Zweimal im Jahr legen Zugvögel Tausende Kilometer zurück. Warum eigentlich? Und wie schaffen sie das? Forscher wie Franz Bairlein verfolgen die Tiere auf ihrer Route
Von Irene Berres
Was Du im Biologieunterricht oder aus Sachbüchern über Vögel lernst, ist nicht vom Himmel gefallen. Wo sie leben, wie sie brüten und was sie fressen, muss mühsam erforscht werden. Von Menschen wie Franz Bairlein. Er ist Direktor des Instituts für Vogelforschung in Wilhelmshaven und hat sich auf den Steinschmätzer spezialisiert. Bairlein reist dem kleinen Zugvogel seit mehr als zehn Jahren hinterher – von der Arktis bis nach Afrika. Gerade war er auf Spitzbergen, einer kleinen Inselgruppe im Norden Norwegens. Dort hat er keine Steinschmätzer entdeckt. Auch das kann Forschung sein: herauszufinden, wo ein Vogel nicht lebt.
KinderZEIT: Warum erforschen Sie ausgerechnet den Steinschmätzer?
Franz Bairlein: Er ist nur so groß wie ein Spatz, aber unglaublich stark. Manche Steinschmätzer brüten im Sommer in Europa – auch hier in Deutschland. Manche aber auch ganz im Norden der Erde, in der Arktis. Wir sind davon ausgegangen, dass sie alle im Herbst nach Afrika fliegen, um dort den Winter zu verbringen. Von Deutschland aus ist das schon eine ganz schön weite Strecke, aber von der Arktis aus ist es noch viel, viel weiter, fast 15000 Kilometer! Wir wollten wissen, ob die kleinen Vögel diese Strecke tatsächlich schaffen.
KinderZEIT: Was haben Sie getan, um das herauszufinden?
Bairlein: Erst einmal mussten wir die Vögel in der Arktis, in Alaska, überhaupt finden. Sie wohnen dort in der Tundra, einer kargen Landschaft weit weg von den Menschen. Vor zwei Jahren sind wir zu dritt mit einem Wohnwagen in die Wildnis Alaskas gefahren. Morgens sind wir um sechs Uhr losmarschiert – querfeldein durch das Gelände. Den ganzen Tag hielten wir nach den Steinschmätzern Ausschau, bis abends um neun oder zehn Uhr.
KinderZEIT: Und wenn ein Vogel aufgetaucht ist?
Bairlein: Dann haben wir uns auf den nächsten Stein gesetzt und waren ganz ruhig, um ihn ja nicht zu stören. Wir wollten die Nester der Tiere finden. Steinschmätzer brüten auf dem Boden unter Steinen oder in Felsspalten. Wenn die Vögel Futter im Schnabel hatten, wussten wir, dass ihr Nest nicht weit sein kann. Dann sind wir ihnen ein Stück gefolgt und haben uns wieder auf einen Stein gesetzt. Man muss sehr geduldig sein! Manchmal sitzt man stundenlang in der bitteren Kälte, bei Regen oder Schnee.
KinderZEIT: Klingt anstrengend und ungemütlich!
Bairlein: Gerade wenn es eisig kalt ist, frage ich mich schon manchmal, warum ich das alles mache. Aber wenn ich daran denke, dass ich ganz neue Sachen über den Vogel herausfinde, sind alle Zweifel wieder weg. Und mit der richtigen Kleidung lässt sich jedes Wetter ertragen.
KinderZEIT: Wie geht es weiter, wenn Sie ein Nest entdeckt haben?
Bairlein: Wir fangen die Vögel mit kleinen Fallen, die sie nicht verletzen, und befestigen bunte Ringe an ihren langen Beinen. Jeder Vogel hat eine eigene Farbkombination, wie eine Art Ausweis. Außerdem bekommen sie einen winzigen Rucksack mit einem Fahrtenschreiber. Das ist ein Chip, der speichert, wann der Vogel wohin geflogen ist. Nach ein paar Minuten ist das Tier wieder frei. 30 Vögel haben wir insgesamt so ausgestattet.
KinderZEIT: Wie haben Sie die Informationen von dem Chip bekommen?
Bairlein: Dafür mussten wir ein Jahr später wieder nach Alaska fahren und genau die Vögel ein zweites Mal suchen, um ihnen den Chip wieder abzunehmen. Dazu braucht man ganz schön viel Glück! Ein Vogel hatte in dem Jahr seinen Rucksack verloren. Insgesamt hat es nur bei drei von 30 Vögeln geklappt.
KinderZEIT: Und, was haben Ihnen Chip und Fahrtenschreiber verraten?
Bairlein: Wir konnten sehen, wo die Vögel im letzten Jahr gewesen sind. Sie waren mit ihrem Rucksack tatsächlich nach Ostafrika geflogen, die ganze Strecke quer durch Asien!
KinderZEIT: Wissen Sie jetzt auch, warum die Vögel das machen?
Bairlein: Der Steinschmätzer frisst am liebsten Insekten. Die findet er im Winter in der Arktis nicht. Deshalb zieht er in Richtung Süden. Anders als man denken könnte, ist es also nicht die Kälte, die ihn vertreibt, sondern zu wenig Futter. Das ganze Jahr in Afrika bleiben kann der Vogel aber auch nicht. Um zu brüten, braucht er nämlich ganz lange Tage, die wiederum gibt es nur im Norden. Im April oder März macht der Steinschmätzer sich deshalb auf den Rückflug.
KinderZEIT: Das alles zu erforschen ist ganz schön viel Arbeit. Warum stecken Sie so viel Energie in den Winzling?
Bairlein: Ganz einfach: Wir sind Forscher und sehr neugierig! Es fasziniert uns, herauszufinden, wie die Natur funktioniert. Unsere Ergebnisse haben aber auch eine große Bedeutung für den Arten- und Naturschutz. Um genug Energie für seinen Flug zu tanken, muss der Steinschmätzer unterwegs immer wieder Pausen einlegen und sich vollfuttern. Der Mensch allerdings verändert die Umwelt und damit vielleicht auch die Rastplätze des Steinschmätzers. Wenn wir wissen, an welchen Orten sich die Vögel ausruhen, können wir sie schützen. Die Steinschmätzer mögen zum Beispiel Felder, Kiesgruben und Weinberge. Manchmal machen sie in Deutschland aber auch auf Müllkippen Rast. Das klingt komisch, aber dort gibt es große freie Flächen und viele Insekten. Ganz nach ihrem Geschmack!
KinderZEIT: Und jetzt? Wissen Sie denn nun alles über den Vogel?
Bairlein: Noch lange nicht! Gerade arbeiten wir mit Steinschmätzern, die wir hier im Institut in Wilhelmshaven halten. Wir wollen zum Beispiel noch herausfinden, wie sie es schaffen, auf ihren Reisen 50 bis 60 Stunden ohne Pause mit den Flügeln zu schlagen. Wenn wir Menschen ganz lange laufen, werden unsere Muskeln irgendwann müde und die Beine ganz schwer. Warum werden den Vögeln die Flügel nicht lahm? Bekommen sie keinen Muskelkater? Wenn wir das herausfinden, können davon vielleicht auch Leistungssportler lernen. Es gibt noch viel zu entdecken!