Brutale Gewalt gegen Demonstranten in Kairo

Kristin Jankowski, freie Mitarbeiterin des Goethe-Instituts in Kairo, schickt mir soeben folgenden Bericht von den Ausschreitungen in der ägyptischen Hauptstadt:

Die Blutspur zieht sich über den Tahrir-Platz. Es ist das Blut eines Demonstranten, der bei den gewalttätigen Ausschreitungen mit den ägyptischen Sicherheitskräften ums Leben kam. Am vergangen Freitagmorgen wurde ein Sitzstreik vor dem Parlament von der Polizei brutal aufgelöst. Seitdem zeigt das ägyptische Regime, wie es mit denjenigen umgeht, die eine zivile Regierung und Freiheit in ihrem eigenen Land fordern.
Es wird mit Schlagstöcken auf wehrlose Frauen eingeschlagen, es wird mit Stiefeln auf Demonstranten eingetreten, die bereits verletzt am Boden liegen. Es werden Straßenkinder festgenommen und geschlagen. Es wird scharf geschossen. Es sind Bilder, die nicht nur Gänsehaut und Schauer erregen. Es sind Bilder, die Tränen in die Augen treiben.

In diesem Video sieht man die ungeheure Brutalität der Sicherheitskräfte.

Am vergangen Freitag standen Männer in ziviler Kleidung und Soldaten auf dem Dach des Parlaments. Sie hatten mit Steinen und Glas auf die Demonstranten geworfen, die unter ihnen auf der Straße standen. Auf Fotos ist zu sehen, wie diese Männer lachen und johlen, während sie wehrlose Menschen verletzten und töten. Die Demonstranten trugen Helme, schützten sich mit herbei getragenden Gegenständen, die sie vor ihre Körper hielten. Es flogen sogar Molotov-Cocktails von den Dächern. Die Demonstranten, meist junge Männer oder sogar Kinder, warfen zurück, versuchten das Parlament anzuzünden. Auf der Straße tobte die Wut gegen die Militärregierung, die seit dem Rücktritt von Hosni Mubarak am 11. Februar 2011 die Macht über das Land am Nil besitzt.

„Ich wurde festgenommen, als die Polizei heute morgen den Sitzstreik auflöste“, sagte eine junge Demonstrantin am Nachmittag. Ihre schwarze Wimperntusche war verschmiert, ihre Augen weit aufgerissen. „Sie haben mich immer wieder in den Bauch und in den Unterleib geschlagen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich schwanger bin. Ich hatte gehofft, dass sie aufhören werden.“ Sie schnappte nach Luft. „Aber dann haben sie weiter auf mich eingedroschen. Immer mehr in den Unterleib. Sie haben mich schwer beschimpft. Schlampe, haben sie zu mir gesagt.“

Sie lächelte:„ Aber es geht mir gut. Ich stehe ja wieder hier.“ Dann verschwand sie in der Menschenmenge.

„Kommt doch runter“, rief ein junger Demonstrant den Männern auf dem Dach zu. Und winkte. „Kommt runter, damit wir euch endlich töten können.“ Er war aufgebracht, winkte ständig mit den Händen. Er nahm einen Stein und versuchte auf das Dach zu zielen. Aber es war zu hoch.

Immer wieder brachen einige Demonstranten zusammen, die von den Steinen oder von dem Glas getroffen wurden, die von oben runterflogen.
In Eile und Panik wurden sie davon getragen und zu dem Lazarett getragen, das sich in der Seitenstraße befand.
Auf den Wolldecken lagen meist Männer mit schweren Kopfverletzungen. Blutend. Weinend. Zitternd. Und schimpfend.

In den Abendstunden versammelten sich immer mehr Menschen auf dem Tahrir-Platz. Es roch nach Feuer. Das Parlament liegt nur einige hundert Meter entfernt. Eine Menschenmasse stand neugierig vor den Ausschreitungen. Sie applaudierten, wenn wieder neue Molotov-Cocktails auf die Sicherheitskräfte geworfen wurde. Das Hass gegen das Regime schien ungehalten zu sein.

„Ich bin am Samstagmittag schon wieder festgenommen worden“, sagte die selbe junge Frau, die am Freitag von den Sicherheitskräften verprügelt wurde. „Sie sind mir hinterher gelaufen. Irgendwann haben sie mich geschnappt. Sie haben mich auf den Boden geworfen“, erzählte sie weiter. Ihr rechter Arm war in einem weißen Verband eingewickelt. Sie humpelte. „Sie haben mir die Kleidung vom Körper gerissen. Ich war nackt. Und dann haben sie mich überall begrapscht und mich geschlagen.“
Es war am späten Samstagabend, als sie von dem Übergriff sprach. „Sie haben mich immer wieder gefragt, warum ich nicht weinen würde. Ich habe diese Hunde einfach nur beschimpft.“

Sie setzte sich auf eine der Verkehrsinseln und zündete sich eine Zigarette an. Auf dem Boden lagen Steine, Glassplitter. Einige Demonstranten hatten eine Barrikade in der Strasse gebaut, die zum Parlament führt. Vor ihnen standen große Betonklötze, die am Morgen herbeitransportiert wurden. Dahinter standen die Sicherheitskräfte.
Sogar Lichter hatten die Demonstranten herbeigebracht, um sie später an den Ampeln zu befestigen.
„Schaut“, rief ein ältere Mann. „Da kommen wieder Molotov-Cocktails.“ Er zeigte auf eine Gruppe von jungen Männern, die sich durch die Menge drängelten. „Die werden sie jetzt gleich über die Mauer auf die Polizei werfen“, sagte er johlend. Und klatschte in die Hände.

Seit den letzten Tagen häufen sich die Bilder von Schwerverletzten. Blutende Schädel, geschwollene Augen. Schussverletzungen. Tote.
Insgesamt hat es mehrere Hunderte Verletzte gegeben. Das ägyptische Gesundheitsministerium behauptet, es hätten bis jetzt 12 Menschen ihr Leben verloren.

In den Morgenstunden des vergangen Montags hatten ägyptische Sicherheitskräfte brutal den Tahrir-Platz geräumt. Es war gegen halb vier Uhr morgens, als sie kamen. Es wurde wieder geschossen. Trotzdem versammelten sich am Montag wieder tausende Menschen in Kairos Stadtmitte. Am Dienstag morgen stürmten die ägyptischen Sicherheitskräfte erneut auf den Tahrir-Platz. Rund zwei Stunden lang waren Schüsse zu hören.

„Sie haben den Bruder meines Freundes getötet“, erzählt ein junger Demonstrant weinend. „Er war so mutig. Sie haben ihm einfach in den Nacken geschossen.“

Die ägyptische Zeitung „Al Shorouk“ zitierte am Montag den General Abdel Moneim Kato. Er sagte, die Demonstranten sollten in „Hitlers Ofen geworfen werden.“

 

CR-Gas gegen Demonstranten: Ärzte vom Tahrir-Platz erheben schwere Vorwürfe

Ein zweiter Augenzeugenbericht von Kristin Jankowski aus Kairo:

„Er spricht nicht“, sagt die junge Ärztin Hend Khattab. Vor ihr sitzt ein Mann, eingewickelt in eine Wolldecke. „Er hat einen Schock“, spricht die 26-Jährige weiter. Er verdreht die Augen, zittert. Hend Khattab zählt zu den Ärzten, die die verwundeten Demonstranten in dem Stadtzentrum in Kairo versorgen. Die Omar Makram Moschee, die sich hinter dem Tahrir-Platz befindet, wurde zu einem Lazarett umgebaut. An der Wand stehen acht Liegen. Am Ende des Raumes liegen Handschuhe, Spritzen, Flaschen. Medikamente. Sogar kleine Milchpakete und Schokolade. „Das sind alles Spenden“, erklärt die Ärztin Nermeen Refaat Ayad. Sie trägt eine Atemschutzmaske um den Hals. „Ich habe schon fünf Männer sterben gesehen. Jeden Tag kommen rund 500 Patienten zu uns.“

Plötzlich wird das Zittern des jungen Mannes, der vor den beiden Ärztinnen sitzt, immer stärker. Er schließt die Augen. Seine Beine schlagen gegeneinander. Ärzte kommen hastig angelaufen, greifen ihn und tragen ihn zu einer Liege. Sie drehen ihn zur Seite, hauen ihm auf den Rücken. Er bekommt eine Injektion. „Das kommt von dem Tränengas“, kommentiert Hend Khattab und schüttelt den Kopf. „Wir bezahlen gerade den Preis dafür, dass wir 30 Jahre lang leise waren. Und das Regime einfach akzeptiert haben.“

Nermeen Refaat Ayad zieht Hend Khattab am Ärmel: „Wir gehen jetzt.“
Gemeinsam mit zwei weiteren Ärzten verlassen die beiden Frauen das Lazarett. Sie tragen Atemschutzmasken, Schutzbrillen, Helme, weiße Handschuhe.

Hend Khattab und Kristin Jankowski gestern abend in Kairo  Foto: privat

 

Ahmed Khattab, der Cousin der Ärztin Hend Khattab, folgt ihnen. Er sammelt Spenden für das Lazarett. Nun begleitet er das Team zu den Ausschreitungen in den Seitenstraßen. Der Ingenieur ist müde. Er hatte die Nacht zuvor nicht geschlafen. „Und ich muss heute Nacht noch weitere Spenden abholen“, sagt Ahmed Khattab. Das Team geht durch die Massen auf dem Tahrir-Platz. Sie stoppen an einem weiteren Lazarett, das sich am Rande des Platzes befindet. Sie tauschen sich mit ihren Kollegen aus.

Nur einige Meter weiter reiben sich die Menschen die Augen. Sie husten, beugen sich nach vorne. Tränengasangriff. Einige der Demonstranten fallen einfach in sich zusammen. Hend Khattab und Nermeen Refaat Ayad atmen durch die Atemschutzmasken. Ihre Augen sind trotz Schutzbrille gerötet. Starkes Husten ist zu hören. „Das ist der Horror“, sagt Hend Khattab.

Das Team macht sich auf den Weg zu den Ausschreitungen am Falaky-Platz. Am Straßenrand befindet sich Müll, kleine Feuer sind gelegt. „Wir gehen direkt zu den Ausschreitungen“, fordert Nermeen Refaat Ayad das Team auf.
Sie gehen in die enge und dunkle Straße hinein. Nur einige Meter weiter stehen die ägyptischen Sicherheitskräfte. Auf der Straße werfen Demonstranten mit Steinen. Molotowcocktails.

Die Polizei verschießt Tränengas. Die jungen Ärzte stellen sich schützend an den Rand. Doch die Wirkungen sind zu intensiv. Sie müssen fliehen, drängen sich durch die Menge, halten sich die Atemschutzmasken dicht an den Mund. Sie rennen davon, da das Atmen kaum möglich ist. Herzrasen.

Nach rund 300 Metern können sie endlich stehen bleiben, nehmen sich die Masken vom Gesicht und atmen tief ein. „Das ist CR-Gas„, sagt Nermeen Refaat Ayad. „Das wird auch als chemische Waffe eingesetzt“, fügt ein junger Arzt aus Alexandria hinzu. „Das Gas ist ganz merkwürdig hier. Wir brauchen unbedingt internationale Beobachter, die das Zeug überprüfen“, fordert Hend Khattab.

Die Ärzte sind bereits wieder auf dem Weg zu den Ausschreitungen. Um die Straßenecke taumelt ihnen ein junger Mann entgegen, er hustet, spuckt auf den Boden. Er wird von Demonstranten gestützt, die Ärzte nehmen ihn entgegen. Er bricht zusammen. Nermeen Refaat dreht den Mann zur Seite, fühlt seinen Puls. Er würgt. „Huste, huste!“ fordert sie ihn auf. Er beginnt an zu zittern. Immer mehr. Dann verliert er das Bewusstsein.
„Motorrad, Motorrad“ ruft die 31-Jährige. Sie dreht sich um. Männer kommen angelaufen. Sie heben ihn auf den Sitz eines Motorrades, das den Bewusstlosen zu einem Lazarett fahren wird.

„Das ist ein Verbrechen!“ sagt Hend Khattab. Und sieht das Motorrad davon fahren.

 

Mut der Verzweiflung auf dem Tahrir-Platz

Diesen Augenzeugenbericht von den heutigen Ereignissen auf dem Tahrir-Platz schickt mir Kristin Jankowski, die in Kairo lebt und arbeitet:

Er beugt sich nach vorne, hustet kräftig. Er spuckt auf den Asphalt. Und hustet noch einmal. Er schaut nach vorne, reibt sich ein Taschentuch über die Augen.

Vor ihm schießen die ägyptischen Sicherheitskräfte mit Tränengas. Ein weiterer Demonstrant kommt hastig anglaufen, greift ihm an die Schulter und reibt ihm Essig ins Gesicht.

Es ist ein Junge, nicht älter als 12 Jahre, der mit den Wirkungen des Tränengases kämpft. Seine Hose ist dreckig, seine Augen stark gerötet. Er lacht kurz auf und rennt wieder davon. Mitten in die Menge hinein. Dort wo gekämpft wird. An die Front. Es ist lebensgefährlich.

Seit Samstag mittag riecht es nach Tränengas in den Straßen von Kairo Downtown. Auf dem Tahrir-Platz sammeln sich immer mehr Menschen. Muslime, Kopten, Atheisten, Liberale ,Linke, Frauen und Männer. Kinder. Mehr Arme als Reiche. Trotz der angeblichen Unterschiede haben sie meist nur eines im Sinn: Den Sturz des Feldmarschalls Hussein Tantway, der nach dem Sturz von Hosni Mubarak das Land am Nil regiert. Gemeinsam mit dem Militärrat.

„Wir haben es satt“, sagt ein junger Mann, der auf einer Wiese eine kurze Pause macht. Seine Augen sind gerötet. „Wir wollen endlich in Freiheit leben. Und wir bleiben so lange hier, bis wir frei sind.“Er sieht optimistisch aus. Trotz des Chaos, das sich nur einige Meter vor ihm abspielt. Ärzte haben ein Lazarett aufgebaut, Decken sind auf dem Boden ausgelegt. Sie tragen weiße Kittel, sie reagieren in Windeseile auf die zahlreichen Verletzten, die angetragen werden. Demonstranten haben sich schützend aufgestellt um den Weg für die Motorräder und Mofas frei zu machen, die die Verletzten von der Front zu den Ärzten bringen. Im Sekundentakt rasen sie hupend durch die Menge. Meist sitzen drei Personen auf dem Sitz. Der Verletzte befindet sich in der Mitte. Oft blutend im Gesicht oder am Kopf. Oder bewusstlos vom Tränengas.

Doch die Gefahr scheint viele Demonstranten nicht abzuhalten gegen die Sicherheitskräfte zu kaempfen. Mit Steinen und Molotov-Cocktails lassen sie ihrer Wut freien Lauf. „Mir ist es egal, ob ich sterbe“ behauptet eine junge Frau. „Die Regierung tritt uns seit Jahren in den Arsch. Nun ist es Zeit, dass wir alle zurücktreten“, sagt sie. Lächelnd.

Und das obwohl sie am Samstag morgen von Sicherheitskräften verprügelt wurde. „Ich hatte sie als Arschlöcher bezeichnet und dann haben sie mich mit ihren Stöcken verdroschen. Aber ich bin stark. Ich kämpfe weiter“.

Nicht nur die politischen Forderungen scheinen die Menschen auf dem Tahrir-Platz derzeit zu vereinen. Es ist ein unbeschreiblicher Mut, der die Demonstranten auf die Strassen treibt. Sie haben von den vergangen Protesten im Januar und Februar gelernt. Diesmal tragen viele von ihnen Taucherbrillen, oder sie haben sich Motorradhelme aufgesetzt um sich vor Tränengas und Gummigeschossen zu schuetzen. Auf dem Tahrir-Platz wird nicht nur Tee und heiße Kartoffeln verkauft, es gibt sogar Atemschutzmasken im Angebot. Die mit einem Schutzfilter gibt es für 10 Pfund. Und die mit zwei Filtern sind für zwanzig Pfund erhältlich.

Es scheint so, als ob sich die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz und den Seitenstraßen auf einen langen Kampf eingestellt haben.

Kristin Jankowski Foto: privat

 

Freiheit für den ägyptischen Blogger Alaa Abd El Fattah!

In Ägypten wurde vor wenigen Tagen der Blogger Alaa Abd El Fattah inhaftiert. Er weigerte sich, als Zivilist vor einem Militärgericht auszusagen. Der Hintergrund: Seine Darstellung der Ereignisse vom 9. Oktober, als zwei Dutzend Menschen bei Zusammenstößen mit den Sicherheitsorganen getötet worden waren, entspricht nicht dem Geschmack der Militärherrscher. Alaa ist ein prominenter Aktivist der Tahrir-Bewegung, die zunehmend unter den Druck der Herrschenden gerät. Es war ihm möglich, einen Brief aus dem Gefängnis zu schmuggeln. Die deutsche Übersetzung verdanke ich Kristin Jankowski in Kairo.

Amnesty International ruft zu Alaas Freilassung auf. Hier gibt es die Möglichkeit, eine Petition zu unterschreiben. Es ist zu hoffen, dass sich die Bundesregierung in Gestalt des Außenministers oder seines Menschenrechtsbeauftragten Markus Löning der Sache annimmt.

Die Anzeichen für eine immer striktere Militärherrschaft sind unübersehbar. Die Bundesregierung darf dabei nicht zusehen – wie auch die übrige Weltgemeinschaft, die Anfang des Jahres mit den Demonstranten vom Tahrir-Platz gezittert hat. Hier der Brief, ein erschütterndes Dokument:

 

Ich hätte nie gedacht, die Erfahrung von vor fünf Jahren nochmal durchmachen zu müssen: nach einer Revolution, die den Tyrannen stürzte, kehre ich in sein Gefängnis zurück?

Erinnerungen überkommen mich, die Einzelheiten vom Leben der Inhaftierten: die Fähigkeit, auf dem Boden zu schlafen, neun Männer in einer Zelle, zwei mal vier Meter, die Lieder vom Gefängnis, die Gespräche. Ich kann mich aber überhaupt nicht mehr daran erinnern, wie es mir damals gelungen war, über Nacht meine Brille zu schützen. Allein heute ist schon dreimal jemand drauf getreten. Ich musste feststellen, dass ich dieselbe Brille auch letztes Mal im Gefängnis trug. Ich wurde damals, 2006, nach einer Demonstration für die Unabhängigkeit der Richter verhaftet. Jetzt bin ich wieder eingesperrt, warte wieder auf die Verhandlung und wieder werden mir irgendwelche fadenscheinigen Anschuldigungen gemacht. Der einzige Unterschied besteht darin, dass heute anstelle eines Staatsanwalts der Staatssicherheit ein Militäranwalt ermittelt: eine Veränderung, die zu unserer derzeitigen politischen Lage passt.

Alaa Abd El Fattah mit seiner Frau Manal Bahey El Din Hassan  Foto: privat

Letztes Mal war ich mit 50 Kollegen aus der Kifaya-Bewegung verhaftet worden. Dieses Mal bin ich alleine, in einer Zelle mit acht anderen, die nicht hier sein sollten. Sie sind arm und hilflos. Ihre Inhaftierung entbehrt jeglicher rechtlicher Grundlage. Das gilt sowohl für die Schuldigen als auch für die Unschuldigen unter ihnen.

Als sie erfahren haben, dass ich einer von den „Jugendlichen der Revolution“ bin, haben sie angefangen, die Revolution zu verfluchen und davon gesprochen, dass es dieser Revolution nicht gelungen sei, das Innenministerium zu „säubern“. Die ersten zwei Tage habe ich damit verbracht, mir Foltergeschichten anzuhören. Sie handelten von einer Polizei, die sich stark dagegen wehrt, reformiert zu werden, von einer Polizei, die ihre Niederlage an den Körpern der Armen und Hilflosen rächt.

Diese Geschichten offenbaren mir die Wahrheit über die „Wiederherstellung der Sicherheit“ auf unseren Straßen. Zwei meiner Mitinsassen sind zum ersten Mal im Gefängnis, zwei ganz normale Männer, ohne die geringste Spur von Gewaltbereitschaft. Ihr Verbrechen? „Bildung von bewaffneten Banden“. Aber klar, Abu Malak, die schwer bewaffnete Ein-Mann-Bande… Jetzt weiß ich, was das Innenministerium meint, wenn es uns jeden Tag von der Verhaftung gefährlicher Banden berichtet. Wir können uns wirklich zur Rückkehr der Sicherheit beglückwünschen.

In den wenigen Stunden, in denen Sonnenlicht in unsere dunkle Zelle vordringt, können wir das lesen, was ein ehemaliger Inhaftierter schön in arabischer Kalligraphie in die Wand eingraviert hat. Vier Wände sind vom Boden bis zur Decke mit Versen aus dem Koran bedeckt, mit Gebeten, Bittgebeten und Gedanken, die sich wie ein starker Wunsch nach Buße lesen.

Am nächsten Tag entdecken wir in einer Ecke das Datum der Hinrichtung dieses Häftlings und können die Tränen nicht mehr zurückhalten.

Die Schuldigen planen ihre Buße. Und was können die Unschuldigen tun?

Ich lasse die Gedanken schweifen, während ich im Radio die Rede des Generals bei der Einweihung des höchsten Fahnenmasten der Welt höre – der bestimmt alle möglichen Rekorde brechen wird. Ich frage mich: Wenn der Märtyrer Mina Danial während meines Verfahrens als „Volksverhetzer“ bezeichnet wird, bricht das nicht den Unverschämtheitsrekord? Sie sind bestimmt die Ersten, die nicht nur jemanden töten und dann an seiner Beerdigung teilnehmen, sondern auch noch auf seine Leiche spucken und ihr ein Verbrechen vorwerfen. Vielleicht bricht unsere Zelle ja sogar den Kakerlaken-Rekord? Abu Malak unterbricht meinen Gedankengang und sagt: „Bei Gott, wenn die Revolution nichts gegen dieses himmelschreiende Unrecht unternimmt, dann wird sie untergehen, ohne auch nur eine einzige Spur zu hinterlassen.“

Alaa Abd El Fattah