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Königskinder?

 

Foto: Dirk Gebhardt/imagetrust

Ne, bloß für Karneval verkleidet! In Köln herrscht jetzt ein junges Trio: Julia, Yannik und Maik sind das Kinderdreigestirn

Von Matthias Krupa

Ganz schön wuselig geht es im Keller von Frau Conin zu. Yannik streift sich gerade eine weiße Strumpfhose über, Julia tauscht ihre Jeans gegen ein schweres, langes Kleid, Bünyamin stößt mit einem Holzschwert in die Luft, und Lea schlägt auf eine Trommel. Moritz wird noch schnell geschminkt, nur Maik kommt heute ein paar Minuten später.
Es ist kurz nach 14 Uhr, und in Köln-Ossendorf treffen sich wie fast an jedem Tag in den vergangenen Wochen 13 Kinder, um sich zu verkleiden. Vor allem Yannik, Julia und Maik haben in diesem Jahr eine besondere Aufgabe. Die drei Neunjährigen bilden das Kinderdreigestirn, eine der wichtigsten Gruppen des Kölner Karnevals. Im Keller von Frau Conin verwandeln sich Yannik, Maik und Julia in Prinz Yannik II., Bauer Maik und Jungfrau Julia. Zusammen mit dem Erwachsenendreigestirn übernehmen sie von diesem Donnerstag (Weiberfastnacht) an bis kommenden Dienstag die Herrschaft in der Stadt Köln. Und weil Herrscher ohne Helfer nicht gut zurechtkommen, auch nicht im Karneval, begleiten Lea, Moritz, Bünyamin und sieben weitere Kinder in blau-gelben Uniformen das Dreigestirn. Die Mädchen sind Pagen, die Jungen Gardisten – ein richtiger kleiner Hofstaat, ganz so wie bei einem echten Prinzen.

Nun ist das mit dem Herrschen natürlich nicht ganz ernst gemeint. Wie überhaupt das meiste, was im Karneval passiert, nicht ganz ernst gemeint ist. Welcher Junge würde sich wohl normalerweise freiwillig in eine superkurze, glitzernde Pumphose zwängen, rote Slipper mit Absätzen und weißer Schnalle tragen und eine Mütze mit Pfauenfedern aufsetzen? Aber Yannik macht das nichts aus, es ist Karneval, und er ist der Prinz. »Da macht sich keiner lustig«, sagt er.
In vielen Gegenden in Deutschland wird Karneval gefeiert, manchmal heißt es auch Fasching oder Fastnacht. Aber nirgendwo kommen dabei so viele Men­schen zusammen wie im Rheinland. Drei oder vier Tage lang bleiben hier die Schulen geschlossen, auch viele Erwachsene haben frei. Wer feiert, ist ein Jeck (ein Verrückter). Wer keine Lust zum Feiern hat, bleibt zu Hause oder fährt für ein paar Tage fort.
Für Julia, Yannik und Maik käme das nie infrage. Die drei sind in der Kindertanzgruppe der Karnevalsgesellschaft Jan van Werth, und wenn es nach ihnen ginge, könnte das ganze Jahr Karneval sein. Im Sommer schon haben sie sich beworben, um im Dreigestirn mitzumachen. Ausgewählt wurden sie von Frau Conin, die mit Vornamen Elisabeth heißt und seit 20 Jahren das Kinderdreigestirn betreut.
Wie wird man Prinz, Bauer oder Jungfrau? »Ganz einfach«, sagt Frau Conin, »die Kinder melden sich bei mir. Dann treffen wir uns, und ich überlege, wer gut zusammenpassen könnte.« Ach ja, und Kölsch sprechen müssen die Pänz (so nennt man in Köln die Kinder). Yannik und Maik kennen sich seit dem Kindergarten, Julias Vater und Yanniks Mutter tanzen in derselben Karnevalsgruppe. »Wir sind auch sonst Freunde«, sagt Yannik.
Dass Julia die Jungfrau gibt, war klar. Die Jungen mussten sich einigen. »Maik wollte immer Bauer werden«, behauptet Yannik, »das passt auch zu ihm, weil er so staats ist.« Staats? »Na ja, er ist sehr kräftig und sieht aus wie ein Bauer«, sagt Yannick. Maik hat eine andere Erklärung: »Ich wollte keine Strumpfhose anziehen, die juckt so.«

Foto: Dirk Gebhardt/imagetrust

Um zwanzig vor drei geht’s endlich los. Julia, Yannik und Maik sind fertig verkleidet. Zusammen mit ihrem Hofstaat klettern sie in zwei Kleintransporter, und Frau Conin und ihre Tochter bringen sie zum ersten Auftritt. Denn nun kommt das Wichtigste: Was, bitte schön, macht eigentlich ein Dreigestirn? Yannik erklärt es so: »Wir müssen eine Rede halten, singen und die Leute beeindrucken.«
Heute haben sie gleich drei Termine hintereinander. Insgesamt werden es für die Kinder mehr als 90 Auftritte, seit Anfang Januar sind sie unterwegs. Das ist ganz schön anstrengend, schließlich gehen sie vormittags zur Schule (auch Prinzen müssen lernen). Nur manchmal drücken die Lehrer ein Auge zu, dann dürfen die Kinder früher gehen.

Foto: Dirk Gebhardt/imagetrust

Im Kölner Gürzenich, einer Art Stadthalle, ist es laut. 1400 Frauen sind zur Mädchensitzung der Großen Kölner Karnevalsgesellschaft gekommen, fast alle haben sich verkleidet. Eine Band spielt Karnevalslieder. Als Yannik, Maik und Julia auf die Bühne gerufen werden, springen die Jecken auf. Der Sitzungspräsident begrüßt die drei mit einer speziellen Anrede: Prinz Yannik nennt er »Seine Tollität«, Bauer Maik ist »Seine Deftigkeit«, und Jungfrau Julia ist »Ihre Lieblichkeit«. Man muss nicht alles verstehen an Karneval!

Es ist sicher aufregend, vor so vielen Menschen eine Rede zu halten. Aber Yannik, Maik und Julia sind Profis. Sie sind sogar schon in der großen Kölner Sporthalle aufgetreten, da waren 7000 Zuschauer. Auch diesmal sind sie nicht nervös. Prinz Yannik beginnt mit der Rede:
»Alaaf, ihr Jecke, ihr künnt et all sinn: Hier is et Kinderdreijestirn 2010.« (Auf Hochdeutsch: »Seid gegrüßt, ihr Verrückten, ihr könnt es alle sehen: Hier ist das Kinderdreigestirn 2010.«) Später, als auch Maik und Julia an der Reihe sind, ist viel von »bützen« die Rede, was Kölsch ist und so viel wie küssen heißt. Auch das gehört zum Karneval. Aber Julia, Maik und Yannik küssen niemanden wirklich. Wie gesagt, nicht alles ist ernst gemeint.
Nach ihrer Rede singen die drei noch ein Lied, das eigens für sie komponiert wurde. Als Dankeschön bekommen Prinz, Bauer und Jungfrau einen Orden. Schließlich ruft der Sitzungspräsident: »Dreimol Kölle«, und der ganze Saal antwortet: »Alaaf.« Dann marschieren Julia, Yannik, Maik und ihr Gefolge mit Tusch und Klatschmarsch von der Bühne, weiter zum nächsten Termin.
Um 18 Uhr haben sie es schließlich geschafft – für heute. Denn am nächsten Tag geht es weiter. Höhepunkt ist für die drei der Rosenmontagsumzug. Mit einem eigenen Wagen werden sie durch die Straßen fahren und Kamelle (Bonbons) werfen. Am kommenden Mittwoch, dem Aschermittwoch, endet dann der Karneval, und für Yannik, Maik und Julia beginnt das Warten. Denn natürlich werden sie nächstes Jahr wieder feiern. Aber nicht als Dreigestirn. Prinz, Bauer oder Jungfrau ist man nur einmal im Leben.