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Lebt euer Leben in Freiheit!

 

Die Französin Simone de Beauvoir kämpfte für die Rechte der Frauen – und hatte ein aufregendes Leben

Von Nathalie Gremme und  Christian Staas

Simone de Beauvoir
© Hulton Archive/Getty Images

Damit hatte Simone de Beauvoir nicht gerechnet: Ihr Buch löste einen ordentlichen Wirbel aus! »Sie haben mich gerettet«, schrieb eine Leserin. Andere schimpften, und der Papst setzte das Buch gar auf eine Liste verbotener Werke.

Heute, 60 Jahre später, ist die Aufregung vergessen. Nicht aber das Buch selbst. Es heißt Das andere Geschlecht, und es handelt davon, was es bedeutet, eine Frau zu sein – oder ein Mädchen. Es zeigt, dass Frauen jahrhundertelang nicht die gleichen Rechte wie Männer hatten. Und es hat eine Botschaft: Frauen, lebt euer Leben in Freiheit! Damals, 1949, war das eine kühne Idee.

Ebenso kühn war die Autorin Simone de Beauvoir. Sie sagte offen, was sie dachte, war stark und mutig. Heute gilt sie als die wichtigste Philosophin des vergangenen Jahrhunderts. Ihr Buch Das andere Geschlecht regte Hunderttausende Frauen an, all das zu erkämpfen, was heute selbstverständlich scheint: dass Mädchen ihren eigenen Weg gehen, dass sie studieren, Jeans tragen und vor Jungs nicht kuschen müssen.

Simone de Beauvoir selbst hat davon nur die Anfänge erlebt. 1986 ist sie gestorben – sie könnte also eure Urgroßmutter sein! Was würde sie wohl denken, wenn sie noch lebte? Was hätte sie zu erzählen? Wir haben zu ihrem 101. Geburtstag nachgefragt.

DIE ZEIT: Liebe Simone de Beauvoir, sie wurden am 9. Januar 1908 in Paris geboren. Damals war es für Frauen normal, keinen Beruf zu haben, sondern zu heiraten und den Haushalt zu machen…

Simone de Beauvoir: Und damit war ich schon als Kind nicht einverstanden!

ZEIT: Sie träumten nicht davon zu heiraten?

De Beauvoir: Nein! Ich wäre ja mit einem Mann verheiratet worden, den meine Eltern für mich ausgewählt hätten. Aber ich wollte nicht abhängig sein wie meine Mutter. Ich erinnere mich, wie ich ihr einmal beim Geschirrspülen half. Ich langweilte mich zu Tode, schaute aus dem Fenster und sah, dass im Haus gegenüber lauter andere Frauen Geschirr spülten. Ich stellte mir vor, dass jeden Tag zu tun, mein ganzes Leben lang. Da dachte ich: Niemals! Ich will frei sein.

ZEIT: Wie wollten Sie das erreichen?

De Beauvoir: Ich wollte eine berühmte Schriftstellerin werden!

ZEIT: Und wie haben Sie das Ihren Eltern erklärt?

De Beauvoir: Ich hatte Glück, weil meine Familie nach dem Ersten Weltkrieg ihr Vermögen verlor. Mein Vater hatte kein Geld, um mich zu verheiraten. Er sagte: Du musst einen Beruf lernen. Er hat mich auf die höhere Schule geschickt. Das fand ich toll, denn Lernen war meine Leidenschaft. Später ging ich auf die Universität und studierte Literatur und Philosophie – als eine von wenigen Frauen.

ZEIT: »Man wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht« ist Ihr berühmtester Satz. Wie meinen Sie das?

De Beauvoir: Zu meiner Zeit gab es Wissenschaftler, die behaupteten, Frauen seien durch ihren Körper dazu vorgesehen, das Haus zu hüten, sie hätten keinen Verstand, aber seien dafür gefühlvoll. Einer schrieb sogar, dass Frauen in der Öffentlichkeit nichts zu sagen hätten, weil ihre Stimmen höher seien.

ZEIT: So ein Blödsinn!

De Beuavoir: Allerdings. Der Verstand von Frauen und Männern ist gleich. Die Unterschiede im Denken und Verhalten kommen daher, dass Mädchen und Jungen unterschiedlich erzogen werden. Wir kommen nicht als fertige Frauen und Männer auf die Welt, auch nicht als Mädchen und Jungs. Wir lernen diese Rollen erst. Aber wir müssen sie nicht annehmen. Jeder Mensch kann sich frei entscheiden.

ZEIT: Denken Sie, dass Sie für das Leben der Frauen etwas verändert haben?

De Beauvoir: Ich hoffe es! Auch ich selbst glaubte früher, ich könnte nicht so gut studieren wie Männer, weil die von Natur aus schlauer wären. Als ich feststellte, dass mir die Männer an der Uni nicht das Wasser reichen konnten, glaubte ich, ich sei komisch! So etwas gibt es heute hoffentlich nicht mehr.

ZEIT: Im deutschen Fernsehen ist eine Show beliebt, in denen junge Frauen vor allem hübsch aussehen sollen…

De Beuavoir: Eine ärgerliche Zeitverschwendung! Es geht da um nichts anderes, als den Körper von Frauen zu beurteilen. Wenn ich nicht sowieso zeitlebens meine Haare hochgesteckt hätte, würden sie mir jetzt von allein zu Berge stehen!

ZEIT: Wollten Sie als junge Frau denn nicht hübsch aussehen?

De Beauvoir: Natürlich, nur war es nicht das Wichtigste. Zu Beginn meines Studiums arbeitete ich zehn Stunden am Tag. Meine Freunde nannten mich »Biber«, so eifrig war ich. Ich reinigte nicht mal meine Fingernägel. Später habe ich mich etwas entspannt.

ZEIT: Sie haben in Ihrem Leben für Gerechtigkeit gekämpft. Warum?

De Beauvoir: Ich habe schon als Kind gefragt, warum ich Dinge tun musste, die ich nicht wollte. Dann hieß es: »Das gehört sich so.« Das hat mich sauer gemacht – zum Beispiel, wenn ich nicht in den Park durfte, um dort zu lesen. Ich hatte nichts gegen Regeln, aber sie sollten gerecht und sinnvoll sein. Als Erwachsene war es für mich zum Beispiel sinnvoll, nie zu heiraten und die meiste Zeit in Hotels zu leben. Ich hatte keine Lust auf Putzen und Kochen. Stattdessen habe ich Bücher geschrieben, bin aufgetreten, gereist und habe mich gegen Ungerechtigkeiten in der Welt eingesetzt. Ich habe mir viele Feinde gemacht, weil diese Menschen fanden, ich lebte wie ein Mann.

ZEIT: Sie haben geschrieben, Ihr Wille zum Glück habe Sie immer angetrieben. Haben Sie das Glück gefunden?

De Beauvoir: Schon, denn ich habe dazu beigetragen, dass Mädchen und junge Frauen freier leben. Das macht mich glücklich. Ich wollte zeigen, dass man anders leben kann, wollte Mut machen. Aber eines war mein Glück nie: bequem und einfach.