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Von Kindern für Kinder: Die blaue Mütze

 

Spielende Kinder vor Fabrikschloten/ Foto: Christopher Furlong/ Getty Images

Weihnachten ist noch nicht vorbei. Viele Kinder haben noch Ferien, bis zum Dreikönigstag steht in vielen Häusern noch der geschmückte Tannenbaum. Passend dazu haben wir für Euch eine weitere Lesegeschichte, die unsere jungen Leser für Euch geschrieben haben. Heute von Greta (14) aus Mönchengladbach. Greta führt Euch zurück in die Zeit der industriellen Revolution, ins englische Manchester. Eine Zeit, in der ein Menschenleben nicht viel wert war, schon die Kinder schwere Arbeit in den Fabriken verrichten mussten und keine Zeit für Ihre Freunde und zum Spielen hatten.

Wie jeder heut zu Tage weiß, war die Industrielle Revolution von großer Bedeutung. Doch auch gab es Schattenseiten, die vielen Kindern das Leben erschwerten. In dieser Geschichte werdet Ihr über einen kleinen Jungen lesen, der zu dieser Zeit lebte und in einer Fabrik in Manchester arbeitete. Vieles weiß und wusste man über ihn nicht, da er keine große oder „wichtige“ Persönlichkeit war und das Reden während der Arbeit hart bestraft wurde. Doch eins muss man erwähnen: Was ihm geschah, geschah keinem anderen Menschen auf dieser Welt. Zumindest wurde davon nie berichtet. Sein Tagebuch, der einzige Zeuge dieser Geschichte, wurde zufällig in einer staubigen Kiste einer Bäckerei gefunden. Der Inhalt war faszinierend:

„Mein liebes Tagebuch,

Ich kann es immer noch kaum fassen… was ich heute erlebt habe, ist mir ein unerklärliches Rätsel. Es war bitterkalt und ich ging durch die grauen, mit Schnee bedeckten Straßen, um das Scheusaal der Fabrik für eine Zeit nicht zu sehen. Mutig war ich, das stimmt. Denn so eine kleine Flucht ist mehr als gefährlich. Doch mein Plan war geschickt. Nun… kein Wunder! Ich habe ihn schon ein ganzes Jahr lang überlegt, und jetzt eben auch verwirklicht. Die Straßen waren leer, weil es kurz vor Weihnachten war. Ich war auf der Suche nach Geld und hoffte auf Glück- aber umsonst. Der einzige Mensch, den ich an diesem Morgen sah, war ein großer, hagerer Mann, der einen seltsamen Monokel und einen rabenschwarzen Zylinder trug. Der Mann verfolgte mich schon die ganze Zeit. Als ich schnell die Flucht ergriff, fragte er mich mit rauer Stimme: „Wohin so schnell? „Das Laufen, ein äußerst seltsamer Geruch und die Angst machten es mir nach den hungrigen Tagen schwer und ich fiel in Ohnmacht. Ich weiß nicht wie lange ich auf der Straße lag, doch mit einem schweren, schmerzenden Kopf wachte ich auf. Vor mir lag ein Zettel. Er wurde in einer wunderbaren Schrift geschrieben, sodass es für mich, wie ein unbezahlbares Kunstwerk aussah. Aber der Inhalt war beängstigend verfasst.“

Mitten im Buch lag ein vergilbter Zettel, auf dem etwas in kaligraphischer Schrift stand.

„Nun, ich hoffe du erinnerst dich noch an mich? Der große Mann, der den Monokel trug! Der alte Bimbley, dein Vater, sprach mit mir über dich. In meinen Gedanken sagte er, dass du dies behalten solltest. Ich glaube es lohnt sich…“

„Plötzlich merkte ich, dass ich eine Mütze auf meinem Kopf hatte. Für einen Moment vergaß ich den Mann und suchte weiter nach Geld. Und tatsächlich! Ich fand ein wenig Geld im Schnee. Nicht viel, aber es reichte für ein Brötchen beim Bäcker. Doch dieser gab mir sogar ein ganzes Bündel voll Brot! Dann ging ich zum Weihnachtsmarkt, der mitten in der Stadt lag. Dort haben sich viele Menschen versammelt, Lieder gesungen und gelacht. Es war ein herrlicher Anblick und ich wäre wirklich gerne den ganzen Tag lang dort geblieben. Die Leute waren dort so nett zu mir, wie ich es noch nie erlebt habe. Die Lebensfreude war ihnen buchstäblich in das Gesicht geschrieben. Und ich fühlte mich zu Hause, auch wenn der Markt draußen in der Kälte stattfand. Mir wurde sogar warmer Punsch angeboten…. natürlich sagte ich nicht ab. Später kam ein Schneider aus seinem Laden und sah, wie ich vor seiner Vitrine stand und zwei Handschuhe ansah. Er bat mich in seinen Laden und schenkte mir diese zwei Handschuhe. Ich war glücklich, schämte mich zugleich und verstand nicht, warum mir ausgerechnet heute alle Menschen so freundlich behandelten. Bisher war alles ganz anders. Nur wegen Weihnachten würden mir die Händler doch nie so schöne Geschenke machen? Oder war das die blaue Mütze, welche mir der schaurige Mann überreicht hatte? Wenn, ja- ein Vorteil für mich! Vielleicht war es ein Weg aus diesem grauen Haus, in dem ich mein ganzes Leben lang arbeiten muss…

Als ich wieder zur Fabrik ging, um meine Arbeit fortfahren zu können, merkte ich, dass dies doch keinen Sinn mehr machte, wenn ich sowieso von allen Seiten beschenkt werde. Meinen Eltern und meinen vier Geschwistern würde es sicher auch nichts ausmachen, mit kaum Arbeit genug Geld zu ernten. Und genau dies versuchte ich auch am kommenden Tag. Ich ging durch die totenstillen Gassen. Hier und da klopfte ich an den Türen aller Läden, mit der Hoffnung beschenkt zu werden. Ich gebe zu- es war ein magischer Moment, zu wissen, dass man diesmal auf eine andere, ja sogar viel interessantere Art, stärker ist, als alle anderen. Und für eine Zeit lang genoss ich sogar den Neid und die verwirrten Gesichter der Genossen der Fabrik, die mich ständig fragten, wie ich es zustande brachte, zu lächeln und beschenkt zu werden. Aber jeder Genuss verfliegt, wenn man sich ihn zuviel gönnt. Und so ertrug ich es nicht mehr, meinen Freunden etwas vorzumachen. Ich teilte bereits nach einigen Stunden alles, was mir gegeben wurde mit meinen Kameraden. Brot, Obst, Kleidung! Nun strahlten sie… und dankten mir. Ab diesem Zeitpunkt verstand ich, dass man versuchen muss, zu teilen, und nicht Hass der anderen auskosten soll.

Wie dem auch sei- mit den Ladenbesuchen habe ich nicht aufgehört und fand immer mehr Spaß daran. Doch zu meiner Enttäuschung traf wieder der knochige alte Mann in meinen Blickwinkel ein, und schaute auf mich durch sein Monokel. Zornig, aber auch mit einem geheimen Lächeln schaute er mich genau an. Tief in meine Augen und plötzlich auf meine blaue Mütze. Mit gehobenen Augenbrauen atmete er nach Luft. Schwer war sein Atem und gebildet sein Blick. „Schlau bist du! Doch schämst du dich nicht?“ Ich trat ein Schritt zurück und wusste nicht, was ich dem Herrn antworten sollte. Wie Eis blieb ich stehen und zuckte anschließend nur mit meinen Schultern. Der Mann lachte . „Schämst du dich wirklich nicht für deine Tat? Du wanderst von Laden zu Laden und wartest, bis man dir etwas gib. Es ist lieb von dir, das Essen mit deinen Kameraden zu teilen. Aber hast du an die Händler gedacht? Auch sie brauchen Geld. Ich sehe, du hast bereits den Sinn dieser Mütze entdeckt. Dank ihr, kannst du alle Menschen dazu bringen, genau das zu tun, was du willst!“ Ich zuckte zusammen und der Mann, der so geheim, wie all diese fantastischen Welten zu sein schien, nahm mir die blaue Mütze vom Kopf und grinste. „Ich habe sie dir gegeben, weil du sonst verhungern würdest. Was dir geschah, kann man nur als Glück bezeichnen. Ich hoffe du bist ein kluger Junge, der immer aufmerksam bleibt. Denn dann findest du immer einen guten Weg.“ Dies waren seine letzten Worte, die im Gegensatz zu dem Mann, der so schnell im Nebel verschwand, noch tief in meinem Gedächtnis lagen. Ganz verloren stand ich auf der schneebedeckten Straße. Zurück zu der Fabrik…? Ich durfte nicht mehr herzlos betteln. Ohne die Mütze hätte dies auch keinen Zweck mehr.

Doch der süße Duft der Bäckerei machte mich wach. Und eine Idee hatte ich auch…“

Es war ein atemberaubender Fund, dieses Tagebuch. Die Seiten waren vergilbt, staubig und etwas gerissen, wie in vielen alten Büchern. Aber das besondere und mysteriöse an der ganzen Geschichte war doch nur, wie sich der Junge die Worte des alten Mannes nur so hervorragend merken konnte! Es war ein Geheimnis, doch auf der letzten Seite des Tagebuchs schrieb der Knabe in schönerer Schrift. Anscheinend war er zu dieser Zeit bereits erwachsen, was uns auch das Datum verratet.

„Ich habe schon zehn Jahre lang nicht mehr geschrieben , weil ich mich für die Arbeit, die ich immer sehr gerne wollte, durchgesetzt habe. Ich habe das Tagebuch einfach vergessen! Doch ich möchte mich bei diesem fremden Mann bedanken, der mich zu besseren gelehrt hat. Ich glaube, er hat sogar mein Leben verändert, denn er hat mir die Augen geöffnet und eine andere Denkweise verliehen. Tatsächlich ist es schlecht, die Menschen so herzlos auszunutzen, um sich die Arbeit zu erleichtern. Ich habe es auch alleine geschafft meinen Traum als Bäcker zu verwirklichen. Aber ich habe trotz meines Erfolgs nie meine Kindheit in der Fabrik vergessen, so dass jedes Kind, welches mittellos aussah, ein Rosinenbrötchen meiner Bäckerei ‚Blueheads‘ bekam.

Und übrigens: Der Mann, der mir die blaue Mütze auslieh, war der Weihnachtsmann! Ich habe mir ihn wirklich nie so dünn vorgestellt, aber er war es! Er besuchte mich gestern in meiner Bäckerei und erzählte, er würde nicht Geschenke, sondern Erfahrungen austeilen. Aber nur an diejenigen, die es auch nutzen…

In Erinnerung- Charlie Bimbley“


Hat Euch die Geschichte von Greta gefallen? Schreibt Ihr selbst auch Kurzgeschichten? Wir freuen uns über Eure Gedanken. Sendet Eure Geschichten oder Gedichte einfach per Mail an kinderzeit@zeit.de. Und wenn Ihr Greta mitteilen möchtet, wie Euch Ihre Geschichte gefallen hat, nutzt die Kommentarfunktion unter diesem Artikel.