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Gibt’s hier was zu fressen?

 

Bei der Tiertafel in Herten können sich Menschen, die wenig Geld haben, Futter für ihre Hunde, Katzen oder Vögel abholen. Ein Besuch

Von Frauke König

Auch in Berlin gibt es eine Tafel für Tiere

Hier sieht es aus wie in einer Zoohandlung: Hinter einer Theke stehen Regale, die bis oben hin voll sind mit Dosenfutter für Hunde und Katzen. Neun Helfer legen Knabberstangen für Vögel in Körbe und verstauen Tüten mit Leckerlis, Katzenstreu und Trockenfutter in Pappkartons. Im kleinen Lager stapeln sie schwere Futtersäcke in mehreren Schichten übereinander. Um die Stapel herum stehen Hundekörbe, Kratzbäume für Katzen und Kisten mit quietschendem Spielzeug. Also alles wie in einer Zoohandlung? Nein, denn im Gegensatz zu einem Geschäft werden die Sachen hier, bei der Tiertafel in Herten in der Nähe von Dortmund im Ruhrgebiet, nicht verkauft – sondern verschenkt.

Eine Tiertafel ist etwas Ähnliches wie eine Tafel für Menschen. »Tafel«, so heißen Orte, an denen Menschen, die wenig Geld haben, sich umsonst etwas zu essen abholen können. Bei der Tiertafel wird Leuten geholfen, die nicht genug Geld haben, um ihre Hunde, Katzen oder Vögel selbst zu ernähren. Damit die Tiere trotzdem bei ihren Besitzern bleiben können, verteilt die Tiertafel kostenlos Futter.

Vor sechs Jahren wurde die erste Tiertafel in Deutschland gegründet, mittlerweile gibt es 23 solcher Einrichtungen. Eine davon ist in Herten. Jeden Montagnachmittag hat sie für zweieinhalb Stunden geöffnet. In dieser Zeit holen sich etwa 120 Menschen Futter ab. Die meisten haben Katzen und Hunde, aber auch für Fische, Vögel und Hamster gibt es etwas.

»Es werden von Woche zu Woche mehr Kunden«, erzählt Nicole Meichle, die Leiterin dieser Tiertafel. Trotzdem kennt sie die meisten Besucher mit Namen. Simon zum Beispiel. Er ist zwölf Jahre alt und kommt jede Woche vorbei. Als sein Vater krank wurde und seine Arbeit verlor, wurde das Geld knapp. »Ich komme hierher, weil das Futter für meine Katzen so teuer ist«, erzählt er. Seine Katzen, Kiara und Felix, bringt er nicht mit. Denn die wären von den vielen Hunden, die ihre Besitzer zur Tiertafel begleiten und dort laut bellend herumtoben, bestimmt nicht begeistert. »Ich habe aber schon mal Fotos von ihnen gezeigt«, sagt Simon.

Bei der Tiertafel gibt es Futter. Umsonst!

Auch Dagmar Walter ist Stammkundin bei der Tiertafel. Das Geld, das die Rentnerin vom Staat bekommt, reicht für sie, ihre Katze und ihren Hund Mecky nicht aus. Extrageld für Haustiere gibt es vom Staat nicht. »Als es die Tiertafel noch nicht gab, war es schwierig. Ich habe dann auf mein Essen verzichtet, damit meine Tiere genug hatten«, erzählt Dagmar Walter. Genau das wollen die Mitarbeiter der Tiertafel verhindern. »Wir möchten, dass Menschen und Tiere satt werden. Wir möchten aber auch, dass die Menschen ein bisschen mehr Geld für sich haben, um mal einen Kaffee trinken oder ins Kino gehen zu können«, sagt Nicole Meichle.

Wer sich bei der Tiertafel Futter abholen möchte, muss nachweisen, dass er zu wenig Geld hat, um sein Tier zu versorgen. Dagmar Walter hat dafür Unterlagen mitgebracht, mit denen die Helfer überprüfen können, wie viel Rente sie bekommt. Wichtig bei der Tiertafel ist, dass jemand sein Tier schon hatte, bevor das Geld knapp wurde. Wenn derjenige sich trotz Geldnot einen Hund anschafft, bekommt er keine Hilfe.

Hinten im Lager knistert und raschelt es. Dort füllen einige Helfer Futter aus großen Eimern in kleine Tüten. Die abgepackten Portionen reichen sie an ihre Kollegen weiter, die an der Theke das Futter an die Kunden austeilen. Jetzt ist Simon an der Reihe: Für eine Woche bekommt er mehrere Schalen mit Nassfutter, einen Beutel mit Trockenfutter, Katzenstreu und Leckerlis. »Über die freuen sich meine Katzen am meisten«, sagt er.

Ob Futter, Hundeleinen oder Spielzeug – alles, was in der Tiertafel verteilt wird, ist gespendet worden. Die Spenden kommen von Menschen, die so viel Geld haben, dass sie etwas abgeben können, oder von großen Firmen, die Tierfutter herstellen und der Tiertafel davon etwas schenken. Manchmal werden der Tiertafel auch Reste gespendet, die nicht mehr lange haltbar sind. »Wir haben Glück, viele Leute kommen mit Spenden zu uns«, sagt Nicole Meichle. Sie kümmert sich darum, dass genug Futter für die Tiere der Besucher da ist. Nur Katzenstreu und Hundenassfutter sind immer knapp.

Alle zwei Wochen ist in Herten auch eine Tierpflegerin vor Ort: Sie schneidet die Krallen der Tiere, säubert ihre Ohren und hört ihre Herztöne ab, wenn das nötig ist. Außerdem gibt sie Tipps, wenn etwa eine Katze nicht fressen möchte oder ein Hund plötzlich stumpfes Fell bekommen hat. So wird den Tieren oftmals geholfen, ohne dass viel Geld für den Tierarzt ausgegeben werden muss.

Die Helfer bekommen kein Geld, aber belohnt werden sie trotzdem: »Es ist schön, zu sehen, wie sehr sich die Menschen und Tiere freuen«, sagt Nicole Meichle. Helfen kann jeder. Auch Kinder und Jugendliche packen bei vielen Tiertafeln mit an: Sie sortieren das Lager, verteilen Futter oder streicheln die Tiere.

In Herten ist nach zweieinhalb Stunden Schluss, der letzte Hundebesitzer geht mit vollgepackten Taschen. Die Regale hinter der Theke sind fast leer. Nächste Woche werden sie wieder aufgefüllt.