Für Mädchen verboten! In Cuxhaven gibt es einen Leseclub nur für Jungen: Die Olivianer. Sie treffen sich, um die besten Geschichten aufzuspüren
Von Julia Nolte
Es wird schon dunkel, als sich die Olivianer ihrem Treffpunkt nähern: einer Buchhandlung in Cuxhaven. Die Bäume vor dem Geschäft sind kahl, der Wind weht heftig von der Nordsee herüber und fegt das letzte Laub über den Platz. Einer nach dem anderen schlüpfen sie hinein in den hell erleuchteten, warmen Ladenraum.
Die Olivianer sind Jungen, die alle vier Wochen zusammenkommen, um gemeinsam zu lesen, über Bücher zu reden und sich gegenseitig Empfehlungen zu geben. Manche Mitglieder sind acht Jahre alt, andere schon 17, aber der Altersunterschied ist ihnen egal: »Wir sind Gleichgesinnte«, sagen sie – alle sind verrückt nach Büchern und stets auf der Suche nach neuem Lesefutter.
Gegründet hat den Club vor zwei Jahren die Buchhändlerin Marianne Haring am Welttag des Buches. Das stand damals sogar in der Zeitung. Und es spricht sich auch unter Schulfreunden herum, dass es die Olivianer gibt. Benannt sind sie nach der Buchhandlung Oliva, in der sie sich treffen. Am Anfang gab es neun, inzwischen sind es 17 Mitglieder. Alle bekommen einen gelben Ausweis. Darauf steht ihr Name, ihr Alter und: »Die Olivianer. Leseclub für Jungen«. Denn Mädchen sind in dieser Runde unerwünscht.
In Befragungen kommt immer wieder heraus, dass Jungen weniger lesen als Mädchen. Sie gehen lieber ins Kino, spielen Computerspiele oder machen Sport. In Cuxhaven wollten Buchhändlerin Marianne Haring und andere Erwachsene herausfinden, wie viele Jungen sich fürs Lesen begeistern lassen. »Dass Jungs nicht lesen, stimmt nicht«, sagt die Club-Gründerin. »Sie lesen nur andere Bücher. Sie wünschen sich andere Inhalte als die Mädchen und möchten, dass die Bücher anders aussehen.«
Deswegen dürfen bei den Olivianern keine Mädchen mitmachen, obwohl viele der Jungen nicht unbedingt etwas dagegen hätten. »Man könnte es mal mit Mädchen ausprobieren«, sagt Fynn, 9 Jahre. Kaum hat er das gesagt, muss er aber kichern. Fynn liest am liebsten Star Wars-Bücher, Fünf Freunde und Das magische Baumhaus.
Zu diesem Treffen sind zehn Olivianer gekommen, darunter Niklas. Er ist zwölf Jahre alt und seit zwei Jahren dabei. Er sitzt an einem Tisch zwischen den Bücherregalen. Vor ihm liegen ein Heft und eine Hörbuch-CD mit dem Titel Darth Paper schlägt zurück. Die CD hat Niklas sich zu Hause angehört. »Jetzt schreibe ich auf, wie mir das Hörbuch gefallen hat, falls ich es später jemandem empfehlen will.« Unter seine Beurteilung hat er fünf Sterne gezeichnet, zweieinhalb sind blau ausgemalt. Das bedeutet, dass er das Hörbuch so mittelmäßig findet.
Niklas macht seine Notizen freiwillig. Niemand muss hier eine Beurteilung schreiben. Niemand muss mit den anderen über die Bücher reden, die er gelesen hat. Und schon gar nicht muss ein Buch bis zum Ende gelesen werden, wenn es nicht spannend ist. Dann geben die Jungen es beim nächsten Treffen einfach wieder zurück und suchen sich ein anderes aus. »Es gibt keinen Zwang hier, nur Angebote«, sagt die Buchhändlerin. Und die beschränken sich nicht aufs Lesen. Die Olivianer sind schon zur Leipziger Buchmesse gefahren, und zweimal haben sie sogar gemeinsam in der Buchhandlung übernachtet: lesen (und Quatsch machen), bis einem die Augen zufallen – ein Riesenspaß!
»Kommt, ich zeige euch die neuen Bücher!«, ruft Frau Haring und geht in den hinteren Teil des Ladens. Vorn bezahlen noch die letzten Kunden ihre Einkäufe. Dann wird abgeschlossen. Niklas, Fynn und die anderen folgen der Buchhändlerin und machen es sich auf einem runden blauen Sofa gemütlich. Marianne Haring zeigt den Olivianern einen Stapel Bücher, darunter auch ein Bilderbuch über berühmte Kunstwerke (»Oh nee!«), Guinness World Records 2012 (»Yeah!«) und eine Pop-up-Ausgabe von Peter Pan (»Boohhh!«).
Petrit, elf Jahre, schnappt sich das Buch über Weltrekorde. Er ist nicht nur ein Fan von Büchern, sondern auch von Fußball. Deswegen liest er am allerliebsten Fußballbücher. Lesen macht ihm aber nicht nur Spaß, er findet es auch sehr wichtig: »Wenn man nicht lesen kann, hat man schon verloren.«
»Lesen ist ziemlich cool«, sagt auch Christoph, ein acht Jahre alter Olivianer mit einer großen Brille. »Man taucht in eine andere Welt ein und ist total abgelenkt.« Lesen sei auch gut gegen schlechte Laune: »Wenn ich traurig bin, lese ich einfach ein Buch, dann ist die Traurigkeit sofort weg.« Christoph interessiert sich sehr für griechische Sagen und vor allem für Star Wars. Im Club zu lesen findet er gut, »weil man ständig die neuesten Bücher bekommt und informiert ist«. – »Außerdem lernen wir hier, was gute und was schlechte Bücher sind, weil wir uns gegenseitig erzählen, was wir davon halten.«
Eineinhalb Stunden später sitzen die Olivianer noch immer in der Buchhandlung. Sie sind in ihre Bücher vertieft, wenn sie miteinander sprechen, dann leise. Für heute ist die Zeit aber schon um. Was sie noch vorhaben? Schnell nach Hause, weiterlesen.