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Fleisch? Nein danke!

 

Knallbunt und gesund: Joel, 13 Jahre, steht auf Gemüse/ Foto: Sabine Gudath

Einige Kinder und Jugendliche verzichten auf Bratwurst, Schinken und Schnitzel. Sie tun es aus Überzeugung: Kein unschuldiges Tier soll leiden.

Von Katrin Brinkmann

Was? Das in Folie verpackte Kotelett im Supermarktregal war einmal ein Tier? Joel, damals sechs Jahre alt, staunt, als er das Plakat neben der Kühltheke sieht. Darauf zeigt ein roter Pfeil von einem Schwein auf ein Stück Fleisch. »Bis dahin dachte ich, Fleisch wächst wie Gemüse auf dem Feld«, sagt der heute 13-Jährige. Richtig schockiert ist Joel ein paar Wochen später. Auf einem Autobahn-Rastplatz entdeckt er den Lkw-Anhänger einer Schlachterei. Lautes Quieken dringt aus dem Innern. Als Joel hineinlugt, ist er entsetzt: Der Anhänger ist voll mit Schweinen, dicht gedrängt stehen sie im Laderaum. »Da war mir plötzlich klar, dass die Tiere geschlachtet werden, damit ich später ihr Fleisch essen kann.« Den Gedanken findet Joel so furchtbar, dass er noch am selben Tag beschließt: »Nie wieder Fleisch!«

Mit dieser Entscheidung ist er nicht allein. Rund sechs Millionen Menschen in Deutschland (insgesamt leben hier gut 80 Millionen) verzichten auf Fleisch. Vegetarier nennt man sie. Zwar sind die meisten von ihnen erwachsen, aber laut einer Studie haben sich auch etwa drei von hundert Kindern und Jugendlichen für eine fleischlose Ernährung entschieden. Emilie hat vor drei Jahren den Entschluss gefasst: Tote Tiere kommen ihr nicht mehr auf den Teller. Sie hatte eine Fernsehsendung über Masthühner gesehen. Den Anblick der vielen eng aneinandergequetschten Vögel in einem großen, dunklen Stall kann die 14-Jährige bis heute nicht vergessen.

Die Tiere hockten teilweise in ihrem eigenen Mist, einige waren schon tot. »Am schlimmsten war, dass den Hühnern die Spitzen ihrer Schnäbel ohne Betäubung abgeschnitten wurden, damit sie sich nicht gegenseitig verletzen.« Wenn Tiere in großer Zahl auf engem Raum aufgezogen werden, sagt man dazu »Massentierhaltung«. Ziel dabei ist es, große Mengen an Fleisch so rasch und billig wie möglich zu produzieren. »Fleisch ist einfach überall«, findet Emilie. Schon morgens kommen viele ihrer Freunde mit einem Wurstbrötchen in die Schule, mittags in der Mensa gibt es Spaghetti Bolognese, und wer zwischendurch hungrig ist, kauft Hähnchen-Nuggets oder einen Hamburger.

Fachleute haben ausgerechnet, dass jeder Deutsche Fleischesser in seinem Leben einen riesigen Stall voller Tiere verspeist: Im Schnitt sind es 4 Kühe, 4 Schafe, 12 Gänse, 37 Enten, 46 Truthähne, 46 Schweine und 945 Hühner – insgesamt 1094 Lebewesen. Um diesen Fleischhunger zu stillen, müssen die Tiere in großer Zahl gezüchtet werden und vor allem schnell wachsen. Dafür bekommen sie spezielles Kraftfutter, das in Fabriken hergestellt wird. Kürzlich wurde bekannt, dass sogenanntes Dioxin in solches Kraftfutter gelangt sind. Dioxin ist giftig. Es kann sich in Eiern und Tierfleisch
festsetzen. In hohen Mengen ist es für Menschen schädlich. In den vergangenen Wochen haben einige Leute aus Angst weniger Fleisch und Eier gekauft. Das ist häufig so, wenn ein »Fleischskandal« bekannt wird. Meist verzichten die Menschen aber nicht dauerhaft auf Schnitzel und Würste.

Für viele sind Tiere wohl nur eine Ware, sie sehen sie nicht als Lebewesen an. »Dabei empfinden Tiere ähnlich wie wir Menschen!«, sagt Joel. »Warum würde man sonst zum Beispiel Kosmetik an Kaninchen testen?« Viele Tiere können
deutlich besser sehen, hören oder tasten als wir. Dass wir so viel Fleisch essen, ist zudem schlecht für die Umwelt. »Um das Futter für die Tiere anzubauen, wird zum Beispiel Regenwald gerodet. Der ist aber wichtig für unser Klima«, sagt Emilie, die sich seit einigen Jahren bei Greenpeace für den Umweltschutz einsetzt. Wenn die Bäume nicht mehr da sind, können sie keine schädlichen Treibhausgase abbauen.

Emilie fiel es anfangs trotzdem nicht so leicht, auf Fleisch zu verzichten. Bei Hühnerfrikassee, ihrem Lieblingsessen, wurde sie noch mal schwach – besonders wenn sich der Rest der Familie genüsslich darüber hermachte. Einige ihrer
Mitschüler fanden es zunächst seltsam, dass sie plötzlich Gemüse-Esserin war. Als Emilie ihnen jedoch erklärte, warum, wollten ein paar Freunde es ihr gleichtun – aber keiner hat lange durchgehalten.

Auch Emilies Mutter nicht. Sie fand es von Beginn an gut, dass ihre Tochter aus Überzeugung kein Fleisch mehr essen wollte. Auch wenn sie deshalb oft doppelt kochen muss. Ein wenig sorgte sie sich allerdings auch, ob die vegetarische Ernährung für Emilie gesund ist. Zur Sicherheit schickte sie ihre Tochter zum Arzt. Alles war in Ordnung.

»Kinder und Jugendliche können auf Fleisch verzichten – solange sie noch auf Käse, Milch und Eier zurückgreifen «, sagt Mathilde Kersting. Sie ist Expertin für die Ernährung von Kindern. Fleisch enthalte zwar viel Eisen, das der Körper leicht verwerten könne, aber Vitamin C helfe dabei, dass er auch pflanzliches Eisen besser aufnehmen
könne. »Vegetarier sollten deshalb zum Beispiel zum Vollkornbrot ein Glas Orangensaft trinken«, sagt die Fachfrau.

Unser Körper braucht also nicht unbedingt Fleisch. Trotzdem muss natürlich nicht jeder komplett darauf verzichten. »Ich versuche niemanden zu bekehren «, sagt Emilie, »aber ich finde, dass alle zumindest maßvoller Fleisch essen sollten.« Fachleute haben ausgerechnet, dass jedes Jahr 157 Millionen Tiere weniger aufgezogen und geschlachtet werden müssten, wenn alle Deutschen einen fleischlosen Tag pro Woche einlegen würden. »Das wäre doch ein erster Schritt«, sagt Joel. »Dann müssten nicht mehr so viele Tiere in engen Ställen leben.«