Vor 90 Jahren öffneten zwei Männer in Ägypten das Grab von Pharao Tutanchamun. Kurze Zeit später war einer von ihnen tot. Hatte die Mumie ihn verflucht?
Von Magdalena Hamm
Wer aus einer Mücke einen Elefanten macht, der übertreibt maßlos. Vor 90 Jahren haben Zeitungen aus einem Mückenstich sogar einen Fluch gemacht: den »Fluch des Pharao«.
Und das kam so: In Kairo stach eine Mücke einem Mann aus England in die Backe. Der schnitt sich beim Rasieren aus Versehen den Stich auf, die Wunde entzündete sich, und kurze Zeit später starb der Mann an einer Blutvergiftung. Das war im Jahr 1923 keine ungewöhnliche Todesursache. Aber der Mann war nicht irgendjemand, sondern der reiche Lord Carnarvon, Geldgeber des Ägyptenforschers Howard Carter. Zusammen hatten die beiden einen Monat zuvor das Grab von Pharao Tutanchamun geöffnet. Dieser ägyptische König ist heute weltberühmt, weil man in seinem Grab unzählige Schätze fand – unter anderem eine Maske aus purem Gold, die das Gesicht des gut aussehenden Pharaos zeigt.
Nachdem Lord Carnarvon gestorben war, wollten viele Menschen nicht an eine natürliche Todesursache glauben. Zeitungen streuten das Gerücht, er sei von dem Pharao dafür verflucht worden, dass er dessen Grabruhe nach 3200 Jahren gestört habe. Sie berichteten auch, dass zum Zeitpunkt von Lord Carnarvons Tod merkwürdige Dinge passiert seien: In Kairo sei der Strom ausgefallen, und in England habe der Lieblingshund des Lords geheult und sei tot umgefallen.
In den folgenden Monaten und Jahren starben weitere Menschen, die mit dem Grab von Tutanchamun etwas zu tun hatten: Wissenschaftler, die dort forschten, Museumsangestellte, die Schätze begutachteten. Aber auch Freunde und Mitarbeiter von Lord Carnarvon und dem Forscher Howard Carter. Reporter zählten mehr als 20 Opfer in zehn Jahren und schreiben: Ganz klar, der »Fluch des Pharao«!
Was die Journalisten in ihren Berichten verschwiegen: Die angeblichen Opfer des Fluchs waren fast alle entweder vor dem Besuch in der Grabkammer krank, oder sie waren einfach alt. Die Zeitungen hielten dennoch an der Geschichte vom Fluch fest. Sie verkaufte sich auch gut. Denn schon bevor das Grab des Tutanchamun entdeckt wurde, waren die Menschen in Europa und Amerika ganz verrückt danach, Geschichten über Mumien, Schätze und Magie zu lesen.
Alles, was in Ägypten aus dem Sand geholt wurde, war eine Sensation. Es war schick, sich die Haare so schneiden zu lassen wie die Pharaonen. Die Frauen malten sich schwarze Striche auf ihre Augenlider, um auszusehen wie Kleopatra. In England und auch in Deutschland wurden Mumienpartys veranstaltet, bei denen die Gäste gemeinsam Mumien auswickelten. Sie hofften, darin wertvolle Schmuckstücke zu finden, vor allem wollten sie aber die verschrumpelte Leiche sehen und sich gruseln.
Als Howard Carter Ende November 1922 im sogenannten Tal der Könige in Ägypten den Eingang zu dem fast unberührten Grab des Tutanchamun entdeckte, berichteten Zeitungen in der ganzen Welt groß darüber. In dem Tal waren schon mehr als 60 ägyptische Königsgräber gefunden worden, aber nie zuvor eines, das so viele Schätze enthielt wie das des Tutanchamun. Das Grab bestand aus mehreren Kammern, die voller Statuen, Schmuck, Möbel und anderer Dinge waren, insgesamt fanden die Ausgräber mehr als 5000 Stücke.
Es dauerte fast vier Monate, bis Carter, Lord Carnarvon und ihre Helfer bis zu der Kammer vordrangen, in der Tutanchamuns Sarg mit dessen Mumie stand. In dieser Zeit reisten unzählige Reporter aus der ganzen Welt ins Tal der Könige. Sie belagerten den Grabeingang, um als Erste von dort berichten zu können. Zusätzlich strömten immer mehr Touristen nach Ägypten, ihre Ausflugsschiffe verstopften den Nil. Und in der Stadt Luxor, die in der Nähe des Tals der Könige liegt, mussten die Hotels Zelte im Wüstensand aufschlagen, um alle Schaulustigen zu beherbergen. Howard Carter war genervt von dem Ansturm, er konnte sich kaum noch auf seine Arbeit konzentrieren. Sein Geldgeber Lord Carnarvon beschloss deshalb, nur noch eine einzige Zeitung, die Londoner Times, mit Nachrichten zu versorgen.
Das ärgerte die anderen Reporter. Manche fingen an, Kleinigkeiten aufzubauschen, um trotzdem etwas Spannendes zu erzählen zu haben. Sie machten aus Mücken Elefanten: Aus einem kleinen Unwetter im Tal der Könige wurde eine Naturkatastrophe. Ein Journalist, der über eine Inschrift auf einer Statue berichtete, dichtete einfach einen Satz zu der Übersetzung hinzu. Die Hieroglyphen bedeuteten: »Ich verhindere, dass Sand die geheime Kammer füllt. Ich bin zum Schutz der Toten da.« Um die Inschrift bedrohlicher zu machen, behauptete der Journalist, es stünde dort auch: »Und ich werde alle töten, die diese Schwelle zum Heiligtum des Königs der Könige übertreten.« Das stimmte nicht, klang aber schön gruselig. Als Lord Carnarvon dann kurze Zeit später an einer Blutvergiftung starb, war die Legende perfekt. Der »Fluch des Pharao« sorgte noch jahrelang für Schlagzeilen.
Heute glaubt kein Wissenschaftler mehr an einen solchen Fluch. »Die alten Ägypter schmückten die Gräber ihrer Toten mit Sprüchen und Symbolen, die sie zum Beispiel vor Grabräubern beschützen sollten«, sagt Jana Helmbold-Doyé vom Ägyptischen Museum in Berlin. »Aber echte Flüche haben sie nicht ausgesprochen.« Die Wissenschaft suchte nach anderen Ursachen für die Todesfälle unter den Ausgräbern. Eine Erklärung: Sie wurden von den Sporen eines giftigen Schimmelpilzes befallen. »In den Kammern befanden sich auch Lebensmittel, die über die lange Zeit natürlich verdarben«, sagt Helmbold-Doyé. »Man weiß, dass die Sporen bei Menschen, die gesundheitlich angeschlagen sind, gefährlich werden können.«
Gegen den Fluch spricht übrigens auch, dass Howard Carter, der die Grabkammer des Pharao vor Lord Carnarvon betreten hatte, lange lebte. Zumindest für damalige Verhältnisse. Er starb mit 64 Jahren an Krebs. Tutanchamun hat ihm nichts getan.