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Schaurig schön

 

Zu Halloween darf jeder so gruselig sein wie er will/ © Getty Images
Zu Halloween darf jeder so gruselig sein wie er will/ © Getty Images

Bleiche Gesichter und furchterregendes Grollen im Dunkeln: Zu Halloween kann es nicht unheimlich genug sein. Aber warum macht es eigentlich so viel Spaß, sich zu gruseln?

Von Stefan Schmitt

Soll das Kostüm wirklich so schauerlich sein?« – »Warum gerade diese schreckliche Maske?« – »Musst Du Dich so fürchterlich schminken?« Zu Halloween werden das wieder unzählige Kinder von ihren Eltern gefragt. Die verstehen nicht so richtig, warum man sich als Zombie, Vampir oder Monster verkleiden will. Dabei scheint die Antwort ganz klar: weil es einfach Spaß macht, sich gegenseitig einen Schrecken einzujagen.

Aber warum macht uns das Gruseln so viel Spaß?

Es ist ja schon ein ganz besonderes Gefühl, wenn zum Beispiel nachts am Lagerfeuer eine unheimliche Gespenstergeschichte erzählt wird. Wenn es uns dann kalt den Rücken hinunterläuft, wenn sich die kleinen Härchen auf den Unterarmen zu einer Gänsehaut aufstellen, wenn das Herz vor Spannung fest klopft! Der Erzähler freut sich über die erschrockenen Gesichter, und die Zuhörer warten auf den Moment der Auflösung: darauf, dass die Geschichte zu Ende ist, dass man dann zuerst erschreckt aufschreien und direkt danach zusammen lachen kann.

Das Gruseln ist aber mehr als ein Riesenspaß, es ist eine wahre Lust. Und es gibt Experten dafür. Die meisten davon sind Psychologen. Psychologie nennt man die Wissenschaft, die erforscht, warum wir wie fühlen und uns auf bestimmte Weise benehmen. Klar, dass Psychologen auch für Gruselgefühle zuständig sind. Auf zwei Arten versuchen sie, das Gruseln zu erklären: erstens mit unserer Vergangenheit und zweitens mit unserem Gefühlsleben.

Die einen Wissenschaftler denken so: Uns Menschen gibt es schon seit rund 150 000 Jahren, und andere Lebewesen sind noch viel älter. Alle Eigenschaften von Tieren und uns Menschen müssen aber einem Zweck dienen. Denn etwas Nutzloses setzt sich in der Natur nicht durch. Menschen haben zum Beispiel Füße, um zu laufen, Zähne, um zu kauen, und Mitgefühl, um lieb zueinander zu sein. Für alles gibt es gute Gründe. Evolutionspsychologie heißt das, wenn unser heutiges Verhalten mit der Entwicklung unserer Art erklärt wird.

Welchen Zweck soll nun das Gruselgefühl für uns haben? Vermutlich diesen: Beim Gruseln sind wir angespannt und somit aufmerksamer, unser Körper ist in einer Art Alarmbereitschaft. Am Lagerfeuer achten wir genauer auf Bewegungen oder Geräusche. Hat es da nicht eben in den Büschen geknackt? So ein Probealarm könnte früher in der Steinzeit überlebenswichtig gewesen sein, als die Menschen inmitten von wilden Tieren und rauflustigen Art- genossen lebten. Wer nicht aufmerksam war, den holte vielleicht der Bär. Auch wenn sich das nicht beweisen lässt, klingt es ziemlich einleuchtend.

Trotzdem, die Steinzeit ist lange her. Warum ist das Gruseln heute noch wichtig? Da kommen die anderen Psychologen ins Spiel. Sie erklären unseren Spaß am Fürchten mit der seltsam klingenden Idee von der »Angstlust«. Das Wort ist aus zwei Teilen zusammengesetzt, die sich eigentlich widersprechen: etwas Unangenehmes, Angst nämlich, mit etwas so Angenehmem wie Lust. Und das beschreibt ziemlich gut das Gefühl, wenn wir am Lagerfeuer eine Gespenstergeschichte hören: schön und schaurig zugleich.

Die Forscher vermuten, dass es für uns Menschen typisch ist, uns selbst mit voller Absicht einen Schrecken einzujagen, weil es uns guttut. Sie erklären das mit dem Wechsel zwischen Anspannung und Erleichterung: Weil wir wissen, dass die Gruselgeschichte nur ein Märchen ist oder dass bei Harry Potter am Ende das Gute siegt, können wir Gänsehaut und Herzklopfen genießen. Es ist ein bisschen wie auf dem Dreimeterbrett: Beim Blick von oben wird uns zwar bange, aber wir ahnen schon, wie glücklich wir nach dem Sprung sein werden.

Das ist, wenn man so genau darüber nachdenkt, schon eine erstaunliche Eigenschaft: Wir genießen, dass sich etwas so anfühlt, als ob. Mit anderen Worten, wir spielen Gefühle durch. Und wenn man jetzt noch bedenkt, dass es kaum etwas Wichtigeres für einen Menschen gibt, als seine Gefühle zu kennen, mit ihnen umgehen und sie ausdrücken zu können, dann wird plötzlich auch klar: Kinder brauchen ganz viel von dieser Angstlust, sie lernen ja noch. Außerdem sind sie neugieriger als die allermeisten Erwachsenen.

Die Gespenster und Vampire, Zauberer, Hexen, Zombies und Ungeheuer, in die sich die Kinder von heute zu Halloween verwandeln werden, zeigen unsere uralte Lust am Gruseln: die unseren Vorfahren einmal durch die Steinzeit geholfen hat und die uns heute noch dabei hilft, unsere Gefühle zu trainieren.