Beim Deutschen Bundestag in Berlin arbeiten 170 Polizisten. Warum braucht das Parlament eigene Ordnungshüter? Was tun sie? Und wen schützen sie?
Von Susanne Gaschke
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Unter Polizeiarbeit stellt man sich oft etwas sehr Spannendes, Gefährliches vor, einen Beruf mit Verfolgungsjagden und Schießereien, wie im Fernsehen. Aber eigentlich ist es die Aufgabe der Polizei, Verfolgungsjagden und Schießereien möglichst zu verhindern – und das gilt besonders für eine kleine, ungewöhnliche Polizei, von deren Existenz die wenigsten Menschen wissen: die Polizei beim Deutschen Bundestag.
Sie besteht aus 170 Polizeibeamten (viele Männer, aber auch ein paar Frauen), die allein dem Präsidenten des Deutschen Bundestages unterstellt sind; im Augenblick ist das Norbert Lammert von der CDU. Niemand sonst, kein Innenminister oder Polizeichef, kann diesen Beamten etwas befehlen. Und sie arbeiten rund um die Uhr dafür, dass nichts passiert: dass kein Besucher Waffen in das Reichstagsgebäude in Berlin schmuggelt, wo der Bundestag zusammentritt; dass die Diskussionen der Abgeordneten nicht gestört werden und dass niemand versucht, ein Attentat auf die Bundeskanzlerin zu verüben.
»Das ist eine Wahnsinnsarbeit bei drei Millionen Besuchern im Jahr«, sagt Tamás Schneemann, der seit sieben Jahren zur Polizei beim Deutschen Bundestag gehört. Drei Millionen Besucher! Zwei Millionen von ihnen wollen sich die berühmte Glaskuppel des Reichstagsgebäudes ansehen, die man aus den Fernsehnachrichten kennt. Und eine weitere Million lässt sich bei Führungen durch das riesige Parlamentsgebäude und die umliegenden Bürohäuser ganz genau erklären, wie die Abgeordneten arbeiten, wann sie sich im großen Plenarsaal treffen, wann sie an ihren Schreibtischen Akten lesen und wann sie sich in Arbeitsgruppen und Ausschüssen zusammensetzen, um über neue Gesetze zu beraten. Die meisten Sitzungen der Ausschüsse sind ebenso öffentlich wie die Plenardebatten; jeder Bürger kann zum Zuhören kommen, muss sich aber anmelden und wird am Eingang kontrolliert, ähnlich wie am Flughafen.
Unter den Besuchern des Reichstages sind viele Schüler auf Klassenfahrt. »Aber für manche endet die Veranstaltung gleich bei uns am Eingang«, sagt Lars Witter, der ebenfalls der Polizei beim Deutschen Bundestag angehört. Dort am Eingang werden nämlich Taschen und Rucksäcke der Gäste durchleuchtet. Und allzu oft finden sich gerade bei jungen Leuten Waffen – Messer oder Schlagringe zum Beispiel – oder Drogen. Dann gibt es ziemlichen Ärger. Und oft auch eine Strafanzeige.
Warum braucht der Bundestag eine eigene Polizei? Und warum tragen Beamte wie Tamás Schneemann und Lars Witter bei ihrer Arbeit schicke Anzüge und nur ganz selten Polizeijacken, sodass man meist nur an einem kleinen Abzeichen am Revers ihrer Jacketts erkennen kann, dass sie Polizisten sind? Dafür gibt es geschichtliche Gründe: Vor 75 Jahren, zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland, wollten die Machthaber das von den Bürgern frei gewählte Parlament unterdrücken – die Abgeordneten, die keine Nationalsozialisten waren, sollten die Naziherrscher nicht stören. Und das hieß, dass sie auf keinen Fall öffentlich ihre Meinung sagen sollten. Also wurden Abgeordnete im Plenarsaal von uniformierten Truppen der Nationalsozialisten am Reden gehindert; diese als Hilfspolizisten eingesetzten Männer verwehrten ihnen den Zutritt zum Parlamentsgebäude; es wurden sogar Abgeordnete im Parlament verhaftet!
»Vielleicht wollte man deshalb nach dem Ende der Diktatur im Parlament keine Uniformen mehr sehen«, sagt Tamás Schneemann. Deshalb ist der Chef der Bundestagspolizei selbst ein Abgeordneter, den die anderen Abgeordneten zu ihrem Präsidenten gewählt haben. Deshalb dürfen im Parlament nur die Bundestagspolizisten Waffen tragen – selbst die Bodyguards ausländischer Staatsgäste müssen ihre Waffen während des Besuchs in einen Safe legen. Deshalb sind auch keine Demonstrationen oder Protestaktionen im Reichstagsgebäude erlaubt – als im vergangenen Jahr junge Leute von der Zuschauertribüne in den Plenarsaal sprangen, fanden die Bundestagspolizisten das nicht so witzig. In solchen Fällen – aber die sind selten – kommen dann schon mal Handschellen zum Einsatz.
Damit die Abgeordneten sich nicht bedrängt, gestört oder bedroht fühlen, dürfen Besucher auch keine Anstecker mit provozierenden Botschaften oder die Symbole rivalisierender Fußballclubs tragen. »Wir bitten die Gäste, alles abzulegen, was im Haus für laute Diskussionen sorgen könnte«, erklärt Lars Witter. Auf der Besuchertribüne des Plenarsaals darf weder gerufen noch geklatscht werden, anders als bei Talkshows im Fernsehen, hier gilt: »Nur noch atmen.«
Das klingt streng. Aber jeder soll ja die Chance haben, bei einem Besuch im Reichstagsgebäude ungestört zu verfolgen, was die Abgeordneten sagen. Schließlich diskutieren sie stellvertretend für alle im Land – weil 80 Millionen Menschen beim besten Willen nicht zusammenkommen könnten, um sich zu einigen. Das gäbe ein heilloses Chaos. Gerade deshalb müssen die Debatten der Abgeordneten aber so wichtig genommen werden, als wäre das ganze Volk auf einem Marktplatz versammelt.