle lauthals fordert: Korruptionsbekämpfung, gute Regierungsführung, Kampf dem Drogenhandel, Polizei- und Militäraufbau und die Förderung der Landwirtschaft. Angela Merkel ist schließlich auf die Idee mit der Konferenz nicht zuletzt verfallen, um sich aus der Debatte um den deutschen Angriff in Kundus und die »kriegsähnlichen Zustände« dort zu befreien.
Ob das gelingen kann, hängt nun vor allem an Westerwelle. Die Kanzlerin wird kommende Woche in einer Regierungserklärung noch einmal vor heimischem Publikum für das deutsche Engagement in Afghanistan werben. Aber in London steht dann Westerwelle für Deutschland – am Tag 92 seiner Amtszeit, der sein schwerster werden wird.
Es ist eine paradoxe Botschaft, die er dort vertreten muss. Wir müssen stärker reingehen, damit wir früher rausgehen können! Wir müssen mehr helfen, damit die Afghanen selbstständiger werden! Schafft er das – die Ernüchterung über das in Afghanistan Erreichbare darzustellen und doch zu einer (letzten) großen Anstrengung zu motivieren? Auf seiner Arabienreise zeigte er Geistesgegenwart, als er kurzfristig in den Jemen abzweigte und dort sehr herzhaft den Präsidenten aufforderte, den Kampf gegen den Terror nicht nur mit Bomben, sondern auch durch Entwicklung und Korruptionsbekämpfung zu führen.
Ach ja, noch etwas: Das Thema »erster schwuler Außenminister der Welt« ist durch. In der Türkei: Kein Kommentar. Saudi-Arabien: Nobles Schweigen des Königs. Auf der Asienreise war Westerwelles Lebenspartner Michael Mronz dann mit dabei. Die beiden kamen gemeinsam die Gangway herunter. Alle taten so, als sei das die normalste Sache der Welt. Und so war es dann auch, wenigstens für diesen einen Moment.

 

Schießen für Jesus

Kein Witz, keine islamistische Propaganda!

Ein Hersteller von Zielgeräten für amerikanische Kampfgewehre schreibt Bibelreferenzen auf diese Rohre. Ein Bericht von ABC News:

One of the citations on the gun sights, 2COR4:6, is an apparent reference to Second Corinthians 4:6 of the New Testament, which reads: „For God, who commanded the light to shine out of darkness, hath shined in our hearts, to give the light of the knowledge of the glory of God in the face of Jesus Christ.“

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Foto: ABC Hier sieht man eine Referenz auf Johannes 8.12, „which reads: Then spake Jesus again unto them, saying, I am the light of the world: he that followeth me shall not walk in darkness, but shall have the light of life.“ (King James Version)

Other references include citations from the books of Revelation, Matthew and John dealing with Jesus as „the light of the world.“ John 8:12, referred to on the gun sights as JN8:12, reads, „Whoever follows me will never walk in darkness, but will have the light of life.“

Trijicon confirmed to ABCNews.com that it adds the biblical codes to the sights sold to the U.S. military. Tom Munson, director of sales and marketing for Trijicon, which is based in Wixom, Michigan, said the inscriptions „have always been there“ and said there was nothing wrong or illegal with adding them. Munson said the issue was being raised by a group that is „not Christian.“ The company has said the practice began under its founder, Glyn Bindon, a devout Christian from South Africa who was killed in a 2003 plane crash.

 

Zur Kritik der Kritik der Islamkritik

Ein guter Text von Hamed Abdel Samad in der „Welt“:

Man mag manche Islamkritik für überzogen oder provokativ halten. Ich persönlich bin nicht mit allem einverstanden, was Frau Kelek und Herr Broder sagen. Doch deren Islamkritik halte ich nicht für das Hauptproblem des Islam, sondern für einen Spiegel dieses Problems. Der Islam hat ein Problem mit sich selbst, mit seinen Ansprüchen und Weltbildern. Und ihm läuft die Zeit davon. Relativismus und Wundenlecken sind da die falschen Rezepte.

Ein altägyptisches Sprichwort sagt: „Der wahre Freund bringt mich zum Weinen und weint mit mir. Er ist aber kein Freund, der mich zum Lachen bringt und innerlich über mich lacht.“ Wer Muslime tatsächlich ernst nimmt, muss Islamkritik üben. Wer mit ihnen auf gleicher Augenhöhe reden will, sollte mit ihnen ehrlich sein, statt sie als Menschen mit Mobilitätsstörungen zu behandeln. Schlimm genug ist es, wenn jemand Menschen für Behinderte hält, die keine sind. Noch schlimmer ist es, wenn er anfängt, vor ihnen zu hinken, um eine Behinderung vorzutäuschen, in der Illusion, sich mit ihnen dadurch zu solidarisieren.

So sehe ich das auch.

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Ein Gedanke zur Tragödie von Haiti

Arme Länder, die weder nennenswerte Bodenschätze noch gefährliche Islamisten aufzubieten haben, sind die Angeschmierten der Globalisierung.

p.s.: Der beste Kommentar zu den „kulturellen Gründen“ der Armut Haitis, die aus einer Katastrophe erst die Tragödie gemacht haben, findet sich bei David Brooks:

Third, it is time to put the thorny issue of culture at the center of efforts to tackle global poverty. Why is Haiti so poor? Well, it has a history of oppression, slavery and colonialism. But so does Barbados, and Barbados is doing pretty well. Haiti has endured ruthless dictators, corruption and foreign invasions. But so has the Dominican Republic, and the D.R. is in much better shape. Haiti and the Dominican Republic share the same island and the same basic environment, yet the border between the two societies offers one of the starkest contrasts on earth — with trees and progress on one side, and deforestation and poverty and early death on the other.

 

Französische Autorin knapp islamistischem Attentat entgangen

Ich kann wegen meiner Abwesenheit erst jetzt vermelden, dass eine französische Schauspielerin algerischer Herkunft letzte Woche in Paris offenbar knapp einem Brandattentat entgangen ist.

Rayhana (so ihr sinnfälliger, provokanter Künstlername) wurde am Abend des letzten Dienstag in Paris von zwei Männern bedrängt, die sie mit Benzin übergossen. Sie ergriff die Flucht, als einer der beiden mit einer brennenden Zigarettenkippe versuchten, sie in Brand zu stecken. rayhana

Rayhana Foto: Gala.fr

Die Autorin und Schauspielerin tritt derzeit in ihrem eigenen Stück auf, das im „Maison des Metallos“ aufgeführt wird. Es heißt ironischer Weise „In meinem Alter verstecke ich mich noch, wenn ich rauche“ und handelt von der Unterdrückung der Frau in der algerisch-muslimischen Gesellschaft.

Schon früher war Rayhana von arabischsprachigen Männern bedroht worden.

Unterdessen haben sich prominente Politiker vor die Autorin gestellt: der Bürgermeister von Paris, Bernard Delanoe, die Feministin Fadela Amara.

Ob die französischen Muslimverbände (CFCM, UOIF) sich auch noch aufraffen werden, etwas zu dem barbarischen Attentat zu sagen?

 

Drei Tage in Tokio und Peking

Eine Erklärung für meine Blog-Abstinenz in sechs Bildern:

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Der Fujijama aus der „Konrad Adenauer“ gesehen, dem Luftwaffe-Airbus der Bundesregierung

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Außenminister Westerwelle in Begleitung seines Lebenspartners Michael Mronz (links) im Tokioter Meiji-Schrein

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Im inneren Bereich des shintoistischen  Meiji-Schreins

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Ein buddhistischer Lama-Tempel in Peking

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Im Innern des Lama-Tempels

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Verfrorener Korrespondent vor verbotener Stadt

Alle Fotos: J. Lau

 

Werte und Interessen – Westerwelle zu Besuch in Japan und China

Wenn der deutsche Außenminister in Tokio betont, mit Japan verbinde Deutschland eine „Wertepartnerschaft“, so ist das nichts Außergewöhnliches. Wenn er derartiges aber gezielt äußert, bevor er zu seinem Antrittsbesuch in Peking eintrifft, dann liegt darin schon ein gewisses Provokationspotential. Denn im Umkehrschluss heißt dies für China, dass Deutschland sich offenbar nicht in einer Wertegemeinschaft mit dem aufstrebenden jungen Riesen auf der Weltbühne sieht. Wie denn auch? Nach der Verurteilung des Dissidenten Liu Xiaobo, nach der Hinrichtung eines britischen Bürgers trotz Protesten Gordon Browns, nach dem programmierten Scheitern von Kopenhagen, und jüngst erst nach dem Streit um Google!

Besuchsrouten und Protokollfragen sind die Mittel der Diplomatie, um klarzumachen, wo man steht. Und hier in Asien, unter den sich ultrakritisch beäugenden Nachbarn, wird so etwas durchaus registriert: Wo fährt der Neue zuerst hin, wieviel Zeit verbringt er mit wie hochrangigen Gesprächspartnern.

Guido Westerwelle hat seinen Antrittsbesuch in Japan und China genutzt, um ungewöhnlich deutlich auf die Differenzen mit dem zweiten, größeren Partner hinzuweisen. Nach seinem Gespräch mit dem Aussenminister Jang sprach er in seinem Statement gleich drei Mal von den „Meinungsunterschieden“, die er nicht verhehlen wolle. Das ist hart an der Grenze zur Unfreundlichkeit bei einem ersten Besuch – zumal der nette Herr Jang allgemein als einer der zugänglichsten unter den Machthabern in Peking gilt. Jang schien das geduldig zu ertragen – wohl wissend, dass der Deutsche vor allem von den mitgereisten Medien sehr genau daraufhin beobachtet wird, ob er sich nun etwa als blosser Handelsvertreter deutscher Industrie-Interessen gibt.

Natürlich weiß Westerwelle auch, dass er unter solchem Verdacht steht. Er reagiert geschickt darauf: Es gebe keinen Grund zu verstecken, dass man als deutscher Außenminister hier auch die Interessen der prominent mitreisenden Wirtschaftsvertreter befördern wolle. Aber das stehe eben nicht im Gegensatz zu einem klaren Vertreten der deutschen Werte, was die Meinungs- und Religionsfreiheit, die Rechte kultureller Minderheiten und die allgemeinen Menschenrechte angehe.

Die bittere Wahrheit der derzeitigen Lage in China ist, dass das Regime eben doch einen solchen Widerspruch sieht. Zum vermeintlichen Wohl der Nation werden die Rechte der Menschen – vor allem was die Meinungs- und Pressefreiheit angeht – momentan heftig beschnitten. Um so besser, wenn westliche Politiker deutlich machen, dass sie dieser Logik keineswegs folgen wollen – und doch am Dialog mit China interessiert bleiben, ja ihn – wo es geht – noch vertiefen wollen. Westerwelle hat den Balanceakt zwischen Interessen und Werten gut hinbekommen.

Man kann sich allerdings fragen, ob’s die chinesische Regierung noch interessiert. Sie ist seit den Olympischen Spielen zusehends im Bulldozer-Modus, wenn es um ihre Interessen geht. Sie nimmt in Kauf, dass der Deutsche sich vor dem eigenen Publikum als Menschenrechtler profiliert, und hat doch die Gewissheit, dass in China kaum jemand davon Notiz nehmen wird, wenn sie das nicht möchte. Manchmal kann man gar den Eindruck haben, dass den Chinesen die deutsche Vorstellung, zwischen Interessen und Werten balancieren zu müssen, regelrecht komisch vorkommt: Denn die KP kennt diesen Gegensatz nicht. Chinas Interessen und seine Werte sind nach der offiziellen Ideologie nämlich identisch. Es ist der höchste Wert, Chinas Interessen zu befördern.

Wie sich dies in der Außenpolitik niederschlägt, war bei der Pressekonferenz von Westerwelle und Jang zu erleben, bei der – was nicht üblich ist – auf Drängen der Deutschen auch Fragen der Journalisten zugelassen wurden. Auf die Frage der ZEIT, ob China bereit sei, bei einem eventuellen Scheitern der Atomdiplomatie auch über eine neue Runde von Saktionen gegen Iran nachzudenken, antwortete der chinesische Außenminister mit einem Bekenntnis zur Diplomatie und zum Recht eines jeden Staates, im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrages und unter Aufsicht der IAEO die Kernenergie friedlich zu nutzen. Das war die höfliche Version eines ziemlich eindeutigen Nein. Um so entschiedener nannte Westerwelle eine atomare Aufrüstung des Iran „völlig inakzeptabel“ für die Bundesregierung. Herr Jang schien nicht sehr beeindruckt.

 

„Was Frauen wollen? – Wen kümmert’s?“ Über die geniale TV-Serie „Mad Men“

Meine DVD-Empfehlung aus der Zeit von morgen:

Ein Reiz dieser Serie – der besten seit dem Ende der “Sopranos” – liegt in ihrer detailbesessenen historischen Korrektheit. Man schaut den Menschen im New York der frühen sechziger Jahre beim Leben zu und muss sich immer wieder wundern, wie fern uns diese Zeit schon gerückt ist.
Und dabei fing doch damals vieles an, was bis heute unseren Lebensstil im Westen bestimmt: Autos und Flugreisen für jedermann, Pop als kultureller Mainstream, zaghafte erste Versuche mit der sexuellen Befreiung. Und als treibender Motor: die Vermarktung und Stilisierung eines bis dahin ungekannten und offenbar grenzenlos wachsenden Wohlstandes für die Massen der westlichen Welt.
Matthew Weiner, der Erfinder, Autor und Produzent  von “Mad Men” hatte darum eine großartige Intuition, diese Geschichte im Milieu der Werbung anzusiedeln, unter jenen (vorwiegend) Männern der Madison Avenue, die damals den gesellschaftlichen Umbruch zu Geld machten. Und es war auch goldrichtig, die fiktive Agentur Sterling Cooper nicht in der absoluten Avantgarde der so genannten Kreativen anzusiedeln. Die Männer um den gutaussehenden, rätselhaften Don Draper (gespielt von Jon Hamm) müssen zwar damit umgehen, dass die Welt zu neuen Fronten aufbricht. Aber sie gehören ganz offensichtlich selber noch zur alten Mentalität. Sie sind geprägt durch die Härten von Wirtschaftskrise, Zweitem Weltkrieg und Kaltem Krieg. Nun aber bricht eine Zeit an, in der die weichen Werte von Individualismus, Selbstverwirklichung und Gleichberechtigung das kulturelle Klima verändern werden. So sind Don Draper und seine Jungs beauftragt, eine BH-Reklame für Playtex zu entwickeln, die einem neuen, selbstbewußten Frauentyp entspricht. Jede Frau, sagt Don, will Marylin oder Jackie (Kennedy) sein. Nur wenige Jahre später werden BHs öffentlich verbrannt werden. Wir wissen das, aber für Don und seine Kollegen ist undenkbar, dass es jenseits ihrer Projektionen noch andere Modelle von Weiblichkeit geben könnte.
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Don Draper (Jon Hamm, Mitte) in einer typischen Pose, neben ihm die zauberhafte January Jones in der Rolle von Betty Draper   Foto: AMC

Mad Men läßt uns unseren Vorsprung genießen. Wir sehen Schwangere, die bedenkenlos rauchen; weiße Mittelschicht-Männer, die ohne Reue sexistische Witze machen und stolz darauf sind, keine Vertreter irgendwelcher ethnischer Minderheiten in ihrer Mitte zu dulden. Eine Familie beim Sonntagsausflug mit dem neuen Cadillac – eine Idylle. Doch die Kamera ruht einen Moment auf dem Müllberg aus Einwegpackungen, den die Drapers am Ufer zurücklassen.  Matthew Weiner zelebriert die Ferne der frühen Sechziger. Aber er macht sich über niemanden lustig und dämonisiert nicht. Man erschrickt: Wahnsinn, so haben wir (oder unsere Eltern) damals gelebt. Und es schien doch völlig in Ordnung!
Weiner braucht  keine Finsterlinge, um sein Drama zu entfalten. Es gibt auch keinen reinen Sympathieträger. Viele der Charaktere haben eine dunkle, unerlöste Seite. Eben darum wachsen sie einem ans Herz. Sieben Jahre lang hat man Weiners Pilot-Skript abgelehnt, sogar beim Pioniersender HBO, der doch mit den Sopranos bewiesen hatte, dass auch die auf dem Papier denkbar unsympathischste Hauptfigur – der mordende und lügende Mafiaboss Tony – Millionen in seinen Bann ziehen konnte.
Während die Sopranos aber den neureichen Vulgärschick der Mobster von New Jersey zelebrierten, feiert Mad Men die letzte elegante Ära unserer Zeit. Die Männer tragen noch Hüte und Krawatten und kämmen ihre Haare mit Brillantine zurück. Die Frauen modellieren ihre Figuren noch nicht mittels Silikon, Botox und Fitness-Exzessen, sondern durch tadellos geschneiderte Kostüme und darunterliegende Korsagen aus Stoffen, die man offenbar im Mondprogramm erprobt hat. Die Dichte der authentischen Details der Ausstattung ist ein Fest für die Augen und wird manchem, besonders in der BluRay-Fassung, Grund zur Investition in einen besseren Flachbildschirm geben.

Aber die eigentliche Stärke der Serie ist nicht die fast schon fetischistische Reproduktion der Sixties-Oberfläche, sondern die Tiefe der Figuren. Bis weit in die dritte Staffel hinein rätselt man Don Drapers Identität hinterher. Denn offenbar hat er den Namen eines toten Kameraden im Koreakrieg angenommen. Es scheint ein dunkles Geheimnis über seiner Herkunft zu liegen. Warum verheimlicht er seiner Frau Betty, gespielt von der geradezu unheimlich an Grace Kelly erinnernden January Jones, sein früheres Leben? Warum betrügt er sie gewohnheitsmäßig? Betty ihrerseits möchte gerne die perfekte Ehefrau und Mutter sein, aber wir ahnen schon, dass dies immer schwerer wird, je mehr sie über das heimliche Leben ihres Mannes erfährt. Sie will eigentlich nicht hinaus aus dieser Ehe, aber es zerren Kräfte an ihr und ihrem Mann, die stärker sind als das, was dieses Paar zusammenhält.
Wenn Don mit seinem Chef Roger Sterling zum Drei-Martini-Lunch (Steak, Sahnesosse, Pommesfrites) geht und die beiden dabei rauchend über das andere Geschlecht reden (“Was genau wollen Frauen denn nun?” – “Wen kümmerts?”), genießt man diese Orgie der Unkorrektheit. Aber Mad Men zeigt in seinen anrührendsten Momenten auch, wer damals den Preis für die scheinbar unschuldige, von keinem Selbstzweifel ergriffene Ordnung bezahlte. Salvatore Romano, der Grafiker, kann sich selbst und seinen Kollegen die Homosexualität nicht eingestehen. Es gibt ganz einfach kein lebbares Modell für einen bürgerlichen Schwulen wie ihn. Herzzerreißend, ihm und seiner nichtsahnenden Frau zuzusehen, wie sie nicht herauskönnen aus dem Arrangement, in das sie sich verstrickt haben. Peggy Olsen (Elizabeth Moss) schafft es zwar von der Sekretärin zur Texterin aufzusteigen, aber um von ihren Kollegen akzeptiert zu werden, muss sie sich entsexualisieren. Spät erst taucht in der Romanze mit einem älteren, furchtlosen Mann eine Möglichkeit für sie auf, smart und sexy zu sein. Diese beiden finden sich, während die meisten der Mäner und Frauen in Mad Men  erst auseinanderdriften müssen, bevor sich neue Formen des Zusammenlebens finden. Kann das gelingen in dieser Zwischenzeit, wie der Dichter Philip Larkin schrieb “Between the end of the Chatterley ban and the Beatles‘ first LP”?  Die Antwort steht aus, auch heute noch, und darum ist “Mad Men” bei aller historischen Akuratesse die Serie unserer Tage.