An diesem Samstag (23. Mai) wird ein neuer Bundespräsident oder eine Bundespräsidentin gewählt.
Wozu brauchen wir einen Präsidenten? Und was macht er eigentlich den ganzen Tag?
Von Elisabeth Niejahr
In Deutschland gibt es schon seit Langem keinen König mehr. Wir werden von der Kanzlerin und ihren Ministern regiert. Sie schlagen dem Parlament Gesetze vor, in denen zum Beispiel steht, dass jeder in Deutschland krankenversichert sein muss.
Andere Länder wie England oder Dänemark haben ihre Könige behalten, obwohl sie ebenfalls gewählte Regierungen haben. Sie geben viel Geld dafür aus, dass die Königsfamilien das Land würdevoll vertreten können. Die englische Königin, die Queen, wohnt zum Beispiel in einem großen Schloss. Sie hat nicht viel zu sagen, aber trotzdem sind die meisten Engländer sehr froh darüber, dass es die Königin gibt.
Damit auch Deutschland ein Staatsoberhaupt hat, das das Land würdig vertreten kann, haben wir den Bundespräsidenten. Anders als ein König wird er für fünf Jahre gewählt. An diesem Samstag ist es wieder so weit: Rund 1200 Wahlmänner und Wahlfrauen dürfen in Berlin über den Bundespräsidenten abstimmen. Der Präsident, den wir gerade haben, heißt Horst Köhler. Seine Frau heißt Eva Luise. Horst Köhler möchte gern ein zweites Mal zum Präsidenten gewählt werden. Es könnte aber auch sein, dass Deutschland diesmal (und zum ersten Mal) eine Präsidentin bekommt. Die SPD hat Gesine Schwan, eine ziemlich bekannte Professorin, für das Amt vorgeschlagen. (Horst Köhler ist in der CDU.)
Ähnlich wie die Queen arbeitet auch unser Präsident in einem Schloss, das allerdings ziemlich klein ist. Immerhin hat er dort einen eigenen Koch und einen großen Garten, in dem er jedes Jahr ein riesiges Fest mit 6000 Gästen veranstaltet. Horst Köhler hat keinen Thron und auch keine Kutsche. Er arbeitet in einem Arbeitszimmer, aber noch häufiger ist er unterwegs. Dafür fliegt er mit einem Flugzeug der Bundesregierung, oder er wird in seinem Auto durch das Land gefahren. Dieser schwarze Wagen hat das Nummernschild 01 und eine Fahne, die niemand außer dem Präsidenten benutzen darf. Der Bundespräsident tut viele Dinge, die in anderen Ländern ein König oder eine Königin übernimmt. Er verleiht Orden und schreibt nette Briefe, wenn Bürger mehr als sieben Kinder bekommen oder älter als hundert Jahre werden. Wenn etwas Schlimmes passiert, zum Beispiel ein Mord in einer Schule, versucht er die Menschen zu trösten. Auf seinen Reisen durch das Land trifft er viele Bürger. Manchmal hält er lange Reden. Wenn er Probleme anspricht, hören die Menschen oft aufmerksamer zu, als wenn das zum Beispiel ein Wissenschaftler oder ein Journalist tut.
Deswegen überlegt sich ein Präsident meistens auch genau, was er den Menschen in seinem Land sagt. Schließlich gibt es ja auch noch die Kanzlerin und andere Politiker, die darüber sprechen, was alles im Land geändert und verbessert werden muss. Wenn zum Beispiel die Steuern erhöht werden, ist es besser, dass der Präsident sich in einen Streit darüber nicht einmischt. Aber wenn es um Probleme geht, um die sich viele Menschen im Land kümmern müssen und nicht nur die Regierung, sagt der Präsident den Bürgern, was sie seiner Meinung nach tun sollten. Bei sehr wichtigen Themen kann ein Bundespräsident sogar die Regierung stoppen. Die Kanzlerin hat zwar eigentlich viel mehr Macht als er. Aber es gibt Situationen, in denen sie trotzdem auf das hören muss, was der Bundespräsident sagt. Er muss nämlich alle Gesetze der Regierung unterschreiben. Wenn er das nicht tut, muss die Kanzlerin sich etwas anderes ausdenken.
Horst Köhler hat zum Beispiel in seiner Amtszeit gegen den Plan eines Ministeriums protestiert, einen Feiertag abzuschaffen. Es ging um den 3. Oktober, den Tag der Deutschen Einheit. Normalerweise muss an diesem Tag niemand arbeiten, und die Kinder haben schulfrei. Das sollte geändert werden. Horst Köhler war dagegen, und das war einer der Gründe, warum der Plan doch noch gestoppt wurde. Der Bundespräsident ist so etwas wie die letzte Kontrollinstanz.
Damit der Bundespräsident nicht zu oft eingreifen muss, wird er von der Regierung gut informiert. Ein Beamter seiner Behörde geht immer zu den Kabinettssitzungen. Das sind Treffen, bei denen die Kanzlerin mit den Ministern über wichtige Gesetze spricht. Alle sechs bis acht Wochen sind Kanzlerin und Präsident verabredet. Worüber sie sich unterhalten, bleibt geheim.
Die Bundeskanzlerin hat dem Bundespräsidenten nichts zu befehlen. In der Vergangenheit haben Bundespräsidenten manchmal Reden gehalten, die dem jeweiligen Kanzler überhaupt nicht gefielen. Der konnte aber nichts dagegen machen. Dass ein Bundespräsident kein Untergebener des Kanzlers oder der Kanzlerin ist, zeigt sich auch daran, dass alle Treffen immer im Schloss des Präsidenten stattfinden – oder im Verwaltungsgebäude nebenan, dem Bundespräsidialamt: Angela Merkel setzt sich ins Auto und fährt zu Horst Köhler, nicht umgekehrt.
Das ist wichtig. Man könnte denken, dass es keinen Unterschied macht, wer wen besucht. Die Bundeskanzlerin hat schließlich ein großes Kanzleramt mit vielen schönen Räumen, warum soll der Präsident nicht einfach zu ihr kommen? Oder warum besuchen sie sich nicht abwechselnd, wie gute Freunde? Der Grund ist, dass bei Präsidenten solche Regeln und Rituale genauso wichtig sind wie bei Königen, weil sie damit ihre Bedeutung zeigen. Wenn ein König Gäste hat, betritt er zuletzt den Raum, die anderen müssen auf ihn warten. Er hat einen Thron, damit andere zu ihm aufschauen müssen. Und er macht sich nicht selbst auf den Weg, sondern empfängt seine Gäste. Aber gerade weil er kein König ist, tritt Horst Köhler nie so auf, als wolle er die Menschen einschüchtern. Einige Vorgänger von ihm haben sogar oft Volkslieder gesungen oder viele Witze erzählt, damit niemand Angst vor ihnen hatte. Wahrscheinlich ist das Schwierigste am Amt des Bundespräsidenten: Er muss einerseits fast so würdevoll auftreten wie ein König – und zeigen, dass er trotzdem ziemlich normal geblieben ist.